Noch mehr lauschen, abhören, observieren
Der Gesetzentwurf zur Gesamtreform der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
Mitteilungen Nr. 196, S. 4-5
Am 27. November 2006 hat das Bundesministerium für Justiz den Entwurf für ein „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikations-überwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Vorratsdatenspeicherung)“ vorgelegt. Das Gesetz soll eine seit langem angekündigte Gesamtreform der heimlichen Ermittlungsmethoden leisten. Die Liste der entsprechenden Befugnisse ist in den letzten Jahrzehnten immer weiter angewachsen. Dazu gehören mittlerweile die Beschlagnahmung von Post, die Überwachung der Telekommunikation, die Abfrage von Telekommunikations-Verkehrsdaten, der Einsatz des IMSI-Catchers, die längerfristige Beobachtung und Observierung, die verdeckte Ausschreibung zur Beobachtung und nicht zuletzt auch der Lauschangriff. Die Gesamtreform sollte zu einer Harmonisierung der verschiedenen Rechtsvorschriften beitragen. Aufgaben einer solchen Harmonisierung wären beispielsweise:
• eine systematische und überschaubare Regelungen darüber, ab wann, bei Verdacht auf welche Straftaten heimlich ermittelt werden darf (materielle Voraussetzungen)
• wie ein übergreifender Schutz der engsten Privatsphäre gewährleistet werden kann (Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben zum Kernbereich privater Lebensgestaltung)
• wie der Schutz von besonderen Vertrauensverhältnissen verbessert werden kann, wenn Betroffene Kontakt mit Zeugnisverweigerungsberechtigten aufnehmen
• wie den Benachrichtigungspflichten über heimliche Ermittlungen nachzukommen ist und welche Möglichkeiten eines (nachträglichen) Rechtsschutzes die Betroffenen dagegen haben
• wie eine verfahrensrechtliche Absicherung gegen unverhältnismäßige Überwachungsmaßnahmen aussehen kann, etwa durch die vorrangige Nutzung offener Ermittlungsmethoden und die gerichtliche Prüfungen der Voraussetzungen und der Ergebnisse des heimlichen Ausspionierens.
Außerdem soll mit dem Gesetzentwurf auch die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden (siehe Bericht auf den Seiten 6/7).
„Tanz am Rande der Verfassung“
Nach der Veröffentlichung des Entwurfs haben sich Mitglieder des Bundesvorstands mit rechtspolitischen Experten beraten und auf einem Arbeitstreffen in Hannover die wichtigsten Kritikpunkte besprochen. Fredrik Roggan und Nils Bergemann erarbeiteten daraus eine umfangreiche Stellungnahme, die wir im Januar dem Bundesjustizministerium übergaben. Das grundsätzliche Anliegen des Gesetzes, einheitliche Regeln für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zu setzen, wird in dieser Stellungnahme ausdrücklich begrüßt. In der vorliegenden Form ist die Neuregelung jedoch nicht hinnehmbar, die Humanistische Union lehnt das Vorhaben deshalb ab.
Während die Bundesjustizministerin in ihrer Ankündigung des Entwurfs von einer grundrechtsschonenden Anpassung der bisherigen Ermittlungsregelungen sprach, liest sich der Gesetzentwurf ganz anders. Über weite Strecken widmet sich die Gesetzesbegründung nur der Frage, wie eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten sei. Immer wieder prüft der Entwurf, ob gewisse Beschränkungen von Ermittlungsmaßnahmen nicht die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden unzumutbar einschränken würden. Auf der anderen Seite wird aber nie geprüft, ob die mit dem heimlichen Ausforschen verbundenen Zumutungen und die im Vergleich dazu recht dürftigen Ergebnisse bei manchen Ermittlungsmethoden nicht einen Verzicht nahe legen würden. Wann und wie heimlich ermittelt werden darf, bestimmt der Entwurf allein anhand der Grenzen des verfassungsrechtlich machbaren Eingriffs in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Ein Gesetzgeber, der den grundrechtlichen Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger aber nur als Hindernis für seine Strafverfolgungsbehörden begreift, hat den freiheitlichen Gewinn und die rechtspolitische Bedeutung solcher Schutzrechte aus den Augen verloren. Letztlich behindert jedes Zeugnisverweigerungsrecht, jedes Beschlagnahmeverbot, jedes Gebot eines Überwachungsabbruchs oder einer Benachrichtigung der Betroffenen die effektive Arbeit der Strafverfolger.
Die wichtigsten Kritikpunkte
Der Gesetzentwurf beschränkt den Schutz der Bürgerinnen und Bürger darauf, dass er einige Verfahrensvorschriften wie die Anordnungsprüfung und die Benachrichtigungs- und Berichtspflichten verbessert. Das allein bietet jedoch keinen effektiven Grundrechtsschutz. Dazu wäre es nötig, auch die materiellen Voraussetzungen für das heimliche Ermitteln zu prüfen. So gleicht der Katalog jener Straftaten, für deren Aufklärung die Telefone eines Beschuldigten abgehört werden dürfen, mehr und mehr einem „Rundreisebillet durch das ganze Strafrecht“ (Burkhard Hirsch), die heimliche Beschlagnahmung der Post eines Beschuldigten ist weiterhin nach der Einleitung eines beliebigen Ermittlungsverfahrens möglich.
