Themen / Rechtspolitik

Rechts­s­taat­lich­keit in Zeiten der Terror­be­dro­hung

15. Juli 2010

Mitteilungen Nr. 208/209 (1+2/2010), S. 12-14

1. Vorbe­mer­kung

Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in den Mitteilungen der Humanistischen Union über die Bewahrung des Rechtsstaates in Zeiten der Terrorbedrohung veröffentlicht. Die SPD hat sich bedauerlicherweise in den letzten Jahren nicht mit übermäßigem Engagement für Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz hervorgetan. Es gab zu wenig Respekt vor den Freiheitsrechten, zu wenig Besonnenheit im Umgang mit staatlichen Überwachungsmaßnahmen.

Der Umstand, dass auch andere Parteien mit einer vernünftigen Antwort auf die Terrorbedrohung hadern, tröstet kaum darüber hinweg, dass es ein sozialdemokratischer Innenminister war, der nach dem 11. September 2001 ohne nennenswerten Widerstand einer sozialdemokratischen Justizministerin die Sicherheitsgesetze durchsetzen konnte. Eine weitere sozialdemokratische Justizministerin wollte die mit der vermeintlichen ‚Terrorbekämpfung‘ einhergehenden Grundrechtseingriffe ebenfalls kaum wahrnehmen.

Das immer stärkere Hochschrauben der Sicherheits- und Überwachungsspirale führte zwar regelmäßig zu einem innerparteilichen (und teilweise außen hörbaren) Aufbegehren der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen und anderer bürgerrechtlich und rechtsstaatlich denkender Sozialdemokrat(inn)en. Dies änderte aber weder etwas am Regierungshandeln noch konnte es verhindern, dass die SPD inzwischen kaum mehr als Partei wahrgenommen wird, die sich für den Schutz und die Durchsetzung der Freiheits- und Bürgerrechte einsetzt.

Warum ist dies alles so gekommen und wie kann man in Zukunft eine vergleichbare Fehlentwicklung verhindern? Wie kann es gelingen, nicht nur die SPD, sondern auch die Liberalen (und vielleicht sogar die Christdemokraten) von dem Kurs immer schärferer Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen abzubringen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen wir jene Mechanismen analysieren und demaskieren, die hinter der Politik der Otto Schilys und Wolfgangs Schäubles liegen.

2. Angst, Sicherheit und Freiheit

Während Furcht auf eine konkrete Bedrohung gerichtet ist, ist Angst von der ursprünglichen Bedeutung her ein nicht auf ein bestimmtes Objekt gerichteter Gefühlszustand. Es gibt unterschiedliche Arten von Angst: Angst vor Krieg, Gewalt und Kriminalität, Angst vor Klimawandel, Umweltkatastrophen und vor Atomkraft, Angst vor sozialem Abstieg, Angst vor Krankheit, vor dem Tod und dem Verlust von Menschen, die wir lieben. Diese Ängste sind oftmals diffus und unbestimmt. Es gibt aber auch die sog. Realängste, beispielsweise die Angst ausländischer Mitbürger vor rechtsradikalen Pöbeleien oder gar tätlichen Übergriffen, die Angst von Kindern und Jugendlichen vor Ausgrenzung und Schamzufügung in der Schule oder die Angst von Menschen in gefährdeten Wirtschaftszweigen vor dem Verlust ihrer Arbeit.

Das deutsche Wort „Angst“ hat es als Wortexport bis ins Englische geschafft. Dort bedeutet es soviel wie Existenzangst, eine aus Sicht der Engländer typisch deutsche Gefühlsanwandlung. Das erscheint seltsam, ist doch Deutschland eines der sichersten Länder der Welt: Wir haben niedrige Kriminalitätsraten und in Deutschland in den letzten Jahren keinen Terroranschlag erleben müssen, wie die USA, England oder Spanien.

Warum ist dennoch Angst derart präsent in unserem Land? Angst entsteht zum einen durch das Beobachten oder das Erfahren bedrohlicher Ereignisse in der näheren oder entfernteren Umgebung, aber auch durch ständige Warnungen vor schrecklichen Ereignissen. Angst vor Terror kann zu irrationalen Sicherheitsmaßnahmen verleiten. Die Angst vor dem Terror legitimiert in Amerika seit 2001 einen „Krieg gegen den Terrorismus“ im Irak, an dem Deutschland zum Glück (durchaus dank der SPD) nicht direkt teilnimmt. Mit der Angst vor terroristischen Anschlägen werden seit 2001 in Deutschland immer neue Überwachungsmaßnahmen gerechtfertigt. Die Intensität und Häufigkeit der Warnhinweise standen nicht in einem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Terrorbedrohung.

