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Plädoyer für die Straf­bar­keit einer Verge­wal­ti­gung in der Ehe

01. Oktober 1984

Bundesvorstand

Stellungnahme des Bundesvorstandes der HUMANISTISCHEN UNION zu zwei Gesetzentwürfen von SPD und Grünen im Bundestag

Der Bundesvorstand der Humanistischen Union hält es für geboten, das Strafgesetzbuch so zu ändern, daß die Sonderregelungen für eine Vergewaltigung in der Ehe gestrichen werden. Wir begrüßen die Entwürfe der Bundestagsfraktionen der SPD und der GRÜNEN dazu, halten jedoch Modifizierungen für notwendig.

Dazu tragen wir vor:

Das geltende Sexualstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt in § 177 StGB, daß nur derjenige, der „eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt“, bestraft wird.

In den §§ 178 (sexuelle Nötigung) und 179 (sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger) ist die verheiratete Frau ebenfalls ungeschützt.

Die Fragwürdigkeit dieser Ausklammerung arbeitete erstmals Hanack im Jahre 1968 in einem Gutachten für den 47. Deutschen Juristentag auf (Zur Revision des Sexualstrafrechts in der Bundesrepublik, 1969 Rdnr. 59ff). Während der Verhandlungen des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform wurde eingehend über eine Streichung des „außerehelich“ in den §§ 177ff diskutiert. Mit knapper Mehrheit lehnte der Ausschuß eine entsprechen-de Änderung ab. Bei der endgültigen Verabschiedung des Vierten Strafrechtsänderungsgesetzes im Jahre 1973 folgte der Deutsche Bundestag diesem Votum.

Ende 1983 wurde die Ehegattennotzucht durch Gesetzentwürfe von SPD (Drs. 10/585) und GRÜNEN (Dr. 10/565) erneut in die parlamentarischen Beratungen eingebracht.

Die Bedeutung einer Geset­zes­än­de­rung

Obwohl die Dunkelziffer (wie in allen Familiendelikten und der Vergewaltigung allgemein) relativ hoch ist, muß mit einer beträchtlichen Anzahl von Fällen gerechnet werden, von denen nicht wenige ein gerichtliches Nachspiel haben dürften.

Eine Allensbach-Studie aus dem Jahre 1976 (Stern Nr. 17/1976) spricht von 2,5 Mill. deutschen Ehefrauen, die mindestens ein-mal von ihrem Mann vergewaltigt worden sind. Heimken (Vergewaltigung in der Ehe, Heidelberg 1979) macht allerdings darauf aufmerksam, daß die gestellten Fragen juristisch kaum auszuwerten sind, was die Anzahl der Delikte im Sinne des Gesetzes beträchtlich relativiert. Wären aber, nach Helmken, nur ein Prozent der befragten Frauen tatbestandsmäßig vergewaltigt worden, so ergäbe dies eine erschreckende Zahl von 25.000 Opfern. Aus neueren Untersuchungen, wie Veröffentlichungen über vergleichbare Familiendelikte, so dem sexuellen Mißbrauch von Kindern (Spiegel Nr. 29/1984), geht hervor, daß Straftaten im engsten persönlichen Bereich häufiger vorkommen, als das bislang angenommen wurde (siehe die Studie des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit (Hrsg.), Vergewaltigung als soziales Problem, 1983, S. 104).

Aufgrund der – bislang noch rudimentären – Diskussion zur Vergewaltigung in der Ehe scheint eine gewisse Skepsis erkennbar zu sein, ob das Strafrecht überhaupt der geeignete Platz ist, solchen Delikten wie der Ehegattennotzucht wirksam zu begegnen. Es wurden andererseits noch keine brauchbaren Ansätze entwickelt, um – etwa durch soziale Stützungsmaßnahmen für die Familie – die Ursachen für Gewalt in der Ehe wirksam zu beseitigen. Es ist notwendig, den Zusammenhang von sozialer Deklassierung (durch Arbeitslosigkeit) und den dadurch verursachten Problemen der Familien aufzuarbeiten. Die Erfolgsaussichten rein etatistischer Lösungsmodelle sind jedoch zweifelhaft. Sie implizieren nämlich, die Ehegattennotzucht sei in erster Linie ein Problem der Unterschicht. Offenbar sind die Vertreter dieser Auffassung in der Klischeevorstellung befangen, daß z.B. ein Arbeiter, stellungslos oder durch berufliche Zwänge verbittert, seine Aggressionen an der Ehefrau abreagiert.

