Themen / Lebensweisen / Pluralismus / Broschüre: Frauenverachtung

Erotic si, porno no. Oder: "Wie unbequem es sich zwischen den Stühlen sitzt"

09. Dezember 1988

Elisabeth Kilali

aus: Frauenverachtung verbieten? Gegensätzliches zur Verrechtlichung eines gesellschaftlichen Problems. HU Schriften Nr. 14 . München 1988, Seiten 7-11

Im Herbst 1961 war das Maß voll. Volkswartbund und „Aktion Saubere Leinwand“ hatten wir ja noch hohnlächelnd abgetan, aber nun rückte man der hohen Kunst zu Leibe. Figaro wurde abgesetzt, nicht etwa wegen der mäßigen Inszenierung an der Augsburger Provinzbühne, nein einzig und allein wegen des angeblich obszönen Bühnenbildes. Eine wenig bekleidete, barocke Dame räkelte sich da mit ihrem Galan in einer angedeuteten Liebesszene. Wer hätte damals geahnt, daß nur zwei Jahrzehnte später kaum noch eine Theateraufführung über die Bühne ging, bei der nicht wenigstens ein(e) Darsteller(in) sich seiner/ ihrer gesamten Bekleidung zu entledigen hätte. Der Skandal von Augsburg jedenfalls gab die Initialzündung für die Gründung der Humanistischen Union. Schluß mit dem Kleinbürger-Mief, weg mit der Zensur, Freiheit für die Kunst, sexuelle Liberalisierung, Mündigkeit!

Was erwachsene Menschen sich anschauen oder miteinander tun wollen, geht den Staat, geht die Justiz, geht niemanden was an! Eine exzellente Ausstellung erotischer Kunst reiste, von der HU unterstützt, durch die Lande und erregte gewiß nicht nur die Gemüter. Die neue Botschaft wurde auch von der gerade erst aufblühenden, aber immer noch arg bedrohten und bedrängten Branche der Pornohersteller und -vertreiber gehört. Da gab es gelegentlich Spenden für diesen Intellektuellenverein, der sich anschickte, zum Wegbereiter für künftige Gewinnchancen ungeahnten Ausmaßes zu werden. Auch von Empfängen mit erlesenem Bufett berichten HU-Enthusiasten der ersten Stunde. Der jeweilige Herr Vorsitzende wurde mit dem Anschauungsmaterial beschickt, Einblicken in jenen Garten der Lüste, der nun endlich unangefochten allen offenstehen sollte. Dann wurde eine Frau als Vorsitzende an die Spitze der HU gewählt. Sie schrieb empört, man möge sie gefälligst nicht mit derlei Schund belästigen. So geschah es; doch jäh versiegte auch die Spendenquelle. War das nötig? Die Dame war doch keine Kirchgängerin, sie kannte das Leben. Ihr letztes, unvollendetes Werk galt der Geschichte der Erotik. Hätte sie nicht die Prospekte achtlos in den Papierkorb werfen können, wie es ihre Herren Vorgänger taten (oder vielleicht ja auch nicht)?

Überhaupt, diese HU-Frauen! „Ich bin wütend“, begann eine ihr Vorwort zu einem Buch über „Weibsbilder“. Sie präsentierte eine umfangreiche Sammlung frauenverachtender Darstellungen, vom Nußknacker aus schlanken Damenbeinen, über die Klingel in Busenform bis zur Zweckentfremdung weiblicher Geschlechtsmerkmale für die Werbung, kurz, die ganze sexistische Würze unseres Alltags. Das generöse „Laß-den-Kerlen-doch-ihr-Spielzeug-Lächeln“ war ihr darüber abhanden gekommen. Geben wir es zu, die Freiheit hat seltsame Blüten getrieben: Pornohefte, Peep-Shows, Sexvideos, stets abgestimmt auf männlichen Geschmack, Frauen als Jagdtrophäe, bereitwillige Sklavin oder einfach als handlichen Gebrauchsartikel darstellend. Da gibt es neben den Wichs-Vorlagen für Otto Normalverbraucher auch einiges für gehobene Standards. Hochglanzmagazine servieren dem kultivierten Herren was er so braucht: ein bißchen was Informatives, ein bißchen was Literarisches und als Dessert Frauenkörper.

