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Humanis­ti­sche Union verteidigt das Trennungs­gebot im Infor­ma­ti­ons­zeit­alter

18. Dezember 2012

Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zur Antiterrordatei.

Mitteilungen 218/219 (III/IV) – Dezember 2012, Seite 1-3

(Red.) Das Antiterrordateigesetz trat im Dezember 2006 in Kraft. Fast sechs Jahre später, am 6. November 2012, verhandelte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Errichtung der zentralen Antiterrordatei. Allein das zeigt schon, wie schwierig der Rechtsschutz gegen diese Datei und den damit verbundenen Systemwechsel in der „Sicherheitspolitik“ ist.
Die Humanistische Union (HU) war zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht als sachverständige Auskunftsperson geladen. Rosemarie Will, die für die HU auftrat, verteidigte dabei die vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Grundrechtspositionen. Neben der HU wurde der Beschwerdeführer in seinem Begehren von den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, dem Chaos Computer Club, dem Deutschen Institut für Menschenrechte und der Deutschen Vereinigung für Datenschutz unterstützt. Ihnen gegenüber verteidigten die Vertreter der Bundesregierung, angeführt von Innenminister Friedrich und den Chefs der wichtigsten Sicherheitsbehörden dieser Republik, den Datenaustausch. Rosemarie Will berichtet hier von der Verhandlung in Karlsruhe.

Das Antiterrordateigesetz markiert eine Wende in der bundesrepublikanischen Sicherheitspolitik: Auf seiner Grundlage wurde die erste Verbunddatei zwischen Geheimdiensten und Polizeien errichtet. Neben der eigentlichen Antiterrordatei (ATD) enthält das Gesetz weitere Regelungen zur „projektbezogenen Zusammenarbeit“ aller beteiligten Behörden (derzeit ca. 40), und damit eine gesetzliche Vorschrift zur engen Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Polizeibehörden. Erstmals dürfen die für Strafverfolgung zuständigen Behörden die gleichen Informationen und Datenbestände nutzen wie jene Stellen, deren Aufgabe darin besteht, möglichst viele Verdächtigungen anzustellen und die dazu auch „im Trüben fischen“.

Aufbau und Inhalt der Antiter­ror­datei

Die Antiterrordatei (ATD) besteht aus zwei Teilen: zum einen den so genannten Grunddaten zu den gespeicherten Personen und Organisationen; andererseits aus einem Index, in dem verzeichnet ist, welche anderen Behörden in welchen Dateien weitere Informationen über diese Personen besitzen. In der ATD wurden seit ihrer Errichtung Personalien aus über 100 verschiedenen Datenbanken der beteiligten Sicherheitsbehörden erfasst und miteinander verknüpft. Die Speicherung in der Datei kann dabei offen oder verdeckt erfolgen. Die Art der Speicherung entscheidet darüber, ob die anderen Behörden bei einer Abfrage der Datei die „Trefferdatensätze“ sofort einsehen können, oder ob die dateneinspeisende Behörde erst entscheiden muss, ob „Treffer“ aus ihren Datenbeständen für die Anfragenden sichtbar werden. In der Regel speichern die Polizeibehörden ihre Daten offen in der ATD, die Geheimdienste meist verdeckt. Die informationelle Machtverteilung ist damit eindeutig: Die Geheimdienste entscheiden im Normalfall darüber, ob und wann die Polizei weitere Informationen über Verdächtige erhält oder nicht.