Neuere Untersuchungen belegen demgegenüber, daß Vergewaltigungen von Tätern aller sozialen Klassen vorgenommen werden. Es gibt keine Gründe, diese Ergebnisse nicht auch auf die Vergewaltigung in der Ehe zu übertragen.

Das patriarchalische Verständnis einer sexuellen Dienstbarkeit der Frau, auch gegen deren Willen, kann nur in einem allmählichen Erziehungsprozeß abgebaut werden. Die Sanktionierung eines solchen Verhaltens ist ein notwendiger Schritt in dieser Richtung und der Rückgriff auf das Strafrecht zum Schutz der Ehefrau ein wichtiges rechtspolitisches Mittel.

Der Kampf gegen die klerikal-ideologische Überfrachtung des Strafrechts (Kuppelei, Ehebruch etc.) war (und ist) der sinnfällige Ausdruck einer Grundhaltung, die beharrlich für das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger eintritt. Das Engagement für einen verbesserten Schutz der Ehefrau vor ihrem gewalttätigen Mann ist die konsequente Fortsetzung dieser Politik.

Es muß Erstaunen hervorrufen, wenn gerade jene konservativen Kräfte, die ständig von Ehe und Mutterschaft als den höchsten Bestimmungen der Frau sprechen, in diesem Bereich die Hilfe verweigern. Angesichts der Tatsache, daß sich diese Straftaten im engsten persönlichen Bereich abspielen, ist das naive Vertrauen in die heile Welt der Familie nicht angebracht.

Kriterien einer Reform

Eine Reform muß folgendes berücksichtigen:

  1. Die Einbeziehung der Ehefrau in den Schutzbereich der §§ 177, 178 StGB würde öffentlich dokumentieren, daß die Heirat keine Verpflichtung für immerwährende sexuelle Verfügbarkeit ist, der erzieherische Charakter und die generalpräventive Wirkung sollten nicht unterschätzt werden.
  2. Der Bestand einer Ehe darf nicht länger das Kriterium für die Abgrenzbarkeit einer Vergewaltigung sein. Warum soll in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Vergewaltigung möglich sein, bei in Scheidung lebenden Paaren aber nicht.
  3. Es muß andererseits deutlich werden, daß die kriminelle Energie eines Mannes, der eine fremde Frau überfällt und vergewaltigt, anders zu beurteilen ist, als beim Ehegatten.
Stellung­nahme zu den vorlie­genden Entwürfen

Die von SPD-Abgeordneten und der Fraktion DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe sollen den Schutz verheirateter Frauen sicherstellen. Sie laufen beide im Kern auf die Streichung des Wortes „außerehelich“ in den §§ 177, 178, 179 StGB und die Hinzufügung eines Abs. 4 zu § 177 StGB hinaus. Dieser neue Absatz soll folgenden Wortlaut haben:

Das Gericht kann in besonderen Fällen die Strafe mildern, wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der Bindungen zwischen der Frau und dem Täter geboten ist.

Der SPD-Vorschlag sieht im Gegensatz zu dem der GRÜNEN die Möglichkeit vor, ganz auf eine Bestrafung zu verzichten.

Beide Entwürfe verzichten darauf, diese Tat als Antragsdelikt auszugestalten. Die SPD-Parlamentarier/innen schlagen darüber hinaus einen generellen Ausschluß der Öffentlichkeit aus Verfahren vor, in denen die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung Gegenstand des Prozesses ist. Sie verlangen zudem die Beiordnung eines Rechtsbeistandes für das Tatopfer.

