Themen / Innere Sicherheit

Klaus Hahnzog: Bedrohte Grundrechte, Bedrohte Demokratie

12. September 2003

Neuere Entwicklungen im Sicherheits- und Strafverfolgungsrecht: insbesondere Telekommunikationsüberwachung, DNA- und Videoüberwachung.
Niederschrift des Eröffnungsvortrags der 18. Bundesdelegiertenkonferenz der Humanistischen Union am 12. September 2003 in München

Dr. Klaus Hahnzog, MdL
Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen des Bayerischen Landtages
Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ)

I. Bedrohte Grundrechte, Bedrohte Demokratie

1. Einleitung

Herzlich willkommen in unserer schönen Stadt! Das sage ich als Münchner, das sage ich als früherer Bürgermeister. Ich bin gerne der Anregung nachgekommen, hier in München das Eröffnungsreferat zu halten. Im Vordergrund meiner Ausführungen stehen vermeintlich kleine Schritte im alltäglichen Leben, im Ausbau von „Maßnahmen der inneren Sicherheit“. Gerade ihre Vernetzung ist aber das Gefährliche und wir kommen da immer mehr hinein. Hier gilt die alte englische Weisheit: „Liberty dies by inches – Freiheit stirbt zentimeterweise“. Bei uns gibt es allerdings für die Sicherheitsbehörden inzwischen Siebenmeilenstiefel, auch wenn man dies über kurze Zeiträume betrachtet. Meinen Ausführungen liegen vielseitige praktische Erfahrungen zugrunde. Das muss man leider ja immer wieder sagen bei solchen Veranstaltungen, sonst heißt es gleich, du bist ja ein bloßer Theoretiker, ein Monstranzenträger und wie so die ganz schnelle Abschottung von einer Diskussion eigentlich ist. Also: ich war Richter und Staatsanwalt, ich war Münchens Dezernent für Sicherheit und Ordnung, später Sozialbürgermeister und dann war ich im Landtag dort Ausschussvorsitzender für Rechts- und Verfassungsfragen und im Datenschutzbeirat. Diese Fragen haben mich in gleicher Weise aber auch wissenschaftlich, allgemeinpolitisch – ich habe also auf vielen Bundesparteitagen der SPD dazu gesprochen – aber auch in Verfassungsgerichten beschäftigt. Das Thema betrifft ein Grundanliegen der HU, das ist schon erwähnt worden. Es ist leider ungeheuer aktuell. Und gerade in Bayern gibt es – in diesem schönen Land ebenfalls leider – besonderes viel Anschauungsmaterial dafür. Wie hält es die Politik, wie hält es die Gesellschaft? Wie steht es mit Freiheitsrechten, wie steht es mit der Demokratie in diesem Land? Der Einfallsreichtum der CSU und ihrer Staatsregierung für immer neue Gesetze und Maßnahmen ist wirklich imponierend – das soll angeblich mehr Sicherheit bringen und Freiheit schützen. Dieses ist aber immer zu hinterfragen. Was da in Bayern geschieht, was in anderen Bundesländern geschieht – ein Beispiel haben wir eine Vorreiterrolle diesmal von Thüringen, fast unbemerkt gehabt – was da geschieht in den anderen Bundesländern hat Einfluss auf alle Bundesländer. Wenn ich nachher drauf eingehe, was bei der präventiven Telekommunikationsüberwachung im Gange ist – da ähnelt sich das im Wortlaut und fast im Standort in den Sicherheitsgesetzen als § § 33a oder 34a – da ist es fast wortgleich nachzulesen. Und es hat natürlich auch Einfluss auch auf die Bundesebene. Nicht nur auf die Gesetzgebungsseite, sondern – wie ich leider als früherer Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht konstatieren muss – auch ein bisschen so auf Einstellungen des Bundesverfassungsgerichts.

2. Bayern hat es besser?

Zunächst noch eine Vorbemerkung: Bitte erwarten Sie nicht, dass ich den angesprochenen Fragen hier lückenlos und bis in alle Verästelungen nachgehe. Mir kommt es drauf an, Trends aufzuzeigen und Möglichkeiten der Gegenwehr zu erörtern.
Wenn ich öfters auf Bayern abstelle, liegt es natürlich an täglichen Erfahrungen, aber auch an der besonderen Gravidität, die wir hier haben: Das heißt nicht, dass ich nicht auch Kritik an meiner eigenen Partei und an dem, was Rot-Grün in Berlin macht, üben würde. Das habe ich häufig, öfters auch öffentlich – Gott sei Dank nicht immer ganz ohne Erfolg – in der Vergangenheit getan. Wenn ich an Radikalenerlass, Großen Lauschangriff, Sicherheitspaket II bis hin zur Sicherungsverwahrung denke. Am Schlimmsten war – also am wenigsten Erfolg hatte das, was mit dem Asyl und dessen Missstaltung gemacht wurde.
Die Unterschiede von Bayern – und anderen konservativen Ländern – zur Bundesebene sind allerdings sehr deutlich. Allein wenn ich dran denke, was dort gefordert wird für eine Verschlimmerung des Sicherheitspakets II und ein neues Sicherheitspaket III mit allen Verdachtsausweisungen, Inititiativermittlungskompetenz für das BKA und alles, was gelungen ist, noch zu verhindern, und darüber hinaus: Natürlich muss der Lauschangriff nicht ausreichen, sondern es muss auch der Spähangriff in den Wohnungen kommen. Das Strafrecht muss unendlich verschärft werden. Mit fünfzehn Jahren als Regelstrafe langt es nicht: es müssen Zwanzig sein. Die Sicherungsverwahrung – da komme ich nachher noch mal drauf – muss für jede Strafe fast kommen und genauso DNA-Analysen und die Verschärfung der Untersuchungshaft, längere Dauer ohne richterliche Überprüfung und ähnliches muss man da immer sich vor Augen halten.

3. Überwa­chungs­ge­neigte Techno­lo­gien

Schlag auf Schlag – das liest man immer wieder in den Zeitungen und es gibt auch viele Messen, die das auch immerzu propagieren – gibt es neue Techniken: Funkchips auf den Waren im Supermarkt damit auch die Barzahlung überflüssig wird und man den Kunden genau verfolgen kann. Computerprogramme zur Benennung von Orten, an denen „in Zukunft“ Verbrechen stattfinden werden – dann muss man natürlich dort etwas machen. Fingerprint-Türschlösser. Handys mit sofortiger Bildübertragung ins Internet – mit schlimmen Sachen, die da schon vorgekommen sind: Öffentliche Verbrechen – Vergewaltigungen etwa, die dorthinein gespeist wurden. Iris-Erkennungssystem. Speicherung von Fotos und Fingerabdrücken in digitalisierter Form. Das zeigt auch, was damit eine Triebfeder ist. Bei den letzteren wird auch Klartext gesprochen – Zitat: „Dies ist wegen der beteiligten Firmen eine industriepolitische Entscheidung pro-Europa.“

Auch dieses ist ein Wettbewerb mit Amerika um solche neuen Techniken. Die lohnen sich ja nicht, wenn sie nicht irgendjemand anwendet. Im Privatbereich werden sie schon zum Teil völlig überbordend benutzt, aber wenn der Staat – das ist ein zuverlässiger, ein zuverlässiger Auftraggeber – wenn man den noch dafür gewinnen kann, gibt es neue Dimensionen.

