Themen / Innere Sicherheit

Keine Sicherheit ohne Freiheit - Gemeinsame Erklärung

16. September 2005

Gemeinsame Erklärung von arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen, Humanistische Union e.V., Internationale Liga für Menschenrechte e.V., Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. und Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.

Wahlkampfzeiten laden dazu ein, Grenzen des Bestehenden zu überschreiten und neue Lösungen zu propagieren. Es ist aber zutiefst beunruhigend, dass Politikerinnen und Politiker fast aller Parteien in Deutschland mit Forderungen Pluspunkte zu sammeln versuchen, die auf den Abbau von Grundrechten zielen. Offenbar sind unter dem Eindruck der jüngsten Terrorakte jegliche Maßnahmen diskutabel, die der verunsicherten Bevölkerung ein trügerisches Gefühl von Sicherheit geben sollen. Doch zu welchem Preis?

So wird z.B. die von der CDU schon seit der Debatte um das Zuwanderungsgesetz geforderte präventive Sicherungshaft mit Beginn des Wahlkampfes auch in der SPD befürwortet. Sicherungshaft bedeutet eine monatelange Inhaftierung von Menschen, die nicht unter dem Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, sondern eine solche irgendwann eventuell zu begehen. Nicht nur, dass derartige Maßnahmen eklatant verfassungswidrig sind. Bemerkenswert ist auch der Anlass dieser Forderung. Ausgerechnet die Londoner Anschläge im Juli 2005 sollen hierfür als Rechtfertigung dienen, obwohl doch die Existenz der Vorbeugehaft in Großbritannien diese Anschläge gerade nicht verhindern konnte. Das u.a. aus den Erfahrungen mit der Schutzhaftpraxis der Gestapo gewonnene verfassungsrechtliche Minimum, dass Freiheitsentziehungen gerichtlich überprüfbar sein müssen, versucht der Bundesinnenminister dabei als besonders rechtsstaatliches Zugeständnis zu verkaufen. Tatsächlich wird eine gerichtliche Kontrolle aber umso wertloser, je unbestimmter die gesetzlichen Voraussetzungen sind.

Auch die Erschießung eines vermeintlichen Terrorverdächtigen in London, der sich nach der Tötung durch fünf Kopfschüsse aus nächster Nähe als vollkommen unschuldiger Bürger entpuppte, hat nicht zu der Erkenntnis geführt, dass Erschießungen auf Verdacht mit dem untragbaren Risiko verbunden sind, dass Unschuldige sterben. Im Gegenteil wurde dieser Vorfall zum Anlass genommen, eine derartige Praxis auch in Deutschland einführen zu wollen. Anstatt aber einen Zuwachs an Sicherheit zu bringen, wird durch die Erschießungsbefugnis Angst und Schrecken verbreitet. Denn jeden, der sich „verdächtig“ verhält, könnte es treffen.

Ein weiterer „Klassiker“ aus dem Bereich der markigen Forderungen ist der Ruf nach einem Einsatz der Bundeswehr im Inland. Soll diese z.Z. „nur“ als Objektschutz und als Antiterroreinheit aktiv werden, könnte die dafür notwendige Grundgesetzänderung einen weiten Einsatzrahmen eröffnen. Darüber hinaus bleibt unklar, wie eine auf die Vernichtung eines militärischen Gegners ausgerichtete Armee im zivilen Bereich polizeiliche Aufgaben – wie das Verhindern von Straftaten – übernehmen soll, ohne der Bevölkerung das Gefühl zu geben, im permanenten Kriegszustand zu leben.

Im Gegensatz zur Militarisierung des Alltags nimmt sich der Vorschlag, die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes in der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung zu erweitern, auf den ersten Blick harmlos aus. Im Kontext der verstärkten Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei kann dies jedoch zu einer Machtkonzentration führen, die der Grundgesetzgeber aus triftigen historischen Gründen verhindern wollte.

Diese Beispiele aus der letzten Zeit verdeutlichen eine fatale Politik, die mit immer neuen Vorschlägen immer weiter gehende Grundrechtseinschränkungen propagiert, ohne dass damit ein Sicherheitsgewinn tatsächlich zu erreichen wäre. Beunruhigend ist dabei vor allem, dass derart intensive Eingriffe in die Freiheit jedes und jeder Einzelnen keine nennenswerte Ablehnung in der Bevölkerung hervorrufen. Es ist zu vermuten, dass eine breite Mehrheit der Menschen solche Maßnahmen nicht als Bedrohung empfindet, weil sie scheinbar nur Minderheiten treffen. Doch Ideen wie die vorsorgliche Speicherung sämtlicher Daten von Telefon- und Internetverbindungen zeigen, dass alle Menschen Ziel von Überwachungs- und „Antiterrormaßnahmen“ werden können.

Der Wert des Rechtsstaates liegt gerade darin, dass er in Krisenzeiten seine Prinzipien bewahrt. Die unterzeichnenden Organisationen rufen daher die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihre Freiheiten nicht einem vermeintlichen Sicherheitsgewinn zu opfern, sondern diese auch in schwierigen Zeiten einzufordern.

Unterzeichnende Organisationen (und AnsprechpartnerInnen):

arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen, c/o ReferentInnenrat der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, 0174 – 4448459 (Michael Plöse)
Humanistische Union e.V., Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel: 030 – 204 502-56, (Martina Kant)
Internationale Liga für Menschenrechte e.V., Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel. 030 – 396 21 22, (Rolf Gössner 0421 – 70 33 54)
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV), Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel.: 030 – 41 72 35 55 (RA Hannes Honecker)
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ), Schönhauser Allee 84, 10439 Berlin, Tel.: 030 – 44 67 67 23 (RA Christian Fraatz)

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