Themen / Innere Sicherheit

Reform des Bundes­nach­rich­ten­diens­tes?

03. Juli 2006

Mitteilungen Nr. 193, S. 4-5

Wieder einmal erschüttert ein Geheimdienstskandal die Republik. Und das schon seit Monaten. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat Journalisten bespitzelt und teilweise als V-Leute benutzt, möglicherweise soll er im Irak-Krieg trotz der offiziellen Position der Bundesregierung die Amerikaner unterstützt haben, vielleicht hat er von amerikanischen Flügen über Deutschland und auf deutschen Flughäfen mit geheimen Gefangenen gewusst, anscheinend war er über die Entführung eines deutschen Staatsbürgers durch die amerikanischen Geheimdienste über Montenegro nach Afghanistan informiert, ohne darüber der Bundesregierung zu berichten, damit diese ihre Pflichten zum Schutze ihres Staatsbürgers wahrnehmen konnte. Ein Untersuchungsausschuss tagt, das parlamentarische Kontrollgremium hat den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof a.D. Dr. Gerhard Schäfer als Sachverständigen mit der Untersuchung der Journalistenbeobachtung beauftragt.

Wer erinnert sich da von uns Älteren nicht an die früheren spektakulären Geheimdienstskandale: Die Traube-Affäre, als ein Atommanager gesetzwidrig abgehört wurde. Das Celler Loch, als der Niedersächsische Verfassungsschutz mit logistischer Hilfe des BND ein Loch in die Gefängnismauern der Justizvollzugsanstalt Celle sprengte, um einen terroristischen Befreiungsversuch vorzutäuschen? Den Mordfall Schmücker, bei dem der Berliner Verfassungsschutz die Tatwaffe verschwinden ließ und die gerichtliche Aufklärung über 16 Jahre nach Kräften behinderte? Der BND als Waffenhändler, der als landwirtschaftliche Maschinen deklarierte Panzer nach Israel exportieren wollte, was der Zoll im Hamburger Hafen aufdeckte?

Diesmal geht es „nur“ darum, dass der Bundesnachrichtendienst wissen wollte, woher der Journalist Schmidt-Eenboom seine internen BND-Kenntnisse hatte, als er 1993 sein Buch „Schnüffler ohne Nase“ veröffentlichte, in dem interne Details, Pannen und Affären des Geheimdienstes ausgebreitet wurden. „Maßnahmen zur Eigensicherung“ nannte der BND das, was er von da an bis teilweise in den Herbst 2005 hinein tat, um herauszufinden, wo das Leck im BND war, welches Informationen an Journalisten weitergab. Observationen verschiedenster Journalisten, „Abschöpfung“ von Journalisten und auch Beauftragung von Journalisten als V-Leute zählten dazu.

Immerhin hat dieser Fall so viel Aufsehen erregt, dass nach Erinnerung des Verfassers dieser Zeilen das Parlamentarische Kontrollgremium, vielleicht das geheimste Gremium dieser Republik, nach seinen Kontrollsitzungen öffentliche Erklärungen abgab, was nur einstimmig möglich ist, und schließlich einen ehemaligen Bundesrichter als Sachverständigen mit der Untersuchung beauftragte – ja dann sogar diesen Bericht veröffentlichte.
Mit teilweise fragwürdiger Auslegung des BND-Gesetzes (was sind sicherheitsgefährdende neben geheimdienstlichen Tätigkeiten, die sich gegen den BND und seine Quellen richten, § 2 BND-Gesetz) kommt Herr Schäfer zu dem Ergebnis, dass eine Reihe von Observationsmaßnahmen durchaus zulässig war, da auch die Presse von Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste nicht ausgenommen sei, dass aber umgekehrt eine Reihe von Maßnahmen, insbesondere zur Erkenntnisgewinnung über das journalistische Umfeld, rechtswidrig war, da zwischen dem legitimen Schutzbedürfnis des BND auch die Pressefreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz berücksichtigt werden müsse und die Maßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu bewerten seien.

