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§ 218- Reform in der DDR und die katho­li­schen Bischöfe

von vg

Aus: vorgänge Heft 1-2/1972, S. 39

(vg) Am 23. Dezember 1971 hat der DDR- Ministerrat in Zusammenarbeit mit dem Politbüro der SED den Beschluß gefaßt, der „Volkskammer“ einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem für die Frauen der DDR auf deren Antrag der Schwangerschaftsabbruch für die ersten 3 Monate auf Antrag der Frau straffrei gestellt werden soll. Mit diesem Gesetztesvorschlag, der die Volkskammer gewiß passieren wird, würde die DDR- Gesetzgebung über Schwangerschaftsabbruch, die ohnehin liberalisiert ist, erneut verbessert und auf den Stand der Liberalisierungsdiskussion in der Bundesrepublik gebracht.

Die katholischen Bischöfe und Bischofskommissare in der DDR (die „Berliner Ordinarienkonferenz“) haben sehr prombt- mit einer Kanzelverlautbarung für den 9. Januar 1972 auf die Absichtserklärung der DDR- Regierung (und des SED- Politbüros) reagiert.

Um die 218- Debatte möglichst umfangreich zu dokumentieren, veröffentlichen wir hier die DDR- Bischofs- Erklärung:

„Mit Bedauern und großer Sorge haben wir am 23. Dezember 1971 durch die Presse den Beschluß des Ministerrates der DDR zur Kenntnis nehmen müssen, daß in einer künftigen gesetzlichen Regelung jede Frau selbst entscheiden kann, ob sie bis zum Ablauf von drei Monaten ihre Schwangerschaft unterbrechen möchte.

Als vor über sechs Jahren die Unterbrechung der Schwangerschaft auf Antrag bei der zuständigen Kommision des Gesundheitswesens gesetzlich erlaubt wurde, haben wir in unserer Erklärung vom 1. November 1965 darauf hingewiesen, daß damit eine unheilvolle Entwicklung für das ganze Volk beginnen würde. Dies wird durch die geplante neue Regelung bestätigt, die nach diesen sechs Jahren wiederum der illegalen Abtreibung steuern soll. Sie wird aber selbst wiederum Anfang eines größeren Schadens sein.

Ebenso wie die katholischen Bischöfe der Länder, in denen Schwangerschaftsunterbrechungen bereits gesetzlich erlaubt wurden, erklären wir in Übereinstimmung mit dem Konzil:“ Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen.“

Für den Christen ist das werdende Leben nicht der Verfügung und den Interessen des einzelnen oder der Gesellschaft ausgeliefert. Wir bitten und ermahnen daher alle Gläubigen, ihr Gewissen am Gebot Gottes auszurichten, auch wenn in der Öffentlichkeit mit scheinbar guten Gründen andere Meinungen vertreten werden. Jedes menschliche Leben steht unter dem Schutz des Gebots Gottes: Du sollst nicht töten. Es ist die Aufgabe eines jeden Staates, das menschliche Leben zu schützen, zumal das wehrlose Leben des besonderen Schutzes bedarf.

Für die werdende Mutter und für das Kind ist in der sonstigen Gesetzgebung der DDR in besonderer Weise gesorgt, in medizinischer, sozialer, arbeitsrechtlicher und finanzieller Hinsicht. Gerade deshalb ist eine Notlage, die eine Abtreibung rechtfertigen könnte, schwerlich gegeben.

Wenn eine Gesellschaft auf den gesetzlichen Schutz des werdenden Lebens verzichtet, wird sie mit ihrem Bemühen um wahren Humanismus unglaubwürdig.

Eine Praxis der Abtreibung werdenden Lebens bis zum dritten Monat, die allein in die freie Entscheidung der einzelnen Frau gestellt wäre, müßte das Empfinden für den Wert des Menschenlebens überhaupt schwer schädigen.

Für das Lebensrecht des Menschens kann es keine zeitlichen Schranken geben. Ebensowenig wie der Greis darf das Kind im Mutterleib seines Lebens beraubt werden. Der so zu befürchtende Schaden wäre verhängnisvoller als das ebenfalls zu erwartende Sinken der Geburtenziffer.

Wir Bischöfe treten mit dieser Erklärung auch für die Ärzte und Schwestern ein, die nach ihrem christlichen Gewissen und nach ihrem ärztlichen Ethos bei einer Abtreibung nicht mitwirken können. Wir erwarten daß ihnen kein persönlicher und beruflicher Nachteil erwächst, wenn sie entsprechend der durch die Verfassung der DDR garantierten Gewissensfreiheit handeln. Wir Christen sind der Überzeugung, daß unser Festhalten an der Unantastbarkeit und unser Eintreten für den Schutz menschlichen Lebens dem Wohle des einzelnen und der ganzen Gesellschaft dient. Für uns gilt als Gebot Gottes, des Schöpfers: ´Du sollst nicht töten.´“

Berlin, den 3.Januar 1972

Alfred Cardinal Bengsch, Erzbischof, Bischof von berlin, Gerard Schaffran, Bischof von Meißen, Hugo Aufderbeck, Bischof und Commissarius in Schwerin, Johannes Brau, Bischof und Commissarius in Magdebrug, Bernard Huhn, Weihbischof und Generalvikar in Görlitz, Prälat Karl Ebert, Bischöflicher Commisarius in meinigen, und Johannes Kleineidam, Weihbischof in Berlin.

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