Themen / Lebensweisen / Pluralismus / Tagungsprotokoll: Wege zu einer neuen Psychiatrie

Juristische Aspekte einer zukünftigen Regelung der psych­ia­tri­schen Versorgung

09. Dezember 1980

Hans – Dietrich Steinmeyer

aus: Wege zu einer neuen Psychiatrie, Protokolle einer Tagung. HU-Schriften 9, München 1980, Seite 18 – 19

  1. Die Psychiatrie-Reform wird dadurch erschwert, dass sowohl der Bund als auch die Länder nur Teilbereiche regeln können und daher eine umfassende Koordination erforderlich ist. Der Bund kann also ein umfassendes, die Rahmenbedingungen absteckendes Gesetz mangels Kompetenz nicht erlassen.
    a) Die Kompetenz des Bundes für das Sachgebiet „Öffentliche Fürsorge“ gemäß Artikel 74 Nr. 7 Grundgesetz (Konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit] ist im wesentlichen beschränkt auf die Bereitstellung von Hilfeleistungen durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts in einer Form, wie sie das Bundessozialhilfegesetz vorsieht.
    b) Aus Artikel 74 Nr. 7 Grundgesetz kann eine Generalermächtigung für eine umfassende sozialpolitische Gestaltung nicht hergeleitet werden.
    c) der Sachbereich Gesundheitspolitik ist bis auf wenige Teilbereiche (wie Krankenhausfinanzierung und Krankenhauspflegesätze sowie Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen) der Gesetzgebungskompetenz des Bundes entzogen.
  2. Der Bund kann jedoch trotz dieser begrenzten Kompetenz einen wichtigen Beitrag zur Psychiatrie-Reform leisten.
    a) Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich der Sozialversicherung (Artikel 74 Nr. 12 Grundgesetz) gibt ihm die Möglichkeit, die selbständige und eigenverantwortliche Erbringung psychotherapeutischer Leistungen durch Nichtärzte für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung zu regeln. Erst im Zusammenhang damit ist ein Psychotherapeutengesetz sinnvoll.
    b) In die Reichsversicherungsordnung sind klare Regelungen über die Finanzierung von Behandlungen in Tages oder Nachtkliniken aufzunehmen.
    c) Sache des Bundes ist es, Regelungen zur Abdeckung des sozialen Risikos des Pflegebedarfs zu schaffen.
    d) Einen weiteren Beitrag zur Psychiatrie-Reform kann der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet der Krankenhausfinanzierung leisten.
    e) Der Bund ist berufen, erforderlichenfalls den Leistungskatalog des Bundessozialhilfegesetzes zu erweitern.
    f) Er hat auch das in der Enquete angeregte Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen für Arbeitstherapieverhältnisse zu schaffen.
    g) Im Rahmen der anstehenden Neuordnung des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts sollte der Bund der Psychiatrie-Enquete dadurch Rechnung tragen, dass er das bisherige System ersetzt durch einbreitgefächertes Angebot von Betreuungsmaßnahmen, mit dem den Bedürfnissen der psychisch Kranken besser Rechnung getragen werden kann. Das Verfahren soll sich richten nach einer Verfahrensordnung für die freiwillige Gerichtsbarkeit, die auch die unterschiedlichen Vorschriften in den Unterbringungsgesetzen der Länder ersetzen soll.

    3. Den Ländern obliegt es, die Krankenhausstruktur zu verändern und ggf. den Gesundheitsämtern besondere Aufgaben zuzuweisen.

    4. Den Ländern obliegt auch die Novellierung der geltenden Unterbringungsgesetze.

    5. Bei der Verwirklichung des Prinzips der gemeindenahen Versorgung und der Einrichtung eines Netzes von komplementären Diensten haben die Länder maßgeblich mitzuwirken.

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