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Bürger­rechts­a­r­beit in schwierigen Zeiten

Mitteilungen18608/2004Seite 1-3

Zwischenresümee des Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union Reinhard Mokros

Mitteilungen Nr. 186, S. 1-3

Im ersten Jahr als Bundesvorsitzender der Humanistischen Union begegnete ich vielen Menschen, mit denen ich über unsere Ziele und Aktivitäten gesprochen habe. Die erste Frage lautet dabei meist:

Wofür setzt sich die Humanistische Union ein?

Wenn ich den Text unserer Satzung dabei habe, zitiere ich gern den § 2, der die Ziele unserer Vereinigung beschreibt. Dort steht, dass wir alle Bestrebungen fördern, welche „es jeder Bürgerin und jedem Bürger gestatten, von den im Grundgesetz garantierten Rechten der individuellen Lebensgestaltung, der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnis-, der Meinungs-, Informations- und Koalitionsfreiheit ohne Furcht vor Nachteilen Gebrauch zu machen.“ Wir wenden uns gegen eine uferlose staatliche Überwachung, welche Menschen davon abhalten könnte, von ihren Grundrechten Gebrauch zu machen. Stolz berichte ich dann von unserer letzten großen Tagung, die Frederik Roggan gemeinsam mit der Fiedrich-Ebert-Stiftung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der „akustischen Wohnraumüberwachung“ („Lauschangriff“) organisiert hat. Auch erwähne ich unsere Stellungnahmen zu den „Terrorismusgesetzen“, zur Übermittlung von Fluggastdaten an die USA, zu biometrischen Merkmalen im Pass und zur Videoüberwachung des öffentlichen Raums.

Es kommt vor, dass meine Berichte von unseren Aktivitäten auf „freundliches Desinteresse“ stoßen. Wenn ich dann nachfrage erfahre ich, dass sich viele Menschen in unserem Land von den einschneidenden Eingriffsgesetzen nicht betroffen fühlen. „Ich habe nichts zu verbergen“ oder: „Wer schwere Verbrechen begeht, der soll auch überführt und vor Gericht gestellt werden“, höre ich dann oft. Am deutlichsten tritt diese Einstellung zu Tage, wenn ich über die DNA-Analyse im Ermittlungsverfahren spreche. Was soll ein Bürgerrechtler entgegnen, wenn ihm berichtet wird, wie viele Vergewaltigungen noch Jahre nach der Tat aufgeklärt werden, weil systematisch die DNA von vorbestraften Sexualtätern erfasst wird und die Daten bei der Polizei gesammelt und mit aktuellen und alten Tatortspuren verglichen werden? Wenn ich über „Unschuldsvermutung“ und „Chancen der gesellschaftlichen Wiedereingliederung“ rede, werden mir das Leid der Opfer und der Strafanspruch des Staates entgegen gehalten.

Verwundert registriere ich, dass die Menschen vom Gerede über die „Terrorgefahren in Deutschland“ so beeindruckt sind, dass sie anscheinend jede Art von Grundrechtseingriffen klaglos hinnehmen. So regte sich kaum Widerstand gegen das „Luftsicherheitsgesetz“. Dieses enthält eine Befugnis, wonach der Bundesverteidigungsminister den Abschuss eines „außer Kontrolle geratenen Passagierflugzeuges“ durch Kampfjets der Bundeswehr anordnen darf. Der – verfassungswidrige – Einsatz des Militärs im Innern richtet sich gegen Unschuldige. Dieser Tatbestand wird beim Vergleich mit dem gezielten Todesschuss gegen einen Geiselnehmer übersehen.  

Wenn meine Gesprächspartner die HU aus früheren Zeiten kennen, werde ich hin und wieder auf die Forderung der Trennung von Staat und Kirche angesprochen. Wenn dann polemisch von „Kirchenhassern“ gesprochen wird, weise ich wieder auf § 2 unserer Satzung hin, wonach die HU alle Bestrebungen fördert, welche „die ungehinderte Entfaltung aller weltanschaulichen, religiösen, philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Auffassungen in gegenseitiger Achtung gewährleisten.“ Wir wenden uns also nicht gegen die Kirchen oder deren Repräsentanten. Aber als Ziel der HU wird in der Satzung die Förderung aller Bestrebungen genannt, welche „die Unabhängigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie alle Bereiche, in denen gesamtgesellschaftliche und sachliche Aufgaben zu lösen sind, gegenüber Machtansprüchen konfessioneller Gruppen und weltanschaulicher Gruppen zu wahren suchen“. Wir verlangen also die strikte Nichteinmischung der Kirchen in staatliche Angelegenheiten.