Die Sicherheitsbehörden verfolgen dies natürlich mit Argus-Augen – im Randbereich, um auch dann die Privatssphäre vielleicht etwas zu schützen aber zunächst einmal: um aufzurüsten. Und das kommt in diesem zurückgezogenen CSU-Entwurf zur präventiven Telekommunikationsüberwachung bei uns im Bayrischen Landtag sehr klar zum Ausdruck. Da heißt es wörtlich: „Der technische Fortschritt eröffnet der Polizei fortlaufend Möglichkeiten zur Optimierung ihrer Aufgabenerfüllung durch den Einsatz neuer Technologien.“ Das passt dann zusammen mit dem, was die Wissenschaftler und die Wirtschaftler entwickeln, was dann auch aufgenommen wird. Viele greifen neue Technologien auf, um ihrem Slogan nach mehr – immer mehr Sicherheit Nachdruck zu verleihen. Und wer dem Trugbild absoluter Sicherheit nachhängt, der sollte mal wieder ein bisschen sich geschichtlich betätigen – etwa das Gilgamesch-Epos oder das Buch der Könige im Alten Testament lesen. Was da eine Ansammlung von Gräueltaten, von Hinterhältigkeiten berichtet wird! Das gehört offenbar mit zu uns Menschen und das muss man versuchen zu bessern, aber dass dies absolut verschwinden würde, ist wohl ein absoluter Irrglaube.

4. Gefahren für Grundrechte und Demokratie

Die vom Grundgesetz vorgegebene Balance von Freiheit und Sicherheit wird dabei ausgehebelt. Es wird die – auch vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene – Funktion der Grundrechte, insbesondere der Kommunikationsgrundrechte, auch als Abwehrrechte gegen den Staat geleugnet. Und da wird ja ein neues „Supergrundrecht“ geschaffen, das heißt: das Grundrecht auf Sicherheit. Und zwar nicht nur, wenn es um Leben und körperliche Unversehrtheit geht, sondern für alles, was in Strafgesetzen und möglichst auch in Ordnungswidrigkeitsgesetzen drin steht. Das ist die Topgeschichte, der sich anderes unterordnen muss. Eine Beweislast für Eingriffe in Grundrechte des Einzelnen gibt es da nicht mehr. Viele der neuen – den Sicherheitsbehörden eröffneten oder von ihnen selbst geöffneten – Möglichkeiten zielen darauf ab, Merkmale und Spuren zu sichern, Kommunikationsinhalte und Bewegungs-, Verhaltensweisen festzuhalten und – da geht es dann eine Stufe weiter sogar – das künftige, das künftige (!) Verhalten auszuforschen. Hier geht es aber – und ich glaube, das muss man immer wieder sagen – nicht nur um den Verlust der Privatheit der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, sondern um Schäden an der Demokratie selbst. Das Bundesverfassungsgericht hat es ja im Volkszählungsurteil von `83 mal klar zum Ausdruck gebracht – Zitat: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer damit rechnet, dass er durch die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte Artikel 8, 9 GG verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen, demokratischen Gemeinwesens ist.“ Zitat Ende. Ich glaube, das sollten wir uns immer mal wieder vor Augen halten. Ist doch so schön zu zitieren: wer was wann und bei welcher Gelegenheit da sammelt. Das kann man auch unabhängig vom Duktus eines verfassungsgerichtlichen Urteils, glaube ich, ganz gut rüberbringen, und Sensibilität schaffen.

Auch gerade wir Abgeordneten als Mittler in der Politik sind darauf angewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger sich bedenkenfrei an uns wenden können. In heiklen Geschichten nicht nur um unsere Kontrollfunktion zu erfüllen, sondern auch um Anregungen für neue Vorstöße zu bekommen. Und wenn da Angst herrscht, wenn man bestimmte Leute anruft, dann ist dies auch ein Verlust an Demokratie. Und diese Kommunikationsgrundrechte – einschließlich der Versammlungsfreiheit – sind, glaube ich, heutzutage für unsere Demokratie wichtiger denn je. Gerade in einer Mediengesellschaft haben natürlich die Regierungen, die Parteien, die großen etablierten Organisationen – haben große Vorteile. Wenn ich dran denke, wie es für jedes Ministerium das Wichtigste ist, eine große Presseabteilung zu haben. Von Staatskanzleien und anderem ganz abgesehen. Und darüber geschieht Wahrnehmung bei den Bürgerinnen und Bürgern und da bildet sich Meinung. Und dem muss bürgerschaftliches Engagement angstfrei entgegengehalten werden können.

II. Beispiele aus der Rechts­wirk­lich­keit

In Orwells „1984“, war der Verlust der Privatheit ganz offen. Da gab es in jedem Raum, in jeder Straße die berühmten „Televisoren“, die nicht nur das Wort, die Mimik, sondern das Gespräch aufgezeichnet haben. Und einer der zentralen Wahlsprüche dieser Partei lautete: „Freiheit ist Sklaverei“. Die haben also ganz offen damit gearbeitet – mit Repression. Was ich fast für gefährlicher bei uns halte: dass jetzt drauf spekuliert wird, dass die Menschen in ihren vielen Ängsten – dazu später noch mehr – beruhigt werden. Ausgenutzt wird die oft vorhandene Einstellung, „Ich habe doch nichts zu verbergen“, und dann gerät man in diesen Teufelskreis hinein. Aus dieser Zufriedenheit werden allerdings Einzelne, die das vorher auch gesagt haben, manchmal jäh herausgerissen.

Da gibt es ja viele Einzelfälle. Und da wird es drauf ankommen – auch im „Grundrechtsreport der HU“ – mal noch stärker vielleicht Einzelfälle darzustellen, wenn wir da etwas erreichen wollen. Da gibt es den Informatiker, der einen super Abschluss hat, hier in München an der TU, und überall seine Bewerbungen – wir haben ja sehr viel so rüstungsgeneigte Unternehmen in unserer Gegend – schreibt, und überall Absagen kriegt. Seine Spezln, die viel schlechter waren, kriegen Zusagen und er macht das ein Jahr mit, anderthalb Jahre mit. Und dann fragt er mal rum, „Leut`, wo dran kann denn das liegen?“ Und da sagen die: „Ja, du – frag doch mal nach, vielleicht bist du da in irgendeiner Kartei drin.“ Und er fragte nach und da stellte sich heraus: Er ist da drin. Und er hatte mal bei irgendeinem etwas linken Infostand mit dort als Veranstaltungsverantwortlicher gestanden bei der Anmeldung und das ist gleich rübergekommen und ist geblieben.

Oder wir haben im Datenschutzbericht – die muss man einfach mal in allen Ländern durchforsten…und vieles geschieht ja auch darum in den Ländern, weil die Vollzugsebene auf Landesebene ist: Da wird eine Ziffer der Kennnummer des Kriminalaktennachweises vertauscht. Folge: eine nicht gesuchte Bürgerin wird im Fahndungsbuch ausgeschrieben, von der Polizei festgenommen und erstmal inhaftiert. Schwierig dort wieder rauszukommen. Ein Autofahrer – anderer Fall, das sind nur zwei kleine Fälle, aus dem gleichen Datenschutzbericht von 2002 – wird besonders penibel bei einer Verkehrskontrolle behandelt. Er war bei der Polizei mal wegen Trunkenheitsfahrt und Widerstand gegen die Staatsgewalt gespeichert worden. Das Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft längst wegen erwiesener Unschuld eingestellt. Und die Widerstandsleistung, die sozusagen ein Reflex dieses sich völlig unschuldig fühlenden Menschen war – da hatten sie ihn dann zu Boden geschmissen, als er seine Ausweispapiere wieder haben wollte und gefesselt – also, das hatte dann die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Also, so etwas ist drin im Kriminalakten-Nachweis. Das ist so eine Datei, wo diejenigen enthalten sind – anders als im Strafregister – bei denen ein Verfahren eingeleitet worden ist oder eingestellt worden ist und ein Rechtsverdacht geblieben ist. Wir hatten da immer gedacht, der bayerische Kriminalakten-Nachweis hätte ungefähr 300 000 Eintragungen, bis sich heraus stellte: Er hat etwa 1,2 Millionen Eintragungen! Bei einem 12 Millionen Staat – da waren natürlich auch Nicht-Bayern drin. Das wurde erst dann transparent, als plötzlich – ich glaube, es war die letzte Landtagswahl – in Unterfranken die Schlagzeilen waren: „Sozialministerin Barbara Stamm wegen Rechtsbeugung im Kriminalakten-Nachweis“.

