Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 182: Die Aufgabe des Staates

Public Privat Partnership

Das Lehrstück der Londoner U-Bahn,

aus: vorgänge Nr. 182, Heft 2/2008, S. 82-89

Als „intelligente“ Finanzierung macht Public Private Partnership (PPP) auch in Deutschland Furore. PPP ist zwar auch eine Variante der Privatisierung, dabei verkauft aber die öffentliche Hand nichts. Vielmehr wird ein privater Investor damit beauftragt, eine Schule, ein Rathaus, ein Gefängnis, eine Autobahn usw. zu planen, zu bauen, zu finanzieren und zu betreiben, und zwar in der Regel für 30 Jahre. Die überschuldete öffentliche Hand braucht also keine Kredite aufzunehmen, sondern unterschreibt „nur“ einen 30 Jahre dauernden Mietvertrag. Geworben wird für PPP weiter mit dem Argument, dass die öffentliche Hand eine sichere Planungsgrundlage habe, denn die Miete stelle einen Festpreis dar. Schließlich würden sich durch die Dienstleistung „aus einer Hand“ Synergieeffekte ergeben. Im Endeffekt erreiche der Staat damit einen „wirtschaftlichen Vorteil“ gegenüber der traditionellen Eigenerstellung; dieser Vorteil wird in Größenordnungen zwischen 10 und 25 Prozent versprochen.

Eine englische Erfindung wird zum globalen Export­pro­dukt

Entwickelt wurde das Konzept unter „New Labour“ während der Regierungszeit von Tony Blair. Blair versprach, dass seine Partei in der Regierung die katastrophale Privatisierung der Regierung Thatcher nicht fortführen werde, man werde kein öffentliches Eigentum mehr verkaufen, sondern mit der Wirtschaft eine „Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe“ praktizieren. Bei den PPP-Verträgen würden die Risiken zwischen öffentlichem und privatem Partner gleichmäßig verteilt.

Entscheidende Akteure bei der Konzipierung von PPP waren die Wirtschaftsprüfungsunternehmen Price Waterhouse Coopers (PWC) und Ernst & Young, Investmentbanken der Londoner City und Wirtschaftskanzleien. In Großbritannien laufen seit 1998 etwa 700 PPP-Projekte, insbesondere Schulen, Gesundheitszentren, Straßen und Gefängnisse. Das größte Projekt ist die Londoner Metro.

Das Modell erwies sich für die Akteure aus Großbritannien als Exportprodukt. In Dutzenden von Staaten wird inzwischen danach verfahren. 2005 hat der Deutsche Bundestag das PPP-Beschleunigungsgesetz ohne Gegenstimme beschlossen. Zur PPP-Lobby gehören u.a. die Bertelsmann-Stiftung, große US-amerikanische Anwaltskanzleien wie Clifford Chance und Freshfields. Die Bundesregierung hat im Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine „task force PPP“ eingerichtet. Solche Arbeitsund Beratungsgruppen bestehen inzwischen auch in allen Landesregierungen.

Bisher sind in der Bundesrepublik etwa 100 PPP-Projekte angelaufen. Darunter sind Tunnels (Warnow-und Travetunnel in Rostock und Lübeck), die LkW-Maut auf den Autobahnen (Toll Collect), zahlreiche Schulen und Bildungszentren, Gefängnisse, Rathäuser, Polizeipräsidien, Finanzzentren, Autobahnabschnitte, aber auch anspruchsvolle Renommierprojekte wie die Elb-Philharmonie in Hamburg. In Vorbereitung sind Projekte v.a. im Bereich Krankenhäuser, Hochschulen und e-government (digitale Verwaltung).[1]

Gefördert wird PPP auch von der Europäischen Union. Zum einen fördert sie ohnehin verschiedene Formen der Privatisierung. PPP hat aber auch deshalb einen hohen Stellenwert, weil die langfristigen Mietverträge der öffentlichen Hand haushaltstechnisch und statistisch nicht als Neuverschuldung gelten: So können trotz neuer Investitionen die „Maastricht-Kriterien“ eingehalten werden, wenn auch nur mithilfe von Bilanzierungstricks. Die Europäische Investitionsbank (EIB) unterhält ebenfalls eine europaweit tätige PPP-task force und vergibt für PPP-Projekte günstige Kredite – dies nicht nur in EU-Mitgliedsstaaten, sondern weltweit überall dort, wo Unternehmen aus der EU bei PPP-Projekten beteiligt werden.

