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Rede auf dem Stuttgarter Kongreß "Innere Freiheit in der Demokratie"

21. Februar 1976

Jürgen Seifert

(Stuttgart, 21.2.1976)

Das Grundgesetz wurde geschaffen als ein Bollwerk, das eine Wiederholung dessen unmöglich machen sollte, was in Deutschland in den Jahren von 1933-1945 geschehen ist.
Der damals gegründete Verfassungsstaat exisitiert noch. Und das Grundgesetz mit seinen kaum übersehbaren Änderungen wird an Jubiläumstagen gefeiert. Das Bollwerk gegen Unterdrückung ist allerdings an manchen Stellen schon geschleift worden. Aber noch steht dieses Bollwerk. Inder gegenwärtigen Auseinandersetzung geht es darum, ob es uns gelingt, die Umkehrung der Positionen des Grundgesetzes rückgängig zu machen oder ob diejenigen sich durch-setzen, die die ursprüngliche Intention des Grundgesetzes verändert haben.

Niemand kann heute sagen, er wüßte nicht, worum es geht. Alfred Grosser hat
in seiner Friedenspreis-Rede das allgemein gemacht, was zuvor nur für den kleinen Teil unseres Volkes als Verfassungsrealität bewußt war: „Die Betonung“, sagte Grosser, „liegt etwas zu sehr und immer mehr auf ‚Staat‘ und auf ‚Ordnung‘ und nicht mehr genug auf der Idee der freien politischen Tätigkeit des einzelnen.“ Deshalb kommt es heute in erster Linie darauf an, beharrlich und sozusagen leidenschaftlich nüchtern das zu sagen, was geschehen ist und was anders werden muß. Wehe uns, wenn wir dabei im Zorn übers Ziel hinausschießen oder ein falsches Bild wählen.
Wie es dem geht, der überzeichnet, das hat die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ in der Behandlung des Gedichtes von Alfred Andersch „Art. 3 Abs. 3“
erst jüngst wieder gezeigt. Für diese Zeitung sind Berufsverbote nichts Beunruhigendes. Die Überprüfung von 454.485 Fällen allein in der Zeit vom 1.1.73 bis zum 30.6.1975 ist für diese Zeitung „nichts weiter“ als ein „routinemäßiger, seit 25 Jahren allgemein und überall üblicher Vorgang“. Beunruhigend ist nur, daß Alfred Andersch weil er warnen will den üblichen gedämpften Ton stört und ein Gedicht schreibt, das klingt wie ein Schrei. Ein solcher Angstruf eines antifaschistischen deutschen Autors ist für die Zeitung des gesitteten deutschen Bürgertums ein Skandal nicht aber, daß dieses Gedicht in der FAZ auf eine Ebene mit der Sprache des übelsten antisemitischen Hetzorgans, des ‚Stürmers‘, gebracht wird.

Was sagt nun Andersch?

„ein volk von
ex-nazis
und ihren
mitläufern
betreibt schon wieder seinen lieblingssport die hetzjagd auf
kommunisten
sozialisten
humanisten
dissidenten
linke“

Wer verstehen will, was damit gemeint ist, der braucht dazu keine Anleitung. Wer nicht verstehen will, der wird schon um sich zu entlasten wie die FAZ es tut, gegen das Wort von Andersch „ein volk von exnazis“ die Altersstatistik des Deutschen Volkes bemühen.

Andersch berichtet:

„als die nazis
während des krieges in dänemark
den judenstern einführen wollten
trug der könig von dänemark
bei seinem nächsten ausritt
den gelben stern
auf seiner uniform“

Es gibt, denke ich, manchen unter uns, der wie Andersch fragt:

„warum legen der scheel
der schmidt der willi brandt der genscher der maihofer nicht den
judenstern an“

Es gibt in unserem Land aber auch manchen, der meint, daß es falsch ist, eine solche Frage an diejenigen zu richten, die, wie Heinrich Böll sagt in „unvorstellbarer Blindheit“ mit dafür verantwortlich sind, daß „diese ungeheure Stacheldrahtproduktion“ (so nennt Böll das Thema unseres Kongresses) überhaupt begonnen wurde. Diese und auch jene, die dagegen protestieren, in Zusammenhang mit der SPD das Wort Blindheit benutzen, bitte ich um Geduld. Ich werde auf diese Fragen eingehen, will zunächst jedoch den Verfassungswandel auf dem Gebiet der abwehrbereiten Demokratie darstellen und behandeln.

