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Straf­ver­schär­fung für Widerstand gegen Vollstre­ckungs­be­amte – ein falsches Signal mit fragwür­diger Begründung

04. Juni 2012

Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 10/11

Nach jahrelanger Diskussion um die Strafbarkeit des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Strafgesetzbuch – StGB) haben Polizeigewerkschaften und konservative Politiker obsiegt und eine Verschärfung durchgesetzt. Am 5. November 2011 trat das 44. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs (BGBl I, 2130) in Kraft. Die Gesetzesänderung hebt vor allem die obere Strafrahmengrenze für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte von zwei auf drei Jahre Freiheitsstrafe an. Außerdem werden weitere Personengruppen – konkret: Feuerwehrleute, Angehörige von Rettungsdiensten und vom Katastrophenschutz – zusätzlich zu den Vollstreckungsbeamten in den Schutzbereich des § 113 StGB einbezogenen. Bei der Gesetzesänderung handelt es sich um einen Akt symbolischer Kriminalpolitik, der mit rationalen Argumenten nicht erklärt werden kann.

Nach der bisherigen Gesetzeslage wurden Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte bei Ausübung der Vollstreckung mit einer geringeren Höchststrafe bedroht (max. zwei Jahre Freiheitsstrafe) als sonstige Nötigungshandlungen gegen andere Personen (max. drei Jahre Freiheitsstrafe). Der Gesetzgeber privilegierte die Widerstandshandlung gegenüber der Nötigungshandlung, weil er davon ausging, dass während einer Vollstreckungssituation zwischen einem Staatsbediensteten und einer Bürgerin oder einem Bürger eine besondere emotionale Erregung auftreten kann, die das Unrecht eines gewaltsamen Aufbegehrens reduziert.

Die angeblichen Gründe für die Geset­zes­än­de­rung

Seit mehreren Jahren wurde von Teilen der Polizei und auch in der Politik Stimmung gegen diese als zu milde empfundene Bestrafung gemacht. Begründet wurde der Bedarf nach einer Verschärfung damit, dass sich vor allem Polizeibeamte zunehmend schwerer Gewalt ausgesetzt sehen würden. Dazu wurde zum einen auf die steigenden Fallzahlen bei Widerstandshandlungen in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) verwiesen, zum anderen auf eine Studie zur Gewalt gegen die Polizei vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). Beides ist jedoch als Begründung für die Verschärfung des § 113 StGB ungeeignet.

Zwar weisen die Zahlen in der PKS tatsächlich eine erhebliche Steigerung für die von der Polizei registrierten Fälle von Widerstandstaten auf (Zunahme um 44% zwischen 1993 und 2009). Jedoch sind diese nicht sonderlich aussagekräftig. Da die PKS nur das polizeiliche Registrierungsverhalten abbildet, kann der Anstieg der Fallzahlen also auf einer Veränderung dessen beruhen. Dies gilt ganz besonders für den Tatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Hier hängt die Feststellung einer Überschreitung der Strafbarkeitsschwelle stark von den Bewertungen der beteiligten Beamten ab, denen deswegen ein erheblicher Beurteilungsspielraum für die Frage zukommt, ob Anzeige erstattet wird. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass bestimmte Konfliktsituationen dabei regional unterschiedlich bewertet werden, der Beurteilungsspielraum also unterschiedlich genutzt wird. Dass die Zahlen keinen Trend zu mehr Gewalt gegen Polizisten widerspiegeln, zeigt auch, dass allein von 2009 auf 2010 die erfassten Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte um 12,5 % zurückgegangen sind.

Hinzu kommt, dass die Verschärfung des § 113 StGB mit dem besseren Schutz der Polizisten vor massiven gewalttätigen Übergriffen begründet wurde. Solche Verhaltensweisen werden in der PKS aber nicht als Widerstandshandlungen gem. § 113 StGB erfasst, sondern finden in der Statistik als Körperverletzungsdelikte wieder. Typische Widerstandshandlungen, für die allein § 113 StGB einschlägig wäre, sind etwa das Stemmen gegen die Laufrichtung der Vollstreckungsbeamten oder das Herauswinden aus einem Haltegriff.