Was war los? Ein Bürger hatte sich an die Ministerin gewandt, er bekäme zu wenig Sozialhilfe. Die hat völlig korrekt zurück geschrieben, „nach den und den Vorschriften ist das richtig bewertet worden. Tut mir leid“. Darauf hin ist der, der nicht zufrieden war, zur Polizei gegangen und hat gesagt: „Strafanzeige wegen Rechtsbeugung“. Da war natürlich überhaupt nichts dran – das Verfahren wurde eingestellt. Wurde aber erst mal aufgrund der Strafanzeige eingetragen. Und dann wurde vergessen, es zu löschen. Da gab es natürlich „Parteifreunde“ – die Frau Stamm hatte immer Schwierigkeiten ein Direktmandat zu kriegen – die „Parteifreunde“ hatten das im Vorfeld der Listenbildung und der Kandidaturenaufstellung lanciert an die Presse: das wurde gebracht. Das Seltsame ist jetzt: Ich hab` vor einer Woche mit dem – sonst hab` ich ganz guten Kontakt zu ihm, er ist hier nicht im Raum, aber ich sag` es trotzdem – dem Präsidenten des Landeskriminalamts in Bayern telefoniert. Wir kennen uns schon aus dem Datenschutzbeirat. „Sagen Sie mal, wie viele Eintragungen hat denn jetzt der Kriminalakten-Nachweis? Warten Sie mal eine Viertelstunde, dann rufe ich Sie wieder zurück.“ Da hat er dann gesagt: „Das lässt sich gar nicht so schnell feststellen. Das ist auch Sache des Innenministeriums“, meint er. Da habe ich gesagt, „ja, dann geben Sie es dem Innenministerium weiter: Ich halte nächste Woche einen Vortrag zu diesem Themenbereich, da wäre es ganz schön mal jedenfalls mal etwas Positives aus Bayern zu berichten – dass aus den 1,2 Millionen jetzt vielleicht – auch aufgrund der Vorstöße im Landtag – ein bisschen weniger geworden ist.“ Mich hat bis heute keine Zahl erreicht. Ich überlasse jedem, dies zu bewerten – was das wohl bedeuten kann.
Oder es gibt bis zum Bundesverfassungsgericht – Herr Kühling hat das mal zitiert – diese Entscheidung im 101. Band, wo ein bedauernswerter Kaufmann zwölf Jahre protestieren musste, bis er mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts 1999 endlich Aufschluss über ihn persönlich belastende Erhebungen bei der Sicherheitsüberprüfung durch den Verfassungsschutzbehörden bekommen hat. Also, so sieht dies aus. Die meisten wissen halt gar nichts davon. Und wenn sie dann mal in „andere Richtungen“ auffällig werden, hat dies natürlich eine Vorbelastung, die manchmal dazu führen kann, dass sie in ganz schlimme Situationen kommen. Das sind keine Fälle, sondern Zufälle, heißt es von anderer Seite. Wenn man das ganz zynisch sieht, dann heißt es in anderen Bereichen: das sind Kolalateralschäden.

Ein Höhepunkt der Schamlosigkeit war dann in letzter Zeit die Überlegung, beim geheimen Installieren von Wanzen in den Wohnungen bei dem großen Lauschangriff auch die Hausmeister, die Schornsteinfeger und Briefträger einzusetzen. Die Frage ist: Wo hört dies auf? Auch die Nachbarn, die im Urlaub die Blumen gießen? Oder die Abgeordneten, die wie ich im Wahlkampf noch Hausbesuche machen und dann schnell noch etwas hinterlassen. Also, davon sollten wir wirklich die Nase voll haben, von solchen Hilfsgeheimpolizisten! Das darf sich nicht wiederholen.

III. Das Ende des Fernmel­de­ge­heim­nisses

Eine der bedrohlichsten Entwicklungen – jetzt komme ich etwas wieder in die allgemeine Ebene – der letzten Zeit ist die in etlichen Bundesländern in Gang gesetzte Einführung der „Präventiven Telekommunikationsüberwachung“. Für die Polizei. Präventiv für die Polizei! In Thüringen gibt es dieses Instrument aufgrund eines Gesetzes vom 27. Juni 2002 schon längere Zeit. In Niedersachsen seit dem 17.6. dieses Jahres: ein Gesetzentwurf. In Rheinland-Pfalz leider auch am 24.6. dieses Jahres: ein Gesetzentwurf. Die ersten Lesungen haben da jeweils stattgefunden in den Landtagen und das wird wohl ringsum folgen. Es geht also Schlag auf Schlag. Und die berühmte Innenministerkonferenz, die ja sich brüstet, immer nur einstimmig ihre Beschlüsse zu fassen, hat da offenbar einen Geheimbeschluss gefasst, dass das jetzt überall voran getrieben wird. In Bayern gab es den Gesetzentwurf der CSU vom 22. April dieses Jahres – also alles in dem gleichen Zeitraum. Und zwar aus Gründen des Endes der Legislaturperiode kein Entwurf der Staatsregierung. Einzelne CSU-Abgeordnete haben dann auch gesagt, „so geht es ja auch noch nicht“. Okay. Aufgrund des Widerstands der Opposition und der Öffentlichkeit, gerade auch aufgrund der Unterstützung der HU, haben wir diesen Entwurf sehr stark angegriffen und er ist zunächst zurückgezogen worden. Das Ziel, was damit verfolgt wird, wird nach Erklärungen von Innenminister Günther Beckstein und dem Fraktionsvorsitzenden Alois Glück aber auch in der nächsten Legislaturperiode weiter verfolgt werden. Vielleicht werden sie dort ein paar kosmetische Korrekturen dran anstellen, aber es wird weiter verfolgt werden. Man wollte sich halt in der Wahlzeit mit so etwas nicht belasten und hat dann gesagt, im Wahlkampf kann so etwas nicht vernünftig diskutiert werden. Leider wird mir solches viel zu wenig in diesem bayerischen Wahlkampf diskutiert.