Die Versprechen erfüllen sich nicht

Bei den teilweise bereits seit einem Jahrzehnt laufenden Projekten in Großbritannien zeigt sich, dass die Versprechen in der Regel nicht erfüllt werden. Die komplizierte Vertrags- und Beteiligungsstruktur – die Verträge sind meist mehrere tausend Seiten lang – macht eine öffentliche Kontrolle unmöglich. Die Verträge werden den politischen Beschlussgremien nicht im verbindlichen Wortlaut vorgelegt, die Investoren bestehen auf der Wahrung ihrer „Betriebsgeheimnisse“.

Die Risiken liegen entgegen dem Versprechen weitgehend bei der öffentlichen Hand. Anpassungs- und Gewinnsicherungsklauseln zwingen die öffentliche Hand zu Nachzahlungen. Auch in Deutschland zeigen die Projekte, die bereits einige Jahre laufen, schnell ihre Pferdefüße. Darüber wird öffentlich bisher nicht diskutiert.[2] Erst allmählich wird bekannt, dass mit der Übernahme der Finanzierung durch den Investor hohe „Transaktionskosten“ und Praktiken wie „Forfaitierung mit Einredeverzicht“ verbunden sind: Die Investoren verkaufen die Forderungen aus den PPP-Mietverträgen an Banken, die wie bei den Hypothekenkrediten in den USA daraus „Finanzprodukte“ machen und sie an andere Finanzinstitute spekulativ weiterverkaufen.

Im Folgenden wird das Projekt der Londoner U-Bahn exemplarisch dargestellt, weil es die wesentlichen Merkmale von PPP zeigt, die sich auch bei PPP-Projekten in Deutschland wiederfinden. Es ist auch deshalb aussagekräftig, weil es das bisher größte PPP-Projekt der Welt ist und die „renommiertesten“ Akteure daran beteiligt sind.

Wie das weltgrößte PPP-Projekt in Insolvenz ging

In einem Regierungsbericht zu „London Underground“ findet sich übrigens folgender Satz: „PPP-Projekte haben einen Effizienzvorteil von 17 Prozent gegenüber der öffentlichen Erledigung erbracht“. Diese Behauptung wird in den meisten Projektbeschreibungen und Beschlussvorlagen auch in Deutschland ungeprüft nachgebetet, allerdings ohne Quellenangabe. So kann das Ergebnis einer einzelnen, von Sonderinteressen geleiteten Auftragsberatung zur globalen Wahrheit aufsteigen.

Nach seinem Wahlsieg 1997 setzten Ministerpräsident Blair und Schatzminister Brown eine geheime Arbeitsgruppe ein, die das PPP-Pilotprojekt Londoner U-Bahn vorbereitete. Mitglieder waren Malcolm Bates, schon unter Thatcher ein führender PFI-Manager, John Roques, der vom Wirtschaftsprüfer Deloitte & Touche kam, Graham Hearne von Enterprise Oil und Ed Wallace von PowerGen. Erst fünf Jahre nach der Einsetzung, als 2002 die PPP-Verträge für die Metro praktisch fertig waren, wurde die Existenz der Arbeitsgruppe öffentlich eingestanden.