Dazu meine erste These:

Auch der Grundsatz „Demokratie nur für Demokraten“ gilt nur in der Form und unter den spezifischen Verfahrensvoraussetzungen, wie sie im Grundgesetz festgelegt sind.
Das Prinzip der „militanten Demokratie“ ist somit kein Freibrief für staatliches Handeln. Auch diejenigen, die das Grundgesetz nicht anerkennen oder die es bekämpfen, stehen soweit ihnen demokratische Staatsbürgerrechte abgesprochen werden sollen unter dem Schutz des Grundgesetzes und seiner Verfahrensregeln. Das ist sicher nicht immer bequem; aber wer diese Grundsätze antastet, der verletzt den unveränderbaren Kernbereich unserer Verfassung, er gefährdet das, was er zu retten sucht.
Die verfassungsrechtliche Verfahrenssicherung gilt nicht nur für das Verbot politischer Parteien, sondern auch, wenn ein Einzelner Grundrechte verwirkt.
Die Bestimmung des Grundgesetzes, in der dies festgelegt ist (es ist Art. 18), lautet: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Art. 8), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10), das Eigentum (Art. 14) oder das Asylrecht (Art. 16 Abs. 2) zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
Die verfassungsrechtliche Verfahrenssicherung im Falle der Verwirkung von Grundrechten war schon bei der Beratung des Grundgesetzes umstritten. Ich will darauf etwas näher eingehen. Es war der FDP-Abgeordnete Thomas Dehler, der damals entschieden für das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes eintrat, „weil“, wie er sagte, „andernfalls die Tragweite dieser Bestimmung der Verwirkung der Grundrechte gar nicht abzusehen ist. Wer gegen irgendeines dieser Grundrechte verstößt, wäre praktisch vogelfrei. Jede Verwaltungsstelle körnte ihm die Grundrechte absprechen. Er müßte sich dann an das Gericht wenden und sehen, wie und wann er wieder zu seinem Recht kommt. Das gleiche könnte gegen eine Gruppe von Menschen geschehen. Jede Polizeibehörde könnte sagen: Du hast ein Grundrecht verletzt, jetzt hast du nicht das Recht der Meinungsfreiheit, du hast nicht das Recht auf Versammlungsfreiheit, du hast dieses Recht verwirkt. Das wäre die Statuierung des Polzeistaates. Die Polizei könnte jeden vogelfrei machen.“
Dehler stellte sich hinter den Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates. Sein Antrag, der die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichtes für den Fall festlegte, daß einzelne die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, wurde mit 13 gegen 7 Stimmen angenommen. Wenn man die Protokolle des Bundesausschusses des Parlamentarischen Rates heute durchblättert, dann gewinnt man den Eindruck, als ob schon damals der Kern der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Berufsverbote vorweggenommen worden wäre. Der CDU-Abgeordnete von Mangold nämlich sprach sich gegen ein solches Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes aus. Er sagte: „Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wird sich immer ziemlich lange hinziehen. Wenn es sich aber um einen Mißbrauch dieser Grund- und Freiheitsrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt, kann nicht so lange gewartet
werden, dann muß sofort eingeschritten werden können.
Durch dieses sofortige Einschreiten werden ja demjenigen, der davon betroffen wird, nicht die Rechte genommen mit der Möglichkeit, die ihm das Recht sonst gibt, gegen eine solche Verfügung anzugehen.“
Trotz der Abstimmungsniederlage unternahm die CDU-Fraktion noch einmal den Versuch, die Entscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes bei der Verwirkung von Grundrechten zu beseitigen. Erneut warnte Thomas Dehler davor, „diese Bestimmung zu streichen, weil dadurch diese Grund-rechte vollkommen gegenstandslos“ würden. Carlo Schmid, der den Vorsitz führte, unterstütze Dehler durch den Hinweis, daß einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichtes in einem sehr raschen Verfahren erlassen werden“ könnten. Der Streichungsantrag der CDU wurde mit überwiegender Mehrheit gegen 4 Stimn’ien abgelehnt.
Es ist bekannt, daß die Verwirkung von Grundrechten auf Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes in der Geschichte der Bundesrepublik nicht relevant geworden ist. Die beiden überhaupt eingeleiteten Verfahren verliefen im San-de. Man gewinnt den Eindruck, daß entgegen der ausdrücklichen Regelung des Grundgesetzes die CDU die von ihr schon im Parlamentarischen Rat angestrebte Regelung in der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik durchsetzen konnte … und dabei heute auch von FDP und SPD unterstützt wird. Dennoch bleibt Art. 18 GG eine geltende Verfassungsbestimmung. Da bei der Verwirkung von Grundrechten Also Art. 18 und ebenso beim Parteien-verbot Art. 21 vom Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gesprochen wird, ist diese Vorschrift heute sogar zu einer der wichtigsten Verfassungsbestimmungen gemacht worden. Dabei will man jedoch viel-fach geflissentlich nicht zur Kenntnis nehmen, daß sowohl gemäß Art. 18 wie gemäß Art. 21, also bei der Verwirkung von Grundrechten wie bei dem Parteienverbot, es dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleiben soll, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu definieren und festzustellen, ob tatsächlich ein Verstoß gegen diese Grundordnung vorliegt.

