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Datenschutz und Infor­ma­ti­o­nelle Selbst­be­stim­mung als Grundrechte in der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft

Aus: vorgänge Nr. 155( Heft 3/2001),S. 128-135

Mit dem Siegeszug des Computers in Unternehmen und Behörden seit Mitte des letzten Jahrhunderts eng verbunden ist die Diskussion darüber, ob und mit welchen Instrumenten die „Kehrseite der Datenverarbeitung” (Steinmüller 1971:34) durch rechtliche und technische Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In Deutschland bürgerte sich im Anschluss an die Maschinenschutzgesetzgebung das (missverständliche) Wort „Datenschutz” als Bezeichnung für diese Zielsetzung ein. Dieser Begriff, erstmals offiziell im Hessischen Datenschutzgesetz von 1970 enthalten, hat sich trotz anfänglicher Kritik in der ganzen Welt verbreitet (Data protection, Protection des donndes, zaschtschyta datych usw.), zuletzt ist er in die Europäische Charta der Grundrechte und Freiheiten vom Dezember 2000 aufgenommen worden.

Bezugspunkt für den Datenschutz war zunächst die Wahrung der Persönlichkeitsrechte gegenüber der automatisierten Datenverarbeitung, aber auch die Wahrung des informationellen Gleichgewichts zwischen Legislative und Exekutive spielte eine zentrale Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Aufsehen erregenden Entscheidung zum Volkszählungsgesetz 1983 den Begriff der „Informationellen Selbstbestimmung” geprägt.

In der weltweiten Diskussion um die Fortentwicklung der Informationsgesellschaft, in den letzten Monaten vor allem bei der Frage, welche Gewährleistungen für Informations- und Dienstleitungsangebote im Internet („e -Commerce“) erforderlich sind, stehen Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung ganz oben auf der Agenda. Umfragen in den letzten Jahren bestätigen einhellig, dass der Datenschutz unter den gesellschaftlichen Werten einen ganz hohen Rang einnimmt.

Der Weg dahin war mühsam. Die Humanistische Union hat sich an den Debatten häufig beteiligt.

Die Anfänge

Die Geburtsstunde der Datenschutzdiskussion schlug Anfang der sechziger Jahre mit den Plänen der Kennedy-Administration, beim Statistischen Bundesamt der USA eine nationale Datenbank mit Daten aller Staatsbürger aufzubauen, um die Daten für Planungszwecke der Bundesverwaltung zu verwenden. Nachdem Computer in der Verwaltung bereits für arithmetische Aufgaben (Volkszählung, Steuerverwaltung, Sozialverwaltung) eingesetzt worden waren, sollten nunmehr auch personenbezogene Daten im großen Stil verarbeitet werden. In den USA, denen ein Einwohnermeldewesen in unserem Sinne unbekannt ist, löste dies eine heftige nationale Debatte aus, zumal die Presse eine Reihe von problematischen Datensammlungen, u.a. der amerikanischen Armee zu politischen Anschauungen oder von Kreditinformationsunternehmen zu sensiblen Daten aller Art aufgedeckt hatte. Am Ende der Debatte stand die Ablehnung der Bundesdatenbank sowie der Entschluss, dem Staat gesetzliche Grenzen für die Verarbeitung von Daten der Staatsbürger und -bürgerinnen zu ziehen.

Das daraufhin in Gang gesetzte Gesetzgebungsverfahren knüpfte an die seit Ende des vorletzten Jahrhunderts geführte Diskussion über Stellenwert und Inhalt des „Right to Privacy” an. Unter diesem Titel hatten im Jahr 1890 die Anwälte Samuel Warren und Louis Brandeis (letzterer ein späterer Bundesrichter) einen Aufsatz geschrieben, in dem erstmals das Recht der Menschen, selbst darüber zu entscheiden, welche Daten über ihn offenbart werden, formuliert wurde (Warren/Brandeis 1890). Die daraufhin einsetzende juristische Debatte führte zur Qualifizierung von mindestens drei Verletzungsformen, die auch bei der Datenverarbeitung in Computern eine zentrale Rolle spielen: das Eindringen in die Privatsphäre, die Offenbarung von Daten über die Privatsphäre sowie die Verarbeitung falscher oder unvollständiger Daten.

