Themen / Innere Sicherheit

Zur Reform des Verfas­sungs­schut­zes: Thesen und Forderungen

15. Juni 1981

beschlossen vom Bundesvorstand der Humanistischen Union am 15. Mai 1981. Aus: vorgänge Nr. 51 (Heft 3/1981), S. 132-133

1) Der Verfassungsschutz hat durch seine Heimlichkeit, seine Unkontrolliertheit und seine Tätigkeit zu einem gefährlichen Klima des Duckmäusertums – insbesondere in der Jugend – geführt; er schadet der Verfassung mehr, als er ihr nützt. Das Grundgesetz fordert eine konsequente rechtsstaatliche Ausgestaltung und Beschränkung des Verfassungsschutzes.

Aufgaben

2) Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von verfassungswidrigen ,Bestrebungen‘, d. h. aktiv kämpferisch, aggressiv tätig werdenden Organisationen. Personenbezogene Beobachtungen gehören mit Ausnahme der Spionageabwehr und der Sicherheitsüberprüfungen nicht zu seinen Aufgaben. Bei der Beobachtung von ,Bestrebungen‘ doch anfallende personenbezogene Erkenntnisse dürfen nicht zum Nachteil der Betreffenden verwertet oder weitergegeben werden.

3) Durch Rechtsverordnung ist festzulegen, bei welchen Arbeitsplätzen eine Sicherheitsüberprüfung erfolgt. Informationen des Verfassungsschutzes dürfen erst dann an den Arbeitgeber weitergegeben werden, wenn der Bewerber Gelegenheit hatte, ihre Unrichtigkeit oder Unbeachtlichkeit darzutun oder seine Bewerbung zurückzuziehen. Dem Bewerber muß die Möglichkeit der Stellungnahme gegenüber dem Arbeitgeber und der gerichtlichen Überprüfung gegeben sein.

4) Die in den Verfassungsschutzgesetzen einiger Länder vorgesehene Aufgabe des Verfassungsschutzes, bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst mitzuwirken, muß wieder beseitigt werden.

Befugnisse

5) In einem Rechtsstaat kann nicht von den Aufgaben auf die Befugnisse geschlossen werden. Der Verfassungsschutz hat nur die Befugnisse, die ihm ausdrücklich gesetzlich eingeräumt sind. Er verhält sich nur rechtmäßig, wenn er die gesetzlichen Schranken sowohl der ihm zugewiesenen Aufgaben als auch der ihm eingeräumten Befugnisse einhält.

6) Die Zulässigkeit des ,nachrichtendienstlichen Mittels‘ erlaubt dem Verfassungsschutz, geheim aufzutreten. Er darf das tun, was auch der Privatmann darf. Ihm bleibt das verboten, was auch dem Privatmann verboten ist.

7) Ein Rückgriff auf § 34 Strafgesetzbuch, auf einen überverfassungsrechtlichen oder einen Staatsnotstand ist dem Verfassungsschutz verwehrt. Er kann sich für die Rechtmäßigkeit seines Handelns nur auf solche Gesetze berufen, die ihm ausdrücklich Befugnisse einräumen.

Amtshilfe

8) Im Wege der Amtshilfe dürfen nicht beliebige Aufgaben mit beliebigen Befugnissen gekoppelt werden. Durch die Amtshilfe dürfen die Befugnisse des Staates gegenüber dem Bürger insgesamt nicht über das gesetzliche Maß hinaus erweitert werden.

9) Amtshilfe darf nur im konkreten Einzelfall erfolgen.

10) Da kraft Gesetzes dem Verfassungsschutz keine polizeilichen Befugnisse zustehen und eine organisatorische Verbindung mit Polizeibehörden verboten ist, kann der Verfassungsschutz sich auch nicht im Wege der Amtshilfe die Befugnisse der Polizei zunutze machen und keinen Dateienverbund mit Polizeibehörden eingehen.

11) Die Übermittlung personenbezogener Informationen zwischen dem Verfassungsschutz sowie dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst ist gegenwärtig rechtswidrig.