Nicht selten entgegnen mir meine Gesprächspartner: „Von den Machtansprüchen konfessioneller Gruppen ist in unserem Staat doch kaum etwas zu merken. Sind es nicht heute die multinationalen Konzerne, welche massiven Einfluss auf die nationalstaatliche Politik nehmen? Üben nicht Firmen wie Siemens und Daimler-Chrysler auf die Bundesregierung Druck aus, um bessere Voraussetzungen für ihre Unternehmenspolitik zu schaffen? Drohen diese Konzerne nicht regelmäßig mit einer Verlagerung ihrer Produktionsstätten ins Ausland, wo die Lohnkosten geringer sind?“

Wenn ich die Zahlungen des Staates an kirchliche Krankenhäuser und Kindergärten erwähne, werde ich mit Berichten über den Verkauf kommunaler Krankenhäuser an Wirtschaftsunternehmen konfrontiert. Die Menschen sorgen sich darum, dass in diesen auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Krankenhäusern nicht ihre Gesundheit, sondern ein möglichst großer Profit im Vordergrund steht. „Lieber ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft, als einer dieser Filialbetriebe“, heißt es dann. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Thema „Trennung von Staat und Kirche“ spricht heute viel weniger Menschen an, als dies noch in den ersten Jahren nach Gründung der HU der Fall war. Wenn das Land Brandenburg – mit einer verschwindend kleinen Zahl von Katholiken – mit dem „Heiligen Stuhl“ ein Konkordat abschließt, empören sich über die zugesicherten staatlichen Finanzzuwendungen leider nur wenige Menschen.

Am Schluss solcher Gespräche frage ich mich resigniert: „Haben wir nach über 40 Jahren Bürgerrechtsarbeit noch immer die richtigen Themen im Visier?“ Die meisten von uns werden dies bejahen. An den Themen liegt es wohl nicht, dass die Zahl unserer Mitglieder stagniert. Liegt es vielleicht daran, wie wir unsere Arbeit nach außen darstellen?

Was macht die Humanistische Union?

„Die Orts-, Regional- und Landesverbände fördern die Ziele der Humanistischen Union in ihrem örtlichen bzw. regionalen Wirkungsbereich auf eigene Initiative oder auf Anregung des Vorstands“, sagt § 19 der Satzung. Die Gründer der HU haben frühzeitig erkannt, dass die Menschen sich besonders für Themen mit örtlichem oder regionalen Bezug interessieren. In Marburg habe ich erlebt, wie präsent die HU in einer Region sein kann, wenn sich Mitglieder vor Ort engagieren. In anderen Regionen – auch in einem großen Bundesland wie NRW – hat die HU zwar viele Mitglieder, fällt aber in der Öffentlichkeit kaum mit ihren Aktivitäten auf. Im Gegensatz zu den 60er und 70er Jahren ist die HU auch an den Hochschulen kaum bekannt. Mit Veranstaltungen, Presserklärungen und Infoständen sollte sich die HU mehr als bisher in den Städten und Regionen bemerkbar machen.

Ebenso wichtig wie Landes-, Regional- und Ortsverbände sind für die Arbeit der HU deren Arbeitskreise. Derzeit sind der „AK Psychiatrie“ und der „AK Strafrecht“ noch aktiv. Die Gründung weiterer Arbeitskreise ist jedoch geplant. Der „AK Strafrecht“ stand in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit der „Pädophilie-Debatte“ (siehe dazu die Erklärung des Bundesvorstandes in diesem Heft) im Mittelpunkt des Interesses. Vermutungen und Unterstellungen verstellten den Blick auf die wertvolle Arbeit dieses Arbeitskreises. Als Beispiel für die aus bürgerrechtlicher Sicht notwendige Arbeit des „AK Strafrecht“ sei dessen Stellungnahme zum Referentenentwurf eines „Jugendstrafvollzugsgesetzes“ erwähnt. Der „Strafvollzug“ ist ein traditionelles Thema der HU, das in den letzten Jahren vielleicht etwas vernachlässigt wurde.  

Die Arbeit der HU und die von ihr behandelten Themen spiegeln sich eindrucksvoll in zwei Publikationen wieder, an deren Herausgabe wir beteiligt sind: Der jährlich erscheinende „Grundrechte-Report“ und die vierteljährlich erscheinenden „Vorgänge“. Beide Publikationen werden in den Kritiken der Zeitschriften und Zeitungen gelobt. So wichtig „GR-Report“ und „Vorgänge“ auch für die Verbreitung von HU-Positionen sind, so wichtig ist auch die verbandsinterne Kommunikation. Der Bundesvorstand hat sich die Aufgabe gestellt, den redaktionellen Teil der „Mitteilungen“ wieder zu beleben. Auch dabei sind wir auf das Engagement der Mitglieder angewiesen. Der Diskussionsredakteur klagt zu Recht über mangelnde Arbeit.