Regierung und Parteien stellen sich hinter diesen Bericht und fordern unisono eine Reform des Bundesnachrichtendienstes, die solche Verstöße in Zukunft ausschließt. Aber wie soll dies möglich sein? Natürlich kann man neue Dienstanweisungen erlassen – aber auch bisher schon gab es Dienstanweisungen, die nur schlicht nicht eingehalten wurden, bis hin zu der Tatsache, dass der Präsident und das Aufsicht führende Bundeskanzleramt (angeblich) nicht informiert wurden, wo sie hätten informiert werden müssen. Doch selbst wenn Dienstanweisungen immer eingehalten würden: Wie will man selbst dann verfassungsrechtliche Verstöße gegen Artikel 5 Grundgesetz verhindern, wenn nur der Maßstab der Verhältnismäßigkeit hierzu herangezogen werden soll? Dies sind doch nur „juristische Zwirnsfäden“, die in der Realität leicht zerrissen werden.

Insbesondere deshalb, weil die Einhaltung dieser Verhältnismäßigkeit, die Einhaltung etwaiger Dienstanweisungen doch nur durch den Geheimdienst selbst überwacht werden kann. Und wo auf Erden funktioniert eine Kontrolle, wo der zu Kontrollierende sich selbst kontrolliert?

Der BND ist ein Geheimdienst. Das Wesentliche eines Geheimdienstes ist, dass er geheim arbeitet – und wenn niemand erfährt und niemand erfahren darf, was eine geheime Behörde tut, weil ihr Handeln dann ja nicht mehr geheim wäre und folglich nicht effektiv sein könnte, wer soll dann kontrollieren können? Dies geht ja so weit – vermutlich sogar zu Recht –, dass aus Gründen des Quellenschutzes neben dem V-Mann-Führer nicht einmal der Vorgesetzte erfährt, wer denn der V-Mann ist.

In Band 17 ihrer Schriftenreihe, in der Broschüre „Weg mit dem Verfassungsschutz, der unheimlichen Staatsgewalt“ (Erstauflage 1990, 4. Aufl. 1993) hat die Humanistische Union nachgewiesen, dass Geheimbehörden einerseits, Demokratie und Rechtsstaat andererseits wie Feuer und Wasser sind. Demokratie und Rechtsstaat basieren auf Öffentlichkeit und durch Öffentlichkeit ermöglichte Kontrolle. Geheimdienste verhindern diese per se. Sie sind eine „(un)heimliche Staatsgewalt“ (so schon der Titel des Memorandums der HU zum Verfassungsschutz von 1981). Ebenso ist die alte These der Humanistischen Union, dass Geheimdienste überflüssig sind, weil sie zur Sicherheit in Wirklichkeit nichts beitragen, heute so richtig wie früher. Ja, Geheimdienste sind gefährlich für die Demokratie: In seinem Volkszählungsurteil (BVerfG 65, 1, 43) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden (…) Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen, wird möglicherweise auf die Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Artikel 8, 9 Grundgesetz) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“ Die Zentralaussage dieses Urteils lautet: Die geheime Beobachtung von Bürgern verhindert deren freie Entfaltung und unbekümmerte Nutzung ihrer Grundrechte und schadet damit der Demokratie.
Damals im Fokus waren in erster Linie die Grundrechte der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Nach den jetzt aufgedeckten Aktionen des BND bei Journalisten steht die Pressefreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz auf dem Spiel: Welcher Journalist und welcher Informant wird sich noch ungeschützt und ohne Argwohn mit Journalisten unterhalten, wenn er fürchten muss, dass dieser Journalist eine Quelle des Geheimdienstes ist? Nur die Abschaffung der überflüssigen Geheimdienste vermag diese Gefährdung der Demokratie zu beseitigen.

Till Müller-Heidelberg
langjähriger Vorsitzender und Beiratsmitglied der HU

Literatur:

Müller-Heidelberg, Till: Geheime Nachrichtendienste und Rechtsstaat, in: Humanistische Union (Hg.), Innere Sicherheit als Gefahr (Schriftenreihe der Humanistischen Union, Band 23), S. 151-155.

Die gekürzte Fassung des „Schäfer-Berichts“ zur Bespitzelung von Journalisten durch den BND ist abrufbar unter: http://www.bundestag.de/parlament/gremien/kontrollgremien/parlkon/bnd_bericht.pdf

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