Internationale Tendenz des Strafens: Elektronischer Hausarrest. Was übernimmt die Bundesrepublik?
September 1997 – Vortrag von Renate Künast vor der Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union, Hannover
Von den sich spiegelnden Strafen ging es im Mittelalter zu den ersten Arbeitshäusern. Im 18. und 19. Jahrhundert dann wurde unerwünschtes Verhalten in Haftanstalten, psychiatrischen Anstalten oder Heimen ausgesperrt. Die Organisation dieser Einschließungsmilieus hat Michel Foucault ausführlich beschrieben. Aus der Einschließung und Ausgrenzung wurde im 20. Jahrhundert der sog. Behandlungsvollzug. Mit der Behauptung, Straftäter seien hinter Mauern zu einem Leben in sozialer Verantwortung erziehbar, wurden die Gefängnisse oder Anstalten legitimiert. Zwanzig Jahre nach Inkrafttreten des StVollzG ist festzustellen, daß ein gesetzmäßiger Strafvollzug nie realisiert wurde. Da die Umsetzung des Strafvollzugsgesetzes Ländersache ist und deren Finanzen zunehmend knapper werden, wird es eine Realisierung des Behandlungsvollzuges im Sinne Baumanns wohl nie geben.
Heute ist das Neueste auf dem Markt der Strafen und Herstellung von öffentlicher Sicherheit die Abkehr vom Behandlungsvollzug, die Wendung von der Betreuungsgesellschaft hin zu einer rein technischen Kontrolle.
Das neueste technische Mittel begegnet uns derzeit unter vielen verschiedenen Begriffen: electronic homearrest, electronic surveillance, electronic homedetention, elektronische Fußfessel, elektronisches Halsband … All diese Begriffe meinen zwar technisch betrachtet im wesentlichen das gleiche, sind jedoch in ihrer Entwicklung und Ausdifferenzierung sowie ihrer konkreten begleitenden Bedingungen nicht immer gleich.
Es ist nicht einfach, zu diesem neuen technischen Mittel eine Position zu erarbeiten. Zuerst ist zu fragen, in welches ideologische Gesamtkonzept gehört der elektronisch überwachte Hausarrest? Bewirkt ein elektronisch überwachter Hausarrest tatsächlich „Haftvermeidung“? Ist eine Kostenreduzierung für den öffentlichen Haushalt bei Anwendung dieses Mittels festzustellen und werden damit Mittel z. B. für Opferprojekte freigesetzt? Oder ist der Elektronische Hausarrest selbst eine Form der Inhaftierung?
Es ist also zu klären, ob durch den sog. elektronischen Hausarrest ein weniger an Gefängnis existiert oder stellt dieser eine Vermehrung des (fast) Gleichen durch eine Erhöhung der Formenvielfalt dar?
Gesellschaftliche Entwicklung in den USA
Die Entwicklung von Betreuung und Unterstützung hin zu einer kontrollierenden Gesellschaft ist in den USA am weitesten fortgeschritten. Die mit der Sozialhilfe kaum vergleichbare Gewährung von social welfare in den USA wird seit Jahren zunehmend mit Strafelementen versehen. Zwar haben die einzelnen Bundesstaaten es begrüßt, daß inzwischen die social welfare zur Angelegenheit der Bundesstaaten wurde, dieses hat jedoch nicht zu einer Ausweitung von Sozialhilfeleistungen geführt, sondern lediglich dazu, daß die kargen Mittel nun durch die politisch Verantwortlichen in den Bundesstaaten entsprechend ihrer Schwerpunktsetzungen verteilt werden.
Insgesamt wurden die Anspruchszeiten erheblich verkürzt und die Voraussetzungen verschärft. Zum Beispiel gelten inzwischen auf zwei Jahre reduzierte Anspruchszeiträume, danach ist der oder die Betroffene im wahrsten Sinne des Wortes raus. Bundesprogramme für eine Wiedereingliederung in eine berufliche Tätigkeit sind gestrichen. Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung und auch zur Bildung obliegen nun allein den Städten. Dies heißt natürlich, daß in armen Gegenden bedeutend weniger an Bildung angeboten.
