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Wie der Verfas­sungs­schutz am NSU-Debakel wächst

24. Juli 2013

aus: vorgänge Nr. 201/202 (1/2-2013), S. 4-11

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den skandalösen Praktiken, Verfehlungen und Verstrickungen des

Verfassungsschutzes nach dem NSU-Skandal? Fehlanzeige! Statt die bisherige Arbeitsweise auch nur ansatzweise in

Frage zu stellen, wurden umgehend Forderungen für weitere Befugnisse, noch mehr Datensammlung und -austausch, noch

mehr unkontrollierte Zusammenarbeit erhoben – und zum Teil schon umgesetzt. Eric Töpfer erläutert, wie schnell sich

die deutsche Sicherheitsbürokratie auf die Post-NSU-Situation eingestellt hat, und wie wenig demokratische

Steuerung und Kontrolle stattfindet.

Rauch und Staub über den Trümmern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Eisenach und Zwickau hatten sich

kaum gelegt, da waren die Krokodilstränen der deutschen Sicherheitsbürokratie schon wieder getrocknet. Nicht einmal

drei Wochen, nachdem das NSU-Debakel anfing, offenbar zu werden, erklärte Heinz Fromm, damals noch Präsident des

Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), am 21. November 2011 im Bundestag: „Wir haben allen Anlass, sozusagen in

uns zu gehen“, um dann überraschend fortzufahren: „und sehr schnell – sehr schnell etwas zu tun, damit sich etwas

verbessert.“ (1) Während über die Einrichtung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse noch gestritten wurde und

das ganze Ausmaß der Geschichte nicht einmal ansatzweise bekannt war, wussten jene, die sich angesichts des

offensichtlichen Versagens ihrer Behörden zerknirscht und nachdenklich gaben, schon, was zu tun sei. Die

Marschrichtung hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit einem 10-Punkte-Plan bereits vorgegeben.
Danach ging es Schlag auf Schlag: Am 6. Dezember 2011 wird die Koordinierungsrichtlinie für die Zusammenarbeit der

Verfassungsschutzämter um einen Paragrafen zur Beobachtung des „gewaltbereiten Rechtsextremismus“ ergänzt. Am

16. Dezember eröffnet Friedrich das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) mit etwa 130

Mitarbeitern von Polizei und Geheimdiensten. Am 20. Januar 2012 legt die Bundesregierung ihren Entwurf für ein

Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus vor, das Ende August in Kraft tritt. Sein Kern ist die

Errichtung einer Rechtsextremismus-Datei (RED) von Polizei und Geheimdiensten. Am 8. Februar wird mit der Bund-

Länder-Kommission Rechtsterrorismus (BLKR) ein vierköpfiges Gremium installiert, um die „Zusammenarbeit zwischen

den Sicherheitsbehörden der Länder und den Bundesbehörden insbesondere bei der Bekämpfung des gewaltbereiten

Extremismus zu analysieren und zu bewerten“ und „Vorschläge für eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit der

Sicherheitsbehörden [zu] unterbreiten“ (2). Anfang Juni nimmt die Ständige Konferenz der Innenminister und –

senatoren der Länder (IMK) auf ihrer Frühjahrssitzung den ersten Zwischenbericht der BLKR zur Kenntnis und

beauftragt ihre Arbeitskreise II (Innere Sicherheit) und IV (Verfassungsschutz) mit der Prüfung und Umsetzung der

darin skizzierten Maßnahmen. Ende August kommt die IMK zu einem Arbeitstreffen in Berlin zusammen und einigt sich

auf Eckpunkte für eine „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes“. Sechs Tage später beginnt beim Bundesamt für

Verfassungsschutz in Köln ein Projekt zur Reform der Behörde. Am 19. September geht die Rechtsextremismus-Datei in

Betrieb. Am 15. November gibt Innenminister Friedrich die Gründung eines Gemeinsamen Extremismus- und

Terrorismusabwehrzentrums (GETZ) bekannt, in dem das GAR aufgehen soll. Drei Wochen später findet in Rostock das