Was ist nun der wesentliche Inhalt dieser Gesetze? Es soll durch geheime Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation – also früher hieß es Telefon, jetzt: der ganze weite Bereich – personenbezogene Daten gesammelt werden. Und zwar – und das ist jetzt wieder ein Zitat aus diesem Gesetzentwurf: „über Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, das diese eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wollen.“ Man geht da völlig in die subjektive Ebene hinein. Es geht also um ein Vorstadium, was im Strafrecht an Vorbereitungshandlungen und Versuchshandlungen gerade bei Organisationsdelikten ja schon sehr, sehr weit ausgedehnt ist. Dafür gibt es ja auch die Überwachung mit allen ihren Schwächen nach § 100a ff. StPO. Es geht hier um das reine Wollen, das muss man sich immer wieder vor Augen halten. Um subjektive Einstellung und Gesinnung. Das ist der fundamentale Unterschied, den Herr Beckstein dann bei seinem banalisierenden und verharmlosenden Vergleich unterschlägt. Er sagt ja, wir wollen eigentlich im Vorfeld nur das, um zu verhüten, was bei der Strafverfolgung möglich ist. Das ist natürlich ein im ersten Punkt einleuchtender Gedanke: Es ist besser ein Verbrechen zu verhüten, als es erst geschehen zu lassen und dann den Straftäter zu ermitteln und zu bestrafen. Nein: er verkennt völlig, dass die Eingangsvoraussetzungen – die Tatbestände, wo man so etwas machen kann, natürlich völlig verschieden sind. Und in der offiziellen Begründung zu diesem CSU-Gesetzentwurf heißt es dann auch wörtlich – wiederum Zitat: “ Es ist noch kein bestimmter Verdachtsgrund erforderlich.“ Zum Trost heißt es dann weiter hinten, immerhin müsse es über „bloße Vermutungen hinausgehen“. Aber wo da die Grenzziehung ist, hat mir noch niemand, noch niemand erklären können. Und da ist man schon mittendrin – ich weiß nicht, wer den Film mal gesehen hat von Steven Spielberg – „Minority Report“, wo dargestellt wird, was es mittels Medien – menschlicher Medien, an Gedankenübertragung geben könnte, wo ein Verbrechen geschehen kann und wie man versucht, das zu verhindern. Zum anderen werden in diesem Gesetz Ermächtigungen zum Einsatz von Geräten zur Identifizierung und Lokalisation von Telekommunikationsteilnehmern geschaffen – Stichwort „IMSI-Catcher“ für die Handys. Weiterhin geht es um den Zugriff auf vorhandene und künftige Telekommunikationsverbindungsdaten. Das ist natürlich besonders interessant: Wer mit wem, wann und wo. Auch da werden die Telekommunikationsdienstleister verpflichtet, dies bestimmte Zeiten aufzubewahren und aufzuzeichnen und dann zur Verfügung zu stellen.
Aus meiner Sicht gab es natürlich schon lange Pläne für eine solche Machterweiterung der Polizei. Zu Recht fürchtete man aber erheblichen Widerstand. Jetzt scheint der richtige Zeitpunkt gekommen. Der bayerische Gesetzentwurf sagt auch ganz offen: „Nach den Ereignissen des 11. September 2001 hat sich gezeigt, dass die bisherigen Befugnisse der Sicherheitsbehörden nicht genügen.“

Eine Bremse für die Landesgesetzgeber war bisher die Annahme einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, nämlich „für das Postwesen und die Telekommunikation“, wie es in Artikel 73, Nr. 7 des GG heißt. Mit dem Szenario des 11. September nimmt man jetzt eine 180 Grad Wendung vor. Ich habe ja großen Respekt, auch als früherer Richter, vor Bundesverwaltungsrichtern. Ein Bundesverwaltungsrichter a.D., der im Kommentar zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz noch dezidiert die Auffassung vertreten hat – in der letzten Auflage vor zwei Jahren – es gibt keine Länderkompetenz. Der ist jetzt in diesem Hearing und sagt – ohne das irgendwie zu begründen: „Es muss eigentlich eine Länderkompetenz geben. Das ist Sicherheit, das hat Vorrang vor Post und Telekommunikation.“ Da wird immer argumentiert – Bundesverfassungsgericht, 12. Band – diese ausschließliche Gesetzgebung beträfe nur den Organisationsbereich von Post und Telekommunikation. Die Entscheidung damals ist allerdings ergangen, als der Bund den Ländern das Rundfunkwesen wegnehmen wollte. Das ist schon ein bisschen etwas anderes, als wenn es um Überwachung geht. Und für mich gehört die Vertraulichkeit von Übermittlungsvorgängen eigentlich schon historisch zum Grundbestandteil der Organisation. Ich befürchte, es wird nur noch eine Frage der Zeit bei allen Ländern sein, von dieser neuen Kompetenz, die man sich anmaßt, Gebrauch zu machen. Und was ich prophezeie ist, dass dann nicht nur Gebrauch gemacht wird bei der präventiven Kommunikationsüberwachung, sondern auch beim Postgeheimnis. Da kennen die keine Gnade – dann sagen sie: na ja, inzwischen wissen diejenigen, die so etwas machen wollen, dass das schlecht ist, sich telekommunikativ dazu verhalten. Die gehen wieder zur uralten Post zurück – dem Briefumschlag – und diesem neuen Weg müssen wir jetzt auch unter den gleichen Gesichtspunkten von Seiten der Polizei unser Augenmerk widmen.

All diese Fragen haben wir in einem – gegen den erbitterten Widerstand der CSU, da hatten sie auch schon wegen der Wahl natürlich Angst- durchgeführten Hearing im bayerischen Landtag am ersten Juli dieses Jahres, also kurz vor der Sommerpause, kurz vor Ende der Legislaturperiode, diskutiert. Das würde jetzt den zeitlichen Rahmen sprengen, wenn ich alles darstelle, was wir sechs Stunden mit 22 Sachverständigen auch aus dem Kreis der Humanistischen Union diskutiert haben. Aber sie können das nachlesen, auf 53 enggedruckten Seiten, mit Anlagen sind es über sechzig. Ich möchte nur einige Stichpunkte davon geben, weil ja nicht jeder diesen Leseaufwand betreiben will.

Der grundsätzliche Unterschied zwischen Abhören im repressiven und dem präventiven Bereich wird dort ausführlich behandelt, auch vom Datenschutzbeauftragten.

Zweitens. Wie steht es mit Gesprächen, an denen Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten, Pfarrer, Abgeordnete und sonst besonders geschützte Vertrauenspersonen beteiligt sind? In anderen Ländern wird auf die Zeugnisverweigerungsrechte der StPO verwiesen. Die CSU und ein von ihr benannter Professor haben im Hearing ganz klar gesagt: Sie sind der Auffassung, für diese Bereiche – Gespräche mit diesen besonders geschützten Vertrauensverhältnissen – dürfte es noch nicht mal ein Verwertungsverbot geben. Wenn es dann weiter geht, über die Prävention in die Strafverfolgung – noch nicht mal ein Verwertungsverbot! Wo wird das hinführen? Und das wird dann aktuell eben bei der Präventivwirkung für die Demokratie. Wer will dann in kritischen Sachen noch telefonieren? Vielleicht schreibt er jetzt erst mal Briefe. Viele Gespräche mit exponiertem Inhalt werden also in Zukunft unterbleiben, und da hat der Herr Beckstein eine besonders pikante Variante eingebracht und hat gesagt, er werde persönlich – persönlich dann die Genehmigung geben, wenn es sich um solche Gespräche mit diesen Vertrauenspersonen handelt. Wobei jedem klar ist: Wer weiß denn überhaupt, dass der Angerufene nun mal eine Vertrauenspersonen ist? Technisch gibt es keine Vorkehrungen, dass sämtliche Anwalts- und Journalistennummern u.s.w., dass da irgendetwas aufblinkt und das Abhören sofort aufhört.