Zum Schluss noch ein Wort zu unserem Beirat: Nicht selten werde ich auf die beeindruckende Namensliste auf unserem Briefbogen angesprochen. Dabei wird mir immer wieder bewusst, wie wenig der Bundesvorstand bisher die Beiräte in seine Arbeit einbezogen hat. Es sollte nicht so sein, dass sich die Kommunikation mit Mitgliedern des Beirates auf Briefwechsel nach verunglimpfenden Fernsehbeiträgen beschränkt. „Der Beirat berät den Vorstand in allen Sachfragen“, steht in der Satzung. Diese Beratung wird der Vorstand künftig sicherlich häufiger in Anspruch nehmen. In schwierigen Zeiten sind wir auf die Unterstützung unserer prominenten Beiratsmitglieder angewiesen. Mir ist bewusst, dass diejenigen, die Ämter in Parteien oder Regierungen innehaben, dabei in Konflikte geraten können. Bürgerrechtsarbeit ist nur dann glaubhaft, wenn sie bei ihrer Kritik auch „linke Parteien“ und Regierungen nicht „schont“. Wie kritisch die Arbeit der derzeitigen Bundesregierung in der Bevölkerung gesehen wird, zeigen die Demonstrationen gegen die so genannten „Hartz IV“ Gesetze. Mit diesem grundlegenden Umbau des bundesdeutschen Sozialstaates werden wir uns am Verbandstag befassen.

Wie soll es weitergehen?      

Die Zeiten für Bürgerrechtsarbeit sind schwierig. Immer weniger Menschen wollen sich in den althergebrachten Organisationen engagieren. Von einem Mitgliederzuwachs wie ihn „Attac“ erfährt, kann die HU nur träumen. Umso wichtiger ist das Projekt „Mitgliederwerbung“, das der Landesverband Berlin-Brandenburg auf Initiative des Bundesvorstandes ins Leben gerufen hat. Erste Ergebnisse der Arbeit werden uns auf dem Verbandstag vorgestellt.

Wichtig ist auch die Vernetzung mit anderen Gruppen. Unsere Mitarbeit im „Forum Menschenrechte“ ist intensiv und erfolgreich. Auch die Kontakte zu anderen Bürgerrechtsgruppen sind gut. Die „Gustav Heinemann Initiative“ ist uns inzwischen auch räumlich etwas näher gekommen, weil sie einen Raum unserer Geschäftsstelle gemietet hat. Auf dem gleichen Flur im „Haus der Demokratie“ arbeiten auch unsere Freundinnen und Freunde von der „Liga für Menschenrechte“ mit ihrem Präsidenten Rolf Gössner. Im Haus ist der „Republikanische Anwaltsverein“, dessen Vorstand künftig auch bei dem jährlichen „Bürgerrechtstreffen“ teilnehmen wird. Das letzte Treffen fand in Köln statt und wurde vom „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ organisiert, dem wir ebenfalls herzlich verbunden sind. Das Netz ist geknüpft!

Zum Schluss komme ich noch einmal auf die „Pädophilie-Debatte“ zurück. Nach der Sendung von „Report München“ setzte eine lebhafte verbandsinterne Diskussion ein. Noch nie habe ich als Bundesvorsitzender soviel Post (vor allem elektronische) von den Mitgliedern erhalten. Die Beiträge waren offen – manchmal im barschen Ton – und zumeist kritisch. Eins gilt aber für alle Briefe: Mitglieder engagierten sich bei einem Thema. Mit Bedauern habe ich registriert, dass es zuvor niemals eine so rege Anteilnahme an der Arbeit des Bundesvorstandes gegeben hat. Ein langjähriges HU-Mitglied tröstete mich mit den Worten: „Dann kannst du zufrieden sein! Wenn sich niemand meldet und keiner mit Austritt droht, habt ihr gute Arbeit geleistet.“ Ehrlich gesagt – für mich ein schwacher Trost. Die HU ist doch kein Automobilclub, in dem man Mitglied ist, so lange die Leistungen stimmen.

In diesem Sinne freue ich mich auf engagierte Diskussionen auf dem Verbandstag in Lübeck und – vor allem – auch danach.

Ihr Reinhard Mokros               

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