1. Diskussion

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Christa Nickels:

Wir wollten eine Viertelstunde zur Verfügung stellen für konkrete Nachfragen an die Referenten, die gerade ihre Ausführungen gemacht haben, weil die Erfahrung zeigt, daß es sonst erstens zu viel Wissen auf einmal ist – es ist ja sehr viel an Fakten komprimiert dargestellt worden – und zum anderen ist es auch wichtig, daß man das, was man selber unbedingt einmal fragen möchte, jetzt loswerden kann, damit man für die nächsten drei Beiträge einfach einen freien Kopf hat. Wobei ich bitte, jetzt wirklich speziell Nachfragen zu den Referaten zu machen, die allgemeine Debatte soll ja dann danach stattfinden.

Herr Nüken, Evangelische Kirche in Deutschland:

Es ist doch jemand von der Amtskirche hier. Herr Prof. Baeger und Herr Fischer, Sie sprachen von der Ablösung der Staatsleistungen. Ihnen ist offenbar entgangen, daß der Anfang schon gemacht worden ist, und zwar im Juni dieses Jahres in Niedersachsen. Dort ist der erste Vertrag zwischen einer Landeskirche und dem Lande Niedersachsen über die Ablösung der Staatsleistungen unterzeichnet worden. Es geht also los, das nur zu Ihrer Information.

Herr Baeger, im Übrigen ist es natürlich so, daß jede Weltanschauung und Religionsgesellschaft in unserem Staate von sich aus den Antrag stellen kann, die Körperschaftsrechte zu bekommen. Und wenn Sie das Hamburger Amtsblatt einmal aufschlagen, sehen Sie, daß (ich habe jetzt die Zahlen nicht im Kopf) ca. hundert unterschiedliche Gemeinschaften und Gesellschaften in Hamburg die Rechte der Körperschaft des öffentlichen Rechts nach unserer Verfassung bekommen haben. Es ist also nicht so, daß nur die Großkirchen den Anspruch hierauf geltend machen, weil sie es von alters her haben. Das ist ja schon vor Weimar gewesen, also vor 1919. Aber die anderen machen auch davon Gebrauch. Wenn sie das Steuerrecht nicht in Anspruch nehmen, dann liegt das wahrscheinlich an ihrer Größe, wie Sie das schon gesagt haben, oder aber an anderen Gründen, was ich natürlich nicht genau weiß.

Armin Rieser, Bund freier religiöser Gemeinden Deutschlands:

Wir haben zwar die Rechte als öffentlich rechtliche Körperschaft, aber es ist nicht so einfach, diese Körperschaftsrechte auch umzusetzen, wie das von seiten des Vertreters der Evangelischen Kirche eben gesagt wurde. Wir haben vor einiger Zeit den Antrag gestellt, Militärseelsorge durchzuführen. Das wurde uns schlichtweg abgelehnt, weil wir eine „quantite negligeable“ wären. Diese Angelegenheit läuft seit über 20 Jahren. Die rechtliche Gleichstellung heißt noch nicht, das man auch die gleichen Einflußmöglichkeiten bzw. die gleichen Betreuungsmöglichkeiten bekommt wie die beiden Großkirchen.

Herr Nüken:

Noch ein Satz zu dem Einigungsvertrag: Herr Fischer, Sie haben nach den rechtlichen Grundlagen gefragt. Selbstverständlich hat die Bundesregierung keinen Verfassungsauftrag, das Kirchensteuerrecht zu regeln, außer daß sie den § 140 GG zu wahren hat. Sie ist aber in Übereinstimmung mit der Volkskammer davon ausgegangen, daß die Verfassungsgrundlagen der DDR, die bis 1968 bestanden haben, wiederhergestellt werden sollten. Denn in der Verfassung der DDR von 1949 waren bis 1968 auch die Bestimmungen der Weimarer Verfassung, die wir im Grundgesetz übernommen haben, fast wortwörtlich enthalten. Also auch die Körperschaftsrechte der Kirchen und ihr Besteuerungsrecht. Die Trennung von Staat und Kirche, alles was bei uns im § 140 GG zusammengefaßt wird, war dort vorhanden. Dieses wollte man wieder hineinbringen, und das ist durch zwei Parlamente abgesegnet worden. Man kann natürlich wie Sie die Frage stellen, ob das rechtens gewesen ist, das müßte dann beantwortet werden.

