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Zum Hamburger Senats­be­schluß von 1971 und zum Minis­ter­prä­si­den­ten­be­schluß von 1972

29. Oktober 1972

Humanistische Union

Stellungnahme des Verbandstages 1972

Die HUMANISTISCHE UNION nimmt nach eingehender Prüfung durch eine Reihe ihr angehörender Juristen zur Veröffentlichung der Pressestelle des Hamburger Senats vom 25. 11. 1971 und zur Erklärung der Ministerpräsidenten der Bundesländer vom 28. 1. 1972 wie folgt Stellung:

1.
Beide Erklärungen sind sachlich überflüssig. Das geltende Beamtenrecht und die einschlägigen Bestimmungen für Angestellte und Arbeiter im Öffentlichen Dienst geben dem Staat ausreichende Möglichkeiten, dafür zu sorgen, daß bei allen einzustellenden Beamten und den anderen Angehörigen des Öffentlichen Dienstes neben ihrer sachlichen Eignung auch ihre Loyalität zur freien rechts-staatlichen Grundordnung festgestellt wird.
2.
Beide Erklärungen sind so ungenau und irreführend formuliert, daß sie nur allzu geeignet sind, mißverstanden zu werden und eine politische Progromstimmung zu erzeugen.
3.
Der vielfach verwendete Begriff des „Radikalismus“ ist sachlich und politisch gleich unglücklich angewandt. Radikalismus ist nicht gleich „verfassungsfeindlich“. Radikalismus bezeichnet die Grundsätzlichkeit und Kompromißlosigkeit einer Einstellung, nicht die Einstellung selbst. Durch die mißbräuchliche Anwendung des Begriffes Radikalismus wird eine mißbräuchliche Praxis er-leichtert, wenn nicht nahegelegt.
4.
Die größte Gefahr des Mißbrauchs liegt in der unterschiedlichen Handhabung beamtenrechtlicher Bestimmungen, je nachdem, ob es sich um Angehörige rechtsextremer Gruppen handelt oder im landläufigen, aber keineswegs immer zutreffenden Sinne, um linksextreme. Diese können nach aller Erfahrung
bereits durch ihre radikale theoretische Kritik der bestehenden Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung verfassungswidrig als verfassungsfeindlich diffamiert werden. Rechtsextremisten dagegen, die ohne ausformulierte Theorie sich die Aushöhlung und Vernichtung der demokratischen Verfassung zum Ziel gesetzt haben, unterlaufen möglicherweise die beamtenrechtlichen Bestimmungen.
5.
Die Weimarer Republik ist „ganz legal“ durch den Hitler-Staat ersetzt worden. Ihr Ende kam als Folge einer unverantwortlichen Unterschätzung des Rechtsextremismus.
6.
Die Zusicherung mehrerer Ministerpräsidenten, jeder Fall werde individuell geprüft werden, schließt die Gefahr des Mißbrauchs der Erklärung vom 28.Januar 1972 nicht aus. Schon jetzt sind Fälle bekannt, in denen z.B. Lehrer nur deshalb nicht in den Öffentlichen Dienst übernommen werden, weil sie während einiger Semester in einer linken Studentengruppe tätig oder sogar nur Mitglied waren. Die versprochene individuelle Prüfung jeden Falles ist überdies nur dann sinnvoll, wenn jedem Beschuldigten die sichere Gewähr gegeben ist, daß er die Vorwürfe oder Verdächtigungen kennenlernt und sich vor einer unabhängigen Instanz mit ihnen auseinandersetzen kann.
7.
Wie groß die Gefahr des Mißbrauchs ist, geht schon daraus hervor, daß immer wieder in der Presse davon die Rede ist, daß die Erklärungen sich gegen die bloße Mitgliedschaft in bestimmten Gruppen und Parteien richten. Das ist nach dem Wortlaut der Erklärungen falsch. Eine derartige Praxis wäre grundgesetzwidrig.

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