Wie können wir einer solchen Angst und Verunsicherung begegnen? Stabilität, Ruhe und Geborgenheit sind eine Art Gegenentwurf zur Angst: Menschen, die in stabilen Lebens- und Arbeitsverhältnissen leben, die in sich ruhen, die Solidarität und Geborgenheit fühlen, sei es in der eigenen Familie, unter Freunden, in der Nachbarschaft, ja auch Menschen, die in irgend einer Weise an Gott glauben, verspüren deutlich weniger Angst als Menschen in unsicheren Lebenslagen, einsame Menschen und Menschen, die sich nichts zutrauen.

Der Staat und die Parteien müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen und auf die Bedrohungen mit angemessenen Mitteln reagieren. Was aber tun, wenn eine Regierung immer weniger Menschen eine angemessene Versorgung all ihrer Bedürfnisse garantieren kann und es nicht zu verhindern vermag, dass die Gegensätze zwischen Arm und Reich immer größer und immer unerträglicher werden? Es erscheint dann allzu reizvoll, von diesen (nur scheinbar) unlösbar anmutenden Problemen abzulenken und sich der Ängste und Unsicherheiten bezüglich Terror oder Kriminalität zu widmen. Auf derart kultivierte Ängste wird dann mit vorgefertigten Überwachungsgesetzen reagiert, die in weiten Teilen zudem noch kaum größere Sicherheit bieten!

Den Begriff der Freiheit benutzen wir oft, ohne uns bewusst zu machen, was er wirklich bedeutet. Im Gegensatz zur Freiheit von inneren Zwängen umfasst die äußere Freiheit als soziale Größe alle rechtlichen, sozialen und politischen Umstände. Von besonderer Relevanz für unsere äußere Freiheit sind die Grundrechte. Wir dürfen uns frei bewegen, unsere Meinung äußern, uns mit anderen versammeln, grundsätzlich unabgehört kommunizieren über Briefe und Telefon und ganz generell unsere Persönlichkeit entfalten, solange wir nicht die Rechte anderer verletzen und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen. Schon heute aber lassen sich viele Menschen beispielsweise von starker Polizeipräsenz oder von staatlichen Videoaufzeichnungen von der Teilnahme an einer Demonstration abhalten. Wann wird es so weit sein, dass wir zögern, höchstpersönliche und vertrauliche Dinge am Telefon auszusprechen oder im Mailverkehr schriftlich auszutauschen und unsere Freiheiten im doppelten Sinne nicht mehr ‚wahrnehmen‘?

3. Die innere Logik von Politik

Gegen die unter Schily und Schäuble getroffenen Überwachungsmaßnahmen haben die Humanistische Union, der AK Vorratsdatenspeicherung, die Grünen, Teile der FDP und der SPD immer wieder protestiert. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) stieß dabei auf manchen Widerstand in den eigenen Reihen.

Brigitte Zypries aber war stolz auf die nach eigenem Bekunden angeblich stets rechtsstaatliche Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere auf die Bestrafung des Besuchs von Terrorcamps, die Vorratsdatenspeicherung und die erweiterte Kronzeugenregelung. Sie verwies auch gern auf jene Punkte, in denen sie bzw. die SPD dem Koalitionspartner widerstanden habe: den Einsatz der Bundeswehr im Innern, ein Feindstrafrecht, die Vermischung von Polizei und Nachrichtendiensten (die aber de facto mit der Reform des BKA-Gesetzes erfolgte) oder eine Aufweichung des Folterverbotes. Dieser Widerstand reichte nicht aus. Die SPD braucht eine Rückbesinnung auf früher gepflegte rechtsstaatliche und freiheitliche Überzeugungen.

Die bürgerrechtliche Zukunft unter der schwarz-gelben Regierungsmehrheit sieht keineswegs besser aus (s. Mitteilungen Nr. 207, S. 1-8). Letztlich unterliegen alle Parteien der Gefahr, den Verlockungen populistischer Forderungen im Bereich der Terrorabwehr nachzugeben. Sie ist offenbar zu reizvoll, diese um „Volksnähe“ bemühte Politik, die Unzufriedenheit, Ängste und aktuelle Konflikte für ihre Zwecke instrumentalisiert, an Instinkte appelliert und einfache Lösungen propagiert und dabei verantwortungsethische und rechtsstaatliche Überlegungen weitgehend außer Acht lässt.