Irgendjemand hat in dem Hearing auch gesagt, „na ja, dann muss, wenn es vom Inhalt klar wird, etwa: ?Ach, Herr Pfarrer, kann ich denn das verantworten??, dann muss das Abhören halt beendet werden.“ Solche aberwitzigen Überlegungen werden dann angestellt. Wir haben dann allerdings auch überraschende Stellungnahmen dort gehabt. Wir hatten gar nicht dran gedacht, einen Staatsanwalt – einen bayerischen Staatsanwalt – zu benennen. Der von der CSU benannte Leitende Staatsanwalt von München I, der hat dann klipp und klar gesagt: Es gibt keinen Bedarf für ein solches Gesetz. Wir sind im Strafrecht schon weit mit Vorbereitungshandlungen – §30 und was da alles noch eine Rolle spielt – dass das nicht gebraucht wird. Darüber hinaus war ihm nicht vorstellbar, wo man dann anknüpfen könnte. Was ist ein Hinweis auf das Wollen – auf das künftige Verhalten – und eine Prognose dazu? Allein der § 30 StGB – der hat ja eine uralte Geschichte. Seit 1876 geht es da in varianten Formeln: Versuch der Teilnahme, jemanden ansprechen und etwas vorbehalten u.s.w.. Der ist nach den gängigen Kommentaren – Zitat: „eine weit in den Vorfeldbereich verschobene Strafausdehnungsnorm.“ Also, das sagt bereits alles, was damit schon jetzt gemacht werden kann.

Anderer Punkt: Sachverständige der Polizei wiesen auf den vorhandenen Personalmangel hin. Man braucht schon jetzt für eine repressive, strafprozessuale Telekommunikationsüberwachung 1 bis 1,52 Mitarbeiter. Eine Überwachungsanordnung nach der StPO – Kosten von bis zu 300-500.000 Euro würden sich da ergeben. Da stellt sich natürlich die Frage: Könnte man mit diesem Geld nicht wesentlich Effektiveres – auch für die Sicherheit – tun? Mehr Personal für die Polizei. Mehr Bewährungshelfer. Mehr Projekte zur Vermeidung von U-Haft für Jugendliche. Ganz zu schweigen von dem alten, aber immer wieder ganz wichtigen Grundsatz: Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik. Da fehlt es doch überall.

Es wurden natürlich auch Beschwichtigungen hinsichtlich des Gesetzes versucht. Der Schwerpunkt liege doch eigentlich bei den Vermissten, bei den Suizid-Gefährdeten, bei den in den Bergen Verunglückten. Also, die wollten mir weiß machen – darüber kann man ja reden, wenn es da wirklich Schwierigkeiten gibt – aber die wollten mir weiß machen, die Polizei könnte, wenn ich – ich in ein begeisterter Skitourengeher – wenn ich – bin ich, Gott sei Dank, noch nie – aber wenn ich mal unter eine Lawine käme, könnten sie ohne Gesetz nichts machen, um mich dort zu orten! Das ist doch unterlassenen Hilfeleistung und strafbar, aber hat nichts damit zu tun, dass man hier Gesetze braucht, um rauszukriegen, ob jemand künftig eine Straftat begehen will. Weitere Beschwichtigungsversuche: Ja, in Thüringen, da gibt es das Gesetz ein Jahr. Die einen haben gesagt, es hätte noch nie einen Fall gegeben und die anderen haben gesagt, es hätte einen einzigen Fall gegeben. Also, es gibt doch keine virtuellen Straftäter oder ist es völlig ungeeignet? Interessant war auch die Feststellung des von mir schon zitierten Leiters des Landeskriminalamts. Was wollen wir eigentlich mit diesen Leuten machen? Weil es ja bei den Organisationsdelikten, wenn mehrere dabei sind, sind wir ja schon im strafbaren Bereich. Er sagt doch wirklich: „Ich will doch nur den Aufenthaltsort einer Person ermitteln, um mit ihr zu reden um sie von ihrem Vorhaben abbringen zu können.“

Das könnte zum Lachen sein, aber das Lachen bleibt dann stecken, wenn man das weiter denkt. Was machst du mit dem Menschen, wenn der sagt, „ja, rutsch‘ mir den Buckel runter“? Dann taucht doch die Frage auf: noch längerer Unterbindungsgewahrsam? Dann taucht doch die Frage auch auf: präventive Sicherungsverwahrung? Und dieses werden die Techniker der Sicherheit auch in rechtliche in politische Forderungen hinein bringen, erst in politische und dann auch in rechtliche. Es besteht also alle Notwendigkeit sich gegen diese Pläne, quasi uferlos abhören zu können – das ist einfach das Fazit, das man daraus ziehen muss – zu wehren. Denn sonst wird der Überwachungsstaat noch mehr Realität. Genau die selben Verharmlosungen standen am Anfang bei der Telefonüberwachung nach der Strafprozessordnung. Als die in den Sechziger Jahren eingeführt worden war – ein paar hundert – da hat man gesagt: „Da machen wir rechtstaatliche Kotrolle. Da braucht niemand etwas zu befürchten.“ Inzwischen gibt es statt ein paar hundert Anordnungen 21.974 im Jahr 2002 – was ausgezählt ist – und mit weiter steigender Tendenz. Und der Schnitt von aufgezeichneten Gesprächen pro Sicherungsanordnung ist 1407. Spitzenwerte gibt es bis zu 30.000 Gespräche mit entsprechend divergierenden Gesprächsteilnehmern. Natürlich nicht 30.000 – das wäre eine Kleinstadt – aber schon mit sehr vielen Menschen aus den verschiedensten Bereichen. Weil so jemand, der wirklich sehr viel telefoniert, ja auch bemüht ist, ein paar unverdächtige Gespräche zu führen, aber die geraten dann auch erst einmal alle in diese Mühle hinein. Insgesamt sind also bundesweit 1,5 Millionen Gespräche ungefähr im Jahr betroffen.

Da sollte man, bevor man etwas Neues draufpackt, erst mal dazu kommen, das in Zaum zu halten, was schon da war. Die Mängel der richterlichen Kontrolle und der nachträglichen Benachrichtigung der Betroffenen, mal ganz abgesehen: Das Max-Planck-Institut hat es jetzt ja mal endlich – ich glaube, da haben wir Jahre drauf gewartet – etwas evaluiert. Ein Punkt ist dabei die nachträgliche Benachrichtigung – da kommt man gerade mal auf 27 Prozent. Und dies ist auch eine Folge, dass Richter in solchen Verfahren – die StPO ist laufend erweitert worden – einfach nicht mehr nachkommen. Auch die Gutwilligen, die kommen nicht mehr nach. Wir haben ein Hearing gemacht über die Situation der Justiz in Bayern. Da musste der Justizminister – das war vor einem Jahr ungefähr – eindeutig sagen, die Personalsituation ist katastrophal. Und das wirkt sich natürlich nicht nur in solchen Bereichen aus. Da kann man ja manchmal sagen, wenn sie keine Überwachungsmaßnahmen anordnen ist es noch ganz gut, aber meistens unterschreiben sie halt den Anordnungsantrag. Aber das bedeutet auch, wenn es um einen Sorgerechtsstreit geht – bei Eltern, die im Clinch liegen – das der erste Termin in einem halben Jahr erst anberaumt werden kann. Was da alles passieren kann. Also, das ist hier wohl mit zu bedenken. Soviel erst einmal zu dieser „Präventiven Telekommunikationsüberwachung“, der Telekommunikationsüberwachung überhaupt.