Herrmann Benz:

Ich wollte grundsätzlich in Frage stellen, daß der Begriff „Konfessionslosigkeit“, wie ihn Herr Prof. Baeger verwendet hat, geeignet ist. Nicht alle Menschen, die aus der Kirche austreten, sind Atheisten, die bemängeln, daß in den Schulen Religionsunterricht stattfindet usw. Bei Frau Noelle-Neumann finden Sie beispielsweise keinerlei Korrelation zwischen Kirchenaustritten und der Zahl der Menschen, die nicht an Gott glauben. Die Zahlen sind nicht in der Weise verwendbar, daß man einfach von 20 oder 26 % Konfessionslosen redet, die Die Grünen oder die SPD wählen usw. Ich bestreite die Verwendbarkeit dieses Begriffs.

Frau Steinauer, WDR:

Herr Baeger, richten Sie sich grundsätzlich gegen Religionsunterricht und Ethikunterricht in der Schule? Wenn ja, frage ich mich natürlich, ob man dann nicht u.U. den Geschichtsunterricht verbieten müßte, weil da vielleicht humanistische Tendenzen zum Tragen kommen, die dann wieder zur Moral erziehen.

Wolfgang Schenk, evangelischer Theologe, Neutestamentler und im Vorstand des Jüdischen Lehrhauses:

Auch die Jüdischen Gemeinden Deutschlands sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, ohne daß damit Steuerrecht abgedeckt ist. Die einen schienen mir für Körperschaftsrecht zu sein und die anderen dagegen. Außerdem glaube ich nicht, daß man weltanschaulich zwischen den Kirchen und den Konfessionslosen differenzieren kann. Hier geht es doch klar um die Privilegien der alten Staatskirchen, um ehemalige Staatsideologien von Herrschaftstümern. Wir sollten ganz klar im Blick haben, inwieweit bestimmte Staatsideologien traditionalistischer Prägung sich heute noch Privilegien sichern, auf die ein ganzer Teil der Christen, die in Freikirchen sind, längst verzichtet haben.

Ralf Finke:

Herr Fischer, nach meiner Information wird ab Januar 1991 Kirchensteuer eingezogen, im Gebiet der ehemaligen DDR. Wenn dies aber doch nun nach der Verfassung Ländersache ist, ist das dann rechtswidrig, ist das ein Verfassungsbruch?

Christa Nickels:

Ich würde noch einmal zusammenfassen: Erstens war die Frage nach den Staatsleistungen, ob da nicht schon ein Anfang gemacht sei mit der Ablösung. Hier wurde hingewiesen auf die Vereinbarungen zwischen Niedersachsen und der Evangelischen Kirche.

Die zweite Frage betraf die Kirchensteuer, speziell die rechtlichen Grundlagen im Staatsvertrag, und inwieweit man sich auf Bestimmungen berufen kann, die bis 1968 in der DDR galten und seit dann eben nicht mehr gelten.

Die dritte Frage, die ich mir aufgeschrieben habe, war die der Gleichbehandlung der Körperschaften des öffentlichen Rechts am Beispiel der Militärseelsorge.

Eine weitere Frage war die, ob konfessionslos gleich atheistisch bedeutet. Ich erlaube mir jetzt einfach einmal frech zu sagen, es ist die Frage, ob es nicht vielleicht außerhalb der Kirchen mehr Gläubige gibt und mehr Atheisten, die noch konfessionell gebunden sind.

Dann war eine Frage, ob grundsätzlich gegen den Religions- und Ethikunterricht Stellung bezogen wird, ob das nicht auch bedeuten würde, wenn man so eine grundsätzliche Oppositionshaltung einnimmt, daß andere Fächer, die auch einen Wertekonsens bilden und die auch ein gewisses Bewußtsein und Wissen hervorbringen, ob die dann nicht auch abgelehnt werden müßten.

Eine weitere Frage war, ob es hier denn nicht primär um Privilegien ehemaliger Staatskirchen gehe und weniger darum, jetzt weltanschaulich die Debatte zu führen um Kirchen- und Religionslose.

