Themen / Innere Sicherheit

Wer kontrol­liert wen?

09. Oktober 2016

Zwischenbericht aus dem NSA-Untersuchungsausschuss. In: vorgänge Nr. 215 (Heft 3/2016), S. 3-11

Der 1. Untersuchungsausschuss des Bundestages in der laufenden Wahlperiode arbeitet seit inzwischen zweieinhalb Jahren an der Aufklärung der von Edward Snowden aufgedeckten Geheimdienstaktivitäten in Deutschland. Es ist zu früh für eine abschließende Bestandsaufnahme, denn die Beweisaufnahme wird noch bis zum Frühjahr 2017 fortgesetzt werden. Der folgende Beitrag von Anne Roth beschränkt sich deshalb auf eine Übersicht der bisher behandelten Themen und der dabei festgestellten Fakten.

Der erste Artikel, der auf den Snowden-Dokumenten basierte, wurde Anfang Juni 2013 veröffentlicht, mitten im Bundestagswahlkampf für die aktuelle Legislatur. Am 12. August, zwei Monate später und knapp vor der Wahl, erklärte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die Affäre für beendet, gerade noch rechtzeitig vor der Wahl. Als Argument diente dabei, die NSA habe schriftlich versichert, sie würde „Recht und Gesetz in Deutschland einhalten“, zudem sei der Bundesregierung ein No-Spy-Abkommen angeboten worden. (Diese ‚Zusage‘ wurde später ausführlich im Untersuchungsausschuss behandelt.)

Bereits in der 2. Sitzung der neuen Wahlperiode am 18. November debattierte der Bundestag über die Abhöraktivitäten der NSA und deren Auswirkungen auf Deutschland, und während dieser Debatte auch die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses sowie die Frage, ob und wie Edward Snowden Fragen der Abgeordneten beantworten solle. Der Sitzung vorangegangen waren Anträge der Oppositionsfraktionen Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen, die die Aufklärung der Überwachung durch die Five Eyes (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) forderten sowie den Schutz des Whistleblowers Edward Snowden durch Aufenthalt in Deutschland.

Eingerichtet wurde der Untersuchungsausschuss nach mehrmonatiger Diskussion zwischen den Fraktionen einstimmig am 20. März 2014. Der fünfseitige Untersuchungsauftrag(1) legt den Schwerpunkt auf die Aufklärung der Überwachung der Nachrichtendienste der Five Eyes in Deutschland und die Beteiligung deutscher Dienste daran, im Zeitraum Anfang 2001 bis zur Einsetzung des Ausschusses. Der zweite Abschnitt des Auftrags betrifft im Besonderen die mögliche Überwachung der Bundesregierung und des Bundestages und anderer Verfassungsorgane, und im dritten Teil wird der Ausschuss aufgefordert, Empfehlungen zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung und zum Schutz der IT-Systeme auszusprechen. Dem Geheimen Krieg sind zwei spezifische Fragestellungen gewidmet, mit denen untersucht werden soll, ob die Steuerung von US-Kampfdrohnen von Deutschland aus stattfand und ob die Bundesregierung daran in irgendeiner Weise beteiligt war, sowie ob US-Behörden in Deutschland Asylbewerber_innen befragt haben.

Der Zeuge Edward Snowden

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses haben in der 3. Sitzung am 8. Mai 2014 einstimmig beschlossen, als ersten Zeugen Edward Snowden zu benennen. Geladen wurde er allerdings bis heute nicht, da die Koalitionsfraktionen jeden entsprechenden Antrag mit dem Verweis abgelehnt haben, die Bundesregierung müsse zuerst entscheiden, ob Snowden überhaupt Aufenthalt in Deutschland gewährt werden könne. Da der Bundesregierung aber nicht bekannt sei, was ihm strafrechtlich vorgeworfen werde, sei diese Entscheidung nicht möglich. Am 25. September 2014 haben die Oppositionsfraktionen schließlich Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht mit dem Ziel, als Minderheit im Ausschuss die Vernehmung des benannten Zeugen Snowden im Ausschuss zu erzwingen. Im Dezember wies das Verfassungsgericht die Klage als unzulässig zurück.(2) Das Justizministerium, regelmäßig befragt nach dem Voranschreiten der Bemühungen, von der US-Regierung eine Auskunft zum Gegenstand der Ermittlungen gegen Edward Snowden zu bekommen, konnte nach eigener Darstellung bis jetzt nichts herausfinden. Auch die Erklärungen verschiedener Sachverständiger aus den USA, die verblüfft darauf hinwiesen, dass die Vorwürfe gegen Snowden öffentlich und im Internet zu finden seien, haben an dieser Sichtweise des Justizministeriums nichts geändert.

