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Stellung­nahme zum Gesetz­ent­wurf "Abwehr von Gefahren des inter­na­ti­o­nalen Terrorismus durch das Bundes­kri­mi­nalamt"

12. September 2008

anlässlich der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 15. September 2008

In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Koalition vom 17. Juni 2008 kritisiert der stellvertretende Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Dr. Fredrik Roggan, den Gesetzentwurf: Zum Teil überschreite der Bund seine Gesetzgebungskompetenzen, hebele den Grundrechtsschutz der Betroffenen aus und lasse dem BKA freie Hand, inwiefern es unbeteiligte Dritte vor irrtümlichen Überwachungen schütze. Einen Beweis für den sicherheitspolitischen Nutzen des ganzen Pakets seien die Autoren bis heute schuldig geblieben. Sie finden hier eine Zusammenfassung der Stellungnahme: 

1. Keine Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz des Bundes für die vorbeugende Verbre­chens­be­kämp­fung

Nach § 4a I BKAG-E soll das Bundeskriminalamt nicht nur (konkrete) Gefahren des internationalen Terrorismus abwehren, sondern auch vorbeugende Verbrechensbekämpfung leisten. Der Gesetzgeber beruft sich dabei auf die in der Förderalismusreform (Art. 73 I Nr. 9a Grundgesetz) eingeführte Zuständigkeit des Bundes für „die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht“. Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung ist jedoch kein als Unterfall der Gefahrenabwehr, der Bund hat dafür keine Gesetzgebungskompetenz. Die Gefahrenabwehr richtet sich immer gegen eine konkrete Gefahr, während mit der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung die abstrakte Gefahr der Begehung von Straftaten abgewehrt wird. Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung stellt deshalb eine eigenständige, dritte Polizeiaufgabe dar, neben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr. Sämtliche Befugnisse des Gesetzentwurfs, die keine konkrete Gefahr für einen Eingriff des BKA voraussetzen, sind als kompetenzwidrig anzusehen.

2. Keine Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz des Bundes für die allgemeine Gefah­re­n­ab­wehr

Den vorgeschlagenen Regelungen zur Identitätsfeststellung, zum Platzverweis, der Gewahrsamname sowie der Durchsuchung von Personen und Sachen fehlt jeglicher Bezug zur Abwehr terroristischer Gefahren. Bei den vorgeschlagenen Befugnissen handelt es sich um Standardmaßnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr aus den Landespolizeigesetzen. Sie sind in der vorgeschlagenen Formulierung weder auf die Abwehr terroristischer Gefahren begrenzt, noch lässt sich erkennen, worin ihr Beitrag zur Abwehr terroristischer Gefahren bestehen könnte. In der vorgelegten Fassung unterliegen diese Befugnisse jedenfalls nicht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Artikel 73 Abs. 1 Nr. 9a GG; s. Punkt 1).

3. Lücken­hafter Schutz der Intimsphäre

Der Gesetzentwurf sieht nur bei bestimmten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen einen Schutz der Intimsphäre vor, so beim sog. „Kleinen Lauschangriff“ (zur Eigensicherung der Beamten, § 16 Abs. 1a), dem Großen Lauschangriff ( § 20h Abs. 5), der Online-Durchsuchung ( § 20k Abs. 7) und der Telefonüberwachung ( § 20l Abs. 6 BKAG-E). Der Kernbereich privater Lebensgestaltung ist aber bedingungslos zu gewährleisten, sein Schutz vor jeglicher staatlichen Überwachung leitet sich aus dem Gebot der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG) ab. Der Schutz der Intimsphäre müsste deshalb für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen (etwa auch den Einsatz verdeckter Ermittler) gelten, bei denen das Risiko einer Verletzung der Intimsphäre besteht.

Darüber hinaus soll der Schutz des Kernbereichs bei heimlichen Online-Durchsuchungen de facto ganz abgeschafft werden: Nach dem Gesetzentwurf sei eine Online-Durchsuchung nur dann unzulässig, wenn die Durchsuchung des Computers „allein“ Erkenntnisse aus dem Intimbereich zutage fördert. Solche Fälle gibt es praktisch nicht. Der Gesetzgeber sollte auf Ermittlungsmethoden verzichten, die nicht einmal die Minimalstandards des Intimsphärenschutzes gewährleisten können.

4. Richter­vor­be­halt teilweise außer Kraft gesetzt

Der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, die in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, bedarf grundsätzlich einer vorherigen richterlichen Prüfung. Der Richtervorbehalt soll eine vorbeugende Kontrolle der geplanten Überwachungsmaßnahmen durch eine neutrale Stelle gewährleisten. Die richterliche Kontrolle darf nur in begrenzten Ausnahmefällen, etwa bei Gefahr im Verzuge (etwa während der Nachtzeiten), ausgesetzt werden und ist dann unverzüglich nachzuholen. Der Gesetzentwurf sieht jedoch Ausnahmeregelungen für besondere Eilfälle bei Maßnahmen wie der Quellentelekommunikationsüberwachung, dem Einsatz verdeckter Ermittler oder der Online-Durchsuchung vor, die sich durch erhebliche Vorbereitungszeiten auszeichnen. Für die genannten Methoden sind kaum Eilfällen denkbar, in denen eine vorherige richterliche Entscheidung nicht einzuholen wäre – der Gesetzentwurf verletzt insofern den Anspruch nach effektiven prozessualen Grundrechtsschutz.