Näher kommen sich Männer und Frauen dabei natürlich nicht. Aber Bewußtsein wird geprägt, frauenverachtendes Bewußtsein, sagen die Psychologen. Unsinn, behaupten Vertreter des gleichen Wissenschaftszweigs: Pornographie hat einen karthatischen Effekt und wirkt triebregulierend – je nachdem, wer gerade die Untersuchung in Auftrag gab und bezahlt. Wer würde angesichts herabwürdigender Darstellungen von Schwarzen, Türken, Juden, Katholiken … einen solchen Gelehrtenstreit vom Zaune brechen? Können wir uns nicht darauf einigen, was mies ist, einfach auch mies zu nennen? Und dann sagen wir der miesen Weiberfeindlichkeit den Kampf an, schaffen sie aus der Welt.

Wie? Natürlich per Gesetz! Jede Frau, die sich durch Pornographie gekränkt fühlt, erhält Anspruch auf Schadensersatz. Also fangen wir gleich an! Neulich sah ich einen ägyptischen Papyrus, auf dem sich ein Pharao mit mehreren Gespielinnen schamlos verlustierte. Sollen wir das durchgehen lassen? Nach einigen tausend Jahren ist das Delikt vielleicht verjährt. Auch würde sich der derzeitige ägyptische Regierungschef bei Schadensersatzansprüchen wahrscheinlich für nicht zuständig erklären. Wie aber steht es mit den pornographischen Werken der Weltliteratur, jener künstlerischen Verpackung schäbiger ldeologie? Einfach weg damit? Wäre das nicht eine unzulässige Klitterung der Literaturgeschichte? Gibt uns nicht sogar de Sade interessante Einblicke in das Denken und Handeln seiner Zeit? Man muß ihn ja nicht gleich zum Rebellen hochjubeln. Er gehörte einer durch die Französische Revolution entmachteten Herrenschicht an. Und was tun Herrenmenschen ohne Befugnisse? Sie halten sich an den Frauen schadlos. Der Unterschied zwischen de Sade und Herrn Müller, der nie die Chefetage erringen wird, aber dafür als uneingeschränkter Herr im eigenen Haus auftritt, ist nur ein gradueller. Sollen wir Herrn Müller gleich mit verbieten?

Wie verhält es sich mit den Bildenden Künsten? Sie spiegeln vielfach die Lust- und Leibfeindlichkeit des christlichen Abendlandes in Frauendarstellungen als Heilige oder Hure. Eigentlich ist beides pervers und gehört verboten. Ja, und dann die moderne Kunst mit all ihren Deformationen! Oder ist das vielleicht symbolisch gedacht? Muß Kunst nicht Wirklichkeit verdeutlichen, wenn sie nicht verlogen sein will? Und wer wollte behaupten, unsere Wirklichkeit sei frauenfreundlich! Also lassen wir die Finger von der Kunst! Das hat ohnehin den üblen Beigeschmack von Zensur. Aber die Titelbilder der Illustrierten und überhaupt die Werbung, das gibt schon einiges her. Nichts gegen Aktdarstellungen, wenn sie ästhetisch sind! Wir wollen ja keine Neo-Prüderie. Aber wenn der weibliche Akt aufs Auto platziert und die Grenzen des guten Geschmacks überschritten werden …, da brauchen wir wohl genaue Richtlinien, Maßstäbe, eine Kommission, zusammengesetzt aus allen gesellschaftsrelevanten Gruppen, paritätisch mit Männern und Frauen besetzt. Die haben sich dann vielleicht bis zum Jahre 2000 zusammendiskutiert. Zwischenzeitlich verbieten wir schon mal jene Pornohefte, die von pubertierenden Knaben heimlich unter der Schulbank ausgetauscht und von distinguierten Herren in einem besonderen Fach ihres Schreibtisches unter Verschluß gehalten werden. Und dann verbieten wir auch noch die Sex-Videos, die sich der Herr Gemahl des Abends reinzieht, statt mit der ihm real angetrauten Ehefrau ins Bett zu gehen. (Da soll noch einer behaupten, der Geburtenrückgang hätte was mit § 218 zu tun!) Freilich müssen wir dann auch die Grenzen nach Skandinavien komplett dichtmachen. Denn seinerzeit passierten dort Unmengen von verbotenem Schweinkram die deutschen Grenzen und fanden – obwohl teurer als heute – reißenden Absatz. Ganz schön schwierig, die Verbieterei! Aber in einem sind wir uns doch einig: harte Pornographie, die Verbindung von Sexualität und Gewalt muß ganz einfach verboten werden! Geht auch nicht, ist nämlich schon verboten, wird sogar strafrechtlich verfolgt. Ja, bleibt uns denn wirklich und wahrhaftig nur jener unendlich lange, steinige, dornenreiche Weg der Bewußtseinsänderung bei unseren Männern? Ach! Nun denn, beschreiten wir ihn in der vagen Hoffnung, daß dereinst unsere Töchter und Töchterstöchter wenigstens ein kleines bißchen davon profitieren!

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