Nach einigen Jahren legislativer Aktivitäten wurde der Privacy Act von 1974 vom US-Kongress verabschiedet, der allerdings gegenüber dem heutigen Standard der weltweiten Datenschutzgesetzgebung deutliche Defizite aufweist. Er gilt nur für die Bundesverwaltung (später schufen auch die Einzelstaaten Datenschutzgesetze), nicht aber für Privatunternehmen. Deren Einbeziehung war von einer eigens eingerichteten Kommission mit dem Argument abgelehnt worden, die Konkurrenz werde schon für hinreichenden Datenschutz sorgen – eine Annahme, die sich im Laufe der Jahre als falsch erwies. Das amerikanische Gesetz ist auf die Verarbeitung von Daten in Computern beschränkt, umfasst also die zu jener Zeit noch dominierende Form der Datenverarbeitung in Akten, Karteien oder anderen herkömmlichen Datensammlungen nicht. Schließlich sieht das amerikanische Gesetz keine Kontrollinstanz vor; erst Bill Clinton ordnete vor wenigen Jahren an, dass jede amerikanische Regierungsbehörde einen internen Datenschutzbeauftragten zu benennen hat.

Zwar wurde die Privacy -Gesetzgebung durch sektorale Regelungen ergänzt (z.B. Kreditinformationen, Führerscheindaten, Finanzdienstleistungsdaten oder gar Daten im Videoverleih), eine umfassende Datenschutzregelung gibt es in den USA jedoch bis heute nicht, Vorstöße von Wissenschaftlern und Bürgervereinigungen sind bislang erfolglos geblieben.

In der Bundesrepublik Deutschland und in anderen europäischen Ländern wurde die amerikanische Diskussion mit der üblichen Verspätung von rund fünf Jahren aufgenommen. Auch hier war der Aufbau einer „Bundesdatenbank” geplant, das Einwohnerwesen sollte mit Hilfe von standardisierten Personenkennzahlen vereinheitlicht werden. Aber auch hier wurde Kritik laut, die ebenfalls zum Verzicht auf diese Projekte führte. Dafür setzte 1970 die Debatte über die Schaffung eines deutschen Datenschutzgesetzes ein, das Wort selbst war ja inzwischen in der Welt. Die eigens eingesetzte Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft legte bereits im Januar 1970 einen „Vorentwurf eines Gesetzes zum Schutz der Privatsphäre gegen Missbrauch von Datenbankinformationen” vor, das erwähnte Hessische Datenschutzgesetz folgte. Noch waren die Gesetze primär auf die Kontrolle der staatlichen Bürokratien zugeschnitten. Anmeldung und Überwachung von Datenbanken, Registerführung, Protokollierungspflichten standen im Vordergrund der Regelung.

Ein Gutachten im Auftrag des zuständigen Bundesministeriums (Steinmüller et.al. 1971), Anhörungen, heftige Gegenäußerungen von Vertreter aus Wirtschaft und Verwaltung kennzeichneten die weitere Diskussion um den Datenschutz. Der deutsche Juristentag beschäftigte sich 1974 mit der Materie, schließlich wurde kurz vor dem Ende der Legislaturperiode 1976 nach einem vom ersten Bundesdatenschutzbeauftragten als „dramatischer Wettlauf gegen die Zeit” (Bull 1984:106) bezeichneten Hin und Her zwischen den verschiedenen Gesetzgebungsorganen am 10. November 1976 das Bundesdatenschutzgesetz verabschiedet. Selbst Bundespräsident Scheel zögerte mit der Ausfertigung. Diese Gesetzgebungsgeschichte zeigt, wie schwierig es war, in der damaligen Situation — trotz der prinzipiellen Offenheit der sozialliberalen Regierungskoalition — eine neue Rechtsmaterie zu etablieren. Maßlose Argumente waren dabei vorgebracht worden. Es wurde vorgerechnet, dass der Datenschutz mehr kosten würde als die Summe des ganzen Umsatzes eines Unternehmens, Vergleiche mit der Abschaffung der Kinderarbeit (!) wurden angestellt.