5. Starke Zweifel an der Notwen­dig­keit und Effek­ti­vität von Raster­fahn­dungen und Online-­Durch­su­chungen

Weder für Rasterfahndungen noch für Online-Durchsuchungen hat der Gesetzgeber bisher nachhaltig begründen können, warum diese weitreichenden Eingriffe unverzichtbar seien. Alle nach 2001 durchgeführten Rasterfahndungen brachten außer zahlreichen Ausforschungen unschuldiger Menschen keine verwertbaren Ergebnisse, die zur Erhöhung der Sicherheit beigetragen hätten. Die Forderungen nach heimlichen Online-Durchsuchungen gleichen eher der Beschwörung einer neuen „Wunderwaffe“ im Kampf gegen den Terrorismus, ihr Sicherheitsgewinn erschöpft sich in ungedeckten Behauptungen. Auf Rasterfahndungen und Online-Durchsuchungen sollte deshalb verzichtet werden!

Wenn sich der Gesetzgeber dennoch entscheidet, diese Methoden dem BKA zu gestattet, so wäre er mindestens verpflichtet, die praktischen Auswirkungen und die Effektivität dieser Maßnahmen nachträglich zu überprüfen. Eine Befristung der Befugnisse sowie ihre Evaluation durch unabhängige Stellen, nach wissenschaftlich nachvollziehbaren Kriterien (zu denen auch die Verhältnismäßigkeit im Bezug auf Dritte gehört) wäre unerlässlich.

6. Online-­Durch­su­chungen sind unnötig, da die Verfolgung terro­ris­ti­scher Verei­ni­gungen i.d.R. vor der Gefah­re­n­ab­wehr einsetzt

Bei der Verfolgung terroristischer Aktivitäten nach den § § 129a/b Strafgesetzbuch setzt die Strafverfolgung i.d.R. weit vor dem Entstehen einer konkreten Gefahr ein, da sich der Straftatverdacht hier bereits aus den sog. Organisationsdelikten (Mitgliedschaft, Unterstützung oder Werbung für terroristische Vereinigungen) ergibt. Bei allen Konstellationen, in denen ein strafprozessualer Anfangsverdacht besteht und die Gefahrenabwehr nicht unzweifelhaft im Vordergrund steht, müssen die Ermittlungsbehörden deshalb auf repressive Eingriffsbefugnisse (die Regelungen der StPO) zurückzugreifen – eine Online-Durchsuchung ist dann nicht anwendbar. Eine Online-Durchsuchung käme nur dann in Frage, wenn eine dringende Gefahrenabwehr zum Schutz von hochrangigen Rechtsgütern (etwa Gefahren für Leib und Leben) zu besorgen wäre.

7. Die vorge­schla­genen Regelungen zur Online-­Durch­su­chung verstoßen gegen den Geset­zes­vor­be­halt für Grund­recht­s­einschrän­kungen und das Prinzip der Verhält­nis­mä­ßig­keit

Der Gesetzentwurf überlässt es dem BKA, wie es die Schadsoftware für die Online-Durchsuchung (der „Bundestrojaner“) auf den Zielrechner einbringt. Das kann von außen (über eine bestehende Internetverbindung oder eine zugespielte Schadsoftware), aber auch durch einen direkten physischen Zugriff geschehen. In beiden Fällen wird die Vertraulichkeit und Integrität des Computers, u.U. auch das Fernmeldegeheimnis (beim Aufspielen über das Internet) oder das Wohnungsgrundrecht (beim physischen Zugriff auf den heimischen Rechner) verletzt. Es ist mit dem Gesetzesvorbehalt unvereinbar, dass der Behörde hier keinerlei begrenzende Vorgaben gemacht werden, auf welchem Weg sie in den Computer eindringen darf.

Von den jeweiligen Zugangsszenarien hängt zugleich in entscheidendem Maße ab, wie hoch die Gefahr einer irrtümlichen Durchsuchung der Rechner Unbeteiligter ist. Insbesondere die Infiltration von „außen“ (via Internet, Mailanhang, zugespielter CD etc.) birgt ein erhebliches Risiko der Durchsuchung des falschen Rechners, wie nicht zuletzt ein Techniker des BKAs vor dem Verfassungsgericht einräumen musste. Indem der Entwurf auf gesetzliche Vorgaben für den Zugriffsweg verzichtet, wird die Durchsuchung der Rechner unbeteiligter Dritter billigend in Kauf genommen. Der Gesetzgeber überlässt es dem BKA, ob und wie weit es Vorkehrungen trifft, um digitale Kollateralschäden zu vermeiden. Das ist mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit für Grundrechtseingriffe nicht zu vereinbaren.

8. Raster­fahn­dungen sind jenseits konkreter Gefahren unzulässig

Aufgrund der Streubreite hat das Bundesverfassungsgericht 2006 entschieden, dass Rasterfahndungen nur dann zulässig sind, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt. Der Entwurf des BKA-Gesetzes unterschreitet diese Schwelle, indem bereits Vorbereitungshandlungen zum Anlass für eine Rasterfahndung herhalten sollen. Solche Vorbereitungshandlungen stellen jedoch keine Gefahr dar. Werden Verdächtige bei solchen Handlungen beobachtet, lässt sich naturgemäß noch nicht einmal feststellen, ob sie die vermutete Straftat jemals realisieren wollen, die Gefahr in greifbare Nähe rückt. Die Regelung dürfte deshalb verfassungswidrig sein.

Zusammenfassung: Ellahe Amir-Haeri & Sven Lüders

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