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Ethik in der Genmedizin

vorgängevorgänge 15509/2001Seite 382-389

Eine Herausforderung — auch für Bürgerrechtler,

aus: vorgänge Nr. 155, Heft 3/2001, S. 382-389

Die neuen Aspekte der Genmedizin haben unser Denken in Wallung gebracht. Im Kern gibt es, bisher jedenfalls, nicht viel Neues. Wir verstehen lediglich die Vererbung menschlicher Eigenschaften besser als früher. Es ist jedoch absehbar, dass wir bald tiefer in die Geheimnisse der Menschen werden eindringen können. Die neuen Aspekte veranlassen uns, anders und erneut über ethische Probleme nachzudenken, die längst abgehakt erschienen.

Die neue Unruhe in der geistigen Welt wird auch Bürgerrechtsorganisationen wie die HUMANISTISCHE UNION erfassen. Die Zeit fast selbstverständlicher Einigkeit in den Grundpositionen ist vorbei. Deshalb erscheint es notwendig, dass sich die HUMANISTISCHE UNION unter den neuen Aspekten ihrer Grundpositionen vergewissert, auf denen die weitere gemeinsame Arbeit aufbauen kann. Ich kann und will an dieser Stelle nicht mehr tun, als meine eigene Auffassung wiederzugeben. Zustimmung und Widerspruch zu meinen Positionen werden uns allen helfen.

Wann beginnt das Leben?

Die erste Frage richtet sich nach dem Beginn des menschlichen Lebens. Die biologische Grundlage dieses Problems ist vergleichsweise gut geklärt. Mit der Vereinigung der männlichen Samen- mit der weiblichen Eizelle im Körper der Frau beginnt eine Entwicklung, die – eine ungestörte Entwicklung vorausgesetzt – in die Geburt eines Kindes einmündet. Dies gilt ebenso bei einer Befruchtung in der Petrischale außerhalb des weiblichen Körpers (In vitro Fertilisation; IvF), wenn die befruchtete Eizelle in irgendeinen weiblichen Körper (also nicht notwendig den der Frau, von der die Eizelle stammt) eingepflanzt wird.

Die logische Folge dieser Ausführungen wäre, den Beginn des Lebens mit dem Zeitpunkt der Vereinigung der männlichen Samen- mit der weiblichen Eizelle anzunehmen. Dies ist in der Tat heute der Standpunkt der katholischen Kirche. Vor Jahrhunderten war sie vorsichtiger und sprach davon, das menschliche Leben beginne mit der „Beseelung” des Fötus. Diese wurde bei männlichen Föten mit sechs Wochen und bei weiblichen Fötus mit drei Monaten nach der Befruchtung angenommen. Die heutige Position des Katholizismus wird auch außerhalb dieser Kirche mit Vehemenz vertreten, so etwa von der Abgeordneten Margot von Renesse, die Vorsitzende der Ethik-Kommission des Deutschen Bundestages ist, und auch von der Abgeordneten Andrea Fischer, bis vor kurzem Bundesgesundheitsministerin. Unser Bürgerliches Recht ist vorsichtiger; es sagt nichts über den Beginn des Lebens und legt lediglich fest, dass die Rechtsfähigkeit des Menschen (erst) mit der Vollendung der Geburt beginne. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zwei Urteilen entgegen einer weit verbreiteten Annahme nicht eindeutig geäußert. Man kann aus dem Zusammenhang schließen, dass es vom Beginn des menschlichen Lebens mit dem Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle ausgeht, dies aber nicht explizit sagt, um den Gesetzgeber nicht zu zwingen, z.B. die ,Pille danach‘ zu verbieten.

Der Standpunkt, den Beginn des menschlichen Lebens auf den Zeitpunkt der Befruchtung festzusetzen, hat die Logik auf seiner Seite, aber vielleicht nur sie. Jedenfalls ist zuzugeben, dass der Annahme eines späteren Zeitpunkts immer eine gewisse Willkür anhaftet. Ärzte weigern sich allerdings regelmäßig, der kaum erkennbaren befruchteten Eizelle die Qualität eines Menschen zuzumessen.

Diese Erörterungen erscheinen zunächst sehr theoretisch; sie haben jedoch große praktische Bedeutung. Ich brauche kaum zu erläutern, dass die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs kaum zu begründen ist, wenn man den Beginn des menschlichen Lebens auf den Zeitpunkt der Befruchtung festsetzt. Ebenso schwierig wird es — und damit kommen wir zur Gentechnik — bei der Untersuchung der Gene einer befruchteten Zelle im Hinblick auf die Eigenschaften des zu erwartenden Menschen.