Der Strafrahmen der §§ 177ff StGB ist außerordentlich hoch. Die Mindeststrafe wurde 1973 im Rahmen der Strafrechtsreform von einem Jahr auf zwei Jahre bei Vergewaltigung ausgeweitet. Bei der sexuellen Nötigung ist der Täter mit nicht weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht.

Die Gesetzentwürfe sehen in § 177 und § 178 StGB keine Änderung dieser Bestimmungen vor, auch an den jeweiligen Abs. 2 (minder schwerer Fall) und 3 (Tod des Opfers) soll sich nichts ändern. In einem neuen Abs. 4 soll die Ehegattennotzucht als privilegierter Tatbestand erfaßt werden.

Was die Möglichkeit eines Verzichts auf Bestrafung angeht, so erscheint der sozialdemokratische Vorschlag angemessener. Warum soll das Gericht eine Strafe verhängen müssen, wenn nach Lage der Dinge beide Partner wieder zusammenleben wollen und die Prognose für diese Beziehung günstig ist?

Ein Strafverzicht kann beispielsweise dann besonders wünschenswert sein, wenn die Tat während einer Bewährungszeit verübt wurde. Andernfalls könnte trotz Versöhnung eine mehrjährige Haftstrafe ergehen.

Beiden Entwürfen liegt aber ein dogmatischer Fehler zugrunde. Die Neufassung müßte nämlich im Grundtatbestand des § 178 StGB verankert werden, nicht im lex specialis des § 177 StGB. Ansonsten müßte das Strafmaß für sexuelle Nötigung in der Ehe dem der geltenden Fassung des § 178 StGB entsprechen. Dieses Resultat widerspräche aber der Gesetzessystematik, denn es kämen so erheblich härtere Urteile zustande, als bei entsprechenden Vergewaltigungsfällen.

Nicht ausreichend ist der Schutz in Scheidung lebender oder ansich schon geschiedener Frauen (vor Rechtskraft des Urteils) vor sexuellen Nachstellungen des Mannes berücksichtigt. Hier wäre es angebracht, diese Fälle nach Abs. 1 der §§ 177 bzw. 178 StGB zu behandeln.

Eine ernsthafte Schwierigkeit liegt in der richtigen Festlegung der Verfolgungsvoraussetzungen begründet. Dem Verlangen, Staatsanwaltschaft und Polizei aus den ehelichen Schlafzimmern fernzuhalten, könnte durch die Einführung einer Antragspflicht bei der Verfolgung der Vergewaltigung in der Ehe entsprochen werden. Den befürchteten Denunziationen, so den ungebetenen Aktivitäten der „bösen Schwiegermutter“ könnte so möglicherweise ein Riegel vorgeschoben werden. Andererseits würde eine Antragspflicht die Gleichstellung der verheirateten Frau wieder erheblich einschränken, es sei denn, man würde die Antragspflicht in allen Fällen der §§ 177, 178 StGB einführen.

In der Systematik des Strafgesetzbuches würde die eheliche Notzucht auf die gleiche Stufe gestellt, wie Sachbeschädigung oder Haus- und Familiendiebstahl. Die Frau würde schweren Pressionen ausgesetzt, ihren Antrag zurückzuziehen, womit dem Staatsanwalt automatisch die Hände gebunden wären. Angemessener wäre hier die Übernahme der Regelung in § 232 StGB, der bei Körperverletzung zwar die Antragspflicht vorsieht, im Falle besonderen öffentlichen Interesses aber das Einschreiten von Amts wegen vorsieht. Diese Regelung würde aber ein Hauptanliegen konterkarieren, die Gleichbehandlung ehelicher- und nichtehelicher Lebensgemeinschaften im Rahmen des Sexualstrafrechts, weil alle anderen Fälle Offizialdelikte blieben.

