Beitragsbild Ressortplanung 2022/23 des Bundesvorstandes der Humanistischen Union
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Ressort­pla­nung 2022/23 des Bundes­vor­standes der Humanis­ti­schen Union

(Red.) Seit September 2022 ist ein neuer Bundesvorstand der Humanistischen Union im Amt. Seine Mitglieder haben sich die Arbeit nach dem Ressortprinzip aufgeteilt. Die Ressortverantwortlichen sind für die Aktivitäten in ihrem Themenbereich verantwortlich und dienen als Ansprechpartner für Anregungen zu diesem Thema.

Der Vorstand hat die zu erwartenden Schwerpunkte der Ressorts besprochen und zugeteilt. Das Ergebnis stellen wir hiermit vor. Kritische Anmerkungen und Vorschläge zur Ergänzung sind herzlich willkommen. Zudem stellt der Vorstand im Folgenden seine inhaltlichen Planungen und Ergebnisse der einzelnen Ressorts vor. Die Zuständigkeit zu folgenden inhaltlichen Themen hat sich der Bundesvorstand aufgeteilt.

 

BildungDr. Wolfram Grams
DatenschutzStefan Hügel
DigitalpolitikStefan Hügel
FrauenpolitikProf. (. R.) Dr. Marlis Dürkop-Leptihn
Frieden und MilitärDr. Andrea Zielinski
InformationsfreiheitStefan Hügel
Innere Sicherheit und PolizeiProf. (i. R.) Dr. Johannes Feest
Kriminalpolitik und RechtspolitikProf. (i. R.) Dr. Johannes Fest
Künstliche IntelligenzStefan Hügel und Thomas Messerer
MedienpolitikThomas Messerer
SelbstbestimmungProf. (i. R.) Dr. Marlis Dürkop-Leptihn
Soziale GrundrechteDr. Wolfram Grams
Staat und ReligionDr. Andrea Zielinski

 

Johannes Feest: Krimi­nal­po­litik, Sicher­heits­po­litik

Innere Sicherheit und Polizei

„Das Spannungsverhältnis zwischen Bürgerrechten und Polizei beschäftigt die Humanistische Union, und damit auch die Zeitschrift vorgänge seit ihrer Gründung“, heißt es in einem Editorial von Hartmut Aden und Sven Lüders (vorgänge Nr. 227/ 2019).

Das begann mit der Forderung nach Polizeikennzeichnung (1968) und nach Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen, beides in engem Zusammenhang mit politischen Demonstrationen. Diese Forderungen haben im Laufe der Jahre spürbare Veränderungen in einzelnen Bundesländern bewirkt. Sie haben jetzt auch Niederschlag im Koalitionsvertrag gefunden, wo es heißt:

„Wir führen eine unabhängige Polizeibeauftragte bzw. einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizei des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag mit Akteneinsichts-und Zutrittsrechten ein. Wir führen die pseudonyme Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten ein“.

Die Umsetzung dieser Pläne muss von uns weiter beobachtet und gegen Rückschritte verteidigt werden. Auch die Ungleichheiten bei der Ausübung der polizeilichen Definitionsmacht sind seit langem Gegenstand der rechtspolitischen Arbeit der HU. Neuerdings muss diese Kritik am Beispiel des Racial Profiling erneuert werden.

In den letzten Jahren hat sich die HU verstärkt Fragen der Sicherheitstechnologie zugewandt (Lauschangriff; Vorratsdatenspeicherung; Predictive Policing u. ä.). Dabei haben rechtliche Fragen zunehmend an Bedeutung gewonnen und diese sind in Form von Musterprozessen von der HU erfolgreich bis zum Bundesverfassungsgericht verfolgt worden. Die gesetzgeberische Umsetzung solcher juristischer „Siege“ müssen wir kritisch prüfen und notfalls erneut den Rechtsweg beschreiten.

Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Auseinandersetzung mit der (un-)heimlichen Staatsgewalt des Verfassungsschutzes, die in der Forderung „Der Verfassungsschutz muss weg!“ gipfelte. Von der Erfüllung solcher weitreichenden Forderungen sind wir jedoch noch weit entfernt. Es wird darum gehen, diese Diskussion am Leben zu erhalten und sie in umfassendere Fragen der Sicherheitspolitik einzubetten.

In einem Aufsatz, der bis heute Maßstäbe gesetzt hat, argumentierte Winfried Hassemer, dass es bisher „keine progressive Vorstellung von Innerer Sicherheit“ gebe (vorgänge Nr. 124/1993, 54 ff.). Allzu oft folge man konservativen Deutungen des Handlungsbedarfs und beschränke sich auf „Gesten des Bestreitens und Warnens“. Er hat dazu Ansätze vorgelegt, die weiterentwickelt werden müssten: Sicherheitspolitik dürfe nicht auf Polizeipolitik verengt werden. Sicherheitspolitik ohne Rücksicht auf Jugend, Arbeit, Wohnen, Soziales, Bildung sei „eine auf Dauer hoffnungslose Veranstaltung“ und könne nur als „Teil einer abgestimmten Innenpolitik sinnvoll sein“. Für eine langfristig angelegt Kriminal- und Sicherheitspolitik käme es auf dasselbe Ziel an: „normstabilisierende, solidarisierende Prozesse zu initiieren und zu begünstigen“.

Konservative Politik fordert ständig eine Erweiterung der polizeilichen Kapazitäten. Demgegenüber fragt eine progressive Polizeikritik, wieviel Polizei unsere Gesellschaft wirklich braucht. „Gibt es tragfähige Alternativen zur Polizei oder wenigstens Möglichkeiten, ihre negativen Effekte einzudämmen?“ (Daniel Loick, Hrsg., Kritik der Polizei, 2018). Die HU sollte sich an diesen Diskussionen aktiv beteiligen. Eine erhebliche Entkriminalisierung im Bereich der Massenkriminalität, einschließlich der Drogenkriminalität würde die Möglichkeit eröffnen, einen erheblichen Teil des Polizeibudgets anderen Gemeinschaftsaufgaben (Gesundheit, Bildung etc.) zuzuführen.

Kriminalpolitik

Auch die Kriminalpolitik hat in der Arbeit der Humanistischen Union seit ihren Anfängen eine bedeutende Rolle gespielt. Das zeigt sich allein schon an der großen Zahl von Trägern des Fritz-Bauer-Preises, die diesem Bereich zugeordnet werden können. Diese Tradition gilt es fortzusetzen und im Sinne einer skeptischen Kriminalpolitik weiter zu entwickeln. Dazu ist ein Schwerpunktheft (vorgänge Nr. 3 oder 4/2023) geplant.

Im Koalitionsvertrag ist der Kriminalpolitik kein eigener Abschnitt gewidmet. Die kriminalpolitischen Vorhaben der Ampel finden sich verstreut unter dem Titel „Innere Sicherheit, Bürgerrechte, Justiz, Verbraucherschutz, Sport“. Die zugrundeliegende kriminalpolitische Konzeption wird in einem Absatz wie folgt zusammengefasst:

„Das Strafrecht ist immer nur Ultima Ratio. Unsere Kriminalpolitik orientiert sich an Evidenz und der Evaluation bisheriger Gesetzgebung im Austausch mit Wissenschaft und Praxis. Wir überprüfen das Strafrecht systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche und legen den Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz. Das Sanktionensystem einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen überarbeiten wir mit dem Ziel von Prävention und Resozialisierung“.

Vom Ansatz her ist dagegen nur wenig einzuwenden. Allerdings fehlen unter den Beispielen große Bereiche, die nach diesem Maßstab einer gründlichen Revision, wenn nicht gar der Abschaffung bedürfen. Unter diesem Gesichtspunkt werden wir als HU den jetzt anlaufenden Prozess der Gesetzgebung kritisch begleiten. Einige Beispiele dafür, was damit gemeint ist.