Damit komme ich zu meiner zweiten These:

Die gegenwärtige Berufsverbotspraxis ist deshalb zu einem die Demokratie bedrohenden Problem geworden, weil heute entgegen der Regelung des Grundgesetzes nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern die Verwaltung über die Auslegung des Begriffes freiheitliche demokratische Grundordnung entscheidet.
Die Aushöhlung von Art. 18 ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil aus mancherlei Gründen (Ostpolitik, Opportunitätserwägungen, Zersplitterung der Kommunisten durch die Existenz mehrerer konkurrierender Parteien) ein Verbot bestimmter politischer Parteien derzeit nicht für sinnvoll gehalten wird. Aber gilt mit diesem Einwand muß ich mich nun auseinandersetzen Art. 18 auch für die Einstellung in den Öffentlichen Dienst?
Richtig ist, daß in Art. 18 die Bestimmung des Art. 3 Abs. 3 GG nicht ausdrücklich erwähnt wird, die besagt: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. Aus den Beratungen des Parlamentarischen Rates geht jedoch hervor, daß 1948 und 1949 nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit es selbstverständlich war, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht angetastet werden dürfe. Auch ist niemand bei der Beratung des Grundgesetzes auf den Gedanken gekommen, daß der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außerhalb der Verwirkung der Grundrechte und des Parteienverbots eine eigene Bedeutung erlangen und so wie es heute praktiziert wird im Rahmen des Satzes „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt“ (Art. 33 Abs. 2) innerhalb der Kategorie „Eignung“ relevant werden könnte. Deshalb muß, soweit es bei der Einstellung in den Öffentlichen Dienst um die freiheitliche demokratische Grundordnung geht, das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Damit komme ich zu meiner dritten These:
Die Praxis in den von SPD und FDP regierten Ländern und auch durch das, was jetzt durch das im Bundesrat gescheiterte ‚Extremistengesetz‘ der Koalitionsparteien angestrebt wurde, unterscheidet sich allenfalls graduell, nicht aber prinzipiell von den Vorstellungen der CDU/CSU.
Das ‚Extremistengesetz‘ ist zwar auf harten Widerstand der CDU/CSU gestossen und im Bundesrat gescheitert. Doch auch nach diesem Text sollte die Verwaltung und nicht das Bundesverfassungsgericht rechtlich verbindlich die Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch einen Bewerber für den öffentlichen Dienst feststellen können. Es muß sogar gefragt werden, ob die von FDP und SPD angestrebte Einzelfallprüfung in jedem Fall „liberaler“ und „rechtsstaatlicher“ ist als die von der CDU/CSU angestrebte Bindung an eine bestimmte Organisationszugehörigkeit und ob die Einzelfallsprüfung nicht ein Instrument ist oder ein Instrument werden könnte mit dem die Linke insgesamt verunsichert wird und durch das das Berufsverbot bis in die Reihen linker Sozialdemokraten hineingetragen werden kann.