Die Untersuchung der Gene einer befruchteten Eizelle und des aus ihr hervorgehenden Embryos in und außerhalb des mütterlichen Körpers ist bei uns zulässig. Wenn die Frau sich auf Grund des Ergebnisses der Untersuchung zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, so ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, wenn die Frau nur ein männliches Kind zur Welt bringen will. Verboten ist lediglich die künstliche Befruchtung mit einer Samenzelle, die nach den in ihr enthaltenen Geschlechtschromosomen ausgewählt worden ist (§ 3 Embryonenschutzgesetz). Es ist widersinnig, dass eine derartige Selektion verboten, ein Schwangerschaftsabbruch nach erfolgter Geschlechtsidentifizierung aber zulässig ist. Das Verbot spielt allerdings in der Praxis kaum eine Rolle. Nur auf Drängen von Feministinnen ist es in das Gesetz aufgenommen worden und sollte meiner Einsicht nach fallen.

Heikel ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), dass heißt die Untersuchung der Gene einer künstlich außerhalb des weiblichen Körpers befruchteten Eizelle. Der hitzig aus-getragene öffentliche Streit zu diesem Thema übertreibt die praktische Bedeutung dieses Problemfeldes. Dies hat vor allem darin seine Ursache, dass sich an der Präimplantationsdiagnostik die gegensätzlichen Standpunkte beispielhaft vorführen lassen. Das Problem an sich ist schnell erklärt. Bei jeder Befruchtung in der Petrischale werden aus medizinisch-technischen Gründen mehr Eizellen befruchtet, als später zur Implantation in den weiblichen Körper benötigt werden. Wohin, so lautet die Frage, mit den „überzähligen” befruchteten Eizellen? Die konservative Position fordert ihre sofortige Vernichtung, die Gegenseite, insbesondere forschende Ärzte, will diese Eizellen vor ihrer Vernichtung noch zur Erforschung der Heilungsmöglichkeiten schwerer Erkrankungen, wie etwa Aids, verwenden.

Ich bin nicht in der Lage, den Beginn des menschlichen Lebens zu bestimmen und empfehle auch der HUMANISTISCHEN UNION, sich nicht darum zu bemühen. Es macht keinen Sinn, sich in Fragen zu verheddern, die nicht überzeugend beantwortet werden können. Lieber sollte man sich der Lösung praktischer Fragen zuwenden.

Wenn man nicht aus dogmatischen Gründen, und hier ist die katholische Kirche konsequent, die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches wieder einführen will, gibt es für mich keinen Grund, die pränatale Diagnostik, also die Untersuchung der Gene des Embryos, zu verbieten. Wenn sich die Frau auf Grund des Ergebnisses der Diagnostik zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, so macht sie von der ihr im Gesetz zugestandenen Handlungsfreiheit Gebrauch und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Aus meiner Sicht — und ich sage das mit aller gebotenen Vorsicht — ist es sogar menschlicher, ein schwer belastetes Menschenleben sich nicht entwickeln zu lassen. Ich weiß, dass Behinderte und ihre Verbände gegen diese Auffassung Sturm laufen. Aber eine fürsorgliche Einstellung zu Behinderten ist das eine Ding, das andere jedoch die Frage, ob man auf die werdende Mutter bei einer nur von ihr zu treffenden Entscheidung Druck ausüben darf. Wer hier anderer Meinung ist, steht bei mir immer in dem Verdacht der Wohltätigkeit auf Kosten Dritter, hier also des Selbstbestimmungsrechts der Frau.