Im August 2016 reichte die Opposition schließlich einen Antrag beim Bundesgerichtshof mit dem Ziel ein, die Beschlussfassung zur Ladung Snowdens vor den Ausschuss zu erzwingen. Eine Entscheidung des Gerichts steht noch aus.

Behin­de­rungen durch die Bundes­re­gie­rung

Die Aufklärung der Geheimdienstaffäre durch den Untersuchungsausschuss wurde von Beginn durch die Bundesregierung in verschiedener Weise behindert:

Die gelieferten Akten wiesen umfangreiche Schwärzungen auf, bis zu komplett geschwärzten Seiten, so dass eigens ein Clearing-Verfahren zwischen Bundesregierung und Untersuchungsausschuss eingerichtet werden musste, um die Notwendigkeit der Schwärzungen im Einzelfall zu besprechen. Im Ergebnis wurden Schwärzungen zurückgenommen, allerdings war das Verfahren so aufwändig, dass es für die Opposition dauerhaft nicht zu leisten war, sich daran zu beteiligen.

Viele Akten wurden von der Bundesregierung durch die Einstufung als ‚vertraulich‘, ‚geheim‘ oder ‚streng geheim‘ der Verwendung in öffentlichen Anhörungen entzogen: Auch über die Geheimhaltungsstufen gibt es zahlreiche Auseinandersetzungen.

Die meisten Auswirkungen auf die Aufklärung hat aber das so genannte ‚Konsultationsverfahren‘: Die Bundesregierung verweigert dem Untersuchungsausschuss alle Akten, die zu Kooperationen mit den Geheimdiensten der Five Eyes entstanden sind und verunmöglicht damit faktisch die Untersuchung dieser Kooperationen, also des Kerns des Untersuchungsauftrags. Sie verweist dabei auf die sog. ‚Third-Party-Rule‘, wonach beide Partner einer solchen Kooperation jeweils zu konsultieren seien, bevor Akten an Dritte weitergegeben werden können. Der Bundestag wird nach dieser Lesart kurzerhand als Dritte Partei definiert, mit dem Effekt, dass die Bundesregierung die Regierungen der USA, Großbritanniens etc. um Zustimmung bittet, bevor sie entsprechende Akten an den Ausschuss übergibt. Dies bezieht sich nicht nur auf ursprünglich amerikanische, britische etc. Akten, sondern auf alle, die die Kooperation berühren, also etwa auch solche Akten, die in Deutschland entstanden sind: beispielsweise Protokolle gemeinsamer Gespräche.

In den wenigen Fällen, in denen die Five-Eyes-Regierungen einer Übergabe an den Ausschuss zustimmen, handelt es sich um wenige Blätter aus vermutlich deutlich umfangreicheren Akten.

Chronologie der behandelten Themen

Der Untersuchungsausschuss folgt dem Öffentlichkeitsprinzip und begann, noch bevor die Bundesregierung den ersten Beweisbeschlüssen folgte und im Verlauf des Sommers 2014 erste Akten an den Ausschuss übergab, mit öffentlichen Anhörungen von Sachverständigen.