Auch für einzelne Problemfälle sind die Voraussetzungen zur Gewährung von Sozialhilfe verschärft worden. Zum Beispiel erhalten Minderjährige mit Kind, die von ihren Eltern gezwungen wurden, die Wohnung zu verlassen, nur zwei Jahre Sozialhilfe. Danach ist eine Weiterzahlung daran geknüpft, daß sie wieder bei den Eltern wohnen. Die insgesamt massive Reduzierung von Sozialhilfegewährung und Streichung von beruflichen Programmen hat zu einer radikalen Steigerung der Zahl derer die unter der Armutsgrenze leben, geführt. Daran ändert auch das seit 1990 stattfindende sog. Jobwunder nichts.
Parallel dazu findet in den USA seit Jahren eine Schwerpunktsetzung der Bundespolitik auf den sog. „war on drugs“ und „war on crime“ statt. Im Rahmen des sog. „war on crime“ wurde eine massive Steigerung des Verfolgungsdruckes durch Polizei und Staatsanwaltschaft und eine Erhöhung der Strafrahmen propagiert. Dazu kamen vom Bund finanzierte Programme zur besseren finanziellen Ausstattung des Repressionsapparates.
Zahlreiche Städte der USA stockten die Anzahl der Polizeikräfte erheblich auf, da ihnen Bundesmittel zu Verfügung gestellt wurden. So auch in der Stadt New York. Dort war von 1994 bis 1996 Bill Bratton police commissioner. Dieser betreibt heute ein eigenes Sicherheitsbüro und geht auf Vortragsreisen. Wie zahlreichen Veröffentlichungen zu entnehmen ist, war er im Sommer 1997 auch in Deutschland und stellte sein sog. Zero-tolerance-Konzept vor. Seine Behauptung ist, daß aufgrund dieses Konzeptes eine erhebliche Reduzierung des Kriminalitätsaufkommens in der Stadt New York bewirkt wurde.
Tatsächlich jedoch sinken in New York und den gesamten USA die Kriminalitätszahlen bereits seit Beginn des Jobwunders, also seit 1990. Auch dürfte die Altersstruktur der amerikanischen Bevölkerung eine Rolle spielen. Für New York darf nicht vergessen werden, daß die Abnahme der Kriminalitätszahlen auch durch andere Faktoren beeinflußt wird. So war die New Yorker Polizei lange Zeit aus vielen Stadtteilen und Kriminalitätsbereichen zurückgezogen, große Teile der New Yorker Polizei waren in Korruptionsdelikte involviert.
Positiv dürfen zahlreiche Maßnahmen, die seit Jahren durch Bürgerrechtsgruppen und Stadtteilinitiativen ergriffen wurden, nicht unterschätzt werden.
Zum american war on crime gehörte neben der Reduzierung der social welfare auch der Versuch, die Kosten des Repressionsapparates zu reduzieren. Trotz enorm steigender Gefangenenzahlen (eine Folge der harten Durchgreifparolen) sollten die Kosten für den Betrieb von Gefängnisneubauten und deren Bau reduziert werden, nachdem sich die Gefangenenzahlen im Laufe einiger Jahre mehr als verdoppelten. (In einigen Regionen sitzt ca. jeder dritte schwarze Heranwachsende in Haft.) Inzwischen werden in den USA mehr als 18.000 private Gefängnisse betrieben. Trotz alledem ist aber ein weiterer Kostenanstieg für den Betrieb von Gefängnissen festzustellen. Der State of California zahlt mittlerweile für den Betrieb von Gefängnissen mehr als er für sein Hochschulprogramm pro Jahr ausgibt.
Eine weitere „Neuerung“ im Katalog der Sanktionen ist in den USA die sogenannte Chain Gang. Diese wird als Sanktion bei Arbeitsverweigerung durch die Haftanstalten angewandt. Dabei werden den Gefangenen entweder individuell oder gar in Verbindung mit anderen Gefangenen, Fußketten angelegt. Sheriff Arpaio aus Tucson in Arizona ist durch die sogenannten Chain gangs geradezu international bekannt geworden. In vielen Bundesstaaten werden die sog. Chain gangs insbesondere auf dem Land (auch in der Wüste) eingesetzt, um Straßenarbeiten vorzunehmen.
