Themen / Rechtspolitik

Härtere Strafen sind die falsche Antwort auf Jugend­de­lin­quenz

27. Januar 2008

Die Humanistische Union weist jegliche Forderung nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, einer Herabsenkung des Strafmündigkeitsalters und der Einführung neuer Sanktionsformen für Jugendliche und Heranwachsende wie den sog. Erziehungscamps scharf zurück. Vielmehr muss das bestehende Jugendstrafrecht stärker daran ausgerichtet werden, dass der weit überwiegende Teil der Jugenddelinquenz entwicklungsbedingt ist.

Beim Umgang mit jungen Personen, die schwerere Delikte begangen haben, müssen die besonders gravierenden nachteiligen Folgen des Freiheitsentzuges auf ihre persönliche Entwicklung beachtet werden. Freiheitsentzug schädigt nicht nur die Jugendlichen und Heranwachsenden und reduziert deren soziale Teilhabechancen, sondern beeinträchtigt auch unmittelbar die Gesellschaft durch die Erzeugung von Desintegration, Subkulturen und hohen Rückfallquoten.

Aus diesem Grund unterstützt der Bundesvorstand der Humanistischen Union ausdrücklich die Stellungnahme zur aktuellen Diskussion um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts von Professor Wolfgang Heinz, der fast 1000 Hochschullehrer/innen und Praktiker/innen der Jugendstrafrechtspflege beigetreten sind.

Die Humanistische Union möchte (zusätzlich) Folgendes herausstellen.

Keine Verschär­fung – Im Gegenteil

Es besteht kein Anlass, das Jugendstrafrecht zu verschärfen, die Strafmündigkeitsgrenze auf unter 14 Jahre zu senken oder das Erwachsenen-Strafrecht als Regel für Heranwachsende anzuwenden. Diese Erkenntnis gilt unabhängig von der Entwicklung der Jugenddelinquenz, die entgegen häufiger medialer Darstellung in der Gesamtheit in den letzten Jahren keineswegs zugenommen hat, was nach Dunkelfeldstudien ebenso speziell für Gewaltdelikte zutrifft. Die Erkenntnis gilt deswegen entwicklungsunabhängig, weil harte Strafen und frühes Eingreifen durch Sanktionen Kriminalität nicht reduzieren, sondern befördern. Rückfallquoten von über 70 % bei freiheitsentziehenden Maßnahmen wie der Jugendstrafe und dem Jugendarrest sprechen eine eindeutige Sprache und verdeutlichen deren negativen Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen.

Die Befunde müssen vielmehr Anlass sein, Konzepte des Rückzugs des sanktionierenden Jugendstrafrechts erneut in den Vordergrund zu stellen.

  • Der Jugendarrest als völlig untaugliches Mittel zur positiven Einflussnahme auf Jugendliche und Heranwachsende muss abgeschafft und nicht etwa durch die Einführung eines „Warnschussarrestes“ erweitert werden.
  • Jugendstrafe muss als ultima ratio auf ganz seltene Ausnahmefälle begrenzt werden und der Jugendstrafvollzug als wirklicher Angebotsvollzug ausgestaltet werden.
  • Bei leichten und mittelschweren Delikten muss in viel stärkerem Maße von dem Mittel der Einstellung des Strafverfahrens (Diversion) Gebrauch gemacht werden.
Kein staatlicher Drill

Eine Erweiterung der Bandbreite staatlicher Reaktionen auf Jugenddelinquenz um Zwangsmaßnahmen, die mittels körperlicher und seelischer Qualen Konformität erzeugen sollen, ist abzulehnen. Erziehung ist in erster Linie Sache des sozialen Nahfeldes. Staatliche Erziehung außerhalb der Schule darf nur in seltenen Ausnahmefällen und im Kontext mit strafbarem Verhalten grundsätzlich nur mit dem Ziel der Legalbewährung erfolgen.

Ordnung, Gehorsam, Sauberkeit und Pünktlichkeit sind hierfür jedoch keine notwendigen Bedingungen und die angewandten Methoden zu ihrer Erreichung zudem höchst fragwürdig. Eine dauerhafte Einstellungsänderung bei jungen Delinquenten kann nur mit Konzepten erzeugt werden, an denen sich Jugendliche freiwillig beteiligen. Bestätigt wird dies durch Befunde aus den USA, die keine signifikante Verminderung der Rückfallquoten für Insassen von „Bootcamps“ aufzeigen.

Prävention ja, aber mit Augenmaß

Der Ruf nach Prävention, also der Verhinderung von Delikten statt der bloßen Reaktion nach der Tat, ist verständlich und richtig, birgt aber auch Gefahren, denen von Anfang an begegnet werden muss. Prävention darf nicht dazu führen, dass Heranwachsende, Jugendliche oder Kinder frühzeitig als Gefährdete und Gefährder ausgemacht werden und eine Sonderbehandlung als „Problemkinder“ erfahren. Dies wirkt stigmatisierend und ist kontraproduktiv. Auch darf Prävention nicht dahingehend falsch verstanden werden, dass die Verhinderung von strafbarem Verhalten im Zentrum von Jugend- und Sozialarbeit stehen soll. Hierdurch würde wichtige und gesellschaftlich wertvolle Arbeit auf das Ziel der Senkung der Kriminalitätsraten reduziert und – auch mit Folgen für die Finanzierung – hieran gemessen werden. Gute Jugendarbeit muss stattdessen verstärkt gefördert werden und sich auf Probleme junger Menschen beziehen und ihnen Teilhabe ermöglichen. Die Bereiche, in die vornehmlich investiert werden muss, liegen offen zu Tage. Es sind Familie, Bildung und Ausbildung, Integration und Freizeit.

Links

Zur Stellungnahme und der Liste der Unterstützer/innen auf den Seiten der DVJJ

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