In der ersten Anhörung am 22. Mai 2014 bescheinigten Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem und Prof. Dr. Matthias Bäcker der Bundesregierung, dass die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes im Ausland von einer falschen Annahme ausgeht: Dass sich nämlich der Schutz des Artikels 10 des Grundgesetzes (G10) nur auf Deutsche beziehe. Alle drei Verfassungsrechtler betonten die sehr eng gefassten rechtlichen Grenzen für die Arbeit der deutschen Nachrichtendienste. Im klaren Widerspruch zur Auffassung der Bundesregierung – bis heute – erklärte Prof. Papier zum Grundrecht auf Schutz der Telekommunikation: „Artikel 10 schützt als Menschenrecht und damit gemäß seinem weiten personellen Schutzbereich nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer.“(3)

Erstes Thema der Beweisaufnahme war ab September 2014 die Kooperation von NSA und BND in der ehemaligen US-Basis in Bad Aibling, inzwischen Außenstelle des BND. In Bad Aibling befinden sich seit den 50er Jahren Satellitenabhöranlagen. Inzwischen beherbergt das Gelände die gemeinsam betriebene Auswertungsstelle ‚Joint Sigint Activity‘ (JSA).

Frau Dr. F., Datenschutzbeauftragte des BND, sagte aus, dass es mehrere vom BND geführte Dateien gebe, für die es keine Dateianordnungen gebe. Dateianordnungen sind im auch für den BND geltenden Bundesdatenschutzgesetz vorgeschrieben und definieren u.a. den Zweck von Datensammlungen. Sie beschrieb auch die ‚Weltraumtheorie‘ des BND: Wenn der BND an Satelliten Daten erfasst, so finde dies im Weltraum und damit nicht auf deutschem Boden statt. Daraus leitete die Behörde ab, dass für an Satelliten erfasste Daten das BND-Gesetz und die darin enthaltenen Datenschutzvorschriften nicht gelten würden.

Eine weitere Theoie des BND wurde im November 2014 durch die Aussage des früheren BND-Juristen Burbaum bekannt: Die ‚Funktionsträgertheorie‘. Sie beschreibt die Auslegung des BND, dass deutsche Staatsbürger_innen den G10-Schutz dann verlieren, wenn sie im Ausland für nicht-deutsche Firmen, Presse oder Institutionen arbeiten und in dieser Funktion kommunizieren. Das Grundrecht gilt nach Lesart des BND für Deutsche im Ausland nur dann, wenn sie privat kommunizieren.

Operation Eikonal

Parallel zur Beschäftigung mit der JSA rückte durch Presseveröffentlichungen eine Operation in den Fokus, die der BND gemeinsam mit der NSA in den Jahren 2004 – 2008 durchgeführt hatte: die Operation Eikonal.

Diese Operation wurde in abstrakter Form von Edward Snowden als typisches Modell der Kooperationen zwischen der NSA und anderen Nachrichtendiensten beschrieben: Die NSA liefert Hard- und Software und erhält dafür die damit erfassten Daten aus einem befreundeten Land. Im Rahmen von ‚Eikonal‘ wurden vom BND Daten aus Leitungen der Telekom an einem Netzknoten in Frankfurt/Main erfasst, ohne erforderliche rechtliche Grundlage. Stattdessen schrieb das Kanzleramt der Telekom einen Brief und erklärte damit die Aktivitäten des BND für rechtmäßig. Auf dieser Grundlage schloss die Telekom mit dem BND daraufhin einen Vertrag, der die Details regelte. Der frühere Vorsitzende der G10-Kommission zeigte sich in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss überrascht über die Details der Operation und erklärte, die G10-Kommission hätte den dafür eingeholten G10-Anordnungen nie zugestimmt, wenn ihr klar gewesen wäre, dass diese lediglich eine Türöffner-Funktion hatten. Die NSA interessierte sich ja nicht für die deutschen E-Mails oder Telefonate, sondern für die über Frankfurt geroutete Auslandskommunikation. Die deutsche Kommunikation sollte durch automatisierte Filter vor der Weitergabe an die NSA entfernt werden, was in der Praxis nur teilweise funktioniert.

Die Öffentlichkeit erfuhr von der Operation Eikonal Anfang Oktober durch die Presse4, wie auch später von zwei weiteren Operationen des BND mit anderen Nachrichtendiensten: der Operation Glotaic(5) und der Operation Monkeyshoulder(6)

Brief des Kanzleramts an den Unter­su­chungs­aus­schuss

Obwohl bisher ungeklärt ist, wie die geheimen Dokumente an die Presse gelangten, schrieb Kanzleramtschef Peter Altmaier Mitte Oktober dem Untersuchungsausschuss einen Brief und kündigte Strafanzeigen für den Fall an, dass weitere eingestufte Dokumente in den Medien veröffentlicht würden.