Auch die empirische Studie des KFN liefert keine Begründung für die Verschärfung des § 113 StGB. Bei der Studie handelt es sich um eine Opferbefragung, die online durchgeführt wurde und bei der Beamte aus zehn Bundesländern über ihre Erfahrungen aus den Jahren 2005 bis 2009 befragt wurden. Die abgefragten Gewalterfahrungen entsprachen nur teilweise den Tathandlungen, die von § 113 StGB erfasst sind. Der Tatbestand ist zum einen weiter, da er nicht nur die Anwendung von Gewalt (bei der Widerstandshandlung), sondern bereits bei der Drohung mit Gewalt erfüllt ist. Zum anderen ist er enger, da nur Handlungen bei laufenden Vollstreckungsmaßnahmen pönalisiert sind. Zudem ist auch hier zu beachten, dass sich das Strafmaß bei schwerer Gewalt, auf die sich die Befürworter einer Strafverschärfung immer wieder beziehen, eben nicht aus § 113 StGB, sondern aus den Körperverletzungstatbeständen ergibt.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine freiwillige Opferbefragung handelt. Die daraus resultierenden Daten sind also subjektiv geprägt. Sie wurden einmalig für die Jahre 2005 bis 2009 abgefragt und nicht regelmäßig Jahr für Jahr erhoben. Erhebliche Verzerrungen sind deshalb naheliegend. Insbesondere bei den leichteren Übergriffen, die in diesem Zeitraum um 93,5 Prozent zugenommen haben sollen, spielen Erinnerungseffekte eine erhebliche Rolle. So ist kriminologisch belegt, dass länger zurückliegende Ereignisse eher vergessen oder aus Zeitgründen weniger berichtet werden. Dementsprechend war auch ein besonders starker Anstieg von 2008 auf 2009 bei den leichteren Übergriffen zu verzeichnen. Dass dieser Effekt bei besonders schweren Fällen hingegen weniger Bedeutung hat, weil die Erinnerungen an solche Übergriffe länger präsent bleiben, ist daran erkennbar, dass diese in dem untersuchten Zeitraum nicht kontinuierlich zugenommen haben, sondern 2009 fast wieder das Ausgangsniveau von 2005 erreichten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, der Studie belastbare Aussagen über die Entwicklung von Gewalthandlungen gegen Polizeibeamte über mehrere Jahre hinweg zu entnehmen.

Mindestens ebenso wenig nachvollziehbar ist die Begründung dafür, dass nun auch Feuerwehrleute, Angehörige von Rettungsdiensten und vom Katastrophenschutz, in den Schutzbereich des § 113 StGB einbezogen wurden (siehe § 114 III StGB). Strafbar nach dieser Vorschrift macht sich derjenige, der diese Personen beim Hilfeleisten bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert bzw. tätlich angreift. Dem behaupteten besseren Schutz dieser Personen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit dient die Einbeziehung freilich nicht, da entsprechende Handlungen auch nach der bisherigen Gesetzeslage als Nötigung gem. § 240 StGB strafrechtlich verboten waren. Führt das Behindern dazu, dass den in Not Geratenen nicht oder nur verzögert geholfen werden kann und diese dadurch schwerer verletzt werden oder sterben, kommt des Weiteren eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung oder sogar Tötung in Betracht. Auch hier war die Gesetzesänderung also rein symbolischer Natur, um vermeintliche Handlungsfähigkeit zu beweisen.

Es bleibt festzuhalten, dass haltbare empirische Gründe für eine Verschärfung und Erweiterung des Strafrechts bezüglich Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte nicht bestehen. Es war wohl auch diese Einschätzung vieler Experten, die dazu führte, dass das Gesetzesvorhaben Anfang des Jahres 2011 schon einmal auf Eis lag.

Folgen und Bewertung der Geset­zes­än­de­rung

Obwohl die Gesetzesänderung Züge symbolischen Aktionismus trägt, ist zu befürchten, dass sie negative Auswirkungen haben wird.