Die letzte Frage hier, von Herrn Finke, inwieweit verfassungsrechtlich und rechtlich eigentlich die Grundlagen für die tatsächliche Kirchensteuererhebung ab Januar 1991 bestehen, wenn noch keine Landesverfassungen in den neuen Bundesländern da sind.

Das waren die Fragen, die ich zusammengefaßt habe, und ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen.

Prof. Edgar Baeger:

Gut, dann fange ich an. Die erste Frage mit der Ablösung der Staatsleistungen, das war einfach ein Zugeständnis an meine kurze Redezeit. Es ist ja nicht nur Niedersachsen, sondern Bremen und Hamburg, meines Wissens auch, wo diese Staatsleistungen abgelöst wurden, aber man darf nicht vergessen, daß der größte Teil des Geldtransfers über die Staaten Bayern, Baden-Württemberg fließt, und da rührt sich noch überhaupt nichts.

Von Nordrhein-Westfalen ist mir auch nicht bekannt, daß irgendetwas im Ansatz schon da wäre. Zum Punkt Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Ich glaube nicht, daß ein Unfug dadurch geheilt werden kann, daß er möglichst oft wiederholt wird. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein mitgliedschaftlich organisierter Verband, der staatliche Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnimmt. Das ist die Definition. Jetzt sagen Sie mir, seit wann religiöse Aufgaben staatliche Aufgaben sind, die mit hoheitlichen Mitteln wahrgenommen werden müßten. Es ist also von der Definition her ein absoluter Unfug, einen solchen Status einer Religionsgesellschaft zu geben. Daß man natürlich dieses einmal errungene Privileg dadurch verteidigen möchte, daß man den anderen sagt, ihr kriegt das auch, das ist zwar eine verständliche Taktik, macht aber die Sache vom Ansatz her nicht besser.

Zu der Frage Religions- und Ethikunterricht in der Schule. Ich bin mir natürlich im klaren darüber, daß der Religionsunterricht als einziges Schulfach vom Grundgesetz garantiert ist, so daß man kaum Aussicht hat, daran zu rütteln. Nur vom Prinzip her muß man sagen, daß eine Glaubensunterweisung in der Schule natürlich immer problematisch ist, denn Sie werden immer x verschiedene andere Glaubensrichtungen haben, in einem multikulturellen Staat, die eben hierdurch nicht bedient werden. Es kommt hinzu, daß dieser Religionsunterricht in der Praxis doch zu einer Vielzahl schlimmer Dinge geführt hat. Die vielen kleinen Verfassungsverstöße, die bilden praktisch den Alltag in der Schule. Die Frage, was macht man mit Kindern, die den Religionsunterricht nicht besuchen sollen? Ich lasse mal jetzt den Ethikunterricht beiseite. Wer beaufsichtigt sie, darf man sie nach Hause schicken? Oder werden sie einfach in den Religionsunterricht reingesetzt, damit sie beaufsichtigt sind? Das ist der unendliche Ärger, mit dem sich die Menschen, die den beiden Kirchen nicht angehören, in der Praxis herumschlagen müssen. Daran sehen Sie, daß dieser Ansatz, eine Glaubensunterweisung als ordentliches Lehrfach in den Schulen durchzuführen, problematisch ist. Und jetzt dürfen Sie mich bitte nicht mißverstehen: Ich habe ja nichts gegen den Religionsunterricht. Ich habe nur etwas dagegen gesagt, daß der Staat einen Solchen finanziert. Man kann sich natürlich eine Art Sonntagsschulsystem vorstellen (ich nenne hier einmal den amerikanischen Begriff), bei dem der Staat etwa die Schulräume für diesen Unterricht zur Verfügung stellt, und die Glaubensgemeinschaften, welche auch immer, können dies in Anspruch nehmen und dort die religiösen Unterweisungen für ihre Kinder abhalten. Niemand hätte etwas dagegen.

Trennen wir sorgfältig davon den Ethikunterricht. Der Ethikunterricht ist eine Ungeheuerlichkeit. Er ist eingeführt worden auf Drängen der christlichen Kirchen. Sie haben ihn eingeführt, um den Abmeldungen von ihrem Religionsunterricht zu begegnen und haben es gleichfalls billigend in Kauf genommen, daß dieser Unterricht diesen diffamierenden Charakter bekommt, und haben es billigend in Kauf genommen, daß hier Ersatz verlangt wird, für etwas, wofür niemals Ersatz zu leisten ist.

