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Bianca Müller – Tod einer Polizistin

Mitteilungen18905/2005Seite 15

Mitteilungen Nr. 189, S.15

„Tod einer Polizistin“ lautete der Titel eines 2000 von Dieter Schenk veröffentlichten Buches,  das der Frage nachgeht, welche Dynamiken in der hierarchischen, männlich geprägten Institution Polizei tödliche Folgen haben können. Mit Erscheinen des Buches bricht auch eine Berliner Kriminalhauptkommissarin ihr Schweigen: Bianca Müller, die ihre Karriere als Sven Müller begann. Couragiert erzählt sie ihre Lebensgeschichte, setzt sie gegen die üble Nachrede, die sie nach der geschlechtsanpassenden Operation erfuhr. Mit ihren Medienauftritten klärt sie eine breitere Öffentlichkeit darüber auf, dass nicht alle Menschen bei Geburt eindeutig einem von zwei Geschlechtern zuzuordnen sind. Als Kind war sie gewaltsam auf das männliche Geschlecht festgelegt worden. Ihr „Wandel“ zur Kollegin stieß bei Kollegen auf Unverständnis. Die Auseinandersetzung mit Anfeindungen wurde zu ihrem Lebensthema. Mit unendlich erscheinender Energie setzte sie sich bundesweit für Mobbing-Opfer in der Polizei ein.

Zur HU stieß Bianca Müller, nachdem die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten, deren Sprecherin sie war, durch Zivilklagen in die Insolvenz getrieben worden war. Hintergrund waren Pressemitteilungen, die Ausländerfeindlichkeit und Mobbing in der Polizei angeprangert hatten. In Form einer Arbeitsgemeinschaft der HU suchte Bianca Müller die Arbeit der „Kritischen“ fortzuführen. Dabei war es ihr wichtig, unmittelbar auf Ereignisse zu reagieren, die sie als Ungerechtigkeit erkannte – notfalls als Pressemitteilung gleich nach einer Nachtschicht. Die langwierigen Abwägungs- und Entscheidungsprozesse unseres Verbandes vertrugen sich auf Dauer nicht mit ihrem Bedürfnis nach Unabhängigkeit. So einigten wir uns schließlich gütlich, wieder getrennte Wege zu gehen. Thematisch blieben wir verbunden, verloren sie aber zunehmend aus den Augen.

Ende April wurde Bianca Müller tot in ihrer Wohnung in Berlin aufgefunden. Der Presse war zu entnehmen, dass sie bei ihrem Suizid einen Abschiedsbrief hinterließ, in dem sie erneut Mobbing-Vorwürfe erhebt. Die Polizei beeilte sich, diese zurückzuweisen. „Unerfüllte Karrierewünsche“ seien der Hintergrund ihrer Beschwerden gewesen. Diese Reaktion erinnert in fataler Weise an die Umgangsweise mit Mobbing und Suiziden in der Polizei, die Bianca Müller immer wieder kritisiert hatte. Auch wenn wir nach ihrem Austritt aus der HU zu wenig Kontakt zu Bianca Müller hatten, um die letztlichen Umstände ihres Suizids beurteilen zu können, kannten wir sie zu gut, um uns damit abzufinden. Ihr Suizid hatte eine Vorgeschichte. Sie handelt von unerträglichen Verhältnissen, denen Intersexuelle in dieser Gesellschaft und Unangepasste in der Polizei ausgesetzt sind. Um an dieser Situation etwas zu ändern, hat sie gekämpft: leidenschaftlich, aus eigener Erfahrung kompetent, aus der Außenperspektive mitunter verbissen, manches Mal am Rande der Verzweiflung – bis sie offenbar keine Kraft mehr für diesen Kampf hatte. Über Bianca Müllers Tod ist die Berliner HU traurig und bestürzt. Ihre politischen Anliegen bleiben unerledigte bürgerrechtliche Aufgaben.

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