Symbolpolitik ohne positive Effekte: Humanistische Union wendet sich gegen eine Verschärfung des Strafrechts bei Widerstandshandlungen gegen Polizistinnen und Polizisten
Der Rechtsausschuss des Bundestages berät in einem erweiterten Berichterstattergespräch am Donnerstag, dem 27. Januar 2011, über eine Strafschärfung bei Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB. Die Humanistische Union kritisiert die vorliegenden Gesetzentwürfe des Bundesrates (BT-Drs. 17/2165) und der Bundesregierung (BT-Drs. 17/4143) als reine Symbolpolitik.
Ihr Vorstandsmitglied Dr. Jens Puschke erklärt hierzu: „Die in beiden Gesetzentwürfen vorgesehene Anhebung der Höchststrafe für Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte von zwei auf drei Jahre Freiheitsstrafe führt weder zu einem besseren Schutz von Polizistinnen und Polizisten noch werden hierdurch die in der Öffentlichkeit diskutierten Fälle von schwerer Gewaltanwendung gegenüber staatlichen Bediensteten erfasst.“
In der öffentlichen Diskussion wird der Eindruck erweckt, Polizistinnen und Polizisten werden durch das Strafrecht nur unzureichend vor Gewaltanwendung geschützt. Dies ist falsch. Wie alle Bürgerinnen und Bürger werden auch Polizeibeamtinnen und -beamte durch die Vorschriften des Strafgesetzbuches (StGB) vor Übergriffen geschützt. Gemäß §§ 223, 224 StGB werden daher Körperverletzungshandlungen (einschließlich Versuche) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, bei sog. gefährlichen Körperverletzungen, also etwa bei einem gemeinschaftlichen Vorgehen mit einer anderen Person, sogar mit bis zu zehn Jahren bestraft. Derartige Delikte können also schon bislang mit drastischen Strafen geahndet werden.
Der Anwendungsbereich des § 113 Abs. 1 StGB, der nach bisheriger Rechtslage ein Höchststrafmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, ist also begrenzt auf solche Gewaltanwendungen, die nicht zu Verletzungen der Beamtinnen und Beamten führen und auch nicht führen sollen. Dies betrifft etwa Handlungen wie das Festhalten an einem Lenkrad, das Stemmen gegen eine Tür oder das Wegstoßen des Polizeibeamten bei einer Festnahme. Ebenso ist z. B. auch erfasst, wenn sich jemand einem Polizeifahrzeug im Einsatz in den Weg stellt.
Diese Handlungen erfüllen häufig zugleich den Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB, die mit einem Höchststrafmaß von drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Eine nötigende Handlung, die sich gegen eine Vollstreckungshandlung richtet, wurde somit bislang mit geringerer Strafe bedroht als eine unter sonstigen Umständen vorgenommene Nötigung. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Gesetzgeber bisher anerkannt hat, dass die Situation der Vollstreckung (beispielsweise eine Festnahme, eine Personenkontrolle oder ein Platzverweis) regelmäßig mit großem psychischem Stress und Konfliktpotenzial einhergeht, wodurch der Unrechtsvorwurf regelmäßig reduziert ist. Häufig gehen die Bürgerinnen und Bürger nämlich davon aus, dass die gegen sie gerichteten Maßnahmen nicht rechtmäßig sind, weshalb sie sich hiergegen wehren.
„Eine geringere Strafe bei Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsmaßnahmen als bei sonstigen vergleichbaren Nötigungshandlungen stimmt mit kriminologischen Erkenntnissen überein“, erläutert Jens Puschke. „Diese von § 113 StGB erfassten, zumeist sehr leichten Gewalthandlungen entstehen häufig aus aufgeladenen Konfliktsituationen, die schnell dazu führen können, dass die Betroffenen überreagieren. Dies allerdings einseitig den Bürgerinnen und Bürgern aufzubürden, ist falsch. Auch die Polizistinnen und Polizisten nehmen an dem Konflikt teil. Es ist auch ihre Aufgabe, eine Vertiefung der Spannung möglichst zu vermeiden. Gerade wenn wie häufig Alkohol im Spiel ist, müssen die Vollstreckungspersonen mit äußerster Zurückhaltung und konfliktvermeidend vorgehen.“
Eine Strafschärfung weist demgegenüber einseitig den Bürgerinnen und Bürgern die Schuld an Konflikten mit der Staatsmacht zu. Ihre zumeist wenig eingriffsintensiven Handlungen in solchen Situation wie geplant mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe zu bedrohen, wird dem regelmäßig reduzierten Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht. Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass ein solches Strafmaß von den Gerichten ausgeschöpft wird. Eine entsprechende Gesetzesänderung hätte daher nur symbolischen Charakter.
Die Humanistische Union ist überzeugt davon, dass Ziel staatlicher Bemühungen die bessere Vermeidung von Konflikten zwischen Polizistinnen und Polizisten einerseits und Bürgerinnen und Bürgern andererseits sein muss. Nur so können körperliche Verletzungen, aber auch gegenseitiger Vertrauensverlust verringert werden. Hierzu sind vor allem Maßnahmen erforderlich, die die Konfliktvermeidungs-Kompetenzen der Polizei im Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern weiter verbessern. Auch die von der Humanistischen Union geforderte und in Berlin kürzlich beschlossene Kennzeichnungspflicht kann Auseinandersetzungen verhindern. Kann sich der Adressat von polizeilichen Maßnahmen darauf verlassen, dass diese Maßnahmen später überprüfbar sind und er gegebenenfalls auf rechtlichem Wege gegen die Beamtin oder den Beamten vorgehen kann, so kann dies die konfliktträchtige Ohnmacht in der konkreten Vollstreckungssituation reduzieren.
Der Vorschlag zur Strafverschärfung im Vergleich von alter und neuer Rechtslage:
Bisherige Rechtslage | Vorschlag zur neuen Rechtslage (Änderungen fettgedruckt) |
§ 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig. (4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. | § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn (3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig. (4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. |
§ 114 Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (1) Der Diensthandlung eines Amtsträgers im Sinne des § 113 stehen Vollstreckungshandlungen von Personen gleich, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein. (2) § 113 gilt entsprechend zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung zugezogen sind. | § 114 Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (1) Der Diensthandlung eines Amtsträgers im Sinne des § 113 stehen Vollstreckungshandlungen von Personen gleich, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein. (2) § 113 gilt entsprechend zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung zugezogen sind. (3) Nach § 113 wird auch bestraft, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr oder des Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert oder sie dabei tätlich angreift. |
Literatur:
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 95 (1/2010) – Schwerpunkt: Gewalt gegen/durch Polizei
http://www.cilip.de/ausgabe/i-95.htm
Weitere Informationen der Humanistischen Union zur Kontrolle der Polizei unter:
https://www.humanistische-union.de/shortcuts/polizeikontrolle