Aufgrund der vorgetragenen Thesen formuliere ich meine erste Forderunq:

Die juristisch relevante Entscheidung über einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung muß so wie es im Grundgesetz vorgeschrieben ist allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleiben. Die Einstellung in den Öffentlichen Dienst kann nur dann aufgrund politischer Auffassungen und Aktivitäten des Bewerbers oder einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation abgelehnt werden, wenn zuvor das Bundesverfassungsgericht für den einzelnen oder für eine Gruppe von Menschen festgestellt hat, daß eine Verletzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorliegt.

Die Realisierung dieser Forderung ist möglich, ohne neue Gesetze und ohne Änderung des Beamtenrechts. Dennoch stößt eine solche Forderung auf Widerstand. Die einen werden wie im Parlamentarischen Rat der CDU-Abgeordnete von Mangold sagen: Das ist unmöglich, das braucht zuviel Zeit, das Bundesverfassungsgericht darf nicht noch mehr überlastet werden. Darauf kann man noch heute mit den Argumenten eines Thomas Dehler und eines Carlo Schmidt antworten: Ohne solche Regelung werden die „Grundrechte vollkommen gegenstandslos“, man wird „praktisch vogelfrei“, das Verfassungsgericht könnte in „sehr raschen Verfahren“ eine einstweilige Verfügung erlassen. Im übrigen steht im Grundgesetz nirgends geschrieben, daß das Bundesverfassungsgericht lediglich zwei Senate haben muß und daß die Gesctiäftsordnung der Senate nicht neu verteilt werden kann. – Die anderen
werden sagen: Du rüttelst an der Forderung „Weg mit den Berufsverboten“. Sie werden fragen: Wieso vertraust du in dieser Frage dem Bundesverfassungsgericht, das doch schon gezeigt hat, daß es kaum etwas anderes tun wird als die Berufsverbote nun verfassungsgerichtlich zu legitimieren?

Auf den ersten Einwand antworte ich: Wer die Einstellung in den öffentlichen Dienst auch für denjenigen um jeden Preis durchsetzen will, der zum bewaffneten Kampf aufruft, oder wer sich selbst den Stempel der Illegalität auf-prägt, der verstärkt durch solche Haltung in letzter Konsequenz nur die Front der Befürworter der Berufsverbote. Der zweite Einwand ist ernster zu nehmen. Die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht entscheiden muß, bedeutet nach den bisher gemachten Erfahrungen nicht notwendig, daß eine solche Entscheidung auch immer richtig ist. Dennoch meine ich, daß das Erfordernis einer verfassungsgerichtlichen Feststellung eine Sicherung ist. Verfahrenregeln gewähren niemals absoluten Schutz. Aber nicht nur diejenigen, die aufgrund der Suspendierung von Art. 114 Weimarer Reichsverfassung ohne Gerichtsbeschluß nach der Notverordnung vom 28. Februar 1933 in Konzentrationslager eingewiesen werden konnten, sondern auch schon jeder, der ein-mal von der Polizei festgenommen worden ist, weiß, welche Bedeutung der bloßen Verfahrensregel zukommt, daß nach Ablauf des folgenden Tages ein Richter über die Festnahme entscheiden muß. Aber noch aus einem anderen Grunde birgt ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht größere Rechtssicherheit. Ich halte es für ausgeschlossen, daß die Verfassungsschutzämter es wagen, einem Verfassungsgericht das vorzulegen, was an sogenannten Erkenntnissen in den derzeit durchgeführten Anhörungen vorgebracht wird.

Wenn es allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt, darüber zu entscheiden, ob eine Partei, eine Gruppe von Menschen oder ein Einzelner gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt, dann folgt daraus

und so lautet meine zweite Forderung:

Der Unterschied zwischen der durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen juristischen Sanktion und der politischen Auseinandersetzung mit je-
nen, die politisch als Gegner, vielleicht sogar als Gefahr für die Demokratie angesehen werden, darf nicht dadurch verwischt werden, daß die politische Auseinandersetzung mittels juristischer Kategorien geführt wird nämlich der juristischen Kategorie der Verfassungswidrigkeit.

