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Offener Brief der Humanis­ti­schen Union an die Fraktion DIE GRÜNEN

09. Dezember 1988

Ulrich Vultejus, Elisabeth Kilali

aus: Frauenverachtung verbieten? Gegensätzliches zur Verrechtlichung eines gesellschaftlichen Problems. HU Schriften Nr. 14 . München 1988, Seiten 33-35

Herabwürdigende Frauendarstellungen sind Ausdruck eines Bewußtseins. Macht und Gewalt finden ihre sexuelle Ausformung in der Demütigung und Unterdrückung der Frau. Was millionenfach in Wort und Bild „nur so zum Vergnügen „gelesen, gehört und betrachtet wird, bewegt und prägt wiederum die sexuellen Phantasien. Und wer gibt uns die Sicherheit, daß nicht mancher, der irgendwann seine Phantasien auslebt, zur Tat schreitet, zur verbrecherischen Gewalttat. Die Strafgesetze haben dies bislang nicht verhindert. Und dennoch glauben viele an die bewußtseinsverändernde Kraft der Strafe, fordern ein immer höheres Maß an staatlicher Gewalt. Die Bewertung einer Tat als Verbrechen erschöpft sich so in gnadenloser Verfolgung und gesellschaftlicher Vernichtung des Täters als Person. Die Sorge vor einer Überbewertung strafrechtlicher Erfolgschancen zur Lösung fundamentaler gesellschaftlicher Fehlentwicklungen veranlaßte die HU zu einem offenen Brief.

An die

Fraktion der GRÜNEN

Bundeshaus, 5300 Bonn

München, den 26. 5. 1988

Offener Brief

Partei und Bundestagsfraktion der GRÜNEN setzen sich gemeinsam für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und nicht nur außerhalb der Ehe ein. Dies wird von der HUMANISTISCHEN UNION begrüßt und nach Kräften unterstützt. Die HUMANISTISCHE UNION hat als eine der ersten Organisationen schon 1984 eine umfassende „Stellungnahme zur Vergewaltigung in der Ehe“ vorgelegt. Mit Betroffenheit haben wir jedoch davon Kenntnis genommen, daß innerhalb der GRÜNEN die Forderung diskutiert wird, das geltende Strafrecht auch insoweit zu verschärfen, daß die Mindeststrafe ausnahmslos zwei Jahre Freiheitsentzug betragen soll. Im Vergleich zum geltenden Recht wird dadurch dem Richter die Möglichkeit genommen, auf eine geringere Strafe zu erkennen, und es wird ihm kaum mehr möglich sein, dem Täter eine Strafaussetzung zur Bewährung zuzubilligen. Die justizpolitischen Auseinandersetzungen auf strafrechtlichem Gebiet sind in diesem Jahrhundert dadurch gekennzeichnet, die Härte des Strafrechts abzumildern und insbesondere mit der Ausweitung der Strafaussetzung zur Bewährung die Resozialisierung von Straftätern auch ohne den Strafvollzug zu ermöglichen. Diese Ideen, die bisher auch die GRÜNEN mitgetragen haben, hatten es zunächst gegenüber konservativen Kräften außerordentlich schwer. Jetzt haben sie die öffentliche Meinung für sich gewonnen. Die Bestrebungen innerhalb der Partei der GRÜNEN müssen jetzt als ein Rückschritt, müssen als reaktionär bezeichnet werden. Wer die strafrechtliche Praxis kennt, weiß, wie unterschiedlich die einzelnen Fälle gelagert sein können; es gibt durchaus welche, in denen eine Strafe von zwei Jahren nicht ausreicht und eine weitaus höhere Strafe verhängt werden müßte. Es gibt aber auch durchaus Fälle, in denen nach allgemeiner Rechtsauffassung eine niedrigere Strafe angemessen erscheint und in denen auch die jetzigen Befürworter und Befürworterinnen einer harten Linie – vor die Entscheidung gestellt – sich für eine niedrigere Strafe entscheiden würden. Die Befürworterinnen einer harten Linie scheinen nicht zu Ende gedacht zu haben. Es wird auch in Zukunft unser Bemühen sein, die Grenze, bis zu der Strafaussetzung zur Bewährung möglich ist, weiter anzuheben, zunächst etwa auf drei Jahre. Wollen sie sich dem dann widersetzen oder das Strafmaß bei der Vergewaltigung abermals anheben? Natürlich steht es einer politischen Partei frei, konservative Justiz-und Rechtspolitik zu betreiben. Sie sollte dies dann aber auch offen sagen. Die Befürworterinnen einer harten Lösung unterscheiden sich überhaupt nicht mehr von anderen konservativen Politikern, die irrig glauben, mit Mitteln des Strafrechts gesellschaftliche Probleme lösen zu können. Angesichts der Ineffektivität von Strafmaßnahmen – denken wir an die hohe Rückfallquote – ist es an der Zeit, auch über alternative Maßregeln nachzudenken gerade bei Verstößen gegen das Sexualstrafrecht, deren Ursache oft auf seelische Deviation zurückzuführen ist.Es darf nicht soweit kommen, daß einzelne politische Gruppen besondere Härte vor den Gerichten für die Straftatbestände fordern, die ihnen besonders am Herzen liegen, die einen beim Demonstrationsstrafrecht, die anderen beim Sexualstrafrecht. Es ist immer ein schwerer Fehler, zu glauben, daß vom Strafmaß irgendeine „sittenbildende“ Kraft ausgehen kann. Worin sollte die positive Wirkung einer Verweildauer im Gefängnis von zwei Jahren gegenüber einem Jahr liegen? Welches richtungsweisende Signal würde durch diese und womöglich noch weitere Verschärfungen gesetzt? Gesellschaftliche Wertvorstellungen lassen sich nicht durch Maßlosigkeit bei der Strafzumessung verändern. Eine Abschreckung des Täters ist so ebenfalls nicht zu erreichen, sie wird auch von den BefürworterInnen der Zwei-Jahres-Regelung nicht ernsthaft behauptet. Hier ist die Frage erlaubt, ob die Forderung nach einer Verschärfung noch rational verstehbar ist oder ob sie nicht Ausdruck von blindem Zorn und dem Ruf nach Rache ist. Wir geben zu, daß der langdauernde Prozeß, auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse einzuwirken, mühsam und belastend ist. Es ist aber der einzige Weg zu einer menschlicheren Gesellschaft. Ein hartes Strafrecht ist auch ein Zeichen von Gewalt und ein Zeichen der Schwäche derer, die sich seiner bedienen. Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam für ein menschliches und das heißt auch für ein auf die menschliche Schwäche Rücksicht nehmendes Strafrecht einsetzen. Dies bedeutet keinesfalls eine Verharmlosung der Vergewaltigung, sondern das Eintreten für eine den Einzelfall gerecht abwägende Lösung!

Mit vorzüglicher Hochachtung

HUMANISTISCHE UNION

Ulrich Vultejus          Elisabeth Kilali
(Vorsitzender)  (stellvertr. Vorsitzende)

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