Herbsttreffen der IMK statt, auf dem umfangreiche Beschlüsse zur Zukunft des Verfassungsschutzes und seiner

Zusammenarbeit mit der Polizei verabschiedet werden. Nach einer kurzen Weihnachtspause billigt das

Bundesinnenministerium am 1. Februar 2013 das Reformkonzept der BfV-Projektgruppe, und am 22. Februar informiert

Amtspräsident Hans-Georg Maaßen auf einer Dienstversammlung seine Mitarbeiter und die Presse über den Start der

Umsetzung. Ende Mai 2013 nehmen schließlich die IMK und das Bundeskabinett den Abschlussbericht der BLKR, der den

Verfassungsschutz für unverzichtbar erklärt, wohlwollend zur Kenntnis.(3)
Im Wesentlichen geht es bei den geschäftigen Aktivitäten um drei Dinge:
1. eine Stärkung des Verbundes der Inlandsgeheimdienste,
2. den Ausbau des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle,
3. die weitere Vernetzung von Polizei und Inlandsgeheimdiensten.
Freie Fahrt fürs „Wissensnetz“
„Die Innenminister und –senatoren der Länder setzen sich für die Stärkung der im Grundgesetz verankerten

Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein, ohne dadurch originäre Länderkompetenzen

einzuschränken“, heißt es in der Pressemitteilung zum Arbeitstreffen der IMK in Berlin im August 2012. (4) Es geht

also um mehr Macht für den Bund, die den Ländern nicht wehtun darf. Konkretisiert wurden die Pläne auf der

Herbstkonferenz im Dezember. Zum einen soll der Informationsfluss im Verbund der Dienste gefördert werden. Geplant

ist die Änderung von § 5 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG), das eine obligatorische

Übermittlung von Informationen der Landesbehörden für Verfassungsschutz an andere Inlandsdienste bislang nur

vorsieht, „soweit es für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist“. Durch eine Streichung dieses Halbsatzes, so ist

nun geplant, soll zukünftig das Kriterium der Erforderlichkeit einer Informationsübermittlung entfallen, so dass

dem weitgehend zweckfreien Flottieren von Daten insbesondere im geheimdienstlichen Informationsverbund NADIS (5)

der Weg geebnet wäre.
Zum anderen möchte man endlich die lange geplante erweiterte Nutzung von NADIS durch eine Änderung von § 6

BVerfSchG „für alle Aufgaben des Verfassungsschutzes“ absichern. (6) War NADIS lange weitgehend als Indexdatei zur

Identifizierung von Personen und dem Auffinden dazugehöriger Akten konzipiert, wird seit 2005 eine Modernisierung

des Systems als NADIS WN („WissensNetz“) vorangetrieben, die neue Nutzungsmöglichkeiten von der Volltextrecherche

bis zur grafisch aufbereiteten Analyse sozialer Netzwerke eröffnet. Bislang begrenzte § 6 Satz 8 BVerfSchG das

Führen gemeinsamer Dateien, die mehr als biographische Grunddaten und Aktenfundstellen erlauben, auf Zwecke der

Spionageabwehr und der Überwachung gewaltbereiter „Bestrebungen“. Personen aufgrund ihrer bloßen Gesinnung in

komplexeren Informationssystemen des Verbundes der Inlandsgeheimdienste zu erfassen, wurde erst durch das Gesetz

zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus ermöglicht, das neben der Errichtung der Rechtsextremismus-

Datei auch die Novelle von § 6 BVerfSchG verfügte, um „rechtsextremistische Bestrebungen“ durch das Führen von

„Textdateien“ u.a.m. aufzuklären.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die eigentlich mit dem Thema Rechtsterrorismus befasste BLKR bei

der Vorstellung ihres 2. Zwischenberichts im November 2012 bedauerte, dass eine umfassende Informierung des

Bundesamtes für Verfassungsschutz über die „Bereiche Links- und Ausländerextremismus“ nicht gegeben sei und die