Hard- und Softwa­re­kon­trolle

Im Rahmen einer Aussage eines Zeugen aus dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wurde deutlich, dass das BSI zwar die Aufgabe hat, die vom BND verwendete Technik zu zertifizieren, tatsächlich aber nur prüft, inwieweit die für den Einsatz geplante Hard- und Software den beigefügten Dokumentationen entspricht. Das BSI überprüft nicht, wie der BND Geräte und Software – etwa auch solche, die er von der NSA erhält – tatsächlich einsetzt und ob dabei nicht auch Daten anders aus- oder weitergeleitet werden als beschrieben.

NSA-Selektoren

Der Untersuchungsausschuss verabschiedete im Februar 2015 auf Antrag der Opposition den Beweisbeschluss BND-26(7) mit dem Ziel, Akten beizuziehen, die dokumentieren, „inwiefern die NSA im Rahmen der Zusammenarbeit in der JSA Aufklärung gegen deutsche Ziele oder deutsche Interessen … versucht oder tatsächlich betrieben hat und wie deutsche Behörden darauf reagierten …“. Dabei beinhalteten laut Beweisbeschluss ‚deutsche Interessen‘ explizit auch die Bevölkerung, Regierungen oder Unternehmen in der EU.

Am 23. April gab die Bundesregierung eine Pressemitteilung heraus, in der festgestellt wurde: „Im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht hat das Bundeskanzleramt technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert. Das Bundeskanzleramt hat unverzüglich Weisung erteilt, diese zu beheben.“8 Vorher war von Spiegel Online berichtet worden, dass im BND nach den Snowden-Enthüllungen nach problematischen NSA-Selektoren gesucht worden war. ‚Selektoren‘ sind Suchbegriffe (E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Gerätenummern, Namen etc.), die zur Filterung der Masse der erfassten Daten, nach für Geheimdienste interessanten Zielen, benutzt werden. Laut Spiegel Online richteten sich 40.000 der Selektoren gegen westeuropäische und deutsche Ziele.(9)

Nach Bekanntwerden der Veröffentlichung wurde die laufende Zeugenbefragung des Ausschusses abgebrochen. Linke und Grüne beantragten sofortige Sondersitzungen des Ausschusses: die Mehrheit lehnte ab. Bis zum Sommer folgten dennoch eine Reihe von Zeugenbefragungen zum Thema NSA-Selektoren, Wirtschaftsspionage und die Verstrickung des BND.

Zentraler Streitpunkt war die Frage, ob die Mitglieder des Untersuchungsausschusses die NSA-Selektoren einsehen dürfen. Die Bundesregierung verwies auf die ihrer Ansicht nach notwendige Konsultation der US-Regierung und verweigerte die Einsicht. Laut einem Bericht von Zeit Online hatte die US-Regierung dies allerdings nie verlangt.(10)

Bereits im Juni 2015 hatte sich die Bundesregierung mit der Mehrheit im Ausschuss auf ein bisher ungekanntes Verfahren geeinigt: eine Vertrauensperson der Bundesregierung sollte die Selektoren einsehen und bewerten, und darüber dem Untersuchungsausschuss wie auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium Bericht erstatten. Ausgewählt wurde der frühere Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kurt Graulich, der in einem Interview seine Aufgabe so beschrieb:  „Ich werde meine Aufgabe loyal gegenüber dem Auftraggeber erfüllen. Das ist in diesem Fall die Bundesregierung.“(11) Ein solches Verfahren ist im Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) überhaupt nicht vorgesehen, dort gibt es lediglich Ermittlungsbeauftragte. Auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kam zu dem Ergebnis, dass den Ausschussmitgliedern Zugang zu Material, das dem Ermittlungsbeauftragten zugänglich ist, nicht verweigert werden darf.

