Neuerliche Nachhilfestunden in Karlsruhe
Sven Lüders
Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über Online-Durchsuchungen, Mitteilungen Nr. 199, Seite 11
Das die nordrhein-westfälische Regelung über den heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält, war schon anhand der Aktenlage zu erkennen. Mit unbestimmten Ermittlungsbefugnissen, ohne Rücksicht auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung und ohne den bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis oder den Wohnraum üblichen Richtervorbehalt kam das Gesetz daher – eigentlich eine klare Sache. Dennoch setzten die Richter eine mündliche Verhandlung an. Deren Gegenstand war weniger das Gesetz aus NRW. Die Richter nutzten den Termin am 10. Oktober vielmehr, um sich eingehend über die technischen Hintergründe und Fallstricke der Online-Durchsuchungen zu informieren.
Viele ungeklärte Fragen
Die Experten verwiesen auf zahlreiche Probleme, die einer rechtsstaatlichen Kontrolle des neuen Instruments entgegen stehen:
- Anders als bei einer Telekommunikationsüberwachung werden bei einer Online-Durchsicht nicht nur laufende Kommunikationen überwacht – mit dem Zugriff auf den Datenbestand wird die gesamte „informationelle Historie“ eines Computernutzers durchleuchtet.
- Die vom Verfassungsgericht aufgestellte Forderung, der Staat dürfe unter keinen Umständen in den privaten Kernbereich der Lebensgestaltung eingreifen, ist bei einer Online-Durchsuchung nicht zu erfüllen. Nach den Vorstellungen der Sicherheitsbehörden sollen die Zielrechner automatisch durchsucht, die „verdächtigen“ Daten dann zur Auswertung verdeckt an die Behörden übertragen werden. Eine automatisierte Suche kann aber nur syntaktischen Regeln folgen (z.B. Stichwortlisten oder Dateiendungen), ob dabei Informationen aus dem Kernbereich angetastet werden, lässt sich nur semantisch, durch menschliche Interpretation erkennen.
- Die Urheberschaft der bei einer Online-Durchsuchung gefundenen Informationen ist äußerst fragwürdig. Es kann nicht zweifelsfrei geklärt werden, wer die inkriminierten Daten auf einem Computer hinterlassen hat. Ebenso räumten die Vertreter der Sicherheitsbehörden ein, dass sie erst dann, wenn sich der Zielrechner in ihrem Besitz befinde, wissen, ob sie den richtigen Computer durchsucht haben.
- Die mit einer Online-Durchsuchung gewonnenen Daten genügen nicht den Anforderungen an die Beweissicherheit, da es sich nur um Kopien der Daten handelt, die für Übertragungsfehler oder unbeabsichtigte Veränderungen anfällig sind.
Wie geht‘s weiter?
Die Entscheidung der Richter wird im Frühjahr 2008 erwartet. Spätestens dann ist auch mit einer Fortsetzung des Gesetzgebungsprozesses auf Bundesebene zu rechnen. Im Vorfeld bemüht sich das Bundesinnenministerium (BMI) um Verständnis für das Instrument und veröffentlichte kürzlich einen Frage-/Antwort-Katalog, um besorgte Bürgerinnen und Bürger zu beruhigen. Dort war zu lesen, dass die Online-Durchsuchungen „nicht zur Überwachung unbescholtener Bürger“ eingesetzt werden solle. Wenn man das immer vorher wüßte, bräuchte es ja keine Ermittlungen mehr. Außerdem versprach das Ministerium, man werde „die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung beachten“. Wie das angesichts der technischen Schwierigkeiten gelingen soll, verriet das BMI aber nicht. Weiterhin versprach das BMI: „Die Betroffenen werden grundsätzlich nach Abschluss darüber unterrichtet…“. Wenn diese Benachrichtigung genauso praktiziert wird wie in der Vergangenheit, ist mit grundsätzlich wohl gemeint, dass im konkreten Fall keine Benachrichtigung stattfindet, weil damit der weitere Einsatz des Instruments gefährdet wäre (wenn etwa bekannt wird, wie die Software auf den Zielrechner gelangte). Auch die immer wieder vorgetragenen Beteuerungen, aufgrund begrenzter personeller Ressourcen, eines technisch aufwändigen Verfahrens und langer Vorbereitungszeiten könnten ohnehin nur wenige Online-Durchsuchungen durchgeführt werden, beruhigen nicht wirklich. Sie zeigen vielmehr, dass die Verfechter der Online-Durchsuchung die rechtspolitischen Untiefen der digitalen Wanzen immer noch ignorieren.
Sven Lüders
Angesichts der Tragweite der erwarteten Entscheidung für den Schutz der digitalen Privatsphäre hat der Vorstand der Humanistischen Union entschieden, im April 2008 eine Fachtagung zum Thema anzubieten.
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