Die SPD sollte endlich die Konsequenzen aus der Tatsache ziehen, daß sie sich noch 1956 aus politischen Gründen gegen ein Verbot der KPD ausgesprochen und daß sie 1968 in der Großen Koalition die Duldung der Konstituierung der DKP durchgesetzt hat. Wer wie die SPD es will Parteienverbote zu vermeiden sucht (die Gründe hierfür können ausgeklammert werden, wichtig ist sicherlich, daß Sozialdemokraten im Verlauf ihrer Geschichte zweimal verfolgt worden sind), der darf nicht selbst sowohl in parteipolitischen Auseinandersetzungen als auch durch die Erklärungen der eigenen Repräsentanten in der Exekutive Kommunisten mittels der juristischen Kategorie der Verfassungswidrigkeit immer wieder in eine Illegalitätsecke drängen. Sonst schafft er (wie übrigens auch Bundesminister Maihofer in der Einschätzung der DKP im vergangenen November auf eine parlamentarische Anfrage hin) selbst die Voraussetzung dafür, daß morgen die politische Auseinandersetzung in eine juristische überführt wird und daß durch die eigene Form der Argumentation (möglicherweise sogar wider Willen) ein Parteienverbot provoziert wird, daß man politisch nicht für opportun hält. Die politische Abgrenzung mittels juristischer Kategorien unterhöhlt den im Grundgesetz errichteten Damm, der verhindern soll, daß in unserem Lande jedermann erneut dem anderen Illegalität vorwerfen kann.

Beide hier von mir vorgetragenen Forderungen sind primär an Sozialdemokraten und an Freie Demokraten gerichtet. Mit meiner dritten und letzten Forderung wende ich mich an diejenigen, die der SPD und der FDP kritisch gegenüberstehen und zu diesem Kongreß etwa sagen: Das sind Parteien mit Arbeitsteilung, der eine Teil der Mitglieder opponiert gegen die Berufsverbote und gegen die Gesinnungsschnüffelei, und der andere führt sie durch.

Meine dritte Forderung ist ein Appell:

Weder die Mitgliedschaft in der SPD und FDP noch die Mitgliedschaft in anderen Parteien darf irgendein Kriterium sein. Unabhängig davon, ob FDP oder auch SPD gegenwärtig bei der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise eine spezifische Rolle spielen, muß bei Mitgliedern dieser Parteien (wie übrigens auch bei jedem anderen) immer wieder neu geprüft werden, in welchem Umfang sie bereit sind, den restaurativen Tendenzen in der Bundesrepublik entgegenzutreten und den politische Aktionsspielraum der linken zu schützen.

Ich appelliere an die Kritiker von SPD und FDP: Sozialdemokraten und Freie Demokraten nicht abstrakt als Gegner zu bezeichnen, die es um jeden Preis zu bekämpfen und entlarven gilt, sondern jeweils so etwas wie eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.

Wo es Differenzen mit Sozialdemokraten und Freien Demokraten gibt, müssen diese ausgetragen werden. Es gibt dennoch so etwas wie eine falsche Konfrontation aufgrund von Enttäuschung,. falscher Erwartung, aber viel-leicht auch aufgrund der Repression, für die die SPD und FDP insgesamt ihre Verantwortung oder Mitverantwortung nicht leugnen können. Die Geschichte zeigt, daß solche falsche Konfrontation, daß solche Bruderkämpfe immer’besonders hart sind. So haben viele, die sich vor 1933 bekämpften, erst als es zu spät war, erkannt, wo die Gemeinsamkeiten liegen. Angesichts der gegenwärtigen restaurativen Tendenzen in der Bundesrepublik und in einer Situation, in der – wie Umfragen zeigen nur wenige in unserem Lande bereit sind, die Errungenschaften des Grundgesetzes dagegen zu verteidigen, daß Ruhe und Ordnung erneut zur ersten Bürgerpflicht gemacht werden, kann solcher Bruderkampf verhängnisvoll werden. Es kommt darauf an (bei aller Kritik), die falsche Konfrontation zwischen jenen zu vermeiden, die im Notfall die einzigen sein werden, die bereit sind, die Demokratie wie ein Bollwerk zu verteidigen.

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