IV. Genetische Vorfel­der­fas­sung ante portas

Ein anderer Bereich, der immer mehr ausgeweitet wird und bei dem Sicherheitsmaßnahmen gemäß der generellen Tendenz ins Vorfeld verlagert werden, ist der der DNA. Mit der Bezeichnung „Genetischer Fingerabdruck“ wird es oft versucht zu verharmlosen. Das sei halt dasselbe wie so ein Fingerabdruck; lediglich ein Mittel zur Identitätsfeststellung, halt nicht mehr. Es würden ja nur die sogenannten „nicht-codierenden“ Anteile der Erbsubstanz untersucht. Neulich war eine Tagung – ich glaube in Nordrhein-Westfalen, die hat sehr schöne Ergebnisse gebracht. Nicht schöne, sondern bedrohliche Ergebnisse. Da kam nämlich heraus, dass auch die üblichen DNA-Analysen ungeheuer viel mehr ergeben. Hinweise auf die Zugehörigkeit zu einer größeren ethnischen Gruppe. Hinweise auf das Geschlecht, auf bestimmte Krankheiten, bestimmte Veranlagungen. Das muss man sich mal vorstellen. Auch da kann man noch so sehr sagen, „na ja, da wird nicht mehr passieren“. Aber ich erinnere nur an den Barbara-Stamm-Fall. Bei dem haben sich damals die Justiz- und Innenminister bei ihr entschuldigen müssen. Aber was die Dunkelfälle sind, die sind hier auch vorstellbar. Es kann ins ganz alltägliche Leben hineingehen, dass mal ein Arbeitgeber, der endlich jemanden loswerden will, weiß, da ist irgendetwas bei dem – da könnten wir doch vielleicht eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen, aber er kann es so nicht nachweisen. Hier gibt es eine Menge von Ansätzen, Persönlichkeitsstrukturen offenzulegen. Es sind daher rechtsstaatliche Kontrollmechanismen unbedingt erforderlich. Ein Richtervorbehalt und – hoffentlich mit mehr Effektivität als bei der Telefonüberwachung, obwohl es noch komplizierter ist, natürlich – muss, entgegen den Vorstößen der Mehrheit des Bundesrates auch erhalten bleiben, wenn die Spuren noch nicht einem speziellen Täter, Verursacher zugerechnet werden können, sondern, wenn nur etwas aufgenommen wird am Tatort und man noch nicht weiß wer; denn da kann sich natürlich das gleiche Spielchen entwickeln. Dann, in der nächsten Phase der Zuordnung zu irgendjemandem. Eine Aufweichung droht leider auch bei der in Berlin derzeit kommenden Änderung des Sexualstrafrechts, wonach jede Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung – auch der strafbare Exhibitionismus – in Zukunft als Anlasstat ausreichen soll, um eine DNA-Analyse zu machen. Das ist eine weitere Einbruchstelle, die da droht. Bisher hat man da immer gesagt, „also Leute, da ist die Entwicklungshäufigkeit, dass die sich in aggressive Sexualdelikte entwickeln, nach der Wissenschaft sehr, sehr gering“. Aber es soll jetzt offenbar kommen. Und das wird eine Einbruchstelle sein für weitere, im Bundesrat schon längst diskutierte – und hier im bayerischen Landtag längst von der CSU erhobene diskutierte – weitere Forderungen. Auch sonstige Straftaten mit sexuellem Hintergrund – obszöne Anrufe – könnte ja auch die Vorstufe sein. Auch Bosbach am heutigen Tag für die CDU: „jede Straftat – jede Straftat“. Da wird noch gnädigerweise davon ausgenommen: die Ladendiebe und die Schwarzfahrer. Aber dann wird man auch entdecken, dass die, die was anderes gemacht haben, vorher mal Ladendiebe waren. Und die müssen dann auch dazu kommen. Zehnjährige Speicherungsfrist muss natürlich auch ausgedehnt werden. Schließlich soll die Einwilligung die richterliche Anordnung ersetzen, wenn die sonstigen Anforderungen gegeben sind. Das haben wir in Bayern gehabt bei Strafgefangenen. Und die haben gesagt, „was bleibt mir eigentlich anderes übrig, als die Einwilligung zu geben?“ Sonst heißt es bei Verzugslockerung, „bei dir müssen wir jetzt sehr zurückhaltend sein. Es könnte ja sein, dass du wieder was machst und so geschickt machst, dass wir nicht drauf kommen, dass du das warst“. Deswegen ist also Bayern auch vorne bei den Sammlungen in der beim Bundeskriminalamt geführten Datei.

Ich habe bereits vor vielen Jahren der CSU im Landtag entgegengehalten: „irgendwann werden Sie von der CSU fordern: bei jedem Säugling eine DNA-Probe – auch bei den Frauen natürlich, da komme ich noch mal drauf – ein Haar oder eine Speichelprobe zur DNA-Analyse zu entnehmen und eine Kartei einzustellen. Und am besten wäre es noch, wenn man dem Säugling gleich so einen kleinen Chip einpflanzt, dass man jederzeit weiß, wo der sich als Erwachsener auch herum bewegt.“ Da haben sie ja früher immer Zeter und Mordio geschrieen – die Kollegen von der CSU. Inzwischen halten sie es offenbar für gar nicht mehr für so absurd, sondern sie sagen, „ja, wir werden halt sehen, wie sich das weiter entwickelt“.

Besonders deutlich wird der Einbruch in die Persönlichkeitsrechte bei den DNA-Massentests: Bei einem Mordfall in Niedersachsen wurden 17 900 Personen um Speicheltests ersucht. Hier fehlt bisher eine Rechtsgrundlage, da nach der StPO zunächst ein Anfangsverdacht bestehen muss. Warum bei 17 900? Wenn es ein reisender Täter ist, muss man das dann auf die gesamte Bundesrepublik ausdehnen? Und dann sind wir dabei, dass wir dann alles in die Dateien bekommen – von jedem Menschen, der hier ist. Und es betrifft, wie gesagt, nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Das ist natürlich die ungeheuer große Gefahr der Durchbrechung der Unschuldsvermutung und auch eine faktische Umkehr der Beweislast. Also, das arme Schwein, das mal – um seine Mitmenschen zu schonen, auf die Straße geht um eine Zigarette zu rauchen und dort die Kippe wegschmeißt. Da kann Schlimmes sich draus entwickeln, wenn irgendwann dort etwas passiert und keine anderen Beweismöglichkeiten da sind.

Wir haben auch einen Kindstötungsfall in Bayern gehabt – da wurden mehrere, eine Unzahl von Frauen um Proben ersucht. Diejenigen, die sich weigerten, bei denen wurde gleich ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Und manche, die sich aus Verzweifelung und Empörung dagegen wehrten – da hat eine junge Frau dazu gegriffen, die hat ein ärztliches Attestat vorgelegt, dass sie noch Jungfrau ist. Also, soweit – soweit kommen wir schon!

Zurecht wird daher gerade für diese Massentests eine Begrenzung gefordert. Massentests müssen ultima ratio sein, eine Verweigerung darf nicht als Verdachtsmoment gewertet werden und ein unbedingter Richtervorbehalt ist erforderlich. Da gibt es welche, die sagen: Das muss die Polizei sofort machen. Aber bis das abgewickelt wird, wenn da kein Richter gefunden werden kann, der hier eine Genehmigung geben würde, dann stimmt überhaupt nichts mehr mit dieser Justiz. Bei all diesen Entwicklungen müsste, wie gesagt, das Bewusstsein der Menschen hier angesprochen werden, dass es etwas anderes ist und auch etwas ganz gefährliches ist, wenn dies so massenhaft um sich greift.

