Themen / Rechtspolitik

Warum ein Buch über eine Bibliothek lesen?

28. August 2006

Rezension zu: „Gefangene Leser“ (hrsg. von Helga Römer)

Mitteilungen Nr. 194, S. 25

So fragt man sich zunächst, wenn man dieses Buch in den Händen hält. Anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens hat die Buch- und Medien-Fernleihe für Gefangene und Patienten ein Buch über ihre Arbeit  herausgegeben. Doch der erste Eindruck trügt: Das Buch ist nicht nur eine Beschreibung der Arbeit und Geschichte der Buch- und Medien-Fernleihe. Der Kern der Lektüre besteht aus einer umfangreichen Auswahl aus der Sammlung von Briefen, die Gefangene der Einrichtung im Laufe der Zeit zusandten.

Die Buch- und Medien-Fernleihe für Gefangene und Patienten ist keine gewöhnliche Bibliothek: Sie steht in erster Linie Gefängnisinsassen, aber auch  Patienten von Landeskrankenhäusern zur Verfügung. Unpersönliche Bestellung per Computerprogramm und standardisierte Rückgabemahnungen und -fristen sind hier nicht üblich. Individuell werden die Ausleihbedingungen an die jeweiligen Anstaltsbedingungen angepasst. Die Buchbestellung erfolgt über Briefe, die auch persönliche Mitteilungen zulassen. Die ehrenamtlich arbeitenden BibliothekarInnen versenden nicht nur bestellte Bücher, sie erledigen für Gefangene – wenn gewünscht – auch die Buchauswahl und -recherche.

Mit einer normalen Gefängnisbibliothek kann man die Fernleihe ebenfalls nicht vergleichen. Die Auswahl ist mit ca. 35.000 Medien umfangreich. Dabei kann die kostenlose Fernleihe besonders Defizite im Bereich der Bildung, mit einem weitaus größerem und aktuellerem Angebot als die meisten Anstaltsbüchereien, ausgleichen. Zudem können auch deutsche Gefangene im Ausland (vorrangig in EU-Ländern) die Dienstleistung nutzen.

Auf zusammengefasst ca. 15 Seiten wird knapp aber informativ die Arbeit der, übrigens nicht staatlich geförderten, Initiative geschildert. Hier wird aufgezeigt, warum es gerade für Gefangene wichtig ist, Bücher lesen zu können und wie diese Möglichkeit zur Resozialisierung beitragen kann. Die Entstehungsgeschichte und der Wiederaufbau der Einrichtung nach einer Brandstiftung im Bücherlager werden dargestellt. Die Arbeitsweise der Bibliothek, Probleme mit der Gefängnisbürokratie, dem Bestandsaufbau und die Finanzierung werden beschrieben.

Diesen Themengebieten zugeordnet finden sich zwischen den einzelnen Textabschnitten Abdrucke von Briefen. Diese Briefe leisten Verschiedenes: Zum einen wird durch sie die Arbeitsweise der Bibliothek plastisch dargestellt, sie zeigen aber auch die Wichtigkeit der Fernleihe für die Gefangenen. LeserInnen können diesen Briefen jedoch noch mehr abgewinnen. Das erste, was einem bei der Lektüre der Briefe auffällt, ist die Vielfältigkeit der Lektüre der Gefangenen. Das Klischee des unintelligenten und faulen Straftäters wird widerlegt, wenn man entdeckt, dass sich Gefangene mit Philosophie beschäftigen, Sprachkurse ausleihen, um die Zeit nicht unnütz vergehn zu lassen, Ergänzungsliteratur zu einem Fernstudium bestellen oder sich selbst mit juristischen Themen, die ihren Prozess betreffen, befassen wollen. Ebenso schwindet das Vorurteil des kalten, gefühllosen Straftäters, wenn man liest, dass Gefangene schön bebilderte Märchenbücher oder Liebesgeschichten anfordern, um dem grauen Gefängnissaltag zumindest zeitweise entrinnen zu können.

Das Buch ist mit seinen 102 Seiten schnell zu lesen. Als nette Lektüre nebenbei ist es durchaus geeignet. Die Briefe wurden größtenteils abgetippt, so dass sie gut leserlich sind. Nur einige wenige Exemplare sind in englischer Sprache geschrieben. Einzelne nette Details, wie z. B. die Photographie einer Zeichnung eines Gefangenen oder der Abdruck besonders schöner Briefe im Orginal, sowie einige Photos der Bibliothek verschönern das Buch. 

Demjenigen, der einen Einblick in die Arbeit der Buch- und Medien- Fernleihe erhalten will, sei dieses Buch empfohlen. Jedoch ist es für diesen Zweck nicht nötig alle Briefe zu lesen. Vieles wiederholt sich in den Schreiben der Gefangenen, so dass die Lektüre einiger Bespiele genügen dürfte. Den Lesern, die sich hauptsächlich für die Briefe interessieren ist zu empfehlen sich hauptsächlich mit den Schreiben in der zweiten Hälfte des Buches zu befassen, da diese ausführlicher und  persönlicher sind, als die im vorderen Buchteil abgedruckten Schreiben, in denen hauptsächlich Ausleihwünsche thematisiert werden.

Judith Ködel
absolviert derzeit ein Praktikum in der Humanistischen Union

Wer sich über die Arbeit des „Kunst- und Literaturvereins für Gefangene und Patienten“ informieren oder sich an der Arbeit des Vereins beteiligen will, kann sich an die folgende Adresse wenden:

Kunst- und Literaturverein für Gefangene
Beratgerstr. 36
44149 Dortmund
Tel. 0231 – 448111 
Internet: www.buch-und-medienfernleihe.de

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