Blair & Brown paukten die Vorschläge der Arbeitsgruppe und der von ihr herangezogenen Berater gegen alle politischen Widerstände durch. Das voluminöse Projekt sollte das global bewunderte Vorzeigeprojekt sein und viele Folgeprojekte anstoßen. Ein weiteres Argument war, dass die Metropole London im Jahre 2012 wegen der Olympischen Spiele im Blickpunkt der Welt stehe; eine moderne und funktionsfähige Metro sei entscheidend für den Transport der Zuschauer und das Ansehen des Vereinigten Königreichs in der Welt. Eine staatliche Stelle könne solchen Anforderungen niemals gerecht werden.

Blair & Brown folgten verbissen der Behauptung der Wirtschaftsprüfer von Price Waterhouse Coopers (PWC), die als die eigentlichen „Erfinder“ des PPP gelten. Sie hatten den schon zitierten „Effizienzvorteil von 17 Prozent“ in die Welt gesetzt und „errechneten“ ihn für das Metroprojekt auf gut 7 Milliarden Euro. Selbst der Rechnungshof National Audit Office machte darauf aufmerksam, dass unter vertraglichen Regelungen dieser Art und für einen 30-Jahres-Zeitraum überhaupt keine annähernd klare Schätzung der Gesamtkosten möglich sei. Doch die Regierung wischte die Analyse des eigenen Rechnungshofes vom Tisch.

Die ehemaligen Linksradikalen Blair, Brown und Industrieminister Mandelson konnten sich darauf stützen, dass schon die Regierung Thatcher die Kommunen entmachtet hatte. Das im englischen Parlament im Jahre 2000 beschlossene U-Bahn-Gesetz „Greater London Authority Bill“ ist mit 277 Paragraphen auf 28.000 Seiten das längste und komplizierteste Gesetz der englischen Parlamentsgeschichte seit dem „Government of India Act“, das die Verwaltung und Ausbeutung der Kolonie Indien regeln sollte. Offensichtlich ist die Verwaltung und Ausbeutung der Hauptstadt eines entwickelten kapitalistischen Staates heute eine noch größere und vielleicht sogar ertragreichere Aufgabe.

Das Gesetz machte PPP für die Londoner U-Bahn verbindlich und legte fest, dass die Regierung Ihrer Majestät die Verträge allein aushandelt. Die gezielt desinformierten Parlamentsmitglieder auch der zunächst skeptischen Labour-Partei zogen mit, weil Blair & Brown ihr Zaubersprüchlein wiederholten, PPP sei „keine Privatisierung“, sondern ein „radikaler dritter Weg“. Die Londoner Stadtverwaltung unter Bürgermeister Ken Livingstone wehrte sich mit allen Kräften gegen das PPP-Projekt, letztlich jedoch erfolglos. Livingstone war auch auf Grund seiner grundsätzlichen Gegnerschaft zu PPP gewählt worden. Übrigens war die öffentliche Ablehnung so allgemein, dass auch die Oberbürgermeister-Kandidaten der Liberalen und der Tory-Partei ihren Wahlkampf mit der Gegnerschaft zum PPP-Projekt bestritten.

Livingstone wollte die U-Bahn mit traditioneller Finanzierung und möglichst mit eigenen Mitteln sanieren. Er rechnete vor, dass PPP riskant ist und teurer wird. Er ging gegen seine Regierung vor Gericht, verlor aber. Blair hatte auch Her Majesty’s Justiz im Griff – den Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith hatte er selbst berufen und der Queen zur Adelung vorgeschlagen.

Das Vertrags­werk

Die Verträge für das Londoner U-Bahn- PPP sind nicht nur das umfangreichste und komplizierteste Vertragswerk, das im Vereinigten Königreich jemals von einer öffentlichen Stelle gebilligt wurde. Es wächst auch immer weiter. Die 28.000 Seiten werden durch Nachträge laufend ergänzt.