Immerhin: Es gab nunmehr ein Gesetz, das über das US-amerikanische Vorbild hinaus die nicht automatisierte Datenverarbeitung umfasste, auch für die Privatwirtschaft galt und — wie sich bald herausstellte — effektive Kontrollmechanismen einrichtete.

Die Prinzipien des neuen deutschen Datenschutzrechts folgten im Wesentlichen den amerikanischen Vorgaben, die inzwischen selbst in die „Richtlinie betreffend personenbezogene Daten in automatisierten Dateien” der Vereinten Nationen von 1990 Eingang gefunden haben: Rechtmäßigkeit, Richtigkeit, Erforderlichkeit, Einsichtsrechte und Datensicherheit — ergänzt um die Einrichtung interner und externer Kontrollorgane.

Nachdem im Bund das Datenschutzgesetz verabschiedet wurde, zogen sukzessive alle Länder nach, in das Zehnte Buch des Sozialgesetzbuches wurden alsbald Regelungen zum Schutz der Sozialdaten eingeführt (18. August 1980), mehr und mehr spezialrechtliche Regelungen in Bund und Ländern folgten. Auf dem Gebiet der Gesetzgebung hatte der Datenschutz seinen Durchbruch geschafft.

Reaktionen

Während des Gesetzgebungsverfahrens blieb die Öffentlichkeit relativ passiv; die komplizierten Gesetzgebungsstreitigkeiten wurden zwischen den Fraktionen des Bundestages, der Bundesregierung, den Verwaltungen und den Wirtschaftsunternehmen ausgetragen. Nachdem das Bundesdatenschutzgesetz in Kraft getreten und der erste Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Hans Peter Bull ernannt worden war, änderte sich dies schlagartig.

Die öffentliche Aufmerksamkeit wendete sich schnell der Gewährleistung des Datenschutzes bei Sicherheits- und Ordnungsbehörden zu. Die Speicherung von Demonstrationsteilnehmern, die Zusammenarbeit zwischen Grenzbehörden und Bundesnachrichtendienst, die Transparenz der Datensammlungen des Bundeskriminalamtes und anderer Polizeibehörden wurden mehr und mehr thematisiert. Eine Spiegel-Serie mit dem Titel „Das Stahlnetz stülpt sich über uns”, anschließend auch in Buchform erschienen (Bölsche 1979), machte Furore. Erstmals meldete sich die Humanistische Union zu Wort und forderte die Länderinnenminister auf, die Ausreisesperrvermerke abzuschaffen, mit denen „zweierlei Klassen von Menschen” geschaffen würden (Humanistische Union 1979a). Im gleichen Jahr noch veröffentlichte die HU Forderungen zum Datenschutz im Sicherheitsbereich (Humanistische Union 1979b). Die damalige Opposition kritisierte die Aufgeschlossenheit des Bundesinnenministers Gerhard Baum gegenüber derartigen Forderungen, die Regierungspolitik sei „so erbärmlich wie gefährlich”. Der Innenminister würde zu einem „Sicherheitsrisiko”.

Im Jahr 1980 entdeckten große Teile der sich bis dahin nicht betroffen wähnenden Bevölkerung bei der Durchführung der Fahndungsmaßnahme „Energieprogramm” gegen Mitglieder der RAF, dass auch jeder Unbescholtene in die Mühlen der Sicherheitsbehörden geraten kann: Zehntausende von Kunden der Elektrizitätsunternehmen wurden durchgerastert, an die Polizeibehörden weitergemeldet und von diesen in Einzelaktionen überprüft (in Berlin 17.000 Personen — erfolglos). Die einzige „Verfehlung” bestand darin, dass die Betroffenen in ihren Wohnungen wenig Elektrizität verbrauchten — ein Merkmal, dass auch auf einige der von den Terroristen angemieteten Verstecke zutraf.

Die immer heftiger werdenden Diskussionen führten zunehmend zu der Einsicht, dass sich auch die Sicherheitsbehörden an das im Datenschutzrecht niedergelegte Erforderlichkeitsprinzip halten, ihre Datensammlungen transparenter machen und Datenbestände auch — für die Sicherheitsbehörden anfangs besonders schmerzlich — nach einer gewissen Zeit löschen müssten. Der damalige Präsident des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, erntete mit seinen Fantasien zum polizeilichen „Sonnenstaat” kaum mehr Beifall.