Nach Auskunft der Bundesregierung sind gegenwärtig ca. 16.800 Personen in der ATD erfasst. Von 2007 bis 2011 gab es 300.000 Anfragen an die Antiterrordatei, mit insgesamt 1,5 Millionen Treffern. Nicht bekannt ist, dass durch diese massenhaften Abfragen ein Terrorist entdeckt oder ein Anschlag verhindert worden wäre. Bekannt geworden ist dagegen aus den Berichten der anwendenden Behörden, dass die meisten Anfragen an die ATD von der Polizei gestellt werden. Bei den Polizeibehörden besteht offenbar ein großes Bedürfnis, den von ihnen ermittelten Sachstand durch Informationen aus dem geheimdienstlichen Umfeld zu erweitern. Sollte diese Einschätzung stimmen, dann bestätigt sie die von Beginn an mit der Antiterrordatei verbundene Sorge der Bürgerrechtler: dass geheimdienstliche Informationen aus ungesicherten, und damit unüberprüfbaren Quellen in polizeiliche Entscheidungen einfließen. Bereits bei der Erfassung der „primären Terrorismusverdächtigen“ erheben Geheimdienste Informationen weit im Vorfeld von konkreten Gefahren oder konkreten Straftaten. In die ATD fließen unter Umständen Informationen ein, die auf bloßem Hörensagen beruhen.
Hinzu kommt, dass in der Antiterrordatei entgegen ihrem Namen weit mehr als nur Terrorverdächtige („Gefährder“) erfasst werden: dazu gehören auch die sog. „Befürworter von Gewalt“ (selbst wenn diese nur radikale Meinungen postulieren, und keinerlei Anzeichen für eine geplante Anwendung der Gewalt erkennen lassen) und schließlich auch deren Kontaktpersonen. Bei den sog. „dolosen Kontaktpersonen“ handelt es sich um völlig unbescholtene Bürgerinnen und Bürger, die selbst weder terroristische Ziele verfolgen, noch Gewalt predigen, und meist gar nichts von den entsprechenden Gefahren in ihrem Umfeld wissen. Damit solche Kontaktpersonen in der ATD gespeichert werden, genügt es bereits, wenn die Behörden davon ausgehen können, „dass sie über die Kontaktpersonen in ihren Ermittlungen weiterkommen.“ (Wolfgang Wieland) So landet vielleicht auch der Zeitungsverkäufer an der Straßenecke in der Datei.

Die Verhandlung in Karlsruhe

In den Augen von Innenminister Friedrich war die Sache ziemlich simpel: „Die Sicherheit möglichst Vieler zu sichern, verlangt manchmal auch, die Rechte Einiger einzuschränken.“ Das sah der Beschwerdeführer natürlich anders. Er rügte einen unverhältnismäßigen Eingriff  in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die Regelung des Gesetzes viel zu unbestimmt seien. Ebenso wandte er sich gegen eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 GG), weil die weitgehenden, den Nachrichtendiensten eingeräumten Eingriffsmöglichkeiten in die Kommunikation durch die Antiterrordatei nun auch von anderen Behörden genutzt werden können. Nicht zuletzt sah der Beschwerdeführer im angegriffenen Gesetz auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Unverletzlichkeit seines Wohnraums (Artikel 13 GG), weil die im Rahmen sog. Großer Lauschangriffe erhobenen Daten aus den eigenen vier Wänden ebenfalls in der Antiterrordatei landen und damit anderen Behörden zur Verfügung gestellt werden können. Insgesamt verstoße das Antiterrordateigesetz mit seinen Regelungen gegen das verfassungsrechtliche Gebot einer Trennung von Polizei und Geheimdienst, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundrechtsschutz ergebe. Durch die ATD bestehe die Gefahr einer uferlosen Ausweitung polizeilicher Befugnisse, ihre rechtsstaatliche Entgrenzung, weil die Polizei mit ihrer Hilfe an Daten komme, die sie selbst nicht erheben dürfte.

Welchen Stellenwert das Trennungsgebot für Polizei und Geheimdienste einnimmt und ob es sich aus dem Grundgesetz ableiten lässt, wird immer wieder bestritten; so auch vom Prozessvertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung und in seinen Schriftsätzen zum Verfahren. Das Trennungsgebot geht auf die Erfahrungen mit der „geheimen Staatspolizei“ (Gestapo) während der NS-Diktatur zurück. Die Gestapo vereinte die Befugnisse einer Polizeibehörde und eines Nachrichtendienstes und nutzte sie zur systematischen Überwachung und Verfolgung politischer Gegner. Vor diesem Hintergrund erteilten die drei Alliierten Militärgouverneure in ihrem „Polizeibrief“ an den Parlamentarischen Rat vom 14.4.1949 die Auflage, dass bundespolizeiliche und geheimdienstliche Aufgaben in getrennten Behörden zu verfolgen seien, und speziell die geheimdienstliche Behörde keinerlei polizeiliche Befugnisse erhalte.

Ich habe mich in meiner Stellungnahme für die Humanistische Union für ein verfassungsrechtliches Trennungsgebot stark gemacht. Bereits die klassische Interpretation des Trennungsgebots – die klare Abgrenzung von Organisation und Aufgaben bei Polizei und Geheimdiensten – wird bei der Terrorbekämpfung durch überlappende Zuständigkeiten und gemeinsame „Abwehrzentren“ infrage gestellt. Mit der zunehmenden Digitalisierung von Ermittlungsarbeit muss dass Trennungsgebot aber auch auf den Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten bezogen werden. Die Regulierung des Informationsflusses zwischen diesen Behörden wird im digitalen Zeitalter zum wichtigsten Anwendungsfall des Trennungsgebotes. Ein ungebremster Austausch würde zuallererst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ad absurdum führen. Es gehört zu den Voraussetzungen dieses Grundrechts, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck personenbezogener Daten bereits festlegt, bevor er diese erhebt und verarbeitet. Eine Verbunddatei, in der die Informationen ungehindert zwischen Polizei und Geheimdiensten ausgetauscht werden, kommt einer dauerhaften, kontinuierlichen Zweckentfremdung von Daten gleich. Darüber hinaus können mit den in der ATD gespeicherten Informationen behördliche Entscheidungen und – im Falle der Polizei – sogar repressive Handlungen verbunden sein. Mit der Informationsweitergabe sind mittelbar also auch Zugriffe auf fremde Befugnisse möglich – etwa wenn durch die gezielte Freigabe oder Nichtfreigabe von Informationen Entscheidungen anderer Behörden getriggert werden.

Was ist zu erwarten?

Die in der Verhandlung kritisch fragenden Verfassungsrichter werden mehr oder weniger große Korrekturen an der Antiterrordatei fordern. Wahrscheinlich werden sie den Kreis der erfassten Personen verkleinern, das dürfte insbesondere die Kontaktpersonen betreffen. Vielleicht können sich die Richter sogar dazu durchringen, die im Klartext enthaltenen Grunddaten aus der ATD herauszulösen und jene in eine reine Indexdatei umzugestalten. Das würde die Informationsflüsse auch im einzelnen rechtsstaatlich ordnen. Ob sich das Bundesverfassungsgericht allerdings daran wagt, das Trennungsgebot verfassungsrechtlich auszuformulieren, muss eher skeptisch beurteilt werden. Käme es im Urteil dazu, wäre dies ein großer Erfolg für den Beschwerdeführer und auch für uns. Darüber wird nach der Entscheidung in der ersten Ausgabe unserer neuen vorgänge zu berichten sein.

Rosemarie Will

Weitere Informationen zum Thema:
Rosemarie Will: Das Ende des Trennungsgebotes für Nachrichtendienste und Polizei. Anti-Terror-Datei verstößt gegen Trennungsgebot und Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: Mitteilungen Nr. 195, S. 1-5

Fredrik Roggan & Nils Bergemann: Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen Anti-Terror-Datei und TBEG (BT-Drs. 16/2950, 16/2921) anlässlich der Anhörung des BT-Innenausschuss vom 6.11.2006, abrufbar unter https://www.humanistische-union.de/terror/. (Die Einladung des Bundesverfassungsgerichtes zur mündlichen Verhandlung über die ATD geht auf diese Stellungnahme zurück – den Autoren sei nochmals ausdrücklich für ihre Arbeit gedankt.)

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