In der Folge gab es zwei Klagen auf Einsicht in die NSA-Selektoren: im September durch die Opposition(12), und im Dezember durch die G10-Kommission, die bereits im Sommer 2015 Einsicht bei der Bundesregierung gefordert hatte. Die Entscheidungen stehen noch aus.

BND-Selektoren

Im Herbst 2015 hatte eine Task Force des Parlamentarischen Kontrollgremiums die eigenen Selektoren des BND untersucht und war ebenfalls auf problematische Suchbegriffe gestoßen, darunter Botschaften und Behörden von EU-Ländern. Dies war der Anlass für die Opposition im Untersuchungsausschuss, die Behandlung auch der BND-Selektoren im Untersuchungsausschuss zu beantragen. Die Mehrheit lehnte dies mit dem Argument ab, das Thema BND-Selektoren sei nicht Teil des Untersuchungsauftrags. Daraufhin forderte die Opposition die Erweiterung des Auftrags – beschlossen wurde sie nach zähen Auseinandersetzungen am 9. Juni 2016. Im Herbst 2016 haben schließlich die ersten Zeugenvernehmungen zu den BND-eigenen Suchbegriffen begonnen.

Geheimer Krieg und Hauptstelle für Befra­gungs­wesen

Eine geheime Abteilung des BND, die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW), befragte Geflüchtete in Deutschland seit Jahrzehnten, ohne dabei zu offenbaren, dass es sich um Befragungen für einen Geheimdienst handelte. An den Befragungen waren auch Angehörige des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA) beteiligt. Erst im Dezember 2013 gab die Bundesregierung öffentlich zu, dass die HBW Teil des BND war, und im Sommer 2014 wurde die HBW offiziell geschlossen.

Der Untersuchungsausschuss bemüht sich um die Klärung der Frage, ob Asylbewerber_innen nach Informationen und Daten gefragt wurden, die möglicherweise bei der Ziel-Ortung US-amerikanischer Kampfdrohnen genutzt werden, und damit, ob die Bundesrepublik auf diese Weise indirekt an illegalen Tötungen beteiligt war. Dass in solchen Befragungen Mobilfunknummern abgefragt und konkrete Orte auf Karten markiert wurden, hatte die frühere Leiterin der HBW im Oktober 2015 im Ausschuss ausgesagt. Dass Mobilfunknummern für die Ortung ausreichend sind, hatte der ehemalige Drohnen-Pilot Brandon Bryant am selben Tag erklärt. Dennoch hielten mehrere Zeugen von Nachrichtendiensten und Bundesregierung an der Sichtweise fest, Mobilfunknummern allein seien für eine genaue Ortung nicht ausreichend. Der vom Ausschuss bestellte Gutachter Prof. Dr. Hannes Federrath beschrieb im September 2016 jedoch in einem schriftlichen Gutachten, dass dies sehr wohl möglich ist. 

Dies ist vor allem auch vor dem Hintergrund brisant, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass Informationen des BND für einen US-Drohnenangriff im Oktober 2010 in Pakistan genutzt wurden, bei dem Bünyamin Erdo?an ums Leben kam, der deutscher Staatsbürger war. Kurz danach erteilte das Innenministerium eine Weisung, die untersagte, Informationen weiter zu geben, die eine Lokalisierung ermöglichen. Allerdings galt in deutschen Diensten die Sichtweise, dass lediglich GPS-Daten eine genaue Ortung ermöglichen, so dass auch weiterhin Telefonnummern an US-Dienste übergeben wurden.

Einen Tag vor dem tödlichen Drohnenangriff hatten Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) im für Folterpraktiken berüchtigten US-Militärgefängnis in Bagram einen Gefangenen befragt, der ebenfalls einen deutschen Pass hatte.