Landesbehörden verpflichten möchte, Informationen „aus allen Phänomenbereichen“ an das Bundesamt zu übermitteln.(7)

Nur wenige Tage zuvor hatten die Innenstaatssekretäre aus Bund und Ländern NADIS WN mit einer „positiven

Zwischenbilanz“ gefeiert, nachdem das System bereits am 24. Juni 2012 seinen Betrieb aufgenommen hatte. Angekündigt

wurde die „schrittweise Erweiterung […] mit zusätzlichen fachlichen Funktionen“ (8).
Der Schatten Kölns wird länger
Als Spinne im Netz der erwarteten Informationsrevolution sehen die Innenminister das Bundesamt für

Verfassungsschutz. So soll nicht nur sichergestellt werden, dass zukünftig alle von den Diensten der Länder

erhobenen Informationen der Zentralstelle in Köln zugänglich gemacht werden, sondern auch, dass das Amt die

Strippen zieht. Hatte schon die Änderung der Koordinierungsrichtlinie für die Zusammenarbeit der Dienste im

Dezember 2011 das Bundesamt untergesetzlich ermächtigt, – analog zur Spionageabwehr und Beobachtung des

islamistischen Terrorismus – zentral alle Erkenntnisse im Bereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus auszuwerten,

soll nun das Bundesamt „unbeschadet der Auswertungsverpflichtung der Länder“ die „zentrale Auswertung aller

Informationen“ übernehmen und die Landesbehörden „unverzüglich über alle relevanten Informationen, Auskünfte,

Nachrichten und Unterlagen sowie die Ergebnisse seiner Auswertung“ informieren. (9)
Geplant ist, dass Bund und Länder bei ihrer Ausforschung – koordiniert durch Köln – „stärker arbeitsteilig“

vorgehen. Obwohl vage bleibt, was das genau heißen soll, scheint sich das Bundesamt auf das geheime Ausspionieren

„gewaltorientierter“ Gruppen und Personen konzentrieren zu wollen, während sich die Länder eher auf die mehr oder

weniger offene Gesinnungsschnüffelei gegenüber sogenannten legalistischen Strukturen beschränken. Zudem strebt das

BfV an, künftig eigenmächtiger in den Ländern agieren zu können. Obwohl die Rechtsauffassungen über die

entsprechenden Kompetenzen des BfV unter Verfassungsschützern auseinandergehen, scheint es bis dato vorherrschende

Praxis zu sein, dass politische Aktivitäten mit nur lokaler Reichweite von den Länderdiensten bespitzelt werden.

Nun aber wünscht sich das Bundesministerium des Innern sogar ein „Selbsteintrittsrecht“ – mindestens aber ein

„Initiativrecht“ – für seinen Geheimdienst zur eigenständigen Überwachung von „gewaltorientierten Bestrebungen“,

auch wenn diese nicht überregional aktiv sind. Großzügig wird angeboten, Verbindungsbeamte in die Länder zu

entsenden und die Spionageabwehr – soweit sie nicht (mehr) von den Ländern wahrgenommen wird – in Köln zu bündeln.
Was vordergründig aussieht wie ein Befreiungsschlag, der durch einen klaren Zuschnitt von  Zuständigkeiten

Effizienz verspricht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als zutiefst föderaler Kompromiss: Für die durch eine

Änderung von § 5 Abs. 2 BVerfSchG geplante Koordinierungskompetenz für das BfV soll – wie auch sonst beim

Tätigwerden des Bundesamtes in den Ländern – das „Benehmen“ derselben notwendig sein. Bürokratische Rivalitäten

dürften somit auch weiterhin die Praxis prägen. Wenn die Innenminister zusätzlich feststellen, „dass die […]

stärkere Ausrichtung des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel auf gewaltorientierte Bestrebungen/Personen nicht

zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Beobachtung legalistischer Strukturen führen darf“ und auch BfV-Chef

Hans-Georg Maaßen betont, „legalistische Organisationen weiter im Blick [zu] behalten“, wird klar, dass jeder

Dienst sich alle Optionen offen halten möchte. Daran wird wohl auch die neue Richtlinie für die Zusammenarbeit im