Also noch einmal, ich bin nicht gegen Religionsunterricht. Jede Glaubensgemeinschaft soll ihre Gläubigen unterrichten dürfen. Die Frage ist, ob der Staat das zu leisten hat, da bin ich allerdings der Meinung, das sollte in einem demokratischen Staat nicht geschehen. Den Vergleich mit dem Geschichtsunterricht halte ich für abwegig. Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, inwieweit darf die Schule christlich geprägt sein. Das Urteil (Herr Fischer kann das sicher präziser sagen als ich, ich sage es einfach einmal mit meinen Worten) besagt, daß das Christentum nur insoweit Unterrichtsgegenstand sein kann, als es ein prägender Kulturfaktor in der abendländischen Geschichte ist. Das ist also ein ganz klarer Fall, da wird auch nie jemand etwas dagegen sagen.

Zum Schluß noch zu den Zahlen.

Bevor ich überhaupt Zahlen genannt habe, habe ich sehr damit gerungen, ob ich es tun soll. Und zwar aus folgendem Grund: Herr Fischer hat vollkommen recht, wenn er sagt, es geht hier um Verfassungsgrundsätze, die zu diskutieren sind. Im Grunde genommen sind Grundrechte Dinge, die nichts zu tun haben mit der Zahl der Betroffenen. Wenn man der reinen Lehre anhängt, dann ist eine Grundrechtsverletzung dann schon schlimm, wenn sie auch nur einen einzigen Menschen betrifft. Ich habe mich eigentlich nur deshalb auf dieses Zahlengebiet vorgewagt (obwohl ich weiß, daß es dort immer Streitereien gibt), um festzustellen, daß die alte Einstellung, die man noch nach Kriegsende bei uns hatte, es seien ja nur vernachlässigbar kleine Bevölkerungsschichten, die es beträfe, schon lange nicht mehr stimmt. Und selbstverständlich habe ich nicht primitiverweise gesagt, alle Menschen, die kirchenfrei sind, seien Atheisten, dergleichen habe ich nie geäußert. Nur, daß unter den Kirchenfreien natürlich Agnostiker, Atheisten und wie immer sie sich nennen wollen, sind, ist keine Frage. Und daß diese mit einem christlich orientierten Staat niemals einverstanden sein können, das ist auch keine Frage.

Erwin Fischer:

Ich will zunächst mal auf die eine wichtige Frage eingehen: fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik. Mir ist selbstverständlich die Rechtsprechung, wenn man überhaupt von Recht reden kann in der DDR, seit 1945 bekannt, aber hier im Einigungsvertrag, ich zitiere nun wörtlich, heißt es in Bezug auf den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen: „Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt in Kraft“, und da kommt nun Sparkassengesetz vom 29. Juli 1990, Tilgung, Anteilsrechte usw., rechtswidrige Handlungen usw. und dann kommt: „Mit Inkrafttreten dieses Vertrages tritt das folgende Kirchensteuergesetz der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft“. Und nun kommen diese 20 Paragraphen, tadellos formuliert, Rechtsprechung sogar berücksichtigt, und infolge dessen kann man nicht sagen, damit ist das alte DDR-Recht gemeint, denn es ist schon richtig, die DDR-Länder haben ursprünglich die Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung wortwörtlich übernommen, aber in der Praxis sind die Länder schon nach ein paar Jahren aufgelöst worden, die bestanden gar nicht mehr, und infolgedessen ist das nie gehandhabt worden. Aber aus dem Text des Einigungsvertrages geht ganz deutlich hervor, daß nicht das alte sogenannte DDR-„Recht“ gemeint war, sondern jetzt dieses neue Gesetz, und für dieses neue Gesetz besteht keine Rechtsgrundlage, denn das ist von der Volkskammer nie beschlossen worden, infolge dessen kann es gar nicht in Kraft treten.

Herr Nüken:

Wenn Sie, Herr Fischer, die Rechtsangleichung in Art. 9 Abs. 5 Kap. 3 des Einigungsvertrages hinzunehmen, dann steht das dort etwas genauer: „Das gemäß Anlage II von der Deutschen Demokratischen Republik erlassene Kirchensteuerrecht gilt in den Art. 1 Abs. 1 genannten Ländern als Landesrecht fort.“ Nach meinem Verständnis bedeutet das, die Bundesregierung macht zwar einen Formulierungsvorschlag, gibt den in die Volkskammer, diese erläßt es für die Länder drüben, und damit ist das Gesetz in Kraft getreten.