Entrümpelung des Strafrechts

Zunächst gilt es einige offensichtlich veralteten Zöpfe abzuschneiden. Unser Strafrecht stellt über weite Strecken ein Sammelsurium der Gefahr- und Moralvorstellungen früherer Epochen dar. In jeder neuen Epoche wird etwas hinzugefügt, während nur selten etwas aus dem Bereich des Strafbaren entfernt wird. Gustav Heinemann hat als Justizminister damit begonnen, Überholtes zu entfernen (z.B. die Strafbarkeit des Ehebruchs und der Kuppelei). Dieses gute Werk wäre jedoch ständig und sogar verstärkt fortzusetzen, wenn das Strafrecht tatsächlich das letzte Mittel sein soll. Vielfach würde das Zivilrecht ausreichen, wenn es darum geht, sozialwidriges Verhalten zu sanktionieren. „Fahren ohne Fahrschein“ und „Ladendiebstahl“ sind herausragende Beispiele dafür, wie Unternehmer und Geschäftsinhaber sich ihrer Kontrollaufgaben entledigt haben und sich des Strafrechts als einer billigen Entlastung bedienen. Zugleich sind es traurige Beispiele einer Verfolgung von Armut („Neue Klassenjustiz“). Diese Entwicklung umzukehren, würde die Strafjustiz ernsthaft entlasten. Der vom Bundesjustizministerium gegenwärtig verfolgte Plan einer Umwandlung derartiger Straftatbestände in Ordnungswidrigkeiten würde diesen Effekt nicht haben, sondern nur den Namen der Bestrafung austauschen.

Strafbefehl

Kein ganz alter Zopf, aber doch einer, der dringend unter das Messer kommen sollte, ist das Strafbefehlsverfahren (§ 407 ff. StPO). Es wurde eingeführt, um Fälle minder schwerer Kriminalität schnell und effektiv auf schriftlichem Wege zu bearbeiten. Je nach Region sind dies bis zu 90 % der Geldstrafen. Der Strafbefehl wird per Post zugestellt. Verurteilte können binnen zwei Wochen Einspruch einlegen und damit eine Hauptverhandlung erwirken. Jedoch erfassen das die Wenigsten – viele Betroffene sind von dem schriftlichen Verfahren und der ungewohnten Rechtssprache überfordert und begreifen weder die Strafe noch deren drohenden Vollstreckung, Diese soziale Ungerechtigkeit verschärft sich, wenn bildungsferne Angeklagte auf einen Einspruch verzichten. Bei Nicht-Zahlung wird aus einer Geldstrafe quasi-automatisch eine Ersatzfreiheitsstrafe. Im Ergebnis dient das Strafbefehlsverfahren zwar einer gewissen Entlastung der Strafgerichtsbarkeit, zugleich trägt es jedoch erheblich zur „neuen Klassenjustiz“ bei. Konsequenz müsste die völlige Beseitigung dieses rechtsstaatswidrigen Verfahrens sein. Leider wird darüber offiziell noch nicht einmal mehr nachgedacht. Bei Beibehaltung des Strafbefehlsverfahrens müsste mindestens gefordert werden, dass der/die Beschuldigte, nach kompetenter Rechtsberatung, dieser Art der Bestrafung zustimmt.

Betäubungsmittelkriminalität

Die Repression gegen Drogenkonsumierende hat in den letzten Jahren ein Rekordniveau erreicht.  Zwei Drittel davon betrifft Cannabis, zumeist den Konsum. Zwanzig Prozent aller Strafgefangenen sitzen wegen Drogendelikten ein, hinzu kommt eine große Zahl, die wegen Beschaffungskriminalität, zumeist Diebstahl verurteilt wurden. Die zur Abwehr von Drogenkonsum in Justizvollzugsanstalten ergriffenen Maßnahmen verursachen zudem drastische Einschränkungen bei den Haftbedingungen der übrigen Gefangenen. Neue Formen der Prävention, Therapie und Schadensminderung werden erst möglich, wenn die Repression einer konstruktiven Regulierung weicht und im Gegensatz zum heute gültigen Abstinenzdogma ein vornehmlich gesundheits-politischer Ansatz mit akzeptanz-/problemorientiertem Schwerpunkt zum Tragen kommt. Ziel wäre eine Regulierung illegaler Substanzen, d. h. ein Abbau repressiver Strukturen zugunsten gesundheitlicher Unterstützungen und Hilfen. Ein erster Schritt wäre die seit langem überfällige Entkriminalisierung von Erwerb, Besitz und Verkauf von Cannabis. Diese wäre wissenschaftlich zu evaluieren und könnte sich als Modell für die Legalisierung anderer, bisher illegaler Drogen erweisen. Die gegenwärtigen Pläne der einschlägigen Ministerien (Cannabis Clubs u. ä.) sind halbherzig und zur Lösung der erwähnten Probleme ungeeignet.