Während ich mir zu dem Bereich der pränatalen Diagnostik und den sich aus ihr er-gebenden Folgerungen meine Meinung nur unter moralischen Qualen und mit schlechtem Gewissen bilden konnte, bin ich mir bei der Präimplantationsdiagnostik zu Forschungszwecken, also der Untersuchung der befruchteten Eizelle in der Petrischale, meiner Sache sicher: Es erscheint mir widersinnig, nur aus dogmatischen Gründen die Forschung zum Wohle von Schwerkranken an befruchteten Eizellen vor deren ohnehin unvermeidlicher Vernichtung zu verhindern. Die Diskussion ähnelt hier jener um die Bestimmung des Todeszeitpunkts bei der Organtransplantation. Es herrscht zwar Einigkeit darüber, dass —jedenfalls in der Regel — Organe erst entnommen werden dürfen, wenn der Patient verstorben ist, dessen Organe explantiert werden. Die Schwierigkeit besteht jedoch in der Bestimmung des Todeszeitpunkts, weil menschliche Organe nicht alle zum selben Zeitpunkt sterben, sondern nach und nach. Aus medizinischen Gründen müssen die Organe aber zu einem Zeitpunkt explantiert werden, zu dem sie noch lebensfähig sind. Deshalb kann von den Medizinern nicht der Tod des gesamten Körpers abgewartet werden, wenn eine Organtransplantation erfolgen soll. Und deshalb haben die Ärzte den Todeszeitpunkt neu definiert. Als solcher gilt heute, jedenfalls bei den Transplantationsmedizinern, der Zeitpunkt des Erlöschens der Hirnströme („Hirntod“), weil er vor dem Tod der Organe liegt. Diese Definition ist von Papst Johannes Paul II. akzeptiert worden. Er hat die Freigabe der Organe durch den Sterbenden ausdrücklich als einen Akt der Nächstenliebe gepriesen. Damit wägt er die Hilfe für Kranke gegen die Menschenwürde des Sterbenden ab. Hier scheint mir ein Widerspruch zu der Haltung des Vatikans zur Präimplantationsdiagnostik zu liegen, bei der er eine Güterabwägung ablehnt.

Die Selektion nach den Genen

Der Genforschung ist bewusst, dass nicht nur die Gene, sondern auch das Umfeld, in dem ein Mensch aufwächst, das Erscheinungsbild, den „Phänotyp” eines Menschen bestimmen. Dies haben bereits die älteren Forschungen an Klonen, nämlich an eineiigen Zwillingen, bewiesen. Welchen Anteil am Erscheinungsbild des Menschen die Gene und welchen das Umfeld haben, weiß man nicht. Eine amerikanische Wissenschaftlervereinigung hat sich gerade darauf geeinigt, einen Anteil von je 50 Prozent anzunehmen. Die Tatsache, dass es zu dieser Feststellung einer „Einigung” bedurfte, ist ein Anzeichen für die bestehende Unsicherheit.

Damit nähern wir uns einem politisch virulenten Streit zwischen dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus. Während die Nationalsozialisten in der Vererbung den allein entscheidenden Faktor sahen (und damit unter anderem die Ermordung der Juden, aber auch den Gedanken an die Zucht des arischen Menschen rechtfertigten), setzten die Kommunisten allein auf das Umfeld und behaupteten die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften. Die Kommunisten glaubten, den ,wahren Menschen‘ durch Erziehung heranbilden zu können.

Wie dem auch sei: Das Bedürfnis, mit Hilfe der Gentechnik die künftige Entwicklung eines Menschen voraussagen zu können, ist bei der Strafjustiz, den Arbeitgebern und der Versicherungswirtschaft groß.

So ist die Strafrechtspflege dringend daran interessiert, das künftige Verhalten eines Menschen auf Grund der Gendaten vorauszusagen. Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sind die Strafgerichte bemüht, die Sanktionen nach einer Straftat (Dauer der Strafe, vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft, Anordnung der Sicherheitsverwahrung oder der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie die Beendigung dieser Maßnahmen) nicht nur nach der Schuld des Täters zu bestimmen, sondern gleichzeitig an der Überlegung auszurichten, wie sich künftige Straftaten des Verurteilten verhindern lassen. Hier könnte eine Analyse von Gendaten die Treffsicherheit der Sanktionen erhöhen. Dies wiederum könnte in der Strafjustiz zur Forderung nach Zulassung von Gentests führen, und der Gesetzgeber könnte eines Tages rechtliche Voraussetzungen für ihre Anwendung schaffen.

In welchem Maße, so lautet die Frage, ist es einem Gericht, und damit letztendlich dem Staat, erlaubt, in den Persönlichkeitskern eines Angeklagten einzudringen, um die „richtige” Sanktion zu wählen — sei es zur Minderung oder zur Heraufsetzung des Strafmaßes? Ich trete nachdrücklich dafür ein, den Persönlichkeitskern eines Angeklagten unberührt zu lassen und auf diese Art und Weise zu achten. Hier steht, wie an anderen Stellen auch, das Selbstbestimmungsrecht des Beschuldigten gegen das öffentliche Interesse an der Sicherheit. Die Menschenwürde des Angeklagten ist gegenüber der öffentlichen Sicherheit das höherwertige Rechtsgut.