Herr Nüken:

Die Volkskammer hat doch dem Einigungsvertrag zugestimmt. Mir geht es nur darum, Herrn Fischer vor dem Irrtum zu bewahren, es wäre hier ein Anschluß gesucht worden, an die vor 1968 geltende Verfassung der DDR. Man hat hier bewußt etwas Neues geschaffen.

Erwin Fischer:

Eben, das habe ich ja gesagt. Nur ist das nie rechtswirksam erlassen worden. Über dieses Problem, Kirchensteuergesetz in Kraft, nicht in Kraft, verfassungswidrig usw. da wird nach meiner Meinung letzten Endes das Bundesverfassungsgericht entscheiden, und ich hoffe, daß ich Vollmachten bekomme von DDR-Mitgliedern, die zur Kirchensteuer veranlagt werden, so daß ich dann diese Sache als eine der vielen Sachen, die ich vor dem Bundesverfassungsgericht schon durchgefochten habe, auch noch durchfechten werde. Aber für mich ist es an sich klar, daß damit nur neues Recht gemeint ist, das von der Volkskammer der DDR beschlossen wurde. Da fiel mir bei der Lektüre eben sofort auf, daß alle anderen fortgeltenden Gesetze ein Datum haben, und dieses Gesetz hat kein Datum, und darum habe ich mich erkundigt und festgestellt, daß die Volkskammer nie dieses Gesetz beschlossen hat. Da ist irgendwie ein Lapsus passiert, wie sich die Bundesregierung nachher herausredet, weiß ich nicht, aber ich glaube, eine noch so lange Diskussion hilft uns hier nicht weiter, weil das einfach eine diffizile Sache ist. Ich habe den Einigungsvertrag, 450 Seiten hier in meiner Ausgabe, von vorn bis hinten, von hinten bis vorn durchgesucht, alle Paragraphen studiert und bin nun zu diesem Ergebnis gekommen. Ich will Ihre Sachkunde nicht anzweifeln, aber darüber jetzt in diesem Kreis zu diskutieren, halte ich an sich im Grunde für abwegig, einfach weil man das alles vor sich haben muß, und dann braucht man gewisse juristische Vorkenntnisse, und dann kann man sagen, das ist nicht in Ordnung oder das ist in Ordnung.

Nun will ich aber zu den anderen Dingen noch kurz Stellung nehmen. Ich bin gefragt worden wegen der Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dazu ist folgendes zu sagen. Es besteht allgemein, unter Juristen, Einigkeit darüber, daß unter einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein mitgliedschaftlich organisierter Verband des öffentlichen Rechts zu verstehen ist, der staatliche Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnimmt. Das gilt doch nicht für die Kirchen. Die nehmen keine staatlichen Aufgaben wahr und auch nicht unter staatlicher Hoheit. Das ist an sich die herrschende Auffassung unter sämtlichen Staatskirchenrechtlern und Öffentlichrechtlern. Zur Statistik will ich noch etwas sagen. Wenn ich von Großkirchen gesprochen habe, dann heißt das natürlich – früher wurde immer von 95 % geredet, idem civis, idem christianus, das stimmt natürlich nicht – daß natürlich neben Christen, die den beiden Großkirchen, also der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche angehören, noch Christen verschiedener Couleur existieren, das ist an sich ganz klar. Aber die brauchen wir deshalb nicht mitzurechnen, weil die ja keine Privilegien haben. Uns geht es ja nur um die beiden Großkirchen, weil die in verfassungswidriger Weise oder aus Länderverfassungen, Konkordaten usw. Rechte in Anspruch nehmen. Aber all diese vielen Kleinkirchen, die wir haben, insgesamt in Amerika sind es sogar 150, Denominationen nennt man sie, die können wir bei dieser Gegenüberstellung unter den Tisch fallen lassen, weil die ja keine Vorrechte haben und keine in Anspruch nehmen.

