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Weg damit! Gegen Kindes­miss­brauch helfen keine Inter­netsperren

11. September 2009

Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 6-7

Weg damit! Gegen Kindesmissbrauch helfen keine Internetsperren

Liebe Freundinnen und Freunde,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

als Bürgerrechtsvereinigung protestieren wir scharf gegen den „Zugangserschwerungsgesetz“ genannten Einstieg in die Internetzensur. Das am Donnerstag verabschiedete Gesetz soll zwar gegen Kirnderpornographie helfen. Doch tatsächlich hilft es den Missbrauchsopfern nicht, tatsächlich wird eine Löschung von Kinderporno-Seiten schwerer und tatsächlich ist das der Einstieg in Internet-Zensur, in letztlich „chinesische Verhältnisse“. Unter der wohlmeinenden Überschrift wird eine Infrastruktur aufgebaut, mit der alle möglichen Inhalte im Netz zensiert werden können.

Das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz ist ungeeignet und richtet zugleich völlig unverhältnismäßige Kollateralschäden an. Nicht nur Kinderpornografie, sondern sexueller Kindesmissbrauch insgesamt ist abscheulich, ist ein Verbrechen. Darüber sind wir alle uns einig. Doch die neuen „Stopp“-Schilder verhindern keinen Kindesmißbrauch. Leider nutzt die Politik den Konsens, dass Kindesmissbrauch ein Verbrechen ist, dazu aus, um das Beschneiden von Meinungs- und Informationsfreiheit und den Einstieg in Zensur öffentlich akzeptabel zu machen.

Der Blick auf die Fakten

In der Begründung des Gesetzes heißt es – ich zitiere aus der Bundestagsdrucksache (16/13125): „Trotz nationaler und internationaler Anstrengungen zur Täterermittlung und Schließung von Webseiten bleiben Angebote mit kinderpornographischen Inhalten im Internet abrufbar und nehmen beständig zu.“ … Das klingt schlimm. Aber schlimmer noch ist, dass unsere Sicherheitspolitiker nicht mal in die Polizeiliche Kriminalstatistik hineinschauen.

Dort stehen die Zahlen zum sexuellen Kindesmissbrauch im allgemeinen und zur Kinderpornografie im speziellen. Die Zahlen haben es in sich… 2008 gab es rund 22.000 Verdachtsfälle auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, 2007 waren es rund 23.000 Fälle. Die Polizeiliche Kriminalstatistik gliedert das sehr fein auf, nach Exhibitionismus, nach Beischlaf mit Kindern… Dann ist unter der großen, viel zu großen Gruppe von 22.000 Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern auch eine spezielle Gruppe aufgelistet, der „schwere sexuelle Missbrauch von Kindern zur Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften (§ 176a Abs. 3 StGB)“. Das sind 81 Verdachtsfälle.

Wenn man vergewaltigten Kindern helfen will, fängt man damit an, das Internet zu zensieren? Dass nützt den 81 Kindern, die bei pornographischem Missbrauch gefilmt wurden aber auch nicht viel. Vielleicht sollte man beachten, dass der überwiegende Teil des Kindesmissbrauchs in der Familie oder im nahen Umfeld des Kindes passiert; regelmäßig gibt es ganz enge Täter-Opfer-Beziehungen.

Wenn man sich die Polizei-Zahlen ansieht, wird man den Verdacht nicht los, dass mit dem „Zugangserschwerungsgesetz“ rein symbolische Ersatzhandlungen vorgenommen werden. … Wenn der sexuelle Kindesmissbrauch vor allem in den Familien stattfindet und wenn man die Kinder wirklich schützen möchte, dann sollte man sich mal die Familien ansehen. Dabei begibt man sich allerdings in vermintes Terrain.

Denn einerseits geht es darum, in ihrer Familie missbrauchte Kinder vor ihren Familien zu schützen. Andererseits  kann es nicht darum gehen, in jedem Kinderzimmer einen Wachtmeister zu postieren. Hier wäre innovative Familien- und Sozialpolitik gefragt. Wie die aussehen könnte, wie vor allem eine Prävention jenseits von polizeilichen Zwangsmaßnahmen aussehen könnte: das kann ich hier nicht ausführen.

Aber ich muss darauf hinweisen: hier wären in der Familienpolitik dickere Bretter zu bohren als ein dünnes Stopp-Schild ins Internet zu stellen – ein Stopp-Schild, das keinem missbrauchten Kind hilft, aber eine Infrastruktur zur Zensur des ganzen Internets schafft. …
Gerade die Parteien, die den grundgesetzlichen „Schutz von Ehe und Familie“ so plakativ vor sich hertragen, müssen sich fragen lassen, warum sie symbolische Ersatzhandlungen vollziehen, anstatt sich in die Arbeit für einen effektiven Schutz von Kindern auch in der Familie hineinzuknien.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich da manche als Schutzapostel aufspielen, obwohl die Internetzensur den allermeisten Opfern gar nichts hilft.