Verfassungsschutzverbund nichts ändern, die Anfang 2013 die 20 Jahre alte Koordinierungsrichtlinie abgelöst hat.
Das BfV profitiert aber insofern, als dass mit der angekündigten Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes

die eine oder andere „herrschende Meinung“ seiner Advokaten in Stein gemeißelt werden wird. Widerstände gegen die

schleichende Entgrenzung seiner Arbeit aus den Ländern werden sich so künftig leichter in die Schranken weisen

lassen. Gestärkt wird das Bundesamt somit insbesondere gegenüber Verfassungsschutzbehörden, die nicht willens oder

fähig sind, den Prioritäten des Bundes zu folgen. Denkbar ist es daher, dass das BfV in den finanzschwachen Ländern

mit kleinen Geheimdiensten in nicht allzu ferner Zukunft einen Großteil des operativen Geschäfts übernehmen könnte,

während es gegenüber politisch eigenwilligen und größeren „Partnern“ gezielt seine eigene Agenda verfolgen kann.
Im Rahmen der BfV-Reform sollen nun hausintern die Informationsbeschaffung und -auswertung (noch) enger verzahnt

werden. Mag das kürzere Wege und weniger abstrakte Analysen bedeuten, birgt es doch ebenso das Risiko einer

unkontrollierten Eigendynamik der für die jeweiligen „Phänomenbereiche“ zuständigen Abteilungen. Mit dem Verlust

des kritischen Blicks auf die eigenen „Produkte“ droht außerdem die routinemäßige Reproduktion von Weltsichten und

Feindbildern. Ob die angekündigte Einrichtung einer „Querdenker-Gruppe“ (10) den bürokratischen Starrsinn in einer

Behörde mit mehr als 2.700 Mitarbeitern zu durchbrechen vermag, ist daher mindestens zweifelhaft.
Countdown fürs Trennungsgebot?
Neben der Stärkung des Verfassungsschutzverbundes steht aber auch dessen engere Vernetzung mit dem polizeilichen

Staatsschutz auf der Tagesordnung. Nachdem spätestens mit dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und der

Antiterrordatei (ATD) 2004 bzw. 2007 bereits dauerhafte Strukturen für die informationelle Zusammenarbeit von

Polizei und Geheimdiensten eingerichtet wurden, führt Innenminister Friedrich die Vorarbeiten seiner Vorgänger

nahtlos weiter. Mit der Eröffnung des GAR nur fünf Wochen nach Beginn der Aufdeckung des NSU wurde eine weitere

Schnittstelle für 39 Behörden errichtet. Im Gegensatz zum GTAZ mit einem eigenen Standort in Berlin, ist das GAR

allerdings kein „Zentrum“, sondern mit zwei Standorten – einer beim BKA-Staatsschutz in Meckenheim und einer beim

BfV in Köln – eher ein bipolarer Störfall.
Gleichwohl finden im „Plenum“ mindestens zweimal wöchentlich gemeinsame Lagebesprechungen von Polizei und Diensten

statt. Wenn man den Berichten der Bundesregierung glauben darf, heißt das in der Praxis, dass jeden Dienstagmorgen

die meisten der jeweils etwa 50 Staats- bzw. Verfassungsschützer von BKA bzw. BfV sowie ihre Kollegen aus den

Landeskriminalämtern und -verfassungsschutzbehörden abwechselnd ihre Reise zu einem der beiden 40 Autominuten

auseinander liegenden Standorte antreten, um dort für drei Tage vor Ort zu sein. Am Donnerstagabend geht es dann

wieder zurück zur Heimatdienststelle. (11) Entsprechend sollen bei BKA und BfV Arbeitsplätze für die auswärtigen

Kollegen eingerichtet worden sein: mit Mobile Office und gemeinsamer Mittagskantine gegen den Rechtsterrorismus.
Nachdem der Bund Deutscher Kriminalbeamter kaum drei Wochen nach Eröffnung des GAR demonstrativ gefragt hatte, wo

eigentlich das Gemeinsame Abwehrzentrum Links bleibe, (12) war es wenig überraschend, als Innenminister Friedrichs

im November 2012 dann dem GAR das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) überstülpte und die