Politisches Strafrecht

Weitgehend obsolet ist auch das politische Strafrecht. Althergebrachte Straftatbestände wie Hochverrat und Landesverrat werden in der Praxis kaum noch angewendet. Der mindestens symbolisch sinnvolle „Friedensverrat“ war 1968 eingeführt, aber schon 2016 wieder abgeschafft worden. Dagegen spielt der, Ende der 19.Jahrhunderts gegen die Sozialdemokratie eingeführte, Straftatbestand der „kriminellen Vereinigung“ (§ 129 StGB) neuerdings erneut eine fatale Rolle bei der Verfolgung gewaltloser Protestbewegungen. Er gestattet eine Ausweitung des Strafrechts durch Vorverlagerung der Strafbarkeit und der Strafverfolgung. Der Straftatbestand müsste wenigstens ausdrücklich auf die durch Erwerbsinteresse motivierte organisierte Kriminalität beschränkt werden. Nachgedacht werden sollte auch über die ausufernde Strafverfolgung wegen § 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen).

Strafvollzug

Fritz Bauer war ein Champion des „Freigängertums“. Aber der in der Folge eingeführte Freigang als Möglichkeit, außerhalb der Anstalt einer Ausbildung oder Berufstätigkeit nachzugehen, steht zwar in den Gesetzen, hat aber nur geringe Bedeutung erlangt. Auch der „offene Vollzug“, ursprünglich als Regelvollzugsform gedacht, kümmert unterhalb von zwanzig Prozent dahin. Der geschlossene Strafvollzug erfüllt weder seine überkommenen Abschreckungsziele, noch die neuerdings proklamierten Resozialisierungshoffnungen. Er bedeutet Zwangsarbeit, Zwangsarmut, Zwangszölibat, und verstößt daher gegen grundlegende Menschenrechte. Unter humanistischen Gesichtspunkten spricht daher alles für einen Verzicht auf diese Institution. Gerade weil dies nur ein langfristiges Projekt sein kann, müssen Zwischenziele ernsthaft angestrebt werden. Sofort abgeschafft werden sollte die Ersatzfreiheitsstrafe, ein weiteres Beispiel für die unverhältnismäßige Bestrafung von Armut. Dem wird durch die Pläne des Bundesjustizministeriums, die nur eine Halbierung der Straflänge vorsehen, nicht abgeholfen (vgl. Grundrechtereport 2023). Nachgedacht werden muss jedoch weiterhin auch über die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Inhumanität und Sinnlosigkeit dieser Strafe wurde im Rahmen der Humanistischen Union zuletzt in einem Tagungsbericht von Charlotte Maack thematisiert (vorgänge 26/1977). Es wäre an der Zeit, darauf wieder zurück zu kommen.

 

Stefan Hügel: Digital­po­litik

Digitalpolitik ist inzwischen eine feste Größe in der Bürger- und Menschenrechtsarbeit. Die Humanistische Union arbeitet bereits lange zu den Themen des Datenschutzes, der Informationsfreiheit und der Überwachung.

Seit einigen Jahren gewinnen Verfahren der Künstlichen Intelligenz an Bedeutung, so dass auch sie verstärkt der bürgerrechtlichen Begleitung bedarf.