Elektronischer Arrest
Im State New Mexiko las im Jahr 1977 ein Richter einen Comic mit dem Namen Spiderman. Parallel dazu erlebte er, daß ein von ihm für ein relatives Bagatelldelikt inhaftierter Gefangener, unerwarteterweise in Haft starb. Die moralischen Bedenken führten bei ihm dazu, daß er die Idee, die der Comic Spiderman darstellte, aufgriff. In diesem Comic hatte der Gegner von Spiderman diesem ein Gerät angehaftet, mit dem der Aufenthalt der Person ständig feststellbar war. Nach einigen Selbstversuchen fand der Richter in New Mexiko im Jahr 1983 einen Ingenieur, der das Modell für ihn baute. Ein Signalgeber in Verbindung mit einem Telefon löste bei diesem Modell das Signal aus, wenn sich der Betreffende mehr als 150 Yards vom Sendegerät (verbunden mit dem Telefon) entfernte.
Es soll nicht verschwiegen werden, daß parallel dazu in den 60iger Jahren ein Wissenschaftler (Psychologie) an der Harvard-University ähnliche Modelle entwickelte. Dabei war die Idee, durch ein elektrisch gesteuertes Gerät eine bedingte Entlassung zu ermöglichen. Dieses Gerät wog im damaligen Entwicklungsstand exakt zwei Pfund, war somit relativ unpraktikabel.
Der Ansatz war damals nicht lediglich die Kontrolle der Einhaltung konkreter Auflagen, sondern auch die Übertragung weiterer Daten. So gehörte zu dem Ansatz auch die Übertragung z. B. von Herztönen. Dieser psychologische Ansatz hat sich glücklicherweise nicht realisiert. Das von dem oben beschriebenen Richter aus New Mexiko initiierte Projekt wurde viel später in einem Projekt des State of Florida umgesetzt.1 Heute besteht die Fußfessel oder der sog. elektronische Hausarrest aus einem dreiteiligen System: Die Fußfessel, der mit dem Telefon verbundene Sender und die EDV-Anlage, quasi der Empfänger. Die Fußfessel ist grundsätzlich gegen Beschädigungen gesichert, Manipulationen oder Zerstörungen an ihr senden sofort ein Signal aus, so daß Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden können.
Hinsichtlich der Art und Weise der Ausstrahlung von Signalen sind unterschiedliche Modelle denkbar. Einmal ist es technisch möglich, stets oder nur zeitweilig den Ort der Anwesenheit des Betreffenden mitzuteilen. In einem Report von Amnesty International hieß es Anfang des Jahres 1997, daß in den USA bereits Gefangenentransporte mit der elektronischen Fußfessel durchgeführt worden sind. In dem dortigen Bericht heißt es, daß bei einer Entweichung oder Manipulation an der Fußfessel Stromstöße ausgesandt werden können, die die Mobilität des Betreffenden einschränken. Ob diese Behauptungen zutreffen, ist noch zu überprüfen.
Die heute gebräuchlichste Form einer elektronischen Fußfessel sieht so aus, daß mit dem Telefon das Bestätigungsgerät verbunden wird. Sie sendet erst Signale aus, wenn das am Körper des Betreffenden befestigte Gerät, Kontakt zum Bestätigungsgerät hat. Die beiden Geräte senden durch ihre Verbindung ein Signal an die zentrale EDV-Anlage. Natürlich sind diese Systeme nach dem neuesten Stand der Technik problemlos weiterzuentwickeln.
Denkbar ist eine sog. voice oder face control. Mittels dieser Technik könnte der Mißbrauch durch einen Dritten, der sich im Haus aufhält, verhindert werden. Damit wäre dann der Kontrollierte sein eigenes Bestrafungsmedium – ein finanziell noch zu aufwendiges Verfahren!?
Inzwischen nutzen Sicherheitsfirmen diese Technik, um den Standort ihrer Transporter durch die Ausstattung mit einem Sender jederzeit feststellen zu können. Diese Technik ist natürlich problemlos auch auf Methoden des Hausarrestes anzuwenden. Wegweisend für die weitere Entwicklung dürfte die Technik des Autotelefons sein. Für den kriminalpolitischen Bereich ist eine Nutzung des Sendeprinzips denkbar als Opferschutz. Jederzeit kann das Opfer damit sicherstellen, daß es sich nicht in die Nähe des potentiellen Täters begibt.