Zuständigkeit um die Bereiche „Ausländerextremismus / Ausländerterrorismus, Linksextremismus / Linksterrorismus und

Spionage / Proliferation“ erweiterte. Außer, dass mit Zollkriminalamt und den Bundesämtern für Migration und

Flüchtlinge sowie für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle drei weitere Behörden beteiligt sind, änderte sich an der

Struktur nichts Wesentliches. (13) Es bleibt beim Wanderzirkus zwischen dem BKA in Meckenheim und dem

Verfassungsschutz in Köln, nur dass die Schar der pendelnden Beamten anwachsen dürfte. Angesichts dieser

Perspektive war es nur konsequent, dass der für den Verfassungsschutz zuständige IMK-Arbeitskreis drei Tage vor der

Eröffnung des GETZ wechselseitige Hospitationen und Personalrotationen zwischen Polizei und dem Verbund der

Inlandsgeheimdienste anregte. (14)
Unter den Innenministern favorisiert eine Mehrheit die Zusammenfassung der verschiedenen Zentren unter einem Dach.

Vorgeschlagen wurde auf der IMK-Herbsttagung 2012 die Erweiterung des GTAZ in Berlin zu einem

„phänomenübergreifenden Zentrum“, da so „Synergieeffekte insbesondere in technischen und methodischen Fragen und

[…] eine ressourcenschonende Anbindung der Landesbehörden“ ermöglicht werde. Noch allerdings stößt der Vorstoß auf

den Widerstand des Bundesinnenministeriums – ein wesentlicher Grund dürften die Beharrungskräfte bei BKA und BfV

sein, wo auch nur Andeutungen von „Umzug“ in der Vergangenheit die Belegschaft auf die Barrikaden brachte. Und so

bleibt es vorerst bei der Absichtserklärung, zur „Abstimmung gemeinsamer Konzepte und Maßnahmen sowie der engeren

organisatorischen und auch persönlichen Vernetzung“ die Präsenz fester Verbindungsbeamter sicherzustellen. (15)
Beschwichtigt werden Kritiker einer solcherart „vernetzten Sicherheit“ regelmäßig damit, dass alles beim Alten

bleibe. Denn auch in den neuen Zentren würde nur nach den bestehenden Übermittlungsvorschriften des jeweiligen

Fachrechts gehandelt. Das mag stimmen, ist allerdings angesichts der weit reichenden Möglichkeiten für den

„fakultativen“ Datenaustausch wenig ermutigend. So dürfen die Staatsschützer der Polizei nach § 18 Abs. 2 BVerfSchG

„alle anderen ihnen bekanntgewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten“ an den

Verfassungsschutz übermitteln, wenn sie überzeugt sind, dass diese Informationen irgendwie zur Erfüllung seiner

Aufgaben erforderlich sind. Umgekehrt kann der Verfassungsschutz nach § 19 Abs. 1 BVerfSchG Personendaten auch dann

an die Polizei übermitteln, wenn er meint, dass diese „für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt“ werden.

Wenn mit den „Abwehrzentren“ die Distanz zwischen den Beteiligten sowohl räumlich als auch mental schwindet und

Lagebilder und Bedrohungsanalysen konvergieren, dann heißt das mittelfristig „Anything goes!“ im weiten Feld

zwischen geheimdienstlichem Schutz der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ und polizeilicher

Gefahrenvorsorge. Spätestens dann droht in den gemischten Arbeitsgruppen der „Abwehrzentren“ zur Abstimmung

operativer Maßnahmen die „Befugnisleihe“: Amtshilfe der Geheimdienste, um ihnen rechtlich verwehrte Formen der

Datenerhebung für die Polizei durchzusetzen und umgekehrt.
Die wachsende Verschränkung von geheimdienstlicher mit polizeilicher Arbeit scheint nun selbst dem

