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Solidarität der Frauen

25. Februar 1975

Rede auf der Frauenkundgebung am 25. Februar 1975 in München. In: vorgänge Nr. 14 (2/1975), S. 7/8

Als Bürgerrechtsorganisation hat sich die Humanistische Union seit 1969 für eine umfassende Reform des Abtreibungsparagraphen eingesetzt, der unserer Meinung nach nicht mit Artikel 1, 2 und 3 des Grundgesetzes vereinbar ist. Diese Artikel beginnen mit den Worten: Die Würde des Menschen ist unantastbar – Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit – Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Die Humanistische Union hat dafür gekämpft und wird es auch weiter tun, daß diese Artikel des Grundgesetzes endlich auch für uns Frauen Gültigkeit haben.

Doch heute am 25. Februar haben alle Frauen der Bundesrepublik Deutschland erfahren, daß weiterhin ihre Rechte mit Füßen getreten werden, daß sie weiterhin unterdrückt werden sollen. Wir fordern deshalb auch heute wieder das Selbstbestimmungsrecht über unseren Körper, die alleinige Verantwortung dafür, ob und wann wir ein Kind haben wollen.

Denn es ist Augenwischerei, wenn vorwiegend Männer behaupten, „werdendes Leben” schützen zu müssen, wenn diese Männer sich weder vorher aktiv an der Verhütung ungewollter Schwangerschaften beteiligen (Wer nimmt die Pille über Jahre und Jahrzehnte?) noch nachher sich für „geborenes Leben” gleichermaßen verantwortlich fühlen.

Für das uneheliche Kind oder Kinder aus geschiedenen Ehen ist überwiegend die Frau verantwortlich, denn mehr als 60% aller Väter machen Schwierigkeiten bei Unterhaltszahlungen.

Auch für die ehelichen Kinder sorgt wiederum allein die Frau, gibt ihren Beruf auf, ist für Jahre unbezahlte Haushaltskraft und hat es schwer, wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Sind beide berufstätig, wird die Doppelbelastung Beruf/Familie immer noch von der Frau allein getragen.

Wo also bleibt eine angemessene und spürbare Verantwortung der Männer für das „geborene Leben”?

Das Urteil über den § 218 zwingt uns dazu, nochmals zu sagen, was diejenigen erreichen, die uns zwingen wollen, ein Kind auszutragen:

1. Sie werden erreichen, daß Frauen weiterhin abtreiben

– weil sie schon mehrere Kinder haben und kein weiteres aufziehen können
– weil es keinen ausreichenden Mutterschutz gibt und der Arbeitsplatz auf dem Spiel steht
– weil der Beruf aufgegeben werden müßte, der für viele Frauen den Lebensinhalt darstellt
– weil ledige Mütter die Verachtung der Gesellschaft fürchten
– weil sie selbst noch Kinder sind
– weil die Doppelbelastung Beruf/Familie immer noch von der Frau alleine getragen werden muß und viele Frauen müssen diesen Schritt mit gesundheitlichen Schäden oder gar ihrem Tod bezahlen.

2. Sie werden erreichen, daß Kinder in eine kinderfeindliche Welt geboren werden:

– ca 1 Millionen Kinder haben kein eigenes Bett
– 70% aller Kinder haben keinen Kindergartenplatz
– es gibt viel zu wenig Spielplätze, die Kinder spielen und verunglücken auf den Straßen
– Schulkinder sitzen in überfüllten Klassen
– jährlich sterben mindestens tausend Kinder an den brutalen Mißhandlungen ihrer Eltern
– oder sie werden als ungewollte Kinder in Heime gesteckt, wo eine Erziehung auf sie wartet, die diesen Namen nicht verdient.

Aus dem Heer ungewollter und verlassener Kinder (man schätzt, daß es 96% aller Heimkinder sind) kommen später dann verwahrloste Jugendliche und kriminelle Erwachsene.

Was können wir Frauen tun, was müssen wir tun? Als erstes, wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, sondern müssen die vielfältigen und noch unerledigten Aufgaben in Angriff nehmen.

Zum Beispiel:

– Die Reform des § 218 bleibt weiterhin von existenzieller Bedeutung für uns
– Wir fordern Sexualerziehung und umfassende Aufklärung der Kinder in Kindergarten und Schule
– Wir fordern Verhütungsmittel für Männer
– freien und kostenlosen Zugang zu allen Verhütungsmitteln
– gleiche Ausbildungschancen für Mädchen
– gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit
– Hausfrauengehalt
– gleiche Verantwortung der Männer für Familie und Haushalt bei Berufstätigkeit der Frau
– 200 %ige Alimente und Unterhaltszahlungen für Kinder
– kindgerechte Wohnungen
– mehr und bessere Kindergärten und Spielplätze
– kleine Schulklassen und endlich mehr Ganztagsschulen usw.

Die Aktionen um den § 218 haben zu der größten gemeinsamen Kampagne aller Frauengruppen geführt. Diese Gemeinsamkeit sollte auch nicht durch den Urteilsspruch aus Karlsruhe zerstört werden.
Die Humanistische Union ruft bei dieser Gelegenheit alle Frauen auf, nicht isoliert zu bleiben, sondern sich einer Gruppe oder einer Organisation anzuschließen.

Wir Frauen sind in der Bevölkerung zahlenmäßig überlegen. Es muß uns endlich gelingen, maßgeblichen Einfluß auf die Politik der Männer auszuüben.

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