Anwendung des electronic homearrest
Wie kam es zur Anwendung des electronic homearrest oder der elektronischen Fußfessel in den Vereinigten Staaten? In den 70ger Jahren wurde insbesondere für den Bereich der Gewaltdelinquenten die Frage einer intensiven Bewährung und entsprechender Bewährungsauflagen diskutiert. Erstens schien das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung massiv verletzt. Zweitens kritisierten viele Fachleute die nur begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten jugendlicher Straftäter, wenn man sich nun schon mal entschlossen hatte, diese nicht in Haftanstalten, sondern beispielsweise in Wohngemeinschaften unterzubringen. Man wollte drittens die Gefängnisse entlasten, da sich die Überbelegung rapide steigerte. Nicht zuletzt sollten öffentliche Gelder eingespart werden. So wurde die Idee einer breiteren Anwendung des sog. elektronischen Hausarrestes geboren.
Verschiedene Modelle des
elektronischen Hausarrestes
a) Insbesondere im State of Florida, aber auch in anderen Bundesstaaten wurde schon lange der sog. klassische Hausarrest praktiziert. Private Firmen erhielten den Auftrag, Personen, insbesondere Verkehrsstraftäter und andere, die erstmalig und zu kurzen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, durch einen Hausarrest zu sanktionieren. Die privaten Sicherheitsfirmen schlugen später vor, dieses auch mittels eines elektronischen Hausarrestes zu praktizieren. Die für die Technik entstehenden Kosten zahlten die Betreffenden selbst.
b) In einigen Bundesstaaten wurde das Prinzip gewählt, daß nur Richter die Sanktion elektronischer Hausarreste verhängen können. Gerade da war fraglich, ob die finanziellen Einsparungen tatsächlich Realität werden. Hätten diese Richter, ohne den elektronischen Hausarrest, sonst zur Bewährung mit einigen Auflagen verurteilt, oder hätten diese eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung ausgesprochen und damit durch die jetzige Entscheidung elektronischer Hausarrest tatsächlich eine Haftvermeidung praktiziert. Für eine tatsächliche Vermeidung von Haftkosten und eine entsprechende Kostenreduzierung, die zu anderen Aufgaben nutzbar wäre, liegen keine empirischen Kenntnisse.
c) Andere Bundesstaaten praktizierten das System, für Freigänger, bzw. im Rahmen der vorzeitigen Entlassung den Hausarrest anzuwenden. Diese Idee wurde insbesondere im Bundesstaat Massachusetts seit 1970 praktiziert. Nach diesem System ist es Aufgabe der Gefängnisleitung auszuwählen, welche Gefangenen in den elektronischen Hausarrest gehen. Der Bundesstaat Massachusetts war 1970 hier federführend, weil die Exekutive nach der zeitweisen Abschaffung der Jugendgefängnisse zahlreiche Möglichkeiten suchte, diesen Beschluß zu umgehen bzw. für Problemfälle Regelungsmöglichkeiten zu schaffen. Neben einer verstärkten Einweisung in psychiatrische Anstalten wurde hier eben der elektronische Hausarrest getestet.
Für den weißen Mittelstand ?
Soweit in den verschiedenen Bundesstaaten Erfahrungen damit gemacht wurden, daß die Gefängnisleitung/die Vollzugsexekutive, die zum elektronischen Hausarrest Geeigneten auswählt, wurde dieses zu einem tatsächlichen Programm für den weißen Mittelstand. Zirka 80 % derer, die den elektronischen Hausarrest wahrnahmen, waren Weiße. Sie konnten sowohl einen Arbeitsplatz, als auch eine Wohnung und ein Telefon (notwendig zur Installierung der Senderanlage und damit der Verbindung zum zentralen EDV-System) nachweisen. Dieses Modell hat sich somit klassisch als die Fortführung bereits existierender Privilegierungen in der US-Gesellschaft erwiesen.
Auch andere Länder haben das System des elektronischen Hausarrestes in verschiedener Gestalt praktiziert oder erprobt. Australien nutzt dieses System in kleinem Umfang seit 1990. Kanada erprobt dieses System inzwischen in begrenztem Umfang in British Columbia. In den Niederlanden hat vor Jahren eine Debatte um den elektronischen Hausarrest stattgefunden, dort „verzichtete“ man auf die Einführung dieser Maßnahme. In Großbritannien hatte die Diskussion um eine elektronische Überwachung bereits seit 1981 eine Tradition. Wie es sich für eine Kolonialmacht gehört, begann diese Diskussion intensiv damit, daß in Afrika der Standort und die Bewegung von Elefanten mittels implantierter elektronischer Sender überwacht wurde. 1986 führte das House of Commons diverse Studienreisen in den USA durch und diskutierte die Frage einer elektronischen Überwachung intensiv.
