"Strafverschärfungen haben keine abschreckende Wirkung auf potentielle Täter"
Pressemitteilung zum „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“
Die HUMANISTISCHE UNION lehnt das vom Deutschen Bundestag am 14.11.1997 beschlossene „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ ab (die Abstimmung des Bundesrates erfolgt am Freitag, den 19.12.1997).
Sie wendet sich insbesondere:
- gegen zwangsweise durchgeführte Therapien
- gegen die Errichtung von „sozialtherapeutischen“ Sonderanstalten für Sexualstraftäter
- gegen die Verschärfung der Bestimmungen bei vorzeitiger Haftentlassung
- gegen die Verlängerung der Fristen im Bundeszentralregister für Sexualstraftaten
- gegen die Sicherungsverwahrung
Statt dessen fordert sie, umgehend die finanziellen und personellen Voraussetzungen für freiwillige Therapien innerhalb des Strafvollzugs, vor allem aber für anstaltsexterne Therapien zu schaffen.
Eine sinnvolle Prophylaxe darf aber andererseits nicht erst bei bereits straffällig gewordenen einsetzen, sondern sollte darin bestehen, Selbsthilfegruppen von sexuellen Minderheiten in wissenschaftlich fundierter Weise zu betreuen und zu unterstützen (vergleichbar mit den anonymen Alkoholikern). Solche Gruppen wären Anlaufstellen potentieller Täter, die ja häufig wenig „sozial eingebundene“ Menschen sind.
Die Angst vor Diffamierung und vor strafrechtlicher Verfolgung macht solche Menschen rat- und hilflos, oft verzweifelt, in Ausnahmefällen sogar selbst- und fremdgefährlich. Die Gesellschaft ist verpflichtet, so gefährdeten Menschen zu helfen, ein menschenwürdiges Leben in der Gesellschaft zu führen, ohne Konflikte mit der Strafjustiz und vor allem ohne Frauen und Kindern zu schaden. Sie ist das nicht nur diesen Menschen schuldig, sondern auch den Opfern von Verzweiflungstaten, zu denen erstere durch ihre Isolierung getrieben werden.
Das vom Bundestag mit hektischer Betriebsamkeit beschlossene Gesetz ist als Reaktion auf öffentliche Debatten über Sexualverbrechen zu werten und nicht auf tatsächliches Ansteigen der Zahl der Fälle. Einen akuten strafrechtlichen Handlungsbedarf gibt es nicht. Die jährlich über 400 im Straßenverkehr getöteten Kinder unter 15 Jahren werden vergleichsweise gleichmütig hingenommen.
Strafverschärfungen haben nach allen vorliegenden Forschungen keine abschreckende Wirkung auf potentielle Täter von Sexualstraftaten. Darauf hat überzeugend der Kriminologe Prof. Dr. Hartmut-Michael Weber als Sachverständiger bei der öffentlichen Anhörung am 8. September 1997 vor dem Rechtsausschuß des Bundestages hingewiesen. Den Opfern und den Angehörigen von Opfern und Beschuldigten werden die aktuell erhobenen Verschärfungsforderungen noch weniger gerecht als die bisherige Praxis. Statt wirkliche Opferhilfe und Unterstützung anzubieten, wird durch harte Strafen Opferschutz nur vorgegaukelt.
Was wird nun bestraft? Die Öffentlichkeit denkt bei dem Sichwort „Kindesmißbrauch“ an Gewalttaten und Mord. In den meisten Fällen (75 bis 80%) wird, wie das Bundeskriminalamt verlauten ließ, „keine Gewalt“ angewendet, bei 65% handelt es sich um „exhibitionistische oder ähnliche Kontakte“.
Das Bundesministerium der Justiz gab am Tage der Verabschiedung des Gesetzes mehrere Informationen heraus. In Nr. 60/97 wird der Justizminister zitiert: „Die Bundesregierung beweist mit diesem Gesetz ihren Handlungswillen gegen die Bedrohung der Bevölkerung durch brutale Sexual- und Gewaltstraftäter.“ Solches wird in Nr. 59/97 mehr als relativiert; zunächst kommt auch hier der Minister zu Wort: „Es ist mein Anliegen, das Opfer mit seinen berechtigten Interessen aus dem Winkel der Kriminalpolitik herauszuholen, in dem es lange Zeit vergessen war.“ Und dann wird unter dem Kapitel „Sexueller Mißbrauch von Kindern“ folgender Fall geschildert:“So macht sich z.B. ein Achtzehnjähriger grundsätzlich durch einen Zungenkuß mit seiner knapp 14-jährigen Freundin strafbar, selbst wenn das Mädchen einverstanden ist.“ Diese „Straftat“ gegen die „sexuelle Selbstbestimmung“(!) wird als Beispiel dafür angeführt, die Mindeststrafe nicht generell auf ein Jahr hinaufzusetzen. Wir fragen warum solches Verhalten überhaupt bestraft wird (und zwar mit mindestens 6 Monaten!). Grundsätzlich ist die Überlegung richtig, zwischen schweren und leichten Fällen zu unterscheiden, die zur Einführung des § 176 a führte. Warum wurden die minder schweren „Fälle“, die einvernehmlich geschehen und bei denen keine Gewalt im Spiele ist, überhaupt im Strafgesetzbuch belassen?
Die Sicherungsverwahrung, die nach den neuen Gesetzen bereits bei der ersten Wiederholungstat (und die muß noch gar nicht gravierend sein) unbeschränkt verhängt werden darf, steht im Widerspruch zu den vom Bundesverfassungsgericht postulierten Rechtsanspruch von Strafgefangenen auf Resozialisierung. Während andere Länder (wie Großbritannien und Schweden) die Sicherungsverwahrung abgeschafft haben, wird sie hierzulande ausgebaut. Maßnahmen der Sicherungsverwahrung und der unbestimmten Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus sind, wie Professor Weber ausführte, „menschenrechtlich und rechtsstaatlich prekär,“ da es sich nicht um eine „Bestrafung für eine vorangegangene Tat, sondern um einen Entzug der Freiheit für noch nicht begangene Taten“ handelt.
Auch die Ausweitung der Fristen der Eintragungen im Bundeszentralregister und damit in den Führungszeugnissen schon bei geringen „Straftaten“ (siehe den vom Justizministerium angeführten „Fall“) sind abzulehnen. Sie dienen nicht dem Schutz der „Opfer“ und schon gar nicht der Wiedereingliederung der „Täter“ in die Gesellschaft. Summa summarum (Zitat aus der Stellungnahme des Komitees für Grundrechte und Demokratie: „Zur aktuellen Debatte über Strafschärfungen für Sexualstraftäter“): „Die immer wiederkehrenden Forderungen nach mehr und effektiverer Prävention durch Verschärfung des Strafrechtes erfüllen eher die Funktion, die massenmedial und politisch geschürten Ängste der Bevölkerung zu besänftigen bzw. schlicht vorzugeben, man tue etwas gegen Sexual- und Gewaltstraftaten. Ihre Verwirklichung würde der Staatsgewalt Zuwachs, den Menschen(rechten) aber Schaden bescheren. Es wäre nicht nur zu befürchten, daß Hilfen für die Täter aus dem Blick gerieten, sondern vor allem die notwendigen Hilfen für die Opfer bzw. deren Angehörige.“