V. Video­über­wa­chung

Der dritte Bereich, in dem beispielhaft ständig mehr Daten über das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger kontrolliert und gesammelt werden, ist die Videoüberwachung. Die Entwicklung in Kaufhäusern, privaten Parkgaragen, Versammlungsstätten darf nicht dazu führen – auch in diesem privaten Bereich muss man endlich mal Regelungen dafür schaffen, für das, was mit den Daten dann geschieht, letztlich – darf nicht dazu führen, dass dies auch an öffentlichen Orten immer stärker installiert, benutzt und ausgeweitet wird. Was damit begründet wird: Konfliktsituationen an – wie es heißt, so schön – „besonders gefährdeten Orten“ zu vermeiden und gegebenenfalls zu verfolgen, gibt im Ergebnis immer mehr Möglichkeiten, Bewegungsabläufe Einzelner oder von Gruppen zu beobachten. Da werden dann auch ohne Bedenken schnell mal wie in München 6 bis 700 Kameras in den U-Bahnen – also, seien Sie vorsichtig – der Polizei zur Verfügung gestellt. Und da gibt es natürlich technische Fortschritte – immer mehr Möglichkeiten: Mobile Überwachungskameras. Nicht mehr diese Laternenmasten, die wir gewohnt waren, wenn wir zur Münchener Freiheit demonstrieren gegangen sind. Dann wussten wir, da oben rotiert es schon rum und das wird dann alles aufgenommen. Nein, es gibt jetzt die Mobilen. Nur wegen, so die Polizei, technischer Schwierigkeiten werden da nicht gleich auch die ganzen Gespräche und Schlachtrufe aufgenommen und Gesänge. Das Zoomen wird ausgebaut – dass du jeden haarscharf aufnehmen kannst aus der Menge, u.s.w.. Und ganz neue Dimensionen werden sich ergeben, wenn erst einmal die Iriserhebung Standard wird und gegebenenfalls als biometrisches Merkmal in unsere Ausweise hinein kommt. Wir haben ja zum Glück noch vermeiden können – im Sicherheitspaket II – dass da eine Zentraldatei geschaffen wird. Aber irgendwann werden die Forderungen dann wieder weitergehen. Das war ja so eine Entwicklung: organisierte Kriminalität, 11. September, jetzt leider: gewalttätiger Extremismus. Das haben wir ja in München wieder erlebt. Das wird alles damit vorangetrieben. Da können natürlich auch völlig harmlose Menschen in so einem Netz schnell mal landen. Ich habe immer gedacht, wenn einer – zum Beispiel so vor einem Jahr – mit dem Flieger nach Genua wollte, um da an der Riviera zu surfen und dann ein paar Tage – und da war der Weltwirtschaftsgipfel mit diesen Ausschreitungen – und ein paar Tage später oder eine Woche später wollte er nach Nürnberg zu seiner Freundin fahren mit dem ICE – da war der Berlusconi bei einem Besuch beim CSU-Parteitag angekündigt. Was, wenn dies zusammen geführt wird, für so jemanden bedeuten kann. Also, dass der noch irgend jemals aus diesen Karteien rauskommt wird sehr, sehr schwierig sein.

Wenn man nach dem Erfolg solcher Maßnahmen fragt – und das muss ja das Entscheidende sein, auch nach unserer Grundrechtsauffassung: Ist das überhaupt geeignet? Was bringt das eigentlich? Etwa Video am Bahnhofsvorplatz im Regensburg? Da gibt es keine aussagekräftigen Untersuchungen. In einem anderen Bereich: Schleierfahndung. Großer Exportartikel des Herrn Beckstein auch in andere Bundesländer. Da haben wir ewig – und der Datenschutzbeauftragte hat auch gesagt: „Macht mal eine Evaluation!“ – Immer abgelehnt: Das ist zu aufwendig, bürokratisch, usw. Aber alle 14 Tage kam wieder die große Presseerklärung, was das für ein Erfolg war. Und wenn dann die Süddeutsche mal im 30- Kilometer-Bereich, wo es ja keine Probleme gibt – im Grenzbereich – mit rum fährt, dann finden die den ganzen Tag niemanden und dann heißt es: „das war halt eine präventive Wirkung, dass da jetzt halt nichts mehr da ist“. Also, die Schleierfahndung geht in Bayern auf jede Verkehrsverbindung mit internationaler Bedeutung. Das legt die Polizei fest. Das ist also nicht nur die Autobahn bei Aschaffenburg, sondern, wenn man sagt – die suchen sich jetzt andere Routen – dann geht es im Wirtshaus im Spessart oder die Bundesstraße und ähnliches. Also, diese Evaluation, die wird schlicht – schlicht abgelehnt. Zum Beispiel hat man beim Video auch in Regensburg nicht untersucht: Gab es denn da einen Verdrängungseffekt? In London hat man das festgestellt. Die werden jetzt etwas vorsichtiger damit. Weil, da werden natürlich die anderen mobilisiert, bei denen es nicht ist. Sie sagen: „Ja, die haben es gut und jetzt kommt das ganze Geschehen zu uns.“ So werden es natürlich auch ganz normale Menschen sein, wenn man es zum Schutz von Geschäften macht. Dann sagen natürlich die anliegenden Geschäfte in der nächsten Straße: „Ja, das ist ja ein Geschäftsvorteil für die. Die können damit Reklame machen: ?Bei uns ist Sicherheit durch Videoüberwachung der Straße?. Das wollen wir auch!“ Oder besorgte Eltern. Bürgerschaft. Unsere Bürgerversammlung hier in München. Da kann ich mir vorstellen, wie so etwas läuft. Es gibt ja klassische Beispiele: Dass, wenn man sich an einem Punkt konzentriert, dass das an der Grundsituation nichts ändert. Die nichtkriminellen Nichtsesshaften. Wenn man sie irgendwo vertreibt – irgendwo tauchen sie auf. Deshalb werden es nicht weniger Nichtsesshafte. Auch dieses sollte man bedenken.

Während diese Ausweitungen immer vorangetrieben werden, kommt die rechtsstaatliche Absicherung erst an zweiter Stelle. Gehen sie mal nach Regensburg. Wenn sie dort waren und fragen, „wo sind denn jetzt eigentlich die berühmten Videoüberwachungen am Bahnhofsvorplatz ?“, dann sehen sie irgendwo ganz oben an einem Mast ganz klein geschrieben: „Dieser Bereich ist videoüberwacht.“ Wie wird es bei mobilen Geräten sein? Gibt es dann Warnungen im Rundfunk wie bei den Geschwindigkeitskontrollen?

Was geschieht mit den Filmaufnahmen? Ein ewiger Krieg zwischen Datenschützern und Polizisten, die Demonstrationen filmen. Vor allem die Gegendemonstranten bei rechten Aufmärschen sind da immer – auch wenn sie noch so friedlich sind – in Gefahr. Dass das nicht sofort vernichtet wird! Nein, das braucht man. Dass man sofort anfangen muss, noch bevor die ganze Geschichte anfängt. Das ist ein ewiger Kampf. Dann gibt es noch so Ausreden: „Das braucht man zu Übungszwecken für unsere Polizeiausbildung“, und ähnliches. Ich erinnere mich, da hat Franz Josef Strauß noch gelebt und ein öffentliches Gelöbnis auf dem Königsplatz gemacht. Da gab es schon drei Stunden vorher Berichte – ich war damals noch als Kreisverwaltungsreferent für die Sicherheit zuständig – Berichte im Einsatzstab der Polizei: „Wir haben am Rotkreuzplatz einen Mann gesehen, der etwas verdächtig aussieht.“ Und der wurde verfolgt – einzeln verfolgt – bis hin zum Stieglmaierplatz und immer näher, immer näher. Das sind dann solche Geschichten. Damit mal drei Beispielsfälle. Die Liste lässt sich ja immer weiter fortführen: Schleierfahndung – schon erwähnt – Rasterfahndung, biometrische Daten und so weiter und so fort.