Datenschutz und Informationsfreiheit

Die heutige Gesellschaft ist durch ein starkes Machtgefälle gekennzeichnet, das sich vor allem zwischen Einzelpersonen und (großen) staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen zeigt. Institutionen üben i. d. R. durch Informationen Macht über Einzelpersonen aus. Dabei sind zwei Klassen von Informationen zu unterscheiden:

  • Personenbezogene Informationen, die Personen charakterisieren und weitgehendes Wissen über die Person selbst, ihre Lebensumstände oder ihre Beziehungen enthalten können. Werden solche Informationen preisgegeben, können sie zur Ausübung von Macht genutzt werden. Neben der Sicherheit, dass solche Informationen nicht preisgegeben werden, muss auch stets bekannt sein, welche personenbezogenen Informationen preisgegeben wurden (Grundlage der grundrechtlich geschützten informationellen Selbstbestimmung). Den Schutz der Menschen gegen die Preisgabe dieser personenbezogenen Informationen besorgt der Datenschutz.
  • Öffentliche Informationen sind die Voraussetzung für eine aktive Teilhabe am öffentlichen Leben und damit für die Demokratie. Öffentliche Institutionen kontrollieren das öffentliche Leben mit Hilfe dieser Informationen. Außerhalb eines eng bemessenen Bereichs, bei dem – beispielsweise zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit – eine Geheimhaltung unbedingt erforderlich ist, sollten solche Informationen öffentlich verfügbar sein – dies regelt die Informationsfreiheit.

Datenschutz und Informationsfreiheit sind damit zwei Seiten derselben Medaille und wirken zusammen: Sie schützen die einzelne Person gegen übermäßige Machtausübung durch staatliche oder wirtschaftliche Institutionen. Sie sind nicht nur formale Rechte, sondern sie sind Voraussetzung für eine funktionierende demokratische Gesellschaft.

Der Datenschutz ist u. a. durch verschiedene Entwicklungen bedroht:

  • Zunehmende staatliche Überwachung und Datennutzung durch staatliche Behörden, insbesondere Sicherheitsbehörden,
  • Datennutzung durch Wirtschaftsunternehmen, z. B. zur optimierten Kundenansprache,
  • Datennutzung durch politische Parteien, z. B. zur gezielten Beeinflussung der Wählerschaft.

Besonderes Augenmerk erfordert die Verarbeitung von großen Datenmengen durch Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz, bei denen neue Erkenntnisse durch die massenhafte Verarbeitung und Strukturierung von Daten gewonnen werden (siehe unten).

Die Humanistische Union setzt sich politisch, juristisch und technisch für einen wirksamen Datenschutz ein. Dies umfasst die Einhaltung der einschlägigen rechtlichen Vorschriften, insbesondere der europäischen Datenschutz-Grundverordnung und des damit im Zusammenhang stehenden Bundesdatenschutzgesetztes und der Landesdatenschutzgesetze. Spiegelbildlich umfasst es auch die Gesetzgebung zur Informationsfreiheit. Darüber hinaus setzt sich die Humanistische Union politisch für eine Weiterentwicklung im Sinne eines besseren Schutzes der Menschen ein.

Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen bezeichnen Verfahren der Informatik, bei denen die Funktionalität von Programmsystemen, anders als bei „herkömmlicher“ Informatik, nicht explizit algorithmisch programmiert werden, sondern ihr Verhalten anhand von komplexen Datenbeispielen durch schrittweises „Lernen“ entwickelt. Diese Verfahren, die es im Grundsatz bereits seit den 1950er-Jahren gibt, wurden in den letzten Jahren deutlich verbessert und durch die Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit der Hardware praktisch nutzbar gemacht. In einzelnen, jeweils eng begrenzten Bereichen ist es gelungen, menschliche Denkleistung nachzubilden oder punktuell zu übertreffen. Solche Large Language Models (LLM) arbeiten auf Basis von Wahrscheinlichkeiten, ohne „echtes“ semantisches „Wissen“ über den Gegenstandsbereich ihrer Ergebnisse. Aktuell ist das LLM ChatGPT in den Schlagzeilen, das auf der Wissensbasis des World Wide Web erstaunliche „Wissens-“ Leistungen vollbringt – bei ungenügender Datenbasis aber auch stark irreführende Antworten produziert. Wie jeder Computer arbeiten solche Modelle im Kern ebenfalls algorithmisch; die Ergebnisse werden aber durch die Daten bestimmt, die durch einen „universellen“ Lernalgorithmus verarbeitet werden.