Die Sanierung und Instandhaltung der Londoner U-Bahn wurde nach über zweijährigen Verhandlungen im April 2002 auf drei Verträge mit zwei Konsortien aufgeteilt. Die Laufzeit beträgt jeweils 30 Jahre, also bis 2032. Der Bahnbetrieb und die Infrastruktur blieben bei der Stadtverwaltung, Abteilung Transport for London (TfL) und London Underground.

Die Verträge gingen an zwei eigens für das Projekt gegründete Konsortien. Das eine Konsortium ist Tube Lines, das vom spanischen Konzern Ferrovial geführt wird und zu dem neben dem US-Baukonzern Bechtel die englischen Unternehmen Jarvis und Amey gehören. Der größere Teil ging mit zwei Verträgen an das Konsortium Metronet. Es besteht aus fünf Unternehmen: dem weltgrößten Waggon- und Lokhersteller Bombardier, dem privatisierten Londoner Wasser- und Abwasserunternehmen Thames Water, dem größten europäischen Energiekonzern Electricité de France (EdF), dem Baukonzern Balfour Beatty und dem Ingenieursunternehmen WS Atkins. Das sind allesamt global player, die in ihrer Branche zu den größten Unternehmen der Welt gehören.

Einige dieser Unternehmen waren bei Privatisierungen einschlägig aufgefallen. So hatte Balfour Beatty drei der privatisierten Eisenbahnlinien gekauft und musste wegen schwerer Verstöße gegen die Verkehrssicherheit hohe Strafen zahlen. Jarvis, das vom ehemaligen Tory-Verkehrsminister Steve Norris geleitet wird, hatte als Bahnprivatisierer ebenfalls hohe Strafen wegen Gesundheits- und Sicherheitsverstößen zahlen müssen; bei einem Unfall waren fünf Fahrgäste tödlich verunglückt.

Es wurde vereinbart, dass die beiden Firmengruppen die 275 Stationen, das Streckennetz, die Tunnels, Depots, Signal- und Gleisanlagen erneuern und bis 2032 in Schuss halten. Das reguläre Gesamtentgelt der Stadt, zu zahlen in monatlichen Raten an die beiden Konsortien, sollte während der 30 Jahre etwa 44 Mrd. Euro betragen. Davon bekäme Tube Lines etwa 19 Mrd. Euro, Metronet etwa 26 Mrd. Euro. Für Metronet wären das während des Jahres 2005 jeweils etwa 72 Mio. Euro pro Monat gewesen.

Das sind die Zahlen, die öffentlich bekannt gegeben wurden. Aber das „etwa“ hat es in sich, denn so eindeutig und einfach sind die vereinbarten Zahlungen keineswegs. Die Feinheiten wurden großenteils erst bekannt, als das Konsortium Metronet im Juli 2007 in Insolvenz ging.

So gibt es in Wirklichkeit gar kein feststehendes Entgelt. Es errechnet sich variabel mithilfe eines Bonus-Malus-Systems. Es basiert auf „output“ – Kriterien; das ist typisch für PPP. Das bedeutet beispielsweise: Die U-Bahn muss auf der Linie Waterloo & City zwischen 9 und 10 Uhr morgens eine bestimmte Zahl Fahrgäste transportieren; wie Metronet das schafft, ist egal, es kommt auf den Fahrgast-output an. Wenn wegen Verspätung o.ä. soundsoviel Fahrgäste weniger und mit soundsoviel Minuten Verspätung transportiert werden, muss Metronet pro verlorener Fahrgaststunde einen Malus zahlen, der 6 Pfund beträgt, während bei vollständiger Erfüllung Metronet einen Bonus von 3 Pfund erhält. Alles klar? Allein für die rechtliche Regelung dieses hochkomplizierten Verrechnungssystems wurden Hunderte von Vertragsseiten nötig. In der Praxis ergibt das selbst bei erheblicher Minderleistung noch eine Zusatzzahlung der Stadt an den Investor.