XKeyscore im Bundesamt für Verfas­sungs­schutz

Über Jahre wurde im BfV eine Software der NSA getestet und kam nicht zum tatsächlichen Einsatz – so jedenfalls die Erzählung der Bundesregierung. Eine Software, die aus den Snowden-Enthüllungen und den auf ihnen basierenden Veröffentlichungen bestens bekannt ist: XKeyscore. Sie wurde seit 2013 im BfV getestet, in einer streng getrennten Versuchsanordnung, und das über Jahre. Ziel der Anwendung sollte sein, bestimmte bereits vom BfV erfasste Überwachungsdaten lesbar zu machen. Dieses XKeyscore sei ein ganz anderes als das in vielen früheren Artikeln beschriebene, sagten alle Zeugen dazu aus. Es habe keine Verbindung zum weltweiten Überwachungsnetz der NSA, sondern diene lediglich dazu, solche Daten für das BfV lesbar zu machen, die bisher nicht zu entschlüsseln waren: Inhalte bestimmter Messenger beispielsweise, die andere Protokolle benutzten als ältere Kommunikationsformen wie E-Mail oder Telefongespräche.

Die jahrelangen Tests erklärten die BfV-Zeugen damit, dass ausgeschlossen werden sollte, dass irgendwelche der hochsensiblen Daten aus den sogenannten G10-Erfassungen an die Außenwelt, jenseits des BfV, gelangten. Der Verfassungsschutz überwacht in Deutschland, für jede Erfassung dieser Daten ist eine Genehmigung der G10-Kommission nötig – anders als bei den überwachten Kommunikationen des BND im Ausland, so jedenfalls die Lesart des Grundgesetzes und damit die Praxis der Bundesregierung.

Der Verfassungsschutz bekam die Software von der NSA ohne erkennbare Gegenleistung. Für die Überlassung wurde ein Vertrag abgeschlossen, die „Terms of Service“ (ToS). Details aus dem geheim eingestuften Vertrag wurden 2015 von Zeit Online veröffentlicht.(13)Brisant ist vor allem der Satz „The BfV will: To the maximum extent possible share all data relevant to NSA’s mission.“ Das BfV unterschrieb also, so viele für die NSA relevante Daten wie möglich an diese weiterzugeben. Übereinstimmend erklärten die Zeugen dazu, es seien lediglich einzelne Meldungen gemeint, die etwa solche Terroristen beträfen, die den US-Stellen in Deutschland gefährlich werden könnten.

Seit Sommer 2016 wird XKeyscore tatsächlich für die Analyse der vom Verfassungsschutz gespeicherten Daten eingesetzt. Warum sich sowohl NSA als auch BND engagiert dafür eingesetzt haben, ist durch die Zeugenaussagen nur teilweise deutlich geworden.

Der Bericht der Daten­schutz­be­auf­tragten

Eine weitere Konsequenz aus den Snowden-Enthüllungen war ein Kontrollbesuch durch die Behörde des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar in der BND-Außenstelle in Bad Aibling im Dezember 2013. Aus dem Besuch ergaben sich zahlreiche Fragen an den BND, es folgte ein weiterer Besuch. Der Bericht dazu wurde lange nicht fertig, und als er im Sommer 2015 dem Untersuchungsausschuss übergeben wurde, wurde er ’streng geheim‘ eingestuft.

Neben dem Bericht selbst verfasste die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff eine rechtliche Bewertung, die ebenfalls eingestuft ist, wenn auch nur ‚geheim‘. Die Einstufung der Bewertung ist von Mitgliedern des Ausschusses kritisiert worden, da die Einstufung an den Stellen nicht nachvollziehbar sei, an denen es nicht um benutzte Technik oder Methoden des BND ging, sondern eben um die Bewertung an sich, die u.a. eine erhebliche Anzahl von Beanstandungen enthielt.(14) In einem Bericht des NDR ist von ’schwerwiegenden Rechtsverstößen‘ die Rede.(15)

Fazit

Vor dem Ende der Beweisaufnahme im Frühjahr 2017 ist es für eine abschließende Bewertung zu früh. Es zeichnet sich aber schon jetzt einiges ab: Die deutschen Geheimdienste bewegen sich mindestens an der Grenze der Legalität, und, so zeigte sich jedenfalls in diesem Untersuchungsausschuss, insbesondere der BND hat die seine Arbeit betreffenden Gesetze immer wieder sehr frei ausgelegt. Von den Details der juristischen Grauzonen hat häufig niemand erfahren: die Kontrollgremien des Bundestages wurden vom BND informiert, wenn der es für geboten hielt, und oft hielt er es offenbar eben nicht für geboten.