Dieser Druck verschaffte der Diskussion um die Einführung eines fälschungssicheren und „maschinenlesbaren” Personalausweises (diese Funktion wird bis heute kaum genutzt) erste Erfolge: Zahlreiche Diskussionen und Aktionen (z.B, das öffentliche „Waschen” von Personalausweisen), aber auch eine klare Position der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, die inzwischen mit ihren Entschließungen bei Politik und Verwaltung mehr und mehr Gehör fanden, erreichten deutliche Einschränkungen der zulässigen Verwertung dieses neuen Ausweispapiers.

Den Höhepunkt der öffentlichen Befassung mit dem Datenschutz stellte ohne Zweifel der Widerstand gegen die Durchführung der Volkszählung im Jahre 1983 dar. Die bisher auf die Sicherheitsbehörden konzentrierte Kritik verlagerte sich auf die Frage, ob es erforderlich und damit verfassungsmäßig sei, dass der Staat die in der Volkszählung geplante Vielzahl von Daten von jedem einzelnen Bürger erhebt und diese dann auch noch mit dem Melderegister abgleicht. Das Bundesverfassungsgericht erreichten über 1200 Eingaben, deren Autoren weit in das bisher datenschutzpolitischen Aktivitäten eher fern stehende rechte Spektrum reichten: Mehrere Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen die Erhebung von Daten zu Wohnverhältnissen mit dem Argument, staatliche Stellen könnten damit auf rechtswidrige Weise Daten über die Vermögensverhältnisse oder steuerpflichtige Umstände Kenntnis erhalten.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Aussetzung und später zum vorläufigen Verbot der Volkszählung (Bundesverfassungsgericht 1983) stellen einen Meilenstein in der Geschichte des Datenschutzes dar. Das Gericht griff aus dem Steinmüller-Gutachten das Prinzip der „Informationellen Selbstbestimmung” auf und ordnete es dem Grundrechtsgehalt der Art. 1 und 2 des Grundgesetzes zu, zunächst ohne den Begriff „Datenschutz” zu verwenden. Der daraufhin einsetzenden Debatte, ob das Gericht wirklich ein „Grundrecht auf Datenschutz” begründen wollte, begegneten die Karlsruher Richter in späteren Urteilen, in denen sie diesen Begriff ausdrücklich verwandten. Den Inhalt dieses Grundrechtes umschreibt das Gericht in seinem ersten Leitsatz mit einer an den Aufsatz von Warren und Brandeis angelehnten Formulierung: „Das Grundrecht gewährleistet (…) die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.”

Die Entscheidung zwang Bundes- und Landesgesetzgeber zu umfassenden Novellierungen nicht nur der Datenschutzgesetze selbst, sondern auch einer Vielzahl anderer Gesetze, in denen die Verarbeitung personenbezogener Daten geregelt wird. Insbesondere die Forderung des Gerichts nach gesetzlichen Grundlagen für die Datenverarbeitung, „aus denen sich die Voraussetzungen und der Umfang klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen”, zwang zu einer erheblich präziseren Formulierung der Rechtsgrundlagen als dies bisher üblich war.

Diese Phase der Gesetzgebung, die mit der Verabschiedung des neuen Bundesdatenschutzgesetzes am 20. Dezember 1990 einen gewissen Höhepunkt fand, erstreckte sich bis ins neue Jahrtausend. So wurde die von Anfang an von vielen Seiten geforderte datenschutzgerechte Ausgestaltung der Strafprozessordnung erst am 2. August 2000 vollzogen, entsprechende Änderungen der Abgabenordnung für die Steuerverwaltung stehen noch immer aus.