Dieses führte zu in drei Bezirken durchgeführten Modellversuchen seit 1988. Diese Modellversuche bezogen sich auf eine Vermeidung der U-Haft. Festzustellen war, daß nahezu 80 % aller Probanten durch Übertretungen, Verletzungen oder Beschädigung der Apparatur auffielen. In Großbritannien wurde das System des elektronischen Hausarrestes durch die Betreuung durch Sozialberufe abgelehnt. Sie beteiligten sich nicht an einem wie auch immer gearteten Betreuungssystem. Im Ergebnis ist das System in Großbritannien ist deshalb eher als gescheitert zu bezeichnen.
In Schweden hat ebenfalls eine Debatte um den elektronischen Hausarrest stattgefunden. Dort wird er im wesentlichen für Kurzstrafen, insbesondere Alkoholdelikte praktiziert. Insbesondere das schwedische System hat dazu geführt, daß aufgrund steigender Gefangenenzahlen und reduzierter Landesmittel in der Bundesrepublik über eine Einführung entsprechender Systeme nachgedacht wird.
Elektronischer Hausarrest in der Bundesrepublik
Auf Initiative der SPD-Senatorin Peschel-Gutzeit (Berlin) und unterstützt durch das Land Hamburg (Voscherau, SPD) wurde 1997 eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel der Ermöglichung eines Modellversuches zur Einführung des elektronischen Hausarrestes gestartet. Ziel dieser Bundesratsinitiative ist es nicht, eine neue selbständige Strafe einzuführen, sondern den Ländern befristet die Möglichkeit zu eröffnen, eine vom Gericht bestimmte Freiheitsstrafe nicht in einer Justizvollzugsanstalt, sondern im Wege des elektronisch überwachten Hausarrestes in der Wohnung des Verurteilten zu vollstrecken.
Durch die Einführung eines neuen Paragraphen 11 a in das Strafvollzugsgesetz soll geregelt werden:
„(1) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch auf höchstens vier Jahre befristete Rechtsverordnung Regelungen zu treffen, wonach die Vollzugsbehörde den Gefangenen unter elektronisch überwachten Hausarrest stellen kann. Die Unterstellung unter den Hausarrest setzt voraus, daß der Gefangene und die in seinem Haushalt lebenden erwachsenen Personen einwilligen. Unter Hausarrest darf ein Gefangener nur gestellt werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder den Hausarrest zu Straftaten mißbrauchen werde und wenn er voraussichtlich nur noch sechs Monate einer zeitlichen Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Die Unterstellung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Gefangene eine angemessene Zahlung an einen Opferfonds leistet.“
„(2) Durch den Hausarrest wird die Vollstreckung nicht unterbrochen.“
Einzelne Bestimmungen dieser Gesetzesinitiative sind natürlich diskussionsbedürftig. Dazu gehören, die Problematik der Freiwilligkeit, die Zustimmung lediglich der im Haushalt lebenden erwachsenen Personen und die Verbindung mit der Zahlung eines Beitrages zur Opferhilfe. Wie gehen insbesondere Minderjährige mit der Belastung eines Hausarrestes um? Führt die Einführung des elektronischen Arrestes zu einer weiteren Bestrafung derer, für die sonst das Verfahren mit der Zahlung eines Geldbetrages ( an die Opferhilfe) beendet worden wäre?
Die Kosten für die Einführung eines solchen Systems dürften pro Person und individueller Senderanlage ca. 1.500 DM betragen. Zur Finanzierung gehören natürlich zusätzlich die Installierung einer zentralen EDV-Anlage und deren Rund-um-die-Uhr-Bearbeitung durch entsprechendes Personal.