Die Überwachung von Telefonanschlüssen oder die Auswertung von Telekommunikations-Verbindungsdaten sind in den letzten Jahren zu Standardwerkzeugen der Strafverfolger geworden. Die entsprechenden Fallzahlen legen nahe, dass bei der Aufklärung bestimmter Delikte (etwa Drogen) kaum noch versucht wird, die vermuteten Straftaten mittels einfacher Ermittlungen aufzulösen, sondern sofort zum heimlichen Ausforschen übergegangen wird. Diese Entwicklung sollte Anlass genug sein, rechtspolitisch tätig zu werden. Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, dafür Sorge zu tragen, dass verdeckte Ermittlungsmaßnahmen wieder als ultima ratio der Strafverfolgung angesehen werden. Alle offenen Ermittlungsformen, gegen die sich Betroffene auch effektiv rechtlich wehren können, sind immer auszuschöpfen, bevor ein heimliches Ausforschen in Betracht kommt. Die so genannten Subsidiaritätsklauseln für die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen sollten deshalb einheitlich gefasst werden; ihre Anwendung kommt nur in Betracht, wenn die Aufklärung durch anderen Methoden aussichtslos wäre.
Bei vielen heimlichen Ermittlungsmethoden geraten regelmäßig unschuldige Kontakt- und Begleitpersonen der Verdächtigen ins Visier der Überwachung. Hierbei wird der Entwurf seinem eigenen Anspruch einer Harmonisierung nicht gerecht. Ihm fehlt eine vorangestellte, präzise Bestimmung, wer, wann und wodurch als Kontakt- oder Begleitperson eines Verdächtigen eingestuft und damit zum Objekt heimlicher Überwachung werden kann.
Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – wie er vom Bundesverfassungsgericht mehrfach eingefordert wurde – wird nach dem Gesetzentwurf nur beim akustischen Lauschangriff und der Überwachung der Telekommunikation (TKÜ) gewährt. Da es sich aber um eine aus der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes abgeleitete Schranke staatlicher Überwachung handelt, wäre dieser Schutz auch bei anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen anzuwenden. Hinzu kommt, dass selbst bei der Überwachung von Telefonanschlüssen nur ein sehr eingeschränkter Schutz der Privatsphäre gewährleistet wird: Ein Überwachungsverbot und damit ein Schutz des Kernbereichs ist nur für den Fall vorgesehen, wenn durch eine verdeckte Ermittlung ausschließlich Erkenntnisse aus dem Kernbereich erlangt würden. Eine solche Konstellation ist praktisch kaum vorstellbar – auch mit dem intimsten Partner wird sich ein Beschuldigter sicherlich über andere Dinge als nur über deren Beziehung unterhalten. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist mit der vorliegenden Formulierung de facto ausgehebelt. Wenn während einer Überwachung ein unerwarteter Eingriff in den Kernbereich bemerkt werden sollte, fehlen entsprechende Regeln zum Abbruch einer Überwachung bzw. zum Verwertungsverbot für die unrechtmäßig erlangten Erkenntnisse. Es ist nicht nachvollziehbar, warum etwa Ehepartner, Ärzte und Journalisten schlechter vor einer Mitüberwachung geschützt sein sollten, als dies für Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete der Fall ist. Bei allen handelt es sich um Personen, denen sich jeder Verdächtige unvoreingenommen anvertrauen können sollte. Deshalb muss jeder Austausch eines Beschuldigten mit einem Zeugnisverweigerungsberechtigten gleichermaßen geschützt werden. Der Gesetzentwurf löst dabei auch nicht das bekannte Problem, dass der Schutz solcher Vertrauensverhältnisse regelmäßig durch die einfache Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Betroffenen ausgehebelt wird. Für den Vorwurf einer Tatbeteiligung gegen Zeugnisverweigerungsberechtigte fordert die Humanistische Union daher strengere Maßstäbe als bisher.
Die inflationäre Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen zeugnisverweigerungsberechtigte Personen wegen des Verdachts der Mittäterschaft (etwa Journalisten) verweist auf ein grundlegendes Problem in der Praxis verdeckter Ermittlungen: Das Risiko, auf unzulässige Weise zum Objekt heimlicher Ermittlungen zu werden, tragen allein die Betroffenen. Die Ermittlungsbehörden können bisher darauf vertrauen, dass sie alle verdeckt gewonnenen Informationen nutzen dürfen, sei es als Beweismaterial oder als Ermittlungsansatz für die Suche nach weiteren Beweismitteln. Für sie ist es deshalb nur konsequent, wenn sie die Grenzen ihrer heimlichen Ermittlungsbefugnisse – unter Inkaufnahme des Risikos einer Überschreitung – weitgehend ausschöpfen. Eine im Nachhinein als unzulässig eingestufte Überwachungsmaßnahme hat für sie keine negativen Folgen. Dagegen hilft nur ein umfassendes und striktes Verwertungsverbot für alle Erkenntnisse, die aus (im Nachhinein festgestellten) unzulässigen Eingriffen stammen. Nur so können Strafverfolger dazu angehalten werden, den Schutz der Privatsphäre angemessen zu berücksichtigen.
Die ausführliche Stellungnahme der Humanistischen Union vom 19. Januar 2007 ist auf dieser Internetseite zu finden. Eine gedruckte Fassung kann in der Bundesgeschäftsstelle der HU abgerufen werden.