Neue europäische Anfor­de­rungen

Die europäischen Gremien begannen in den achtziger Jahren, in der Entwicklung des europäischen Informationsmarktes eine große Chance für neue wirtschaftliche Sektoren

zu erblicken. Teilweise euphorische Darstellungen gingen bereits zu jener Zeit davon aus, dass die Informationsgesellschaft als Paradigma der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung das Paradigma der Industriegesellschaft ablösen würde. Der Euphorie hinsichtlich der Entwicklung der Informationstechnik stand keinerlei angemessene Einschätzung der Risiken gegenüber, die Begriffe „Datenschutz” oder gar „Informationelle Selbstbestimmung” tauchten in den Dokumenten der Europäischen Gemeinschaft nicht auf. Es bedurfte erst eines energischen Anstoßes der bis dahin eingesetzten europäischen Datenschutzbeauftragten während der Internationalen Konferenz der Datenschutzbeauftragten 1989 in Berlin, um die Europäische Kommission (nicht ohne Mitwirken des mit dem Kommissionspräsidenten Delors befreundeten Präsidenten der französischen Datenschutzkommission Fauvet) dahin zu bringen, erste Überlegungen zur Einführung des Datenschutzgedankens in das Regelwerk der Europäischen Gemeinschaften anzustellen. Sie mündeten 1995 in die Verabschiedung der Europäischen Datenschutzrichtlinie, die verschiedene Rechtsgedanken zur Sicherstellung des Datenschutzes aus den europäischen Staaten bündelte.

Wie nicht ungewöhnlich bei europäischen Gesetzgebungsaktivitäten nahm die Öffentlichkeit kaum Anteil an der Entwicklung dieser Richtlinie, obwohl sie durchaus einschneidende Änderungen der nationalen Datenschutzgesetze erzwang. Vor diesem Hintergrund konnte es sich die Regierung Kohl leisten, die Notwendigkeit der Umsetzung der Datenschutzrichtlinie zwar einzuräumen, jedoch nur die unbedingt erforderlichen Änderungen einzuarbeiten, und zwar ohne sonderliche Eile. So lief die Umsetzungsfrist der Richtlinie im Herbst 1998 ab, gerade zu der Zeit, als die neue Bundesregierung ihr Amt antrat.

Diese war sich bewusst, dass der von der Vorgängerregierung übernommene Entwurf zu komplex, ja geradezu unverständlich war, auch moderne technische Entwicklungen nicht hinreichend berücksichtigte, dass aber eine grundsätzliche Neustrukturierung des Datenschutzrechtes nicht mehr möglich war: Drohte doch im Hintergrund eine Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesregierung wegen Nichtumsetzung der Richtlinie. Der Kompromiss, den man fand, war, den bisherigen Entwurf um einige zukunftsweisende Regelungen insbesondere im Bereich des Systemdatenschutzes (Datensparsamkeit, Datenschutzaudit, Vorabkontrolle) sowie um Regelungen zu Videoüberwachung und Chipkarten zu ergänzen. Eine Reihe technischer Änderungen kam hinzu. Gleichzeitig mit der Ingangsetzung des Gesetzgebungsverfahrens zu diesem Entwurf wurde die Absicht verkündet, eine zweite Stufe der Novellierung noch in der laufenden Legislaturperiode vorzunehmen. Zur Vorbereitung dieser Arbeiten wurde ein Sachverständigenausschuss berufen, der unter Einbeziehung externen Sachverstandes in Form einer Begleitkommission und Expertengruppen ein Gutachten über die Erforderlichkeit der neuen Strukturen bis zum Herbst 2001 erarbeiten soll (Gutachterausschuss 2001).

Die Perspek­tiven

Diese Neuorientierung muss die gewaltigen Veränderungen berücksichtigen, die die Informationstechnologie und deren Verbreitung in der Gesellschaft inzwischen erfahren hat. Ging das ursprüngliche Datenschutzrecht von der Datenverarbeitung in abgeschlossenen Systemen aus und sah man die Hauptgefahr für die Persönlichkeitsrechte in der Nutzung der Daten durch den Staat, insbesondere durch Sicherheits- und Ordnungsbehörden, beherrscht nunmehr die Informationstechnik, die sich mit der Telekommunikationstechnik vereinigt hat, alle Lebensbereiche, über Behörden und Unternehmen hinaus auch das Privat- und Freizeitleben. Das Entstehen einer „ubiquitären Datenverarbeitung”, d.h. die Allgegenwart von Verarbeitungskapazitäten in den Gegenständen des täglichen Gebrauchs, lässt kaum mehr Freiräume, in denen Informationstechnik nicht präsent ist.

