Freie Bahn für Bürgerrechte nicht mit der Bahn!
Mitteilungen Nr. 165, S. 12
Auf Anregung eines HU-Mitglieds wurden mehrere Briefe in Sachen Bahn versendet, u.a. an zwei Teilbereiche der Bahn AG (zur Vielfalt der Firmierung vgl. nachfolgende Glosse). Das Schreiben an die Geschäftsbereiche Fern u. Nahverkehr der DB AG ist samt Antwort unten abgedruckt, die anderen Briefe blieben bis heute unbeantwortet. Dies war zum einen ein Schreiben an den Bundesminister für Verkehr, ebenfalls zum Thema Behindertenfreundlichkeit der neuen Bahn (mit der alten HU-Forderung eines allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes) sowie ein Schreiben an den Bereich DB Station&Service zur Vertreibung obdachlos, drogensüchtig oder ausländisch aussehender Menschen. T.B.
Im Dezember 1998 hat die Humanistische Union Briefe an die einzelnen Unternehmen der DB-Gruppe geschickt. Wir forderten die Bahn dazu auf, neue und umzubauende Fahrzeuge mit Einstiegshilfen für Rollstuhlfahrer auszurüsten, da dies bis heute bei vielen Fahrzeugtypen verweigert wird. Gleichzeitig hat die HU die Geschäftspraktiken der DB Station&Service als bürgerrechtsfeindlich angeprangert. Bahnsicherheitsdienst und Bundesgrenzschutz schicken weiterhin ungeachtet der kalten Witterung obdachlos oder drogensüchtig aussehende Menschen bloß wegen ihres Aussehens aus den Bahnhöfen in die Kälte. Für teures Geld werden Bahnhöfe mit Überwachungskameras ausgerüstet und damit die Bürgerrechte der sich auf dem Bahnhof Aufhaltenden beeinträchtigt, während auf der anderen Seite das Geld für den behindertengerechten Umbau insbesondere der kleineren und mittleren Stationen fehlt. Ferner hat die HU den Bundesverkehrsminister aufgefordert, so schnell wie möglich eine Verordnung zu erlassen, daß neue und umzubauende Fahrzeuge mit Einstiegshilfen für Rollstuhlfahrer auszurüsten sind.
Leider hat im Verlaufe der 3 Monate, die bisher vergangen sind, es außer der DB Regio niemand für notwendig erachtet, auf die Schreiben zu antworten. Die DB Regio weicht dabei inhaltlich lediglich aus und gibt vor, nicht genügend Geld für die geforderten Maßnahmen zur Verfügung zu haben, die Mehrkosten müßten die Länder als Besteller der Verkehrsleistungen tragen. Besonders enttäuschend finde ich die fehlende Antwort des Bundesverkehrsministers, da Herr Müntefering bereits während seiner Antrittsrede von einem rollstuhlfahrenden Abgeordneten auf die Problemlage aufmerksam gemacht wurde, jedoch nur ausweichend antwortete. Offensichtlich scheinen die Belange Behinderter im Verkehrsministerium nicht sonderlich wichtig genommen zu werden.
Steve Schreiber
Hier der Briefwechsel in Sachen Behindertenfreundlichkeit der Bahn:
An Deutsche Bahn AG,
Geschäftsbereiche Fern u. Nahverkehr:
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Humanistische Union, älteste bundesdeutsche Bürgerrechtsorganisation, betrachtet die Geschäftspolitik der Deutschen Bahn AG gegenüber behinderten Mitbürgern, insbesondere Rollstuhlfahrern, mit großer Sorge.
Nach wie vor werden neue Fahrzeuge, wie z. B. die neuen ICT-Züge oder die Baureihe 612 für den schnellen Regionalverkehr ohne fahrzeuggebundene Einstiegshilfe für Rollstuhlfahrer beschafft. Auch bei der Modernisierung bestehender Fahrzeuge (Nahverkehrs-Steuerwagen, InterRegio-Steuerwagen, PumA-Neigetechnikumbauwagen) wird auf dieses Ausstattungsmerkmal verzichtet. Die Argumentation, dies sei unnötig, weil auf den Bahnsteigen entsprechende Geräte zur Verfügung stehen, überzeugt nicht. Die fahrbaren Rollstuhlhublifte, die sich auf vielen Bahnhöfen finden, bedürfen der Bedienung durch DB-Personal. Auf vielen Bahnhöfen steht dieses Personal aber nicht rund um die Uhr zur Verfügung. Zudem ist eine rechtzeitige Anmeldung erforderlich. Demnach sind behinderte Menschen dadurch in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt.