Das kommt auch daher, dass die privaten Investoren ihre Leistung selbst bewerten. Wenn die Stadtverwaltung bzw. die Abteilung Transport for London ihre Ingenieure zur Kontrolle dorthin schicken will, wo der Investor bzw. eines seiner Unternehmen gerade arbeitet, müssen umständliche Anträge gestellt werden. Die müssen dann von den eigenen Anwälten mit den Anwälten der Gegenseite verhandelt werden. Es liegt auf der Hand, dass bei durchschnittlich etwa 1.000 Leistungsunterbrechungen pro Woche in der Frage, wie sie zu erfassen und zu bewerten sind, ein hohes Konfliktpotential liegt, verbunden mit Verzögerungen und Kosten, die die neue intransparente PPP-Bürokratie mit sich bringt. Das ist besonders brisant, wenn dadurch Hilfsmaßnahmen bei Unfällen und Terroranschlägen verzögert werden.

Das größte Risiko liegt in Folgendem: Sobald die Kosten – aus welchen Gründen auch immer – steigen und die geringen Konsortialeinlagen der fünf Unternehmen von etwa 500 Millionen Euro aufgebraucht sind, muss der Staat für 95 Prozent der neuen Verpflichtungen aufkommen. Der Staat muss zusätzlich auch dann zahlen, wenn die Kosten „unvorhergesehen“ steigen. So zeigt sich im „Kleingedruckten“ der Verträge, dass die mit PPP angeblich verbundene Festpreisgarantie nicht existiert.

Ein zentraler Begriff bei PPP ist der „Lebenszyklus“. Es heißt, PPP sei auch deshalb kostengünstiger, weil der Investor für den „gesamten Lebenszyklus“, also hier für die Vertragszeit von 30 Jahren, die Verantwortung trage. Deshalb werde er ganz natürlich darauf achten, dass er immer auf einer hohen Qualitätsstufe arbeite, weil er ja für die Folgen einstehen müsse. Diese Synergieeffekte würden zu Einsparungen führen.

Auch diese Argumentation mag zunächst plausibel klingen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Erstens kann der Investor „unvorhergesehene“ Kosten auf den Staat abwälzen. Zweitens: der „Lebenszyklus“ der U-Bahn und ihrer verschiedenen Komponenten – Züge, Schienen, Signalanlagen usw. – endet ja gerade nicht am Ende der Vertragslaufzeit im Jahre 2032. Da endet aber die Verantwortung des Investors.

730 Millionen Euro für die Berater

Das umfangreiche Vertragswerk wurde nicht von irgendwelchen Winkeladvokaten ausgearbeitet, denen schon mal „handwerkliche Fehler“ unterlaufen. Vielmehr war hier mit den US-Wirtschaftsprüfern Price Waterhouse Coopers (PWC), Ernst & Young, KPMG und Deloitte & Touche, dem Ingenieur-Unternehmen Ove Arup sowie der US-Wirtschaftskanzlei Freshfields die Berater-Weltliga vertreten. Es waren übrigens dieselben, die schon von der Tory-Regierung für deren Privatisierungen beauftragt worden waren.

Freshfields hatte 24 Anwälte abgestellt. Ob die alle nötig waren und ob sie substanziell gearbeitet haben, blieb der Öffentlichkeit unbekannt. Bei der Unterzeichnung der etwa 100 Einzelverträge waren 80 Berater anwesend. Die Berater berechneten und erhielten jedenfalls allein für die Vorbereitung 92 Millionen Pfund, für die Organisation der Ausschreibung bis zum Vertragsschluss etwa 400 Millionen Pfund und für die weitere Begleitung bis Mitte 2007 etwa 100 Millionen, so dass die Honorare insgesamt 500 Millionen Pfund betragen, bisher. Das sind 730 Millionen Euro. Ja, richtig gelesen: 730 Millionen Euro für Berater-Honorare. Sie machen knapp 17 Prozent der vereinbarten regulären Entgelte des Projekts aus, bisher.