Maschinelles Lernen kann in mehreren Bereichen genutzt werden, die beispielsweise zu bürgerrechtlichen Problemen führen können:

  • Die Verarbeitung von Daten über einzelne Personen kann zu sehr differenzierten Charakterisierungen dieser Personen führen, die z. B. für gezielte politische Ansprache genutzt werden können (Targeted Advertising) und die Person damit gezielt beeinflussen und manipulieren.
  • Verfahren des Maschinellen Lernens können zur Bildmanipulation eingesetzt werden (Deep Fake). Damit können gefälschte Bilder oder Filme gezielt zur Verbreitung gefälschter politischer Botschaften genutzt und die Öffentlichkeit damit getäuscht werden.
  • Verfahren des Maschinellen Lernens können zur Steuerung autonomer Waffensysteme genutzt werden, die ohne menschliche Kontrolle – und damit ohne bzw. auf Basis nicht vorhersehbarer ethischer Prinzipien – agieren.
  • Die Nutzung von Large Language Models im Bildungsbereich muss beobachtet werden. Es gibt bereits Beispiele, in denen solche Modelle Prüfungsleistungen erfolgreich absolviert haben. Es muss untersucht werden, wie die Modelle in die Lehre integriert und ein Missbrauch verhindert werden können.
  • Transport von Stereotypen und systematische Verzerrungen in der Datengrundlage des Maschinellen Lernens, die zu Diskriminierungen führen (z. B. sog. „programmierter Rassismus“).

Die Humanistische Union sieht in der Künstlichen Intelligenz eine Chance, den Menschen in einzelnen Bereichen zu unterstützen und zu Verbesserungen beizutragen, etwa dann, wenn erhebliche Datenmengen zur Modellierung komplexer Sachverhalte genutzt werden – beispielsweise bei Klimamodellen. Wir sehen aber auch erhebliche Risiken aufgrund der großen verarbeiteten Datenmengen und der fehlenden Nachvollziehbarkeit der Verarbeitung, einschließlich der mangelnden Überprüfbarkeit der Validität der Ergebnisse. Trotz erstaunlicher Ergebnisse in Einzelbereichen erwarten wir, dass die universelle Denkleistung des Menschen durch Maschinelles Lernen absehbar nicht nachgebildet werden kann.

Überwachung

2023 jähren sich die Enthüllungen von Edward Snowden zum zehnten Mal. Durch diese Enthüllungen wurde deutlich, in welchem Umfang Massenüberwachung der Telekommunikation stattfindet. Dies wurde durch Erkenntnisse eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages bestätigt.

Seither wurde die Massenüberwachung nicht reduziert, sondern nimmt kontinuierlich zu. Beispielhaft dafür stehen die von Sicherheitspolitikerinnen und -politikern immer wieder propagierte Vorratsdatenspeicherung von Metadaten der Kommunikation und in jüngerer Zeit die Überwachung von Kommunikationsinhalten unter Vorwand des Kinderschutzes (Chatkontrolle). Hier werden auch verstärkt Verfahren der Künstlichen Intelligenz eingesetzt, was eine gemeinsame Behandlung der beiden Themenbereiche nahelegt.

Dies schließt eine anlassbezogene Überwachung der Kommunikation zur Strafverfolgung – unter entsprechenden rechtlichen Vorbehalten – nicht aus. Die Humanistische Union wendet sich jedoch gegen jede anlasslose Massenüberwachung.

Neben staatlicher Überwachung wenden wir uns auch gegen die zunehmende Sammlung von Daten durch Wirtschaftsunternehmen, beispielsweise zur Optimierung der Ansprache der Kundschaft. Mit Sorge betrachten wir die Machtkonzentration in Händen weniger weltweit operierender Unternehmen („GAFAM“). Auch hier werden zunehmend Verfahren der Künstlichen Intelligenz eingesetzt.