Kontrolle

12) Eine wirksame Kontrolle der Nachrichtendienste findet derzeit nicht statt. Bei Bund und Ländern sind zwei Beauftragte für die Nachrichtendienste von den Parlamenten zu bestellen; das Vorschlagsrecht liegt bei den Fraktionen nach dem Höchstzahlverfahren. Die Beauftragten für die Nachrichtendienste erhalten unbeschränkte Kontrollrechte und Klage- sowie Strafantragsrecht bei rechtswidrigem oder strafbarem Handeln der Nachrichtendienste. Sie legen jährlich dem Parlament einen Tätigkeitsbericht vor.

13) Die Information der Öffentlichkeit hat prinzipiell Vorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse der Nachrichtendienste. Die Haushaltsmittel für die Nachrichtendienste müssen in den Haushaltsplänen detailliert und wahrheitsgetreu ausgewiesen werden. Allgemeine Verwaltungsvorschriften über die Tätigkeit der Nachrichtendienste sind zu veröffentlichen.

Rechtsschutz

14) In Bereichen, die von der Tätigkeit des Verfassungsschutzes berührt werden, wird dem Bürger ein wirksamer Rechtsschutz gegenwärtig weitgehend verwehrt.

15) Die Versagung oder Beschränkung der Aussagegenehmigung für Angehörige des Verfassungsschutzes und die Weigerung der Exekutive, Urkunden oder Akten des Verfassungsschutzes den Gerichten vorzulegen, sind in Strafverfahren und in anderen gerichtlichen Verfahren zugunsten des betroffenen Bürgers zu werten.

16) Rechtswidrig erlangte oder weitergegebene Informationen des Verfassungsschutzes sind zu vernichten. In den gerichtlichen Verfahrensordnungen ist für solche Informationen ein Verwertungsverbot vorzusehen.

17) Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses bedürfen einer gerichtlichen Anordnung und Kontrolle. Die 1968 beseitigte lückenlose Rechtsweggarantie ist wiederherzustellen. Überwachungsmaßnahmen sind dem Betroffenen spätestens nach fünf Jahren mitzuteilen.

18) Eine wirksame Strafverfolgung bei strafbaren Handlungen im Bereich des Verfassungsschutzes muß sichergestellt werden.

Datenschutz

19) Durch eine bereichsspezifische gesetzliche Regelung für den Verfassungsschutz sind die Datenerfassung, -speicherung und -übermittlung zu beschränken und die Datensammlungen des Verfassungsschutzes gegenüber anderen Behörden abzuschotten.

20) Personenbezogene Daten dürfen nur bei Sicherheitsüberprüfungen und bei der Spionageabwehr erfaßt und gespeichert werden. Für Sicherheitsüberprüfungen sind in einer Rechtsverordnung die relevanten Merkmale festzulegen. Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten für die Spionageabwehr sind abhängig von der Feststellung des Amtschefs, daß tatsächliche Anhaltspunkte für eine Agententätigkeit vorliegen.

21) Eine Übermittlung personenbezogener Daten ist nur im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen und bei der Spionageabwehr sowie bei Straftaten nach § 138 Strafgesetzbuch zulässig.

22) Unterlagen und Daten sind nach vorgegebenen Fristen sowie dann zu löschen, wenn sie nicht mehr benötigt werden oder wenn die Gründe, die zu ihrer Aufbewahrung geführt haben, nicht (mehr) zutreffen.

Auskunftsanspruch

23) Der Bürger muß gegen den Verfassungsschutz einen Auskunftsanspruch darüber erhalten, welche Informationen der Verfassungsschutz über ihn gesammelt und an wen er sie gegebenenfalls weitergegeben hat. Eine Ausnahme kann vorgesehen werden für den Quellenschutz und die Spionageabwehr.

Verfassungsschutzbericht

24) Den Parlamenten sind jährlich Verfassungsschutzberichte vorzulegen. An die Erwähnung oder Nichterwähnung in den Berichten dürfen rechtliche Auswirkungen nicht geknüpft werden.

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