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Die Straf­bar­keit von Inzest hilft niemandem, trotzdem wurde sie vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt bestätigt

25. März 2008

Dr. Jens Puschke

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in einer Entscheidung vom 26. Februar 2008 (2 BvR 392/07) das strafrechtliche Verbot des Beischlafes unter leiblichen Geschwistern. Die entsprechende Vorschrift des § 173 Abs. 2 S. 2 Strafgesetzbuch (StGB) sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Humanistische Union bedauert diese Entscheidung und unterstützt ausdrücklich die Bedenken, welche der Richter Hassemer in seinem Sondervotum geltend macht. Nach unserer Auffassung ist das Strafrecht weder ein angemessenes noch besonders taugliches Mittel zur Verhaltenssteuerung in diesem höchstpersönlichen Lebensbereich.

Eine strafrechtliche Sanktionierung bietet keine Lösung für sozialpsychologische Probleme in Familien, aus denen sich teilweise inzestuöse Beziehungen ergeben. Dazu sind vielmehr Jugendwohlfahrtspflege und Erziehungshilfe gefragt. Die in der Beschwerde angegriffene Rechtsnorm bietet keinen effektiven Schutz für die sexuelle Selbstbestimmung. Ein erfolgreicher Schutz der Betroffenen müsste dagegen an dem entscheidenden Problem des Ausnutzens von Abhängigkeitsverhältnissen ausgerichtet sein. Der Schutz von Moralvorstellungen ist nach Ansicht der Humanistischen Union jedenfalls keine Grundlage für den Einsatz des Strafrechts.

Nach der mehrheitlichen Auffassung der RichterInnen (7:1) des Zweiten Senats genüge das Inzestverbot den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es verfolge einen legitimen Zweck, habe sich als geeignet, erforderlich und angemessen erwiesen. Insbesondere solle das Verbot Ehe und Familie, die in einer Inzestbeziehung unterlegenen Partner und vor möglichen Erbschäden der Kinder aus Inzestbeziehungen schützen.

Die genannten Ziele legitimieren nach Ansicht der Humanistischen Union die Strafbarkeit des Geschwisterinzests weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit. § 173 Abs. 2 S. 2 StGB ist nicht geeignet und erforderlich die Ziele zu erreichen, zudem ist eine Strafandrohung nicht angemessen.

Der Schutz von Ehe und Familie wird durch das Verbot des Beischlafs unter leiblichen Geschwistern gesetzesdogmatisch bereits nicht angestrebt. Das zeigt sich daran, dass nur eng umgrenzte sexuelle Handlungen unter Strafe gestellt werden. Das Verbot gilt zudem nur für den Beischlaf zwischen leiblichen, nicht gleichgeschlechtlichen Geschwistern und nur für Personen über 18 Jahre. Wäre die Vermeidung von Beeinträchtigungen des Familienzusammenlebens Ziel der Regelung, hätte der Gesetzgeber auch weitere, vergleichbare sexuelle Handlungen unter Strafe gestellt. Ebenso ist zu bezweifeln, dass die Strafnorm geeignet ist, den Familienzusammenhalt zu fördern. Wie das Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht auf S. 98 ausführt, wird Geschwisterinzest in der Wissenschaft ganz übereinstimmend als Folge und nicht als die Ursache einer zerrütteten Familienstruktur angesehen. Eine strafrechtliche Intervention dürfte den Familienzusammenhalt zusätzlich gefährden.

Die angegriffene Strafnorm bezweckt auch nicht den Schutz des in einer Inzestbeziehung unterlegenen Partners. Das Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses ist nicht Bestandteil des Tatbestandes. Nach geltender Rechtslage ist deshalb auch der freiverantwortliche Beischlaf strafbar, sogar das Verhalten eines unterlegenen (abhängigen) Inzestpartners ist unter Strafe gestellt. Auf der anderen Seite dürfte sich ein Schutz vor der sexuellen Ausnutzung familiärer Bindungen nicht auf den Beischlaf beschränken. Nach der geltenden Fassung des § 173 StGB sind jedoch andere sexuelle Handlungen nicht strafbar, selbst wenn dafür die Verbundenheit aufgrund der Geschwisterbeziehung vorsätzlich ausgenutzt wird.

Besonders kritisch sieht die Humanistische Union, dass die Mehrheit des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts auch sog. eugenische Gründe – mögliche Erbschäden bei Kindern, die aus einer Inzestbeziehung hervorgehen – zur Begründung für die Aufrechterhaltung des Verbots heranzieht. Wir teilen zwar die Auffassung des Gerichts, dass der Missbrauch bestimmter Argumentationen im Nationalsozialismus deren Verwendung nicht grundsätzlich ausschließt. Solche historisch vorbelasteten Argumente sollten aber besonders aufmerksam hinterfragt werden. Folgt man der Begründung der Verfassungsrichter, wäre die Vermeidung einer möglicherweise erhöhten Gefahr von Erbschäden bei Kindern ein legitimer Zweck des Strafrechts. Dann wäre es aus verfassungsrechtlicher Sicht ebenso möglich, die Zeugung von Kindern durch Personen mit bestimmten Erbkrankheiten unter Strafe zu stellen oder ein Kinderzeugungsverbot für ältere Frauen zu erlassen, weil bei ihren Kindern das Risiko von Erbkrankheiten steigt. Gegen solche Strafnormen ergeben sich nicht nur historisch bedingte Abwehrreaktionen. Die Humanistische Union schließt sich hier den ethischen Bedenken an, auf die der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats, Winfried Hassemer, in seinem abweichenden Votum hinweist. Eine sinnvolle gesetzgeberische Abwägung zwischen dem potenziellen Lebenswillen eines zukünftigen Kindes mit genetischem Defekt und einem potenziellen Interesse an seiner eigenen Nichtexistenz ist schlicht unmöglich. Die eugenische Begründung des Inzestverbots läuft nicht zuletzt auch deshalb ins Leere, weil die Norm des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB nicht unmittelbar auf das Zeugen von Kindern abzielt, sondern lediglich auf den Beischlaf unter leiblichen Geschwistern. Bei der weiten Verbreitung von Verhütungsmitteln und -möglichkeiten führt ein Beischlaf keineswegs zwangsläufig zur Zeugung von Kindern.

Hintergrundinformationen:

Der Beschwerdeführer wandte sich an das Bundesverfassungsgericht um die Aufhebung mehrerer Verurteilungen gegen ihn wegen Beischlafs unter Verwandten gem. § 173 Abs. 2 S. 2 StGB zu erreichen. Dabei handelt es sich um Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und unter Einbeziehung einer weiteren Straftat zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Dem Beschwerdeführer wurde zu Last gelegt, dass er in einer Vielzahl von Fällen mit seiner leiblichen Schwester geschlafen habe. Aus der Beziehung der beiden Geschwister sind vier Kinder hervorgegangen. Die Geschwister sind getrennt von einander aufgewachsen. Der Beschwerdeführer erfuhr von der Existenz seiner Schwester erst im Alter von 24 Jahren.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.2.2008:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080226_2bvr039207.html

Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg:
http://www.mpicc.de/de/data/pdf/05-08-inzest_gutachten.pdf

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