Die Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss wird von der Bundesregierung ständig behindert, oder zumindest durch Geheimhaltung der Öffentlichkeit entzogen. Zuletzt erklärten verschiedene Zeugen und Behördenvertreter, die Arbeit der Geheimdienste würde faktisch durch den Untersuchungsausschuss behindert, weil die Zuarbeit so viel Personal binde.

Geheimdienste, die so eindrucksvoll demonstrieren, dass sie demokratische Kontrolle allenfalls als notwendiges Übel betrachten, brauchen aber nicht weniger, sondern mehr Kontrolle. Noch wichtiger aber ist der kritische Blick der Öffentlichkeit.

ANNE ROTH   ist Diplom-Politologin und derzeit als Referentin der Fraktion Die Linke für den 1. Untersuchungsausschuss des 18. Deutschen Bundestags tätig.

Anmerkungen:

(1) BT-Drs. 18/843.

(2) BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Dezember 2014  – 2 BvE 3/14 – Rn. (1-42),
http://www.bverfg.de/e/es20141204_2bve000314.html.

(3) Prof. em. Dr. Dres. H.c. Hans-Jürgen Papier: Gutachtliche Stellungnahme. Beweisbeschluss SV-2 des ersten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode, S. 7.

(4) Süddeutsche Zeitung Online: Codewort Eikonal – der Albtraum der Bundesregierung, 4. Oktober 2014 http://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienste-codewort-eikonal-der-albtraum-der-bundesregierung-1.2157432.

(5) Spiegel Online: BND kooperierte beim Abgreifen von Daten mit der CIA, 14. Dezember 2014 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bnd-kooperierte-mit-cia-beim-abgreifen-von-daten-a-1008304.html.

(6) Stern Online: BND-Chef verschwieg lange Operation Monkeyshoulder, 2. Juni 2015 http://www.stern.de/investigativ/operation-monkeyshoulder—bnd-chef-verschwieg-umstrittenes-ausspaehprojekt-vor-kanzleramt-6206512.html.

(7)  Beweisbeschluss BND-26, 1. Untersuchungsausschuss, http://www.bundestag.de/blob/365756/ 2081cc6757321584f992d8fa261b76de/bnd-026-data.pdf.

(8) Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Pressemitteilung „Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes“, 23. April 2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/04/2015-04-23-bnd.html.

(9) Spiegel Online: Neue Spionageaffäre erschüttert BND, 23. April 2015, http://www.spiegel.de/ politik/deutschland/ueberwachung-neue-spionageaffaere-erschuettert-bnd-a-1030191.html.

(10) Zeit Online: Kanzleramt darf Selektorenliste laut USA freigeben, 12. August 2015, http://www.zeit. de/digital/2015-08/nsa-affaere-weisse-haus-bundesregierung-selektorenliste.

(11) Spiegel Online: Ein Mann, 40.000 brisante Daten, 1. Juli 2015, http://www.spiegel.de/politik/ deutschland/nsa-sonderermittler-kurt-graulich-ein-mann-40-000-datensaetze-a-1040661.html.

(12) Fraktion DIE LINKE im Bundestag: Klage auf Herausgabe der Selektorenlisten, 17. September 2015, https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/klage-auf-herausgabe-der-selektorenlisten/.

(13) Zeit Online: Suche NSA-Spionagesoftware, biete deutsche Daten, 26. August 2015, http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-08/xkeyscore-nsa-verfassungsschutz.

(14) Zeit Online: Geheim, weil peinlich? 8. Juli 2016, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-07/nsa-bnd-spionage-gutachten-datenschutz/komplettansicht.

(15) NDR: Ergänzte Fassung: Datenschutzbeauftragte stellt schwerwiegende Gesetzesverstöße des BND fest, 1.  September 2016 http://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/Ergaenzte-Fassung-Datenschutzbeauftragte-stellt-schwerwiegende-Gesetzesverstoesse-des-BND-fest-,pressemeldungndr17562.html.

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