Einen ähnlichen Ausgangspunkt sehe ich im Hinblick auf die das Versicherungs- und Arbeitsrecht betreffenden Fragen. Das Geschäftsprinzip einer jeden Versicherung besteht darin ein Risiko — die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadens — gegen eine . Prämie zu übernehmen. Die Kalkulation einer Versicherung muss daran orientiert sein die Größe des Risikos möglichst zuverlässig abzuschätzen, um einerseits keine Prämie oberhalb des Risikos (einschließlich eines Gewinnaufschlags) zu fordern; anderseits keine Prämie unterhalb des versicherten Risikos zu verlangen, um so im Konkurrenzkampf zu bestehen. Hier kann die Kenntnis der Gene helfen, um in der Krankenversicherung und in der Lebensversicherung die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Krankheit bzw. eines vorzeitigen Todes einschätzen zu können. Die Strategie einer Versicherung wird darauf hinauslaufen, nach Möglichkeit Menschen mit einer unterdurchschnittlichen Krankheitswahrscheinlichkeit bzw. mit der Wahrscheinlichkeit eines langen Lebens zu versichern. Sie wird Menschen mit ungünstigen Werten nur gegen einen „Mehrwertzuschlag” versichern. Das ist gewissermaßen die Weiterentwicklung der heute üblichen Fragen nach Vorerkrankungen. Hier gibt es einen klaren Interessengegensatz: Menschen mit günstigen Werten werden sich dagegen wehren, Prämien nach den Durchschnittswerten eines Kollektivs von Menschen mit guten und schlechten Werten zu zahlen. Sie wollen nur die Prämien zahlen, die nach den Werten eines günstigen Kollektivs berechnet sind, zu dem sie sich zählen können. Auf der anderen Seite werden Menschen mit schlechten Werten bemüht sein, unerkannt in einem möglichst großen Kollektivunterzuschlüpfen und damit Prämien unterhalb des wahren Risikos zu zahlen. Werden den Menschen mit schlechten Genen höhere Prämien abverlangt, so ist der Vorwurf der Diskriminierung schnell zur Hand.

Noch greifen die Versicherungen nur verschämt nach den Gendaten ihrer künftigen Versicherungsnehmer. Sie verlangen in Deutschland für den Abschluss eines Versicherungsvertrages noch keine Gentests. Aber wenn schon aus anderem Anlass ein Gentest gemacht worden ist, dann wollen sie ihn kennen. Sie brauchen hierzu auch keine ,Gewalt` anzuwenden. Es würde genügen, denjenigen eine günstigere Prämie anzubieten, die „freiwillig” einen Gentest vorlegen. Die Entsolidarisierung der Versicherungsnehmer würde das Weitere ohne Zutun der Versicherungen bewirken, und bald wären Gentests in der Versicherungswirtschaft der Regelfall. Politisch stellt sich damit die Frage, ob der Staat die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger mit guten Gendaten mit solchen mit schlechten Gendaten dadurch erzwingen soll, dass er die Verwendung von Gendaten in der Versicherungswirtschaft verbietet. Wer, wie ich, die Auswertung von Gendaten in der Versicherungswirtschaft allgemein verboten sehen möchte, muss sich dazu bekennen, dass er diese Solidarität mit staatlichem Zwang durchsetzen will. Er wird die Träger guter Gene und diejenigen, die glauben, es zu sein, gegen sich haben.

Im Arbeitsrecht (und entsprechend im Beamtenrecht) haben wir vergleichbare Probleme. Vordergründig handelt es sich um den alten Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wirtschaftlich handelt es sich aber eher um einen Interessengegensatz unter den Arbeitnehmern. Es liegt auf der Hand, dass ein Arbeitgeber daran interessiert sein muss, nur Arbeitnehmer mit möglichst geringem Ausfall durch Krankheit und mit möglichst langer Arbeitsfähigkeit einzustellen. So spart er (und die Betriebskrankenkasse) die mit den Krankheiten von Arbeitnehmern verbundenen Kosten und so amortisieren sich die auf die Arbeitnehmer aufgewandten Ausbildungs- und Fortbildungskosten besser. Mittelbar treffen die Folgen von Krankheiten auch die anderen Arbeitnehmer, weil sie, jedenfalls bei kurzfristigen Erkrankungen, die Arbeit der Kollegin, des Kollegen, die nicht zur Arbeit erschienen sind, mit erledigen müssen, und weil im Wettbewerb auf dem Markt dem Arbeitgeber nur eine bestimmte Geldsumme für Gehalts- und Lohnzahlungen zur Verfügung steht. Je mehr Geld für Krankheitskosten aufgewandt werden muss, desto weniger steht für Gehalts- und Lohnzahlungen zur Verfügung. Wie weit wird die Solidarität der Arbeitnehmer mit krankheitsanfälligen Kolleginnen und Kollegen reichen? Mit plattem Antikapitalismus jedenfalls ist das Problem nicht zu lösen. Ähnlich lässt sich bei der Dauer der Lebensarbeitszeit und damit der Amortisation der Ausbildungs- und Fortbildungskosten argumentieren.