Dies betrifft zum einen die verzerrte gesellschaftliche Wahrnehmung der Gewalt gegen Polizeibeamte. Bereits im Zuge der Gesetzgebungsdebatte verbreitete sich ein sehr einseitiges Bild der anlasslosen Angriffe auf Polizisten. Diese Bild wird durch die beschlossene Verschärfung des Strafrechts unterstützt. Zu beachten ist jedoch, dass es sich um komplexe Konfliktsituationen handelt, die in der Regel von beiden Seiten mit gewaltsamen Mitteln ausgetragen werden. Die Entstehung und Entwicklung solcher Geschehensabläufe hängt daher maßgeblich auch vom Agieren der Einsatzkräfte ab. Das konkrete Geschehen wird von den Beteiligten dabei meist sehr unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert. Der nun verschärfte § 113 StGB schafft für die Polizei hier die Möglichkeit, Folgsamkeit zu erzwingen und eigene Gewaltanwendung – auch im Nachhinein – zu legitimieren.

Der Beurteilungsspielraum der Polizei bezüglich der Einleitung eines Strafverfahrens ist in dieser Situation besonders problematisch. Dies ist vor dem Hintergrund strukturellen polizeilichen Fehlverhaltens gerade in Konfliktlagen zu sehen, auf die die beteiligten Polizeibeamten oft mit Gegenanzeigen reagieren. Dabei wird im Gegenzug zu einer Anzeige wegen Körperverletzung im Amt ein Ermittlungsverfahren nach § 113 StGB eingeleitet. Die Gegenanzeige soll straf- bzw. dienstrechtlichen Konsequenzen vorgebeugen, sie erfolgt teilweise prophylaktisch. Die polizeiliche Definitionsmacht setzt sich bis zur Hauptverhandlung fort, bei der häufig mangels Sachbeweis Aussage gegen Aussage steht. Dann wird meist den Angaben der Polizeibeamten geglaubt, da sie als neutral und objektiv gelten. Gerade in Verfahren nach § 113 StGB ist das aber nicht der Fall, da sie als Betroffene selbst Beteiligte des Verfahrens mit eigenen Interessen sind.

Als eine weitere Folge der Gesetzesverschärfung kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie zur Verhängung härterer Strafen bei Widerstandshandlungen führt. Zwar kommt der Strafrahmen des § 113 StGB allein regelmäßig nur bei leichten Gewalthandlungen gegen Polizeibeamte zur Anwendung. Für solchen Handlungen erscheint die Verhängung einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren undenkbar. Jedoch werden Widerstandshandlungen seit jeher härter bestraft als sonstige Nötigungshandlungen. Dies könnte durch die höhere Strafobergrenze noch weiter verstärkt werden.

Aus juristischer Sicht wurde mit der Novelle das ohnehin ungeklärte Verhältnis zwischen der Strafvorschrift des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB und derjenigen der Nötigung gem. § 240 StGB weiter verkompliziert. So bleibt etwa ungeklärt, ob die Drohung mit einem empfindlichen Übel (etwa einer Selbstverbrennung) gegenüber Polizeibeamten oder nun auch Rettungskräften strafbar ist oder nicht. Von § 113 StGB werden solche Drohungen, die sich nicht auf Gewaltanwendungen beziehen, nicht erfasst. Der an sich einschlägige § 240 StGB könnte aber wegen der Sonderregelung des § 113 StGB gesperrt sein. Ein juristisches Wirrwarr, das der Gesetzgeber hätte auflösen müssen, anstatt es auszuweiten.

Fazit

Die Erweiterung und Verschärfung der §§ 113, 114 StGB ergibt kaum Sinn: das Strafrecht wurde verkompliziert, der situativen Besonderheit bei Widerstandshandlungen wird nicht mehr hinreichend Rechnung getragen. Im Gegensatz zu früher wird der Widerstand gegen Vollstreckungsmaßnahmen nicht mehr als noch verständliches Handeln angesehen. Die neue Gesetzeslage kann zudem Konflikte zwischen Polizisten und Bürgern verschärfen, da sie einseitig die Definitionsmacht der Polizei stärkt und das Geschehen in entsprechenden Situationen eher aufheizen als entspannen dürfte. Dem besseren Schutz der betroffenen Polizisten dient die Reform jedenfalls nicht.

Dr. Jens Puschke
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freiburger Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht und Mitglied im Bundesvorstand der HU

Informationen:

Singelnstein/Puschke: Polizei, Gewalt und das Strafrecht – Zu den Änderungen beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2011, S. 3473 ff.

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN): Gewalt gegen Polizeibeamte (Zwischenbericht), Hannover 2010, abrufbar unter: http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/polizeifob1.pdf.

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