Ethik-, Religionsunterricht, da habe ich eine Verfassungsbeschwerde eingereicht beim Bundesverfassungsgericht, die ist zurückgewiesen worden, ohne rechtliche Begründung. Meine Stellungnahme über den Religionsunterricht habe ich bereits kundgegeben. Selbstverständlich sind die Kirchen berechtigt, aber nur auf Antrag der Eltern laut katholischem Bundesverfassungsrichter Böckenförde, die Kinder religiös zu unterrichten. Im Codex iuris canonicis steht das natürlich auch, das ist aber innerkirchliches Recht, was uns hier nicht interessiert. Aber es ist nicht Sache des Staates. Infolgedessen habe ich schon seit langem vorgeschlagen, aus Toleranzgründen die Berliner Regelung durchzuführen, und dies heißt eben, die Staatsschulen stellen den beiden Kirchen Räume zur Verfügung, übrigens auch dem Islam, geben Heizung, Licht usw., und da können sie auf Antrag der Eltern ihren Religionsunterricht abhalten.

Aber das ist das Wichtige: Religion ist selbstverständlich ein enorm wichtiges Thema, das sollte im Schulunterricht als verbindliches, obligatorisches Lehrfach selbstverständlich behandelt werden, aber dann auf wissenschaftlicher Grundlage und nicht auf religiöser Grundlage. Das stimmt auch mit den Entscheidungen, die ich beim Bundesverfassungsgericht erwirkt habe, überein. Das Christentum darf in den profanen Fächern selbstverständlich berücksichtigt werden als Bildungs- und Kulturfaktor, aber nicht im Hinblick auf die Glaubenswahrheiten. Die Glaubenswahrheiten haben auch in einer Gemeinschaftsschule christlichen Charakters nichts zu tun, laut Bundesverfassungsgericht sind sie dort verboten.

Ganz interessant, da wurde sogar diese Entscheidung, an der ich beteiligt war, in Bezug auf Bayern im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, und trotzdem hat die bayerische Regierung bei der Neufassung des Schulrechtes das nicht berücksichtigt. Jetzt habe ich alles beantwortet, glaube ich.

Christa Nickels:

Ja, danke schön, Herr Fischer. Wir haben gerade ein wenig gesucht in dem Staatsvertrag. Vielleicht können wir gerade den Einleitungspassus vorlesen. Wir hatten ja mit dem Publikum vereinbart, daß wir darüber noch kurz diskutieren. Ich will das gerade einmal vorlesen.

Prof. Dr. Erich Küchenhoff:

Ich bin Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Politische Wissenschaft in Münster und außerdem im Beirat der HUMANISTISCHEN UNION. Im Vertragstext steht in Art. 9 Abs. 5:

Das gem. Anlage 2 von der Deutschen Demokratischen Republik erlassene Kirchensteuerrecht gilt in den Ländern als Landesrecht. Da ist also die Rede von einem gem. Anlage 2 von der Deutschen Demokratischen Republik erlassenen Kirchensteurrecht. Diese Angabe, „Gemäß Anlage 2“, ist schon sehr bemerkenswert. Wir haben es in einem juristischen Werk mit einer Anlage 2 zu tun, die für sich eine umfangreiche Seitenzahl besitzt und untergliedert ist nach sämtlichen Ressorts, die wieder untergliedert nach Abschnitten und und und. Eine derartige schlampige Verweisung, eine schlampige Bezugnahme ist mir noch nie vorgekommen. Aber das liegt daran, daß wir es hier bei den beiden Staatsverträgen mit einem parlamentarischen Verfahren zu tun haben, einem realextistierenden Parlamentarismus.

In der gerade verlesenen Anlage 2 Kapitel 4 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beginnt der Abschnitt 1 mit: „Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt in Kraft.“ Dann kommen fünf Ziffern, die alle unter diesen Einleitungssatz gehören. Aber die Ziffer 5 heißt: „Mit Inkrafttreten dieses Vertrages tritt das Folgende in Kraft.“ Ein offener Widerspruch, der schon zur Nichtigkeit wegen Unklarheit führen muß. Und dann kommt dieser Gesetzestext. Auf dem Deutschen Juristentag im September 1990 in München erklärte der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Sendler: „Ich habe den Staatsvertrag nicht gelesen. Wenn ich ihn gelesen hätte, dann hätte ich ihn sicherlich nicht verstanden.“ Alles was wir in unseren Lehr- und Bilderbüchern über Demokratie und Parlamentarismus und das hohe Amt des Abgeordneten zu sagen pflegen und was in den Schulen gelehrt wird darüber, wird zur Makulatur angesichts eines solch hektischen Betriebs.