Weitere Beraterhonorare fallen während der Vertragszeit auf Grund des hohen Konfliktpotentials an. Weiter sind in Abständen von 7,5 Jahren Überprüfungen des Vertragswerks und Korrekturen bis hin zur Neufassung angesetzt, also dreimal während der 30jährigen Laufzeit. Die Berater, wie schon die zu Beginn von Blair & Brown eingesetzte geheime Beratergruppe demonstrierte, vertreten einseitig die Interessen der privaten Seite. Das zeigt sich nicht nur in den Vertragsinhalten, sondern schon im Vorfeld. So legten die Berater beim Wirtschaftlichkeitsvergleich nicht die Kosten zugrunde, die die Stadtverwaltung ausgerechnet hatte für den Fall, dass sie selbst das Projekt durchführen würde, sondern sie nahmen eigenmächtig sehr viel höhere Kosten an. Der privaten Seite unterstellten sie dagegen, dass alle „unvorhergesehenen“ Kosten, die sie später im Vertrag zugunsten des Investors absicherten, nicht eintreten würden.

Die Berater stimmten zwar mit der Regierung die Unterlagen für die öffentliche Ausschreibung des Projekts ab. Jedoch unterstützten sie die „preferred bidder“ (die Unternehmen, die sich bei der Ausschreibung durchgesetzt haben) im Wunsch, die Ausschreibungsbedingungen zu verändern. Das betraf etwa so zentrale Punkte wie die Höhe der Entgelte, die Höhe der Gewinngarantie, den Leistungsumfang sowie die Risikoverteilung. „Es ist doch erstaunlich, dass keiner der hochbezahlten Berater, die das umfangreiche Vertragswerk ausgearbeitet haben, eine solche Situation vorhergesehen hat.“ So ließ sich Tony Travers von der bekannten London School of Economics nach der Insolvenz von Metronet zitieren. Das klingt wie Kritik an den Beratern, ist es aber nicht. Denn nach ihrem Selbstverständnis besteht die Aufgabe dieser Art Berater darin, im Interesse der Investoren genau eine solche Situation vorauszusehen und das Risiko der Investoren hochprofessionell und rechtssicher auf die öffentliche Hand abzuwälzen. Ihre Kompetenz besteht ganz offensichtlich darin, die Interessen der Privatunternehmen durchzusetzen und sich dafür sehr hoch honorieren zu lassen.

Die Insolvenz des Investors

Seit der Privatisierung ist nichts besser, vieles ist schlechter geworden. Metronet war im Juli 2005 mit den meisten Arbeiten schon ein Jahr im Rückstand, während die Stadt die vollen Entgelte zahlte. Die U-Bahn wurde unpünktlicher als vorher, die Fahrpreise sind in die Höhe geschnellt. Signale fielen aus, Weichen klemmten, die Motoren der Züge sprangen oft nicht an. Fahrer streikten, weil sie mit unsicheren Zügen nicht fahren wollen. Unfälle, Entgleisungen und Stopps häuften sich. 2005 wurde eine der meistbefahrenen Linien, Northern Line, vier Tage lang ganz stillgelegt. Sicherheitsbremsen setzten aus. Am 5. Juli 2007 sprang zwischen den Stationen Mile End und Bethna Green um neun Uhr morgens ein Zug aus dem Gleis. Die Linie war blockiert. Anderthalb Stunden danach begann die Evakuierung der 700 Fahrgäste, 37 waren verletzt. Metronet stellte im November 2006 fest, dass bis 2010 zusätzlich 3,3 Milliarden Euro notwendig sind, um die vereinbarten Aufgaben zu erledigen. Der Grund seien „unvorhergesehen gestiegene Kosten“. Deshalb stellte Metronet den Antrag an die Verkehrsbehörde Transport for London (TfL) zunächst auf eine zusätzliche Zahlung von 820 Millionen Euro. Der TfL-Schiedsmann Christ Bolt bewilligte aber nur 180 Millionen.

Da sich die Lage trotz dieser Zusatