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Themen / Innere Sicherheit / Online-Durchsuchungen

In dubio pro libertate?

16. Juli 2008

Burkhard Hirsch

Irrationalität der Sicherheitspolitik – Versäumnisse in Evaluation und Folgenabschätzung – Verfassungsbrüche des Gesetzgebers.

Dokumentation des Vortrags vom 28. April 2008

In dubio pro libertate?

Die Sicherheitspolitik der letzten Jahre ist von einem unbelehrbaren Aktionismus geprägt. Auf jede am Horizont des Sicherheitsdenkens auftauchende Gefahr reagieren die Akteure zunächst einmal mit der Selbstbestätigung: „Man muss doch etwas machen können!“ Nun sind derartige Reflexe, Böses verhindern zu wollen, nichts unmenschliches und unterstreichen die guten Absichten derjenigen, die sie in die Welt setzen. Wenn mit solchen Reflexen jedoch Politik gemacht wird, die die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger immer weiter einschränkt, dann handle es sich um schlichte „politische Zechprellerei“, so Burckhard Hirsch in seinem einleitenden Vortrag.

Sie können den Vortrag von Dr. Dr. hc. Burkhard Hirsch hier vollständig nachhören:

Der Gesetzgeber sei bisher jeden Beweis schuldig geblieben, welchen Sicherheitsgewinn die zahlreichen neu geschaffenen Überwachungsgesetze der vergangenen Jahren geschaffen haben. Im Fall der Online-Durchsuchung durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz, über die das Verfassungsgericht zu entscheiden hatte, trat diese „Zechprellerei“ in der mündlichen Verhandlung offen zu tage: Obwohl man im Gesetzgebungsverfahren betont hatte, dass neue Instrument sei unbedingt notwendig, gaben die Vertreter der Landesbehörden auf Nachfrage bekannt, dass sie die Befugnis bisher nicht angewandt hätten und gar nicht über die technischen Mittel (die entsprechende Software) verfügten. Offenbar ging es auch ohne…

Eine ausgewogene Sicherheitsgesetzgebung sollte aber nicht nur überprüfen, ob die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen überhaupt geeignet sind, die beschriebenen Gefahren einzudämmen. Sie müsste auch prüfen, welche Erfahrungen (und vielleicht nicht intendierten Folgen) die praktische Anwendung neuer Überwachungsbefugnisse hervorbringt. Beiden Aufgaben – der Evaluation neuer Sicherheitsgesetze wie der Untersuchung ihrer Rechtswirklichkeit – ist der Gesetzgeber nach Burkhard Hirschs Einschätzung bisher ausgewichen. Mit Verweis auf das abweichende Votum der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff mahnte er deshalb, dass man sich heute nicht mehr den Anfängen, sondern dem  Ende einer Entwicklung zum Überwachungsstaat erwehren müsse: „Ich denke, dass die Bundesrepublik die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten hat, wenn es dabei bleiben sollte, dass alle Telekommunikationskontakte aller Einwohner vorsorglich auf jeweils sechs Monate gespeichert werden, ohne Anlass, einfach nur so. Dann behandelt der Staat alle seine Bürger wie potentielle Straftäter.“

Nachdem das Karlsruher Gericht Online-Durchsuchungen nur bei konkret drohenden Gefahren für schwerwiegende Rechtsgüter gestattet hatte, betonten Herr Schäuble und Herr Herrmann, dass ihre Gesetzentwürfe für die Legalisierung von Online-Durchsuchungen (beim BKA, dem bayerischen Verfassungsschutz und der bayerischen Polizei) die Maßstäbe des Verfassungsgericht 1:1 umsetzen. Diesen sicherheitspolitischen Kurzschluss griff Burckhard Hirsch scharf an: Wer sicherheitspolitische Gestaltung mit verfassungsrechtlich zulässigen Grenzen gleichsetze, dürfe sich nicht wundern, wenn der Eindruck entstehe, die Sicherheitspolitik finde derzeit eher in Karlsruhe als in Berlin statt. Es sei die ureigenste Aufgabe des Gesetzgebers, den Geist der Verfassung auszugestalten und nicht nur eine Politik der Angst zu betreiben, die ständig die Grenzen der Verfassung auslotet.

Bericht: Sven Lüders

Das hier wiedergegebene Referat war ein Beitrag auf der Fachtagung „Online-Durchsuchungen. Konsequenzen des Karlsruher Richterspruchs“, die die Humanistische Union gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung am 28. April 2008 in Berlin veranstaltete. Die weiteren Referate der Fachtagung finden Sie hier dokumentiert.

Kategorie: Veranstaltungsberichte: Audio

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