Analog zu der von mir angestrebten Regelung bei den Versicherungen halte ich es für erforderlich, allen Arbeitgebern die Erhebung von Gendaten ihrer Arbeitnehmer und deren Auswertung zu untersagen. Mit dieser Forderung könnte ich an einer Klippe scheitern. Die Arbeitgeber könnten argumentieren, die Kenntnis der Gendaten sei erforderlich, um die Arbeitnehmer mit besonderer Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Stoffen vor dem Umgang mit diesen zu schützen. Eine Ausnahme zugunsten dieser Fälle ist Missbrauchsanfällig. Zum einen ist nur schwer einzusehen, dass Stoffe, gegen die einzelne Menschen überempfindlich reagieren, für die anderen gesund sind. Trotzdem kann es derartige Fälle geben, bei denen man aus volkswirtschaftlicher Notwendigkeit die Verwendung dieser Stoffe nicht verbieten kann. Es hilft nur eine Lösung: Der Arbeitgeber muss diese Stoffe einer Behörde, etwa dem Gewerbeaufsichtsamt, mitteilen; diese Behörde veranlasst die gentechnische Untersuchung und teilt dem Arbeitgeber nur das Ergebnis der Untersuchung, nicht aber die Gendaten selbst mit.

Gendaten als Schlüssel bei der Suche nach dem Täter

Bei mit körperlicher Aktivität verbundenen Straftaten hinterlassen die Täter, oft ohne sich dessen bewusst zu sein, Gendaten, mit deren Hilfe sie identifiziert werden können. Es geht etwa um Speichel an Trinkgefäßen oder Briefmarken, bei Sexualdelikten vor allem um Spermaspuren. Bei der rechtlichen Bewertung der Verwendbarkeit dieser Spuren muss man zwei Fallgruppen unterscheiden: Der Vergleich am Tatort vorgefundener Spuren mit den Gendaten eines Beschuldigten; der nach Ermittlungen auf anderer Grundlage in Verdacht geraten ist, scheint mir unproblematisch zu sein. Es mag im Einzelfall nur Zweifel an der Zuverlässigkeit des Vergleichs und seiner Deutung geben.

Das Bundeskriminalamt hat aber 1998 auch damit begonnen, eine Datei mit Gendaten von allen Menschen anzulegen, die wegen schweren Straftaten aktenkundig geworden sind. Zur Zeit sind dort 90.000 Datensätze (das entspricht 0,107 Prozent der Bevölkerung) gespeichert. In naher Zukunft ist mit einer Verdoppelung der Datensätze zu rechnen, da einige Bundesländer mit der Anlieferung der Daten aus der Vergangenheit noch in Rückstand sind. Begeht ein vom Bundeskriminalamt registrierter Mensch erneut eine Straftat, so ist er gewissermaßen vom Schreibtisch aus als Täter identifizierbar, auch wenn es ihm zunächst gelingt, unerkannt vom Tatort zu entkommen.

An dieser Stelle kollidiert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Interesse an der öffentlichen Sicherheit. Ein Gesetz hat den Konflikt dahingehend entschieden, dass Gendaten eines Täters nur nach besonders schweren Straftaten gespeichert werden dürfen. Das scheint mir eine weise Lösung zu sein. Das Gesetz beinhaltet allerdings insoweit einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, als die Speicherung bereits bei dem Verdacht einer besonders schweren Straftat und auch (bei Einverständnis des Beschuldigten) ohne richterlichen Beschluss zulässig ist. Hier waren die Bürgerrechtsorganisationen und damit auch die HUMANISTISCHE UNION während des Gesetzgebungsverfahren nicht wachsam genug. Das Gesetz muss nachgebessert werden. Die Speicherung darf erst nach rechtskräftiger Feststellung der Schuld und nur nach einem gerichtlichen Beschluss erfolgen. Das Einverständnis des Beschuldigten darf keine Grundlage der Speicherung sein, da der Beschuldigte die rechtlichen Voraussetzungen einer Speicherung und deren Konsequenzen ohne fachkundige Beratung nicht überblicken kann.

