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Die Banken und die Religion

Mitteilungen21410/2011Seite 11-12

Teil 2: Es wird alles noch schlimmer. Aus: Mitteilungen Nr. 214 (3/2011), S. 11-12

Die Kirchen, soweit sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dürfen von ihren Mitgliedern Kirchensteuern erheben. Das garantiert seit 1919 die Verfassung (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung). Anfangs erfolgte die „Erhebung“ der Kirchensteuer durch die Kirchen selbst. Dann schuf der Staat in § 19 Reichsabgabenordnung die Ermächtigung an die Kirchen, die Steuererhebung den staatlichen Finanzämtern zu übertragen. Später – während der Zeit des Nationalsozialismus – wurden die Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abführung der Kirchensteuer vom Arbeitslohn in Pflicht genommen. Und seit 2009 können Banken im Einverständnis mit den Steuerpflichtigen die Steuer auf Einkünfte aus Kapitalvermögen (Abgeltungssteuer) einbehalten und an das Finanzamt abführen. Darüber und warum dies religionsverfassungsrechtlich höchst bedenklich ist, wurde in den Mitteilungen bereits berichtet (Nr. 202, 3/2008, S. 12 f.).

Vom Jahr 2013 an soll die Rechtslage erneut verschärft werden. Bisher war es möglich, dass der Steuerpflichtige sich wegen der Abgeltungssteuer nicht gegenüber der Bank, sondern „nur“ gegenüber dem Finanzamt über seine Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft erklärte, indem er eine besondere Steuererklärung bezüglich der Einkünfte aus Kapitalvermögen abgab. Damit war im Verhältnis zur Bank dem Artikel 136 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung Genüge getan, wonach „niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren“.

Das soll sich nun ändern, wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften“ (BT-Drs. 17/6263) mit den entsprechenden Vorschriften zur Änderung des Einkommenssteuerrechts vorsieht. In Zukunft sollen im Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) auf der Basis der dort bereits verwalteten Steuer-Identifikationsnummern aller BundesbürgerInnen (Steuer-ID)  die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale gesammelt werden. Zu diesen Merkmalen gehört auch die Kirchensteuerpflicht, die sich auch aus den melderechtlichen Daten ergibt. Damit die Kreditinstitute nun die Kirchensteuer einbehalten können, müssen sie beim Bundeszentralamt für Steuern turnusmäßig anfragen, ob eine Kirchensteuerpflicht besteht. Auf diese Weise erfährt dann die Bank, ob der Kunde einer kirchensteuerberechtigten Religionsgemeinschaft angehört oder nicht (BT-Drs. 17/6263, S. 59 f.). Das bisherige Wahlrecht des/der SteuerbürgerIn (Einbehaltung durch die Bank oder Veranlagung durch das Finanzamt entfällt). Ob jemand Kirchenmitglied ist, erfahren Arbeitgeber und Banken obligatorisch. Der Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Schweigerecht der BürgerInnen in Religionsangelegenheiten liegt offen zutage. Der Gesetzentwurf äußert sich nicht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der vorgeschlagenen Regelung. Der dem Gesetzentwurf vorausgegangene „Bericht [der Bundesregierung] über die Auswirkungen des vorläufigen Verfahrens der Erhebung der Kirchensteuer auf die Kapitalertragssteuer sowie die Überprüfung mit dem Ziel der Einführung eines umfassenden verpflichtenden Quellensteuerabzugs auf der Grundlage eines elektronischen Informationssystems 2010″ vom 3.9.2010 (BT-Drs. 17/2865) stellt – ohne weitere Begründung – die Behauptung auf: „Ein solches Verfahren wird im Hinblick auf die in Artikel 4 Absatz 1 GG verankerte Religionsfreiheit des betroffenen Kunden als verfassungsgemäß beurteilt, da es zur Sicherstellung einer geordneten Besteuerung, zu der der Staat nach Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Absatz 6 WRV gegenüber den Kirchen verpflichtet ist, erforderlich und dem Kunden bei Wahrung des Datenschutzes zumutbar sein dürfte.“ Demgegenüber wies der Bundesbeauftragte für den Datenschutz darauf hin, dass die Kreditinstitute Kenntnis über die Religionszugehörigkeit von 90 Millionen Kontoinhabern erhalten; er befürchtet Missbrauchsmöglichkeiten und Begehrlichkeiten anderer Stellen.

Bemerkenswert sind die Reaktionen auf den Gesetzentwurf, wie sie bei der Anhörung im Finanzausschuss am 21.9.2011 zur Sprache kamen:

  • Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben die Pläne zum automatisierten Kirchensteuereinzug strikt abgelehnt, weil die Anonymität der Abgeltungssteuer durch die Kontrollmitteilung an das BZSt gefährdet sei.
  • Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft warnte vor Kirchenaustritten und Verlagerung von Vermögen in die Schweiz, weil nach dem neuen Doppelbesteuerungsabkommen eine zwangsweise Erhebung von Kirchensteuern nicht vorgesehen sei.
  • Demgegenüber haben Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche die vorgesehene Regelung begrüßt und die Einbeziehung der Kreditinstitute damit gerechtfertigt, dass schließlich auch die Arbeitgeber die Daten zum Abzug der Kirchensteuer vom Lohn erhalten.

Die Unbefangenheit einer solchen Kollusion von Staat und Kirchen in Kirchensteuerangelegenheiten verschlägt einem die Sprache. Das Recht der BürgerInnen, ihre Religionszugehörigkeit zu verschweigen, wird weder ernst noch auch nur in den Blick genommen. Allein entscheidend ist vielmehr das Interesse der Kirchen an kontinuierlichen Steuereinnahmen. Dass mehr als zwei Drittel der Bundesbürger das weltweit einzigartige System des staatlichen Kirchensteuereinzugs insgesamt ablehnen (F.A.Z. v. 27.9.2011), wird nicht zur Kenntnis genommen. Dass selbst der Vatikan eine skeptische bis ablehnende Haltung einnimmt („Befreit die Kirche von Privilegien“), hat auch nicht zu einem Wandel geführt. Noch nicht.

Johann-Albrecht Haupt
ist Mitglied des Bundesvorstandes der Humanistischen Union und
dort zuständig für den Bereich Staat, Religionen, Weltanschauungen.

Johann-Albrecht Haupt: Die Banken und die Religion, Die Abgeltungssteuer setzt das Religionsgeheimnis außer Kraft, in: Mitteilungen Nr. 202 (3/2008), S. 12/13 .

Zur Steuer-ID siehe Sven Lüders: Neuer Datenschutzvirus in Umlauf gebracht, Humanistische Union will rasche Ausbreitung der Steueridentifikationsnummer gerichtlich stoppen, in: Mitteilungen Nr. 202 (3/2008), S. 1 f.

Das Finanzgericht Köln hat am 7.7.2010 (Az. 2 K 3093/08 u.a.) in mehreren Musterverfahren – zu denen nicht das von der HU unterstützte Verfahren zählte – die Klage gegen die Vergabe einer Steuer-ID abgewiesen. Die Verfahren werden derzeit in der Revision fortgeführt.

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