Themen / Lebensweisen / Pluralismus / Tagungsprotokoll: Wege zu einer neuen Psychiatrie

Diskus­si­ons­bei­träge

14. Dezember 1980

Nils Pörksen

aus: Wege zu einer neuen Psychiatrie, Protokolle einer Tagung. HU-Schriften 9, München 1980, Seite 28 – 29

Pörksen verzichtete auf die Abgabe seines Statements, da er der Meinung war, dass noch mehr an gegenseitiger Information erschlagend wirke und dass es vielmehr darum ginge, konkrete Ansatzpunkte für Aktivitäten der HUMANISTISCHEN UNION zu finden. Er brachte folgende Beiträge in die Diskussion ein: Als Leiter der Klinik eines freien Trägervereins sieht sich Pörksen in der schwierigen Lage, einerseits den sozialpsychiatrischen Dienst dahin zu unterstützen und zu motivieren, Einweisungen zu verhindern und andererseits dafür Sorge tragen zu müssen, dass in der Klinik eine gute Durchschnittsbettenbelegung gewährleistet ist, da die Klinik sonst schließen müsste. Das ist ein zur Zeit unlösbarer Widerspruch. Innerhalb der Klinik sehen sich die Nervenärzte zwar durch den angegliederten ambulanten Dienst entlastet, müssen aber Verdiensteinbußen bis zu 25 % in Kauf nehmen. Wäre dieser ambulante Dienst nicht eine Modelleinrichtung, wenn man also gezwungen wäre, teilbezogen zu arbeiten und Teilzahlen vorzulegen, könnte vieles von dem, was jetzt möglich ist, gar nicht realisiert werden, z.b. eine erste Abnabelung der Langzeitbetreuung in Form einer sich inzwischen weitgehend selbstorganisierenden, jeden Tag und jeden Abend geöffneten Teestube, eine Kontaktstelle, die auch zunehmend von anderen Gruppen frequentiert wird. Eine der 29 wichtigsten Forderungen, die man stellen muss, ist die Aufhebung der Bettenbindung bei der Finanzierung. Gesetzesinitiativen müssen an diesem Punkt ansetzen. Wenn dies nicht gelingt, sind wir noch weit entfernt von Italien.
Es war sehr viel die Rede von Prophylaxe und Gemeindenähe. Die Nahtstelle für den Beginn der Ausgliederung setzt sehr viel früher an, als wir denken, nämlich schon in dem Moment, wo wir glauben, jemanden an einen Fachmann oder in die Beratungsstelle überweisen zu müssen. Man ist froh zu wissen, an welche Stelle man ihn verweisen kann und überlegt nicht, welche Vorprogrammierung er möglicherweise dadurch erfährt. Sonderkindergärten, Sonderschulen, sehr viele Heime, die ganze Problematik des Umgehens mit der Arbeitslosigkeit und dem Sonderarbeitsmarkt, das sind Bereiche, die nicht unmittelbar mit der Psychiatrie zu tun haben, aber dort passieren die Weichenstellungen. Ausgliederung wird immer dargestellt als etwas Positives, weil der Betroffene ja in fachkundige Hände kommt, weil er angeblich besonders gefördert wird. Welchen Sinn aber sollte es haben, nur Verhaltensgestörte zusammen in eine Schule zu bringen? Die Psychiatrie befindet sich am Ende dieses Ausgliederungsprozesses und versucht nun, ihn von hinten her wieder rückläufig zu machen. Es ist nötig, in der Öffentlichkeit durch Aufklärung ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jede Ausgliederung in Sondereinrichtungen von Übel ist.

Pörksen bat die HUMANISTISCHE UNION, sie möge insgesamt oder durch die Nennung von kompetenten Juristen unter ihren Mitgliedern bei der Durchsetzung bereits vorhandener Rechte behilflich sein. Fast täglich fallen in der Psychiatrie Probleme der Rechtsunsicherheit an, die sowohl die Patienten, als auch die Institution als solche, die ständig an ihre Grenzen
gerät, betreffen.

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