Bundesverfassungsgericht unheimlich geworden zu sein. Mit seinem Urteil zum Antiterrordateigesetz (ATDG) vom

24. April 2013 deklariert es erstmals explizit ein grundsätzliches „informationelles Trennungsprinzip“, das nur in

Ausnahmefällen durchbrochen werden dürfe. (16) Zwar kassiert das Gericht nur Details der ATD und erklärte sie in

ihren „Grundstrukturen“ für verfassungskonform, da sie nicht der unmittelbaren Aufgabenwahrnehmung durch die

jeweilige Behörden diene, sondern nur der Informationsanbahnung: „Das Antiterrordateigesetz stützt sich damit

maßgeblich auf die fachrechtlichen Grundlagen für Datenübermittlungen und bezieht daraus rechtsstaatliche Grenzen.“

Allerdings stellen die Verfassungsrichter die Verfassungsmäßigkeit eben dieser Übermittlungsvorschriften deutlich

in Frage, wenn sie im gleichen Atemzug notieren: „Diese müssen dann freilich ihrerseits den verfassungsrechtlichen

Anforderungen genügen und können sich jedenfalls für Datenübermittlungen zwischen den Nachrichtendiensten und der

Polizei nicht mit vergleichbar niederschwelligen Voraussetzungen wie der Erforderlichkeit für die

Aufgabenwahrnehmung oder der Wahrung der öffentlichen Sicherheit begnügen.“ (17)
In die Mitte der Gesellschaft
Ob der Gesetzgeber nun dem zaghaften Appell Karlsruhes folgen wird und jenseits kosmetischer Korrekturen an den

Gesetzen zu ATD und RED auch die Überprüfung der „Datenübermittlungsvorschriften einzelner Sicherheitsbehörden für

angezeigt hält“ (18), wird sich zeigen.
Die Stärkung des Verfassungsschutzes wird es nicht zurückdrehen. Noch bevor die parlamentarischen

Untersuchungsausschüsse ihre Abschlussberichte vorgelegt haben, steht fest, dass er – allen Rücktritten von

Behördenleitern zum Trotz – der eigentliche Gewinner des NSU-Skandals ist. Nicht einmal ansatzweise haben

Innenminister und Bund-Länder-Kommission geprüft, wie Verstöße von Verfassungsschützern gegen bereits bestehende

Übermittlungspflichten zu verhindern wären. Ebenso wenig wurde ernsthaft der Frage nachgegangen, ob die schützende

Hand über V-Leuten nicht eventuell eine strafrechtlich relevante Nichtanzeige von Straftaten bedeutete. Stattdessen

stand für die Verantwortlichen von Anfang an fest, dass das BfV mehr Macht brauche, der Informationsfluss breiter

werden müsse, aber V-Leute auch weiterhin um jeden Preis zu schützen seien. Die Informationsblockaden werden sich

aber weder durch den Vorschlag der BLKR auflösen, Konfliktfälle zwischen Quellenschutz und der Verfolgung von

Straftaten künftig nach dem Prinzip der „praktischen Konkordanz“ zu entscheiden, (19) noch durch die zentrale V-

Leute-Datei, die die Innenminister angekündigt haben. (20) Wer soll die rechtswissenschaftlichen Abwägungen im

geheimdienstlichen Alltagsgeschäft kompetent vornehmen? Und welche Transparenz ist von V-Leute-Führern zu erwarten,

wenn den „Partnern“ im Rahmen der neuen Datei auch Informationen über „frequentierte“ Beobachtungsziele zugänglich

gemacht werden sollen?
Kontrollfreie Räume beim Verfassungsschutz dürfe es nicht geben, bemerkt die BLKR zu Recht. Doch das einzige, was

ihr dazu einfiel, war die Stärkung der Innenrevision. Gegenüber den parlamentarischen Kontrollgremien sehen die

Innenminister den Verfassungsschutz in einer „Bringschuld“. Fortan soll er – Hört, hört! – eigeninitiativ und

anlassunabhängig über seine Arbeit berichten. Mit solchen Placebos will der Inlandsgeheimdienst das verlorene