Diese Entwicklung und die mit ihr verbundenen technologischen Zwänge führten dazu, dass jedenfalls hinsichtlich der technisch bedingten Datenverarbeitungsabläufe die weltweit anerkannten Grundprinzipien des Datenschutzes, z.B. Erforderlichkeit, Zweckbindung, Auskunftsanspruch oder Kontrollmöglichkeiten nicht mehr gewährleistet werden können. Diese Prinzipien sind nur noch auf Datenbestände anwendbar, die gezielt für Verwaltungsabläufe oder die Vertragsabwicklung gesammelt werden; im Übrigen müssen neue Schutzmechanismen geschaffen werden. Im Vordergrund werden dabei technische Mechanismen stehen müssen, wie z.B. schnellstmögliche Löschung oder technisch erzwungener Schutz vor Zweckänderungen.

Auch der Bezugspunkt der Datenschutzdiskussion in Form personenbezogener Daten, also solcher, die unmittelbar mit einem bestimmbaren Menschen verbunden sind, wird fragwürdig: Das ganze Universum der Daten, die sich durch das Internet bewegen, gespeichert und verändert und für andere Zwecke wieder zur Verfügung gestellt werden, entzieht sich einer Prüfung, ob bestimmte Daten einer Person, einer Aktiengesellschaft oder gar nur einer Maschine zuordenbar sind. Dieser Umstand wird den Datenschutz über die Sicherstellung des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung hinaus weiterentwickeln müssen hin zu einer Datenverkehrsordnung. Sie muss das institutionelle und technische Grundgerüst für die Informationsgesellschaft darstellen. Die Informationelle Selbstbestimmung muss in sie eingebettet werden als zwar das wesentliche, aber auch nur eines der Rechtsgüter, die das Regelungswerk bestimmen. Andere wie der Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der Schutz vor Verletzlichkeit durch unbeabsichtigte oder gar böswillige Angriffe und die Herstellung von Transparenz zur Gewährleistung politischer Verantwortung in der Informationsgesellschaft werden hinzukommen müssen.

Insbesondere wird in dieser Umgebung der einzelne vielmehr gefordert sein, seine eigenen Rechte wahrzunehmen und die bereitgestellten technischen Möglichkeiten zum Schutz seiner Privatsphäre auch zu nutzen. Es ist zu hoffen, dass das gesellschaftliche Engagement gegenüber dem Einsatz von Datenverarbeitung, das sich zu Beginn der Diskussion eher auf die Abwehr staatlicher Hoheitsmaßnahmen richtete, sich nunmehr der konstruktiven Gestaltung der Informationsgesellschaft zuwendet, selbstverständlich und gerade zur Wahrung der Informationellen Selbstbestimmung.

Literatur

Bölsche, Jochen 1979: Der Weg in den Überwachungsstaat, Reinbek b. Hamburg

Bull, Hans Peter 1984: Datenschutz oder die Angst vor dem Computer, München Bundesverfassungsgericht 1983: Urteil vom 15. Dezember 1983, BVerfGE 65, lff.

Garstka, Hansjürgen 1998: Empfiehlt es sich, Notwendigkeit und Grenzen des Schutzes personenbezogener — auch grenzüberschreitender — Informationen neu zu bestimmen?; in: Deutsches Verwaltungsblatt Heft 18 1998

Gutachterausschuss 2000: Modernisierung des Datenschutzrechts, Berlin; www.datenschutz-berlin.de/ jahresbel00/doc/f009_1 1.htm

Humanistische Union (1979a): Pressemitteilung vom 29. März 1979: Keine Sperrvermerke in Personalausweise

Humanistische Union (1979b): Forderungen der HU zum Datenschutz im Sicherheitsbereich. In: Der Spiegel Nr. 26/1979

Steinmüller, Wilhelm et al. (1971): Grundfragen des Datenschutzes, Bonn. Bundestagsdrucksache VI/3826

Warren, Samuel/Brandeis, Louis (1890): The Right to Privacy; in: Harvard Law Review Vol. 4

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