Themen / Rechtspolitik

Oskar Lafontaines Äußerungen zur Folter

31. August 2005

Offener Brief an die Parteivorstände von WASG und PDS

Mitteilungen Nr. 190, S.7

Die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Prof. Dr. Rosemarie Will, hat am 14. Juli 2005 in einem Offenen Brief die Parteivorstände von PDS und WASG dazu aufgefordert, sich von den Äußerungen Oskar Lafontaines über die staatliche Anwendung von Foltermaßnahmen zu distanzieren. Wir dokumentieren nachfolgend den Brief.
Am 27. Juli erhielten wir eine Antwort der Leiterin des Wahlquartiers der Linkspartei.PDS. Darin schreibt sie, dass „die Linkspartei.PDS bekräftigt, dass das Folterverbot absolut und ausnahmslos gilt,“ und die Partei sich dafür einsetzt, „dass dies so bleibt“. Die Äußerungen Lafontaines werden leider nur lapidar als seine Sichtweise  abgehandelt: „Unterschiedliche Sichtweisen, Bedenken oder gar Vorurteile gilt es in einem produktiven und vor allem inhaltlich durch konkrete politische Arbeit bestimmten Prozess zu überwinden.“  Es ist leider Wahlkampf…

Sehr geehrte Damen und Herren,

als überparteiliche Bürgerrechtsorganisation sind wir bestürzt und besorgt über öffentliche Äußerungen, mit denen Oskar Lafontaine, maßgeblicher Repräsentant der WASG und der künftigen Linkspartei, Folter gerechtfertigt und mit dem Folterverbot ein unverzichtbares rechtsstaatliches Grundprinzip diffamiert hat. In seinem Interview mit der taz am 28. Juni 2005 bezeichnete Lafontaine das Folterverbot als „Prinzipienreiterei“, die „von der großen Mehrheit des Volks“ abgelehnt werde und die er ebenfalls nicht teile. Dabei handelte es sich offenkundig nicht um einen verbalen Ausrutscher, wie frühere Äußerungen zeigen.

Bereits im Mai 2004 äußerte Lafontaine Presseberichten zufolge in einer Fernsehsendung über den – inzwischen rechtskräftig verurteilten – Frankfurter Polizeivizepräsidenten Daschner: „Ich würde es als Katastrophe für den Rechtsstaat ansehen, wenn dieser Beamte bestraft würde, denn nach meiner Auffassung hat er nach elementarsten sittlichen Geboten unseres Rechtsstaats gehandelt.“ Man könne nicht „ein unschuldiges Kind qualvoll krepieren lassen, nur weil man sich auf formale Verfassungsartikel beruft“. Zwar sei Folter gesetzlich verboten, jedoch gebe es „immer Situationen im Leben, wo der Verweis auf Gesetze oder das Beharren auf Prinzipien nicht weiterhilft.“ (Die Welt v. 18.05.2004)

Am 28. November 2004 widmete Lafontaine dem Fall einen Kommentar in der Bild-Zeitung, in dem er dessen Gewaltandrohung und notfalls auch Gewaltanwendung rechtfertigte: „Er handelte richtig. Kein Verweis auf unsere Nazi-Vergangenheit kann sein Verhalten in Frage stellen. (…) Hätte es der Zeitablauf zugelassen, dann wäre es vertretbar gewesen, dem Täter so lange Nahrung und Getränke zu verweigern, bis er den Aufenthaltsort preisgegeben hätte.“

Wir verkennen nicht, dass Herr Lafontaine derzeit auch aus wahltaktischen Gründen von verschiedenen Parteien angegriffen wird. Seine Äußerungen zur Folter sind unseres Erachtens aber zu ernst, um die Kritik daran einfach als Wahlkampfmanöver der parteipolitischen Konkurrenz abzutun. Wenn sich der Spitzenkandidat einer sich neu formierenden Partei öffentlich äußert, ist das auch nicht einfach seine private Meinung „als Vater“, wie Lafontaine auf dem Parteitag der WASG in Kassel angab.

Bei allem Verständnis für die auch von uns geteilte Empörung über den abscheulichen Mord an einem Kind halten wir Lafontaines wiederholte Angriffe auf ein Grundprinzip des Rechtsstaates nicht für hinnehmbar. Dass es dem Staat in jedem Fall verboten ist zu foltern, ergibt sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes. Das absolute Folterverbot entspricht zudem zweifelsfrei zahlreichen internationalen Menschenrechtsbestimmungen. Eine Relativierung des Folterverbots und damit der Unantastbarkeit der Menschenwürde würde eine Büchse der Pandora öffnen, die die mühsame Arbeit von Menschenrechtsorganisationen auf der ganzen Welt aufs Spiel setzte und der Folter Tür und Tor öffnete. Die – notwendigerweise „formalen“ – Prinzipien und Gesetze sind unverzichtbar, um Menschen ganz konkret davor zu schützen, zum Objekt und Spielball staatlicher Willkür zu werden.

Wir möchten daran erinnern, dass das Prinzip der Menschenwürde auch den von Ihnen betonten sozialen Grundrechten zugrunde liegt. Für eine stärkere öffentliche Diskussion über soziale Rechte gibt es im menschen- und bürgerrechtlichen Spektrum große Sympathien. Wir können aber keinen vernünftigen Grund dafür erkennen, soziale Rechte und freiheitliche Rechte gegeneinander auszuspielen. Unseres Erachtens bedingen und ergänzen sie sich beide, um die Menschenwürde effektiv zu schützen. Ein sozialer Staat darf kein autoritärer Staat sein und auch eine freiheitliche Verfassungsordnung muss sich um die Bedingungen eines gleichen Zuganges zu Grundrechten kümmern.

Wir hoffen, dass Sie mit uns übereinstimmen, dass gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen Grundrechte und rechtsstaatliche Standards gleichzeitig besonders wichtig und gefährdet sind. Was mühsam errungen wurde, lässt sich relativ einfach durch populistische Äußerungen beschädigen. Wir möchten dringend an Sie appellieren, sich an einer öffentlichen Demontage tragender Prinzipien eines freiheitlichen Gemeinwesens nicht zu beteiligen.

In diesem Sinne bitten wir Sie, zu den genannten Äußerungen von Herrn Lafontaine Stellung zu nehmen und dadurch entstandene Zweifel an einer uneingeschränkten Unterstützung des Folterverbots durch das neue Linksbündnis entgegenzutreten.

Mit freundlichen Grüßen

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