Die Abgrenzung, ab wann eine Beischlaferzwingung vom Offizialdelikt zum Antragsdelikt herabgestuft wird, dürfte im Falle einer Übertragung dieses Modells auf außereheliche Beziehungen recht schwierig und für die Frau selbst kaum nachvollziehbar sein. Sie müßte wiederum beim formalen Bestand einer Ehe ansetzen, wenn keine heillose Verwirrung entstehen soll.

Die Folgen einer Beibehaltung der Offizialanklage würden ohnehin dadurch abgemildert, daß die Ehegattin gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. In der Praxis dürfte der Unterschied zwischen der Zurücknahme eines Strafantrags und der Aussageverweigerung nicht sehr erheblich sein. Ohne die Mitarbeit des Opfers dürfte eine Anklage, auch bei einem Offizialdelikt des Ehegattenmißbrauchs, nur schwer möglich sein.

Vorschläge der Humanis­ti­schen Union

Die neuzufassenden Paragraphen sollten folgenden Wortlaut haben:

§ 177 StGB   In Abs. 1 wird das Wort „außerehelichen“ gestrichen.
§ 178 StGB   In Abs. 1 wird das Wort „außereheliche“ gestrichen.

Folgender Abs. 4 wird angefügt:
Liegen weger der Beziehungen der Verletzten zum Täter bei einer Vergewaltigung nach § 177 oder bei einer sexuellen Nötigung nach § 178 mildernde Umstände vor, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2 StGB). Bei günstiger Prognose kann das Gericht zum Schutze der Beziehungen zwischen der Frau und dem Mann von Strafe absehen.
Diese mildernden Umstände liegen nicht vor, wenn Eheleute getrennt oder in Scheidung leben.

Zur Problematik des § 179 StGB

Die Entwürfe sehen über die Reform der §§ 177 und 178 StGB hinaus auch die Streichung des „außerehelich“ in § 179 Abs. 2 StGB vor. Der Bestand einer Ehe als alleiniges Abgrenzungskritierium ist hier ebenso ungeeignet wie in den §§ 177 und 178 StGB. Eine Neufassung ist gewiß notwendig, reicht in dieser Form aber nicht aus, um den besonderen Problemen der Betroffenen gerecht zu werden.

Gegenüber dem § 176 a. F. ist § 179 StGB insofern anders strukturiert, weil die sexuellen Handlungen nicht nur an der Frau, sondern auch an einem (wehrlosen) Mann vorgenommen werden können (s. Lenckner Rdnr. 1 zu § 179). Ihm liegt deshalb nicht die Abwertung der Ehefrau zugrunde, wie in den §§ 177, 178.

Die Streichung des „außerehelich“ darf unter keinen Umständen dazu führen, daß einer Kranken ihr Anspruch auf sexuelle Betätigung sogar mit ihrem Ehemann aberkannt wird. Hier könnten Komplikationen bei einer Änderung im Sinne der Entwürfe auftreten, weil nämlich unter bestimmten Voraussetzungen selbst die Einwilligung der Frau den strafrechtlich relevanten Mißbrauch nicht ausschließt (Lenckner, Rdnr. 11).

Andererseits ist die Widerstandsunfähige in besonderer Weise schutzwürdig. Der § 179 StGB stellt an die Ausnutzung der Widerstancisunfähigkeit hohe Anforderungen, der Täter muß die fehlende Abwehrfähigkeit planmäßig für seine Zwecke ausnutzen (Lenckner, Rdnr. 9 ).

Der Verzicht auf die überkommene Trennung von ehelicher und außerehelicher Partnerschaft ist zwar angebracht, sollte aber noch im einzelnen gründlich diskutiert und in all seinen Folgen genau bedacht werden. Insbesondere müßte analog zu den §§177, 178 StGB die Begehung der Tat strafmildernd berücksichtigt werden.

München, den 1. Oktober 1984

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