Themen / Lebensweisen / Pluralismus / Tagungsprotokoll: Wege zu einer neuen Psychiatrie

Umstruk­tu­rie­rung der stationären Behandlung in Richtung Humani­sie­rung und Demokra­ti­sie­rung

22. Dezember 1980

Arbeitsgruppe I

aus: Wege zu einer neuen Psychiatrie, Protokolle einer Tagung. HU-Schriften 9, München 1980, Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen, Seite 40 – 41

Das Problem der Landeskrankenhäuser wurde im Laufe der Tagung immer weiter nach hinten geschoben. Der Gruppe erscheint dies symptomatisch für die Behandlung dieses Themas überhaupt, sowie für den Prozess, der sich an ungeliebten Patienten innerhalb der Landeskrankenhäuser vollzieht, die von der Akutstation auf mittelfristige Behandlung und dann immer weiter nach hinten geschoben werden. Es ist leichter, sich mit fernliegenden, beeindruckenden Vorgängen wie der italienischen Psychiatriereform zu befassen, als mit Problemen, die hautnah und ansehbar im eigenen „Entwicklungsland“ vor der Tür liegen. Einfache Formen der Demokratisierung lassen sich auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit den Patienten verwirklichen, z.B. die gemeinsame Erarbeitung einer Hausordnung, die freie Entscheidung der Patienten darüber, ob sie Besuchergruppen zulassen möchten oder nicht; insgesamt sollte eine ständige Ermutigung zur Meinungsäußerung und Mitgestaltung stattfinden. Auf der Mitarbeiterseite ist wichtig, dass im Sektor des Aus, Fort und Weiterbildung keinen Wert auf eine formalisierte Zuspitzung und Spezialisierung auf bestimmte Therapieformen gelegt wird, sondern dass allen im Pflegesektor tätigen die Realisierung der eigenen Kompetenz ermöglicht wird, dass Mitarbeiter ohne Angst vor Gängelung oder Angst vor Zwischen fällen und deren Konsequenzen Sicherheit im eigenen Tun gewinnen können. Die Erfahrung von eigener Sicherheit und eigenem Können muss das primäre Ziel des Aus und Weiterbildung sein. Oft kommen Fähigkeiten von Mitarbeitern zwar in privaten Musik oder Sportvereinen zum Tragen, werden aber in der Klinikarbeit nicht genützt, weil die festgefügte Struktur, der festgelegte Tagesablauf und die Überbetonung von Sicherheitsbestimmungen die, Mitarbeit einengen und in die Passivität drängen. Die Arbeitsgruppe bittet die HUMANISTISCHE UNION einen Katalog von Mindestforderungen an die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger öffentlicher Einrichtungen zu richten, ähnlich wie dieser in der Heimgesetzgebung bereits existiert. Die Mindestforderungen sollten als freie Vereinbarung der Träger verabschiedet werden, die Realisierung sollte schrittweise erfolgen und von den Trägern in regelmäßigen Abständen überprüft werden.

Mindestforderungen:

  1. Therapeutische Kontinuität.
  2. Aufbau ambulanter Dienste an jedem Landeskrankenhaus.
  3. Schrumpfung zu einer gemeindenahen Einrichtung bei gleichzeitiger personeller Verbesserung (quantitativ und qualitativ).
  4. Veränderung der inneren Struktur, so dass die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten in vielfältiger Weise einsetzen können.
  5. Keine Investitionen, die der Bettenzunahme oder der Festschreibung der jetzigen Größenordnung dienen, sondern ausschließlich Investitionen zur Qualitätsverbesserung.
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