Unsere Vorhaben:

  • Wir werden die aktuellen Entwicklungen, Chancen und Risiken im Bereich des Datenschutzes und der Informationsfreiheit, der Künstlichen Intelligenz und der Überwachung auf der politischen Ebene beobachten und dazu Stellung nehmen – beispielsweise bei der Diskussion und Weiterentwicklung des Artificial Intelligence Act oder der Ausweitung von Überwachungsbefugnissen staatlicher Behörden durch die Erweiterung von Sicherheitsgesetzen.
  • Dies schließt Stellungnahmen in parlamentarischen Anhörungen ebenso ein wie Pressemitteilungen zu aktuellen Entwicklungen und Beiträge in den vorgängen, den Mitteilungen und ggf weiteren einschlägigen Publikation (z. B. Grundrechte-Report im Rahmen der Mitarbeit in der Redaktion).
  • Wir behandeln das Thema Künstliche Intelligenz in einer Schwerpunktausgabe der vorgänge.
  • Wir planen regelmäßige virtuelle Veranstaltungen und Podcasts, bei denen wir u. a. diese Themen behandeln wollen.
  • Wir beteiligen uns an Veranstaltungen, z.B. dem Chaos Communication Congress (voraussichtlich im Dezember 2023 in Hamburg), der FIfF-Konferenz (voraus. im November 2023 in Berlin) und weiteren; z.B. durch Informationsstände.
  • Wir beteiligen uns an Arbeitskreisen und kooperieren mit Organisationen, die zur Digitalpolitik arbeiten (z. B. Amnesty International, FIfF).

 

Wolfram Grams: Pädagogik und Bildungs­po­litik

Die Geschichte der Humanistischen Union belegt ihre Verbundenheit mit pädagogischen und bildungspolitischen Fragen. Trotzdem gerieten Bildungseinrichtungen und das Recht auf Bildung aus ihrem bürgerrechtlichen Blick, wie dies zeitgleich bei vielen Organisationen der Fall war. Das geschah parallel zu einem gesellschaftlichen Prozess der Reduktion des Bildungsbegriffs auf verwertbare Qualifikation. Zunehmend werden die Maßstäbe für Bildungsqualität durch Metriken ersetzt, die sich daran orientieren, welche Rendite aus der gewonnenen Qualifikation in Form lukrativer Stellen und Einkommenssteigerung abgeleitet werden kann.

Diese Tendenz wird durch eine immer weiter auseinanderklaffende Schere beim Zugang zur Bildung verschärft. Armut erschwert diesen Zugang, Reichtum begünstigt ihn. Die soziale Selektion setzt sich weiterhin durch: Unverändert sind an den deutschen Hochschulen und Universitäten vornehmlich die Kinder von Akademiker*innen anzutreffen. Auf der anderen Seite der Schere steht eine zunehmende Zahl von Analphabeten*innen, wie von Jugendlichen, die die Schulen ohne jeden Abschluss verlassen. Diese Probleme kumulieren seit mehreren Jahrzehnten.

Bildungseinrichtungen in Deutschland sind dem Verfall preisgegeben. Allein der im Bereich der Schulen eingetretene Investitionsstau ist eklatant. Desaströs jedoch ist der sich verschärfende Personalmangel in allen Bildungseinrichtungen. Obwohl dieses Problem wegen der erkennbaren demographischen Entwicklung seit Jahren offenkundig ist, wurde seitens der Kultusbürokratien nicht gegengesteuert.

All das steht im Kontrast zu Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Er beinhaltet den Anspruch auf freien Zugang aller zu Bildungseinrichtungen. Das bedeutet, dass dies für alle Menschen gleichermaßen gilt, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer kulturellen, sozialen und ethnischen Herkunft, ihrer Sprache, ihrem Alter, ihrer Religion, ihres sozialen Status und auch ihres Vermögens. Zudem hat die Bundesregierung die UN-Behindertenrechtskonvention gezeichnet und damit das Recht auf die Inklusion aller Kinder in das öffentliche Bildungssystem festgeschrieben. Das Recht der Teilhabe behinderter Kinder am Regelunterricht erhält damit den Status eines Menschenrechts.