Auch auf der politischen Agenda der EU stehen noch erschreckende Vorhaben, beispielsweise die Aufzeichnung sämtlicher Flugreisedaten, ein europäisches Visa Informations-System, in dem biometrische Fotos und Fingerabdrücke aller Besucher gespeichert werden, ein EU-Sicherheitsprogramm und eine systematische Überwachung von Finanztransaktionen. Ein Lichtblick war allein die kürzlich erfolgte Ablehnung des sogenannten Swift-Abkommens durch das Europäische Parlament.

Gegen Populismus im ‚Kampf‘ gegen die ‚Terrorbedrohung‘ hilft nur Aufklärung über das Ausmaß der wirklichen Risiken, ein Demaskieren der falschen Sicherheitsversprechungen, ein Widerlegen der Scheinlogiken und vor allem eine tatsächliche Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Menschen und des solidarischen Miteinanders.

4. Auswege

Was aber tun, wenn – wie bislang – die Politik in weiten Teilen versagt? Unsere Demokratie hält zumindest drei Schutzmechanismen bereit: die Gewaltenteilung, das Bundesverfassungsgericht und die Medien. Nur wenn der Staat, so Montesquieu, lediglich den gesellschaftlich unbedingt notwendigen Zwang ausübe, sei die maximal mögliche bürgerliche Freiheit gegeben. Ein beachtlicher Satz vor dem Hintergrund unserer Zeit. Wo aber haben wir heute noch eine wirkliche parteiunabhängige Kontrolle der Regierungen durch die Parlamente?

Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben uns in den vergangenen Jahren viele rechtsstaatswahrende Urteile beschert – auch sie aber genügen dem Anspruch auf Schutz der Grundrechte nur im Rahmen der selbst auferlegten Zurückhaltung, der sog. „richterlichen Selbstbeschränkung.“ So scheute sich das Bundesverfassungsgericht beispielsweise davor, Onlinedurchsuchungen für gänzlich verfassungswidrig zu erklären und begnügte sich mit dem Aufstellen hoher Hürden für solche Maßnahmen.

Fatalerweise schwindet aber aktuell auch die Wirksamkeit der Medien als ‚Vierter Gewalt‘. Da sich immer mehr Bürger im Internet kostenlos informieren, brechen den Verlagen und Sendern die Werbeeinnahmen weg, Einschaltquoten und Auflagen sinken. Weil Medienkonzerne sparen müssen, wird eine gründliche Recherche kaum mehr finanziert. Schnelligkeit, nicht Redlichkeit ist das Gebot der Stunde.

Was also tun, wenn Politik und Medien versagen und das höchste Gericht vornehme Zurückhaltung übt? Wie kommen wir heraus aus dem Teufelskreis von medialer Aufhetzung und politischem Aktionismus?

Es ist an der Zeit, dass die kritische Öffentlichkeit wieder mehr Widerstand und Zivilcourage zeigt. Nach dem Schock des 11. September 2001 haben allmählich einzelne Gruppen ihre Sprache wiedergefunden. Die Berliner Demonstration „Freiheit statt Angst“ hat im letzten Jahr viele Menschen mobilisiert, Aufsehen erregt und die Gruppierungen, die sich für den Erhalt des Rechtsstaates einsetzen auch emotional zusammen geführt.

Die Humanistische Union hat in den letzten Jahren viel publiziert, immer wieder in klugen und gewählten Worten auf Missstände und Bedrohungen unseres Rechts- und Sozialstaates hingewiesen. Das war gut so. Vielleicht aber sollten wir gemeinsam über andere Formen des Widerstandes, des Aufbegehrens und des Protestes nachdenken. Die Leute vom AK Vorratsdatenspeicherung machen es uns vor: Sie drucken Warnhinweise auf ihre Visitenkarten und warnen vor Überwachungsanlagen auf öffentlichen WCs und andernorts. Wir sollten uns fragen, was die HU von diesen Methoden lernen kann: Gibt es Aktivitäten, die wirksamer sind als Aufsätze in Mitteilungsblättern oder Vorträge im kleinen Kreis? Worauf hören die Menschen, wohin sehen sie, wovon lassen sie sich berühren und anstecken? Und wie können wir noch effektiver auf Abgeordnete und Regierungsverantwortliche einwirken?

Wir sind alle gefragt, mehr zu tun als bislang für Freiheit (aber auch für Solidarität und Gerechtigkeit). Wir müssen uns einmischen im Kleinen wie im Großen. Das ist anstrengend und unbequem, aber bitter nötig!

Anke Pörksen
ist Mitglied der HU Hamburg und stellv. Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ)

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