Christa Nickels:

Herr Prof. Küchenhoff, ich bin Mitglied im Rechtsausschuß. Als Nichtjuristin habe ich mich da immer besonders gut vorbereiten müssen. Ich könnte noch einige andere Sachen, die in letzter Zeit im Bereich Verwaltungsgerichtsverfahren durchgegangen sind, berichten. Wenn Sie da hätten Mäuschen spielen dürfen, wären Sie vom Stuhl gefallen. Das können wir nachher noch ein bißchen verhackstücken wie das manchmal geht. Aber nicht weil die Abgeordneten das gerne so hätten, sondern weil das Parlament sich nötigen läßt. Aber bitte jetzt der Nächste.

Frank L. Schütte:

Mein Name ist Schütte, ich bin Mitglied der Alternativen Liste Berlin und des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten. Ich freue mich hier Seite an Seite mit Vertretern der HUMANISTISCHEN UNION und der AL zu wissen. Ich muß eindeutig feststellen, dieses Kirchensteuergesetz der DDR ist nicht nur etwas schlampig vorbereitet worden, es ist eine plumpe Fälschung. Nach Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung, der in Art. 140 Bestandteil des Grundgesetzes ist, steht ganz klar drin, daß der Erlaß solcher Gesetze Sache der Länder ist. Da zu diesem Zeitpunkt der Verabschiedung des Vereinigungsvertrages noch keine Bundesländer und keine Landesparlamente bestanden, hat man hier etwas versucht. Man hat nämlich ein Kirchensteuergesetz vorformuliert, das es in der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gab. Es ist ein Konglomerat verschiedener Länderverfassungen. Durchaus genial ausgearbeitet, aber eben kein Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik. Die Bestätigung habe ich bekommen von Herrn Prof. Wolfgang Ullmann, jetzt Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Volkskammerabgeordneter. Er hat mir bestätigt, das sei eine klare Verfassungswidrigkeit. Die Volkskammer hätte niemals ein solches Gesetz verabschiedet, zumal es heute noch umstritten ist, ob Länderabgeordnete ein solches Gesetz verabschieden, dessen Inhalt sie überhaupt nicht verstehen können.

Ich gebe Ihnen mal die neuesten Zahlen, die ich recherchiert habe. Die haben Sie anscheinend noch nicht gelesen. In den letzten sechs Monaten sind fast eine Million ehemaliger Mitglieder der evangelischen Kirche der ehemaligen DDR ausgetreten. Damit hat die Evangelische Kirche der DDR mindestens 20 % ihrer bisherigen Mitgliedschaft verloren. Der Anteil der Konfessionslosen ist auf dem Gebiet des ehemaligen Territoriums der DDR auf etwa 70 % angestiegen. Es ist unerträglich, daß aufgrund eines großen Bluffs im Einigungsvertrag Millionen Kirchensteuerzahler in der DDR, darunter zahlreiche Konfessionslose, aufgrund der neuen Regelung in glaubensverschiedener Ehe ein besonderes Kirchengeld entrichten müssen. Ab 1. Januar 1991 werden sie zwangsweiswe zur Kasse gebeten. Sie müssen gegen ihren Willen den Kirchen in diesem Teil Deutschlands, in dem die Konfessionslosen bereits über 70% der Bevölkerung ausmachen, auf lange Zeit Privilegien zulassen, wie sie in keinem anderen Land der Erde gelten. Wenn sie heute Amerikaner, Schweden und andere Ausländer fragen, in Bezug auf Kirchensteuer, die wissen überhaupt nicht was das ist. Und Sie müssen sich vor Augen halten: 13 Milliarden Kirchensteuer allein im vergangenen Jahr für die beiden großen christlichen Kirchen. Hier geht es um Milliardenbeträge. Und ich sage in Anwesenheit des Vertreters der Bundesvertretung oder eines Ausschusses, der verantwortlich ist dafür: Es ist eine plumpe Fälschung im Vereinigungsvertrag. Und es ist so etwas wie eine Kohlsche Schenkung, ähnlich der Konstantinischen, danke.

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