Vertrauen zurückgewinnen und sich als „Dienstleister in der Mitte der Gesellschaft“ platzieren. (21) Angesichts der

Ankündigung, dass er hierzu auch stärker in den Bereichen Prävention und Öffentlichkeitsarbeit aktiv sein will, ist

nun zu erwarten, dass die „Vergeheimdienstlichung“ nicht nur in den unsichtbaren Bereichen der „Arcana Imperii“,

der Geheimpolitik selbst, voranschreitet, sondern auch ganz offen in Gestalt von „Bildungsarbeit“ an Schulen und

Jugendcomics a la Andi (siehe den Beitrag von Pohner in diesem Heft).

Anmerkungen

1 Zit. in H. Busch: Aktionismus statt Aufklärung. Der neue staatliche „Kampf gegen Rechts“, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP, Heft 99 (2/2011), S. 41-49 (41).

2 Bundesministerium des Innern: Friedrich stellt Bund-Länder-Regierungskommission Rechtsterrorismus vor, Nachricht v. 8.2.2012.

3 Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 197. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder vom 23./24.5.2013 in Hannover. Beschluss zu TOP 4, S. 7 und Bundesministerium des Innern: Klares Ja zum Verfassungsschutz, Pressemitteilung v. 29.5.2013.

4 Arbeitstreffen der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern über die zukünftige Ausrichtung des Verfassungsschutzes in der Bundesrepublik und den Bundesländern, Pressemitteilung Nr. 126 des Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg Vorpommern v. 28.8.2012.

5 NADIS steht für Nachrichtendienstliches Informationssystem.

6 Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 196. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder vom 5.-7.12.2012 in Rostock-Warnemünde. Beschluss zu TOP 15 „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes“, S. 20-25.

7 2. Zwischenbericht der Bund-Länder Expertenkommission Rechtsterrorismus v. 27.11.2012, S.10f. Vgl auch Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus v. 30.4.2013, S. 203ff.

8 IMK-Vorkonferenz zieht positive Zwischenbilanz für NADIS WN, Pressemitteilung Nr. 168 des Ministeriums für Inneres und Sport Mecklenburg Vorpommern v. 20.11.2012.

9 Beschluss Nr. 15 der 196. IMK-Sitzung, Fn. 5, S. 21.

10 Verfassungsschutz holt sich „Querdenker“ ins Haus, in: Süddeutsche Zeitung v. 23./24.2.2013, S. 6.

11 BT-Drs. 17/10585 v. 31.8.2012, S. 5f. und Handout des BMI zum GAR v. 16.12.2011, abrufbar unter www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/ Kurzmeldungen/gar_handout.pdf?__blob=publicationFile.

12 BDK: Gemeinsames Abwehrzentrum Rechts (GAR) eingerichtet – Wo bleibt eigentlich das Gemeinsame Abwehrzentrum Links? 10.1.2012, abrufbar unter www.bdk.de/der-bdk/aktuelles/ der-kommentar/gemeinsames-abwehrzentrum-rechts-gar-eingerichtet-2013-wo-bleibt-eigentlich-das-gemeinsame-abwehrzentrum-links.

13 Presseinformation des BfV zum Start des GETZ v. 15.11.2012, abrufbar unter www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Sicherheit/Extremismus/getz.pdf.

14 Beschlussniederschrift über die 85. Sitzung des Arbeitskreises IV „Verfassungsschutz“ der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 12./13.11.12 in Hilden, S. 6.

15 Beschluss zu TOP 24 der 196. IMK-Sitzung v. 5.-7.12.2012, Fn. 5, S. 36f.

16 1 BvR 1215/07 v. 24.04.2013.

17 Ebd., Rn. 126.

18 Ebd., Rn. 232.

19 2. Zwischenbericht der BLKR v. 27.11.2012, S.21f.

20 Beschluss zu TOP 15 der 196. IMK-Sitzung, Fn. 5, S. 22.

21 Ebd., S. 20.

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