Kollateralschäden

Allerdings erzeugt die Internetzensur „Kollateralschäden“, wie man das heutzutage nennt. Wie ernst dabei die Informationsfreiheit beschädigt wird, ist nämlich das Kapitel, weshalb wir heute hier stehen.

Wieder einmal lohnt es, einen Blick auf die Feinheiten des Gesetzes zu werfen. Vor Kinderporno-Seiten soll ein Stoppschild aufgestellt werden – aber wie soll das realisiert werden? Solche Zugangssperren lassen sich auf sehr verschiedenen Protokollebenen vornehmen – und treffen dann einzelne Dateien, einzelne Verzeichnisse, ganze Domains oder ganze Rechner.

Rechner, auf denen sehr viele Domains liegen können. Die Auswahl, wie gesperrt wird, überlässt das Gesetz dem BKA und den Providern. Damit wird die Streuwirkung einer Sperrung, die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme allein der Exekutive bzw. den Ausführenden überlassen. Und vor wievielen ganz legalen Seiten urplötzlich ein Stopp-Schild auftaucht – seien’s bloße Informationen oder Web-Shop’s -, wieviele Stopschilder da auftauchen, bloß weil sie auf dem selben Server gehostet sind, davon kann man sich dann überraschen lassen! …
Das BKA soll diese Sperrliste erstellen und an die Provider übermitteln.

Die sollen die Stoppschilder schalten – und zugleich die Listen vollständig und sicher vor dem Zugriff unbefugter Personen verwahren, sonst droht satte Geldstrafe. Wer darauf landet, hat zunächst keine Chance, sich dagegen zu wehren. Keine Chance, den Verdacht unabhängig überprüfen zu lassen, ob die Seite nun tatsächlich Kinderporno enthielt – oder vielleicht ganz andere, vollkommen harmlose Inhalte.

Kinderpornografie ist ein Verbrechen – einerseits. Andererseits kann man den Vorwurf „Kinderporno“ als Totschlagargument nutzen. Bei zu vielen Leuten hört dann jede kritische Betrachtung auf, setzt ein Zuschlag-Reflex ein, wo ein kritischer Blick nötig wäre… Dabei sind die Kontrollmöglichkeiten deutlich schlechter. Nach Diskussion im Innenausschuss soll das BKA jetzt von einem „Expertengremium“ kontrolliert werden. Die fünf Mitglieder sind dann berechtigt, die ansonsten hochgeheime Sperrliste einzusehen.

Mindestens einmal im Quartal soll sich das Expertengremium treffen, um die Liste stichprobenartig zu überprüfen. Und das soll ein wirksamer Schutz vor falscher Sperrung sein?
Schon wenn man sich anschaut, wen Ursula von der Leyen in das Gremium berufen will, kommen einem arge Zweifel: Fünf Juristen sollen es sein, der Bundesdatenschutzbeauftragte soll dazugehören. Peter Schaar hat schon abgewunken – das sei nicht seine Kompetenz.

Ich frage: Wäre da eine Stelle wie etwa die Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften nicht erheblich besser geeignet als ein Datenschutzbeauftragter? … Dort könnte man eher die Kompetenz vermuten, um zu unterscheiden, was tatsächlich Kinderporno ist und was beispielsweise die Verbandszeitschrift eines FKK-Vereins…

Einstieg in die Zensur­ge­sell­schaft

Mit dem Zugangserschwerungsgesetz haben wir eine dicke Gefahr für unsere freie Gesellschaft.

Es ist richtig, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Aber was sind die richtigen Mittel? Was sind angemessene Mittel für eine freie Gesellschaft? Liberalität aufzubauen war ein langer Kampf, ich erinnere bloß an die Ausstellung schräg gegenüber im Historischen Museum über die „68er“ und deren Kampf gegen die miefige, spießige Adenauer-Ära.

Wenn aus der Diskussion um wirksamen und angemessenen Schutz für Kinder hysterischer, blinder Aktionismus wird, dann könnte man auch Tschador oder Burka für minderjährige Mädchen fordern. Wenn man aber sieht, was das Internet, was freier Informationszugang für die Chinesen oder Iraner bedeutet, die jetzt darum kämpfen, dann kann man das Zensurgesetz nur ablehnen.

Das sogenannte „Zugangserschwerungsgesetz“ dient nicht dem Löschen von Kinderporno und dient nicht der Täterverfolgung. Aber es greift massiv in Grundrechte und Freiheit von vielen, auch Unbeteiligten ein: Darum weg damit!

Peter Menne,
Vorsitzender des Ortsverbandes Frankfurt/Main

Die hier leicht gekürzt wiedergegebene Rede hielt Peter Menne auf der Demonstration „Löschen statt Sperren“, die das Frankfurter Aktionsbündnis gegen Internetzensur am 20. Juni 2009 in Frankfurt/Main veranstaltete. Mitschnitte der Reden sowie Bilder der Veranstaltung unter: http://wiki.piratenpartei.de/LoeschenStattSperren#Frankfurt.

Die vollständige Version der Rede finden Sie im PDF-Anhang.

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