Fraglich ist, ob die von Berlin gestartete Initiative tatsächlich zu einer Entwicklung führt, die die für den Vollzug aufzuwendenden Kosten reduziert? Würde dadurch tatsächlich der eine oder andere Neubau oder sein Umfang für das Land Berlin (oder Berlin-Brandenburg) überflüssig? Die Auswirkungen auf die tatsächlich entstehenden Kosten sind natürlich auch unter dem Gesichtspunkt zu beachten, daß Berlin sich aufgrund des aktuellen Sparzwangs von allen Nichtpflichtleistungsaufgaben befreien will/muß. Die Einführung eines elektronischen Hausarrestes führt hier dazu, daß sämtliche sog. Küraufgaben, Projekte für die Verletzten, Therapieprojekte für Täter, gestrichen werden, weil diese keine Pflichtleistungsaufgaben seien, statt dessen aber die Technik für den elektronischen Hausarrest eingeführt wird. Zumindest erfolgte dieses beim Haushaltsentwurf für das Justizressort in Berlin.
„My castle is my prison“
Die Absicht, einen elektronischen Hausarrest in der Bundesrepublik Deutschland einzuführen, ist ein klassisches Kind der Finanzkrise. Daß diese positive Auswirkungen haben wird, ist zu bezweifeln. Die für die Zukunft vorausgesagte Kostenvermeidung ist eine schlichte Arbeitshypothese, die durch internationale Erfahrungen nicht belegt wird.
Gemeinhin sagt man: „My home ist my castle“. Hinsichtlich des elektronischen Hausarrestes aber fällt einem makabrerweise eine Umformulierung dieses Satzes ein, diese heißt dann: „My castle ist my prison“. Zurück auf die Ausgangsfrage, ob der elektronische Hausarrest oder die elektronische Fußfessel Haft ist oder weniger als ein Gefängnis. Ist es tatsächlich etwas anderes als ein Gefängnis oder ist es Vermehrung des (fast) gleichen durch eine Erhöhung der Formenvielfalt?
Es ist zu befürchten, daß die Einführung eines elektronischen Hausarrestes in Verbindung mit vielen anderen Einführungen technischer Mittel den Paradigmenwechsel weg von einer Disziplinierungs- und Betreuungsgesellschaft hin zu einer Kontrollgesellschaft, die sich lediglich technischer Mittel bedient, darstellt. Plätze werden nicht mehr städtebaulich bearbeitet, nicht mehr belebt, sondern einer kompletten Videoüberwachung (z.B. Leipzig) unterzogen.
Es ist anzuzweifeln, daß der elektronische Hausarrest tatsächlich ein milderes Mittel als ein Gefängnis ist. Vielmehr ist er der Beginn einer Erfassung der gesamten Alltags- und Lebenswelt als Reaktion auf eine Straftat.
Das Gefängnis ist damit nicht mehr ein konkreter Bau, der mit Mauern und Türmen umgeben ist, vielmehr ist jetzt ein „weiches“ Gefängnis existent. Es ist dezentral und ambulant, es wird nicht symbolisiert durch Mauern und Wachtürme, sondern ist dem Menschen innewohnend. Die elektronische Fußfessel als neue Art des Gefängnisses ist auch eine neue Art der Rationalisierung und Ökonomisierung. Fast wäre man gewillt zu sagen, der Abolitionist Thomas Mathiesen hat mit seiner Forderung „überwindet die Mauern“ endlich einen Erfolg erreicht.
Die Wahrheit aber wird sein, daß ein neuer Art. 13 a in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einzufügen ist. Dieser wird regeln, daß die Wohnung eines Menschen auch als Haftanstalt genutzt werden kann. Sie ist dann für den einen nur Wohnung, für den anderen Wohnung und Haftanstalt. Die Bewachung, die Kontrolle über die Einhaltung der Regeln, nimmt er selbst vor. Daran ändert die Tatsache, daß nach einer Manipulation am Gerät oder einer Verletzung konkreter Auflagen Stunden später der Staatsapparat eingreift, nichts.
Das Gefängnis des Jahres 2100
Das Gefängnis des Jahres 2100 ist nicht ein Gefängnis mit Mauern, Türmen und Toren, sondern findet auf viel sublimere Art statt. Das Gefängnis des Jahres 2100 besteht aus elektronischen Fußfesseln, die Gesellschaft aus entpersonalisierten U-Bahnhöfen mit Notruf-Säulen, die den Notruf satellitengestützt in eine Erdumlaufbahn schicken, aus Plätzen mit Videoüberwachung oder Chipkarten für die Erledigung zahlreicher persönlicher Angelegenheiten. Vielleicht liefert die Chipkarte auch den Beweis dafür, daß ich mich beim Diktat dieses Vortrages zu Hause aufgehalten habe: „My home ist my prison“?
Renate Künast