VI. Sicher­heits­ver­spre­chen und Krimi­na­li­täts­furcht

Warum gelingt es eigentlich so leicht, solche schlimmen Entwicklungen voran zu treiben? Sind es die Schlagzeilen – nicht nur in der Bild-Zeitung? „Bad news are good news.“ Nach jedem fürchterlichen Sexualmord oder anderen Geschichten. Obwohl etwa dort die Zahl der schlimmen Taten zurück geht. Aber immer wieder wird da verschärft. Oder ist es die Kurzatmigkeit der Politik überhaupt? Da spricht auch etliches dafür. Ist es der 11. September? Die organisierte Kriminalität? Ich glaube, dass es noch einen anderen Hauptgrund gibt: In unserer Gesellschaft gibt es ungeheuer viele Ängste. Die wirtschaftliche, die soziale Entwicklung. Globalisierung. Umwelt. Generationenproblem. Kriege. Die kann Politik, wie es auch gefordert wird, nicht immer lösen. Aber hier – auf dem Gebiet der Sicherheit – meint man etwas gefunden zu haben, wo man Lösungskompetenz zeigen kann. Weil es ja eine altbekannte Tatsache ist, dass die objektive Sicherheitslage in der Regel sehr viel besser ist, als das subjektive Sicherheitsgefühl. Das ist einfach so und geht den Menschen ein; auch wenn man nur symbolhafte Sachen macht. Dann stellt man sich dar, wie man handlungsfähig ist. Da glaubt man Ängste beseitigen zu können. Das zeigen auch immer Gespräche, überall – nicht nur im Wahlkreis, im Bekanntenkreis, am Stammtisch oder in München bei der Bürgerversammlung. Da tritt ja immer ein Polizist auf. Er will meist eigentlich immer die Leute beschwichtigen: „Hier im Stadtviertel ist es gut und sicher und München ist sowieso die sicherste Großstadt der Welt.“ Er vergisst allerdings dazu zu sagen, dass dies auch an der städtischen Sozialpolitik und Toleranzpolitik liegt. Wir wären ein ganzes Stück weiter, wenn diejenigen, die sich für Sicherheit verantwortlich fühlen auch ein bisschen mehr aufklären würden. Auch etwa durch das Gegenhalten gegen das Vorurteil, das immer noch besteht: Ausländer seien generell krimineller als Deutsche. Ein Gewinn wäre es auch, wenn man der Versuchung widerstehen würde in Grundrechte nur einzugreifen, um das subjektive Sicherheitsgefühl zu bedienen.

Es gibt auch die Ängste derer, die Sicherheit gestalten sollen, natürlich. Der Polizist, der Strafvollzugsbeamte, der Gutachter, der Richter. Wenn dann was passiert, dann zeigen sie nicht nur in der Bild-Zeitung mit Fingern auf ihn: „Warum habt ihr den rausgelassen? Warum habt ihr dem Vollzugslockerung gegeben?“, usw. Da gibt es wirklich standhafte – auch in Bayern – Strafvollzugsbeamte und Chefs von Strafanstalten, die sagen: „Ohne einen gewissen Übergang mit Vollzugslockerung können wir überhaupt nichts machen! Dann lassen wir sehr viel gefährlichere Leute raus, als wenn wir dies versuchen.“ Und Totschlagsargument natürlich auch in der Politik – haben wir oft gehört im bayrischen Landtag von der CSU – „Wenn Sie dieser Maßnahme nicht zustimmen, sind Sie schuld am nächsten Sexualmord!“ Manche lassen sich davon beeindrucken, aber auch da sollte man rechtsstaatliches Rückgrat zeigen.

Diese Angst zeigt sich übrigens auch, wenn man jetzt immer mehr so symbolische Handlungen macht. Überwachung als Symbolhandlung. Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, die da sensibel sind. Und wir als Abgeordnete sind ja so eine Art Ombudsleute der Nation zu vierzig, fünfzig Prozent. Da ist ein Ansteigen bei der Diskussion über Telekommunikationsüberwachung. Das führt leider manchmal zu Betreuungsnotwendigkeiten, die kein Abgeordneter, sondern andere Fachrichtungen übernehmen müssen. Wir sind noch nicht in der Situation der USA, wo es 1,5 Millionen Haftplätze gibt. Das ist ungefähr umgerechnet sieben Mal soviel wie bei uns. Dass es sieben Mal weniger Verbrechen gäbe, ist allerdings nicht festzustellen. Bei uns wird jetzt ein bisschen anders gearbeitet. Da wird mehr auf die virtuellen Haftplätze durch diese ganzen Überwachungsmaßnahmen gesetzt. Ich glaube, da muss die HU, da müssen viele Bündnispartner dagegenhalten. Dagegenhalten durch mehr Aufklärung – gerade auch durch das Aufzeigen, was ich für wichtig halte, von Einzelfällen, die jedem einleuchten. Durch Einsatz für den Datenschutz – der sollte mal ins Grundgesetz kommen, da gab es ja schon immer mal Bestrebungen und das sollte ja schon scharf formuliert werden – und für Datenvermeidung und -sparsamkeit. Was jetzt zu den technischen Bereichen im Bundesdatenschutzgesetz steht, sollte eine Grundauffassung auch für Erhebungsmöglichkeiten und Speicherungsmöglichkeiten sein. Das wäre übrigens etwas, was ich schön fände, wenn endlich das überfällige Moment – aus bayrischer Sicht, aus meiner Sicht – von Volksbegehren und Volksentscheid ins Grundgesetz käme. Dann könnte man mal so was, glaube ich, ganz gut installieren und könnte dabei – was für mich auch aus den Schweizer Erfahrungen immer ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt für unmittelbare Demokratie ist: der Diskussionsprozess mit den Bürgern – den könnte man da hineinbringen und vertiefen.

Durch Forderungen und, wenn es geht, auch eigene Evaluierungen – beim Max-Planck-Institut hat es ja lange gedauert. Durch die Forderung endlich alle Eingriffsgesetze zu befristen. Das ist naturnotwendig. Die Forderung der Argumentationslast ergibt, dass – wenn man das weiter machen will: Was hat es denn gebracht? Und – eins allerdings: allein auf das Bundesverfassungsgericht zu hoffen ist zu wenig. Die neueren Entscheidungen, die sind nicht mehr von der Klarheit, von der sie früher waren. Die Dominanz der Sicherheit, des Sicherheitsaspektes, greift da manchmal auch stark um sich.

Schließlich sollte vielmehr Aufmerksamkeit der Länderebene gewidmet werden. Das ist eine ganz, ganz wichtige Sache! Denn durch die Verschiebungen ins Vorfeld durch präventive Maßnahmen ist naturgemäß nicht mehr der Bund der Hauptakteur – oder auch durch die behauptete Länderkompetenz – geht das in die Ländereben hinein. Und wenn das eine anfängt, dann ziehen die anderen nach über ihre Innenministerkonferenz. Und das wird auch Rückwirkungen auf der Bundesebene haben. Ein klassisches Beispiel ist die Frage der Ausweitung der Sicherungsverwahrung, die jetzt in Karlsruhe auf Das hat angefangen: nachträgliche Sicherungsverwahrung in Baden-Württemberg. Bayern ist nachgezogen. Dies hat Auswirkungen gehabt auf Bundesebne. Jetzt wird vorbehalten – Sicherungsverwahrung, die auch nachträglich ausgestellt werden kann – allgemein im Strafgesetzbuch verankert. Auch bei den Heranwachsenden, die bisher nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt wurden, wo wenigstens Sicherungsverwahrung ausgeschlossen wurde, gibt es jetzt auch unter bestimmten Voraussetzungen Vorbehalte für Sicherungsverwahrung und ähnliches.

Fazit – Wir müssen gegen den Überwachungsstaat kämpfen. Wir müssen immer klar machen und umso unpopulärer es auch ist zu sagen, dass der amerikanische Verfassungsvater Benjamin Franklin Recht hatte: Wer die Freiheit abbaut, um Sicherheit zu gewinnen, wird letzten Endes beides verlieren!

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