Das Patentrecht

Die Patentierung von Gendaten ruft viele Ängste hervor. Immer wieder hört man den Ruf: „Meine Gene gehören mir.” Diese Ängste sind vielfach übertrieben. Natürlich hat kein Mensch ein Recht an den Genen eines anderen Menschen. Das Patentrecht ist Wirtschaftsrecht und hat von daher, jedenfalls vordergründig, keine Berührung mit den Menschenrechten. Das Patentrecht gewährt die zeitlich begrenzte Alleinnutzung einer Erfindung. Dahinter steht der Gedanke, dass der wirtschaftliche Wert der Offenbarung des Geheimnisses für die Allgemeinheit und der wirtschaftliche Wert der zeitlich begrenzten Alleinnutzung der Erfindung sich im Gleichgewicht befinden. So wird der Erfinder für seine Leistung belohnt und die Gesellschaft hat nach Ablauf der Schutzfrist den Nutzen. Dies ist sinnvoll und gerecht. Unser wirtschaftliche Aufschwung beruht zum erheblichen Teil auf dem Patentrecht. Das gilt natürlich auch für den Bereich der Biomedizin. Nur gibt es hier eine Besonderheit: Da dieser Bereich neu ist, gibt es die Möglichkeit, ohne wirkliche Eigenleistung große Bereiche der Grundlagen der Biomedizin auf Zeit zu monopolisieren. Dem ist durch eine entsprechende Änderung des Patentrechts entgegenzuwirken. Das Verbot, die Gene von Menschen, Tieren und Pflanzen zu patentieren, die seit Urzeiten Allgemeingut waren und sind, kann hier helfen.

Versuch eines thesen­haften Fazits

Der kurze Überblick über die mit der Gentechnik entstehenden oder drängender werdenden ethischen und bürgerrechtlichen Fragen zeigt, dass wir mit der Genforschung an Grundprobleme des Lebens stoßen. Ich möchte meine Auffassungen in den folgenden Thesen zusammenfassen:

  1. Es ist dem Menschen nicht möglich, den Beginn des Lebens festzulegen.

  2. Es bleibt bei der Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs nach dem geltenden Gesetz.


  • Es gibt keine durchgreifenden Bedenken gegen die genmedizinische Untersuchung der befruchteten Eizellen, in oder außerhalb des Körpers der Frau, von der die Eizelle stammt (Pränatale Diagnostik; Präimplantationsdiagnostik).

  • Die Forschung an „überzähligen”, bei der Präimplantationsdiagnostik anfallenden, Eizellen ist frei.

  • Jeder Mensch hat ein Recht an den Daten seiner Gene. Niemand darf sich die Gendaten eines anderen Menschen ohne dessen Einverständnis beschaffen oder besitzen. Jeder Mensch hat das Recht, von anderen, auch Behörden, Auskunft über von ihm gespeicherte Gendaten kostenfrei zu erhalten.

  • Im Strafverfahren ist die Untersuchung der Gene eines Beschuldigten zu dem Zweck, die strafrechtliche Sanktion an dem Ergebnis auszurichten, verboten.

  • Die Gendaten dürfen weder von Versicherungen noch von Arbeitgebern genutzt werden, auch nicht auf „freiwilliger” Grundlage.

  • In der Kriminalistik ist der Vergleich von aus Tatortspuren gewonnenen Gendaten mit den Gendaten eines auf anderer Grundlage ermittelten Beschuldigten ohne Bedenken zulässig. Die Anlage einer Gendatenbank ,auf Vorrat‘ für künftige Straftaten ist nur für die Daten eines Beschuldigten zulässig, der wegen schwerer Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Sie bedarf eines richterlichen Beschlusses.

  • Das Patentrecht ist mit der Zielvorgabe zu überprüfen, dass nur echte Erfindungen und diese auch nur unter der Voraussetzung patentiert werden, dass der Wert der erfinderischen Leistung mit dem Wert der Alleinnutzung in Einklang steht. Es darf kein Patent auf die Gene von Menschen, Tieren und Pflanzen geben.

  • Die Einhaltung dieser Regeln muss staatlich überwacht werden. Es bietet sich an, diese Aufgabe den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zu übertragen, da sich die Aufgabengebiete berühren und da in den Behörden der Datenschutzbeauftragten eine eingespielte Organisation zur Verfügung steht.

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