Den damit vorhandenen Anforderungen können Bildungseinrichtungen gegenwärtig nicht nachkommen. Das deutsche Bildungswesen befindet sich in einer tiefen Krise. Dem Recht auf Bildung kann es nur noch bedingt gerecht werden.

Bildung wird damit erneut zu einem Bürgerrecht, das erkämpft werden muss. Das gilt besonders für die immer größer werdenden benachteiligten Gruppen.

  • Zu diesem Zweck arbeitet die Humanistische Union gegenwärtig in dem Bündnis „Schule muss anders“ mit und beteiligt sich an der Vorbereitung des bundesweiten Aktionstages am 23. September 2023. Die Humanistische Union ist eine der aufrufenden Organisationen des Bündnisses.
  • Kontinuierlich erscheinen in den vorgängen wieder Artikel zu den Themenbereichen Bildung, Erziehung und Bildungspolitik.
  • Etabliert werden soll eine Arbeitsgemeinschaft „Bildung & Erziehung“ für Mitglieder der Humanistischen Union und Interessierte.
  • Das Ressort „Pädagogik und Bildungspolitik“ muss verknüpft werden mit dem Aufgabenfeld „Soziale Rechte“.

 

Andrea Zielinski: Staat und Kirche, Religionen und Werte­ge­mein­schaften

„Religionsfreiheit ≄ Freiheit von Religion“ habe ich meinen Artikel zur 1848er Revolution genannt (GEE Journal (2023), Nr. 1, S. 16ff., https://gee-online.de/journal-archiv). Darum gebeten wurde ich in meiner Funktion als Vorstand und Ansprechpartnerin der Humanistischen Union, angefragt hat eine – die – religionspädagogische evangelische Zeitschrift. Selbstverständlich war ich froh, dass die HU auf Augenhöhe wahrgenommen wurde. Nun liegt also eine kleine humanistische Stimme in Bücherfächern der Lehrerzimmer der Republik.

So etwas gehörte auch zu meinen Aufgaben. Aber Religion ist für mich als Kultur- und Sozialanthropologin und Psychologin eine politische und soziale Tatsache, die es zu beobachten gilt und deren Handlungsspielräume immer wieder kritisch gewürdigt werden müssen. Die in unserem Grundgesetz verbriefte Trennung von Staat und Kirche wartet noch auf Umsetzung. Die gewährten Freiheiten der Religionsausübungen und der Schutz unterschiedlicher Traditionsgemeinschaften werden hierarchisch vergeben.

Die Privilegierung der Kirchen durch Bund und Länder durch die Staatkirchenverträge wurden darüber hinaus von Johann-Albrecht Haupt kritisiert. Er hat jährlich die Staatsleistungen der Länder an die Kirchen aufgezählt und ist federführend bei der Forderung der Ablösung der Staatskirchenleistungen. Ihm und Kirsten Wiese danke ich herzlich für ihr Engagement im Bereich „Staat und Kirche“.

Und, ob es eine Freiheit von Religion in sensiblen Bereichen unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel in der Notfallseelsorge, geben wird, liegt auch an uns.

Der Schwerpunkt „Religionen und Wertegemeinschaften“ wurde von mir breit aufgefasst. Wir erlebten eine kurze und heftige Diskussion in der HU anlässlich der positiven Pressemitteilung des Landesverbands Berlin-Brandenburg zum so genannten Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichtes. Diese Debatte sollten wir auf der Mitgliederversammlung weiterführen. Zudem plane ich, für den Grundrechte-Report einen Artikel zur „Wittenberger Judensau“ zu schreiben.

Ich lasse mein Amt im Vorstand der HU seit 11. April 2023 ruhen und werde wieder in einem wissenschaftlichen Rahmen das eine oder andere genannte Thema aufnehmen. Daher gibt es von meiner Seite auch derzeit keine weiteren Planungen für das Ressort „Staat und Kirche“.

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