Daß es technisch problemlos möglich ist, derartige Einstiegshilfen einzusetzen, wird an den Doppelstock-Steuerwagen sowie den noch zu beschaffenden Elektrotriebwagen ET 425/426 deutlich. Diese Fahrzeuge verfügen über eine Überfahrbrücke bzw. einen Rollstuhl-Hublift.
In Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz heißt es: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Hierzu gehört auch das Gewähren ausreichender Mobilität. Wir fordern Sie daher auf, alle neuen oder zu modernisierenden Fahrzeuge mit einer fahrzeuggebundenen Einstiegshilfe für Rollstuhlfahrer auszustatten.
Mit freundlichen Grüßen,
Humanistische Union, Bundesgeschäftsführung
Antwort der DB Regio,
Abteilung Marketing, Frankfurt a.M.:
[…] vielen Dank für Ihr o.g. Schreiben aus dem wir entnehmen konnten, daß Ihnen die jüngsten Entwicklungen bei der Fahrzeugtechnik bekannt sind. Die behindertengerechte Gestaltung von SPNV-Fahrzeugen wird von uns als langfristiges Ziel verfolgt. Wir wollen die Umsetzung dabei nicht unnötig verzögern, können aber nicht kurzfristig alle Fahrzeuge und Anlagen anpassen.
Richtig ist, daß eine flächendeckende Erschließung aller
bedienten Orte ohne fahrzeugseitige Anpassung der Einstiegsverhältnisse nicht erreichbar erscheint. Die Zugänglichkeit der Bahnsteige und der Außenbereich der Bahnhöfe, bis hin zur behindertengerechten Gestaltung des örtlichen Verkehrssystems sind darüberhinaus wichtige bzw. k.o.-Kriterien für die Nutzung der Züge.
Die von Ihnen genannten Elektrobetriebszüge ET 425/426 sind nicht die einzigen neuen Fahrzeuge, die fahrzeugseitig den Einstieg für Rollstuhlbenutzer ermöglichen. So werden Fahrzeuge für die S-Bahn Hannover (ET 424) nur Bahnsteige bedienen, deren Höhe dem Fahrzeugboden entspricht; ein Spaltüberbrücker wird zudem die Lücke zwischen Bahnsteig und Fahrzeug an jeder Tür schließen. Andere Fahrzeuge, insbesondere die Dieseltriebwagen verfügen über manuelle Überfahrbrücken, damit auch niedrige Bahnsteige (z.B. 380 mm) erschlossen werden. Auch im Bereich der Reisezugwagen sind neben der seit Jahren eingesetzten ausfahrbaren Rampe in Doppelstockwagen weitere Entwicklungen sichtbar. So hat das Land Hessen den Einbau von Hubliften im Rahmen der Modernisierung von 37 einstöckigen Steuerwagen ermöglicht. Die Nachrüstung von Altfahrzeugen mit einer Fußbodenhöhe von zumeist über 1200 mm mit Hubliften, erfordert erhebliche finanzielle Mittel und ist daher nur bei langfristiger Einsatzperspektive und Finanzierungszusagen Dritter machbar. Auf den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen politischer Willensbildung und SPNV-Angebotsqualität müssen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen.
Das Angebot bahnsteiggebundener Einstiegshilfen auf vielen Bahnhöfen können auch wir nur als Notlösung ansehen. Dennoch werden wir auf diese Ergänzung mittelfristig nicht vollkommen verzichten können. Die Lösung relativiert allerdings für einige Fahrzeugtypen die Qualifizierung, nicht behindertengerecht zu sein, erheblich. Neben den technischen Gründen (VT 611/612) und den finanziellen Restriktionen (PUmA-Wagen) werden diese Fahrzeuge in aller Regel nur größere und mittlere Bahnhöfe bedienen, so daß nur für einige wenige Bahnhöfe Lösungen für eine bahnsteigseitige Einstiegshilfe gefunden werden müssen. Wir setzen hier vor allem auf die Zusammenarbeit mit regionalen oder örtlichen Hilfsorganisationen.
Wir hoffen, deutlich gemacht zu haben, daß die DB Regio Ihre Grundforderung auf vielfältige Weise unterstützt. Wir bitten dabei um Ihr Verständnis, daß die einzelnen Varianten fahrzeuggebundener Einstiegshilfen noch der praktischen Bewährung und sicher auch weiterer Verbesserungen bedürfen. Wir sind zuversichtlich, daß unsere Initiativen vermehrt politische Entscheidungen anstoßen werden, den behindertengerechten öffentlichen Personennahverkehr nach und nach überall zu verwirklichen. Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie in diesem Sinne Ihren Einfluß gegenüber den für die regionale Verkehrspolitik verantwortlichen Landesregierungen geltend machen könnten.
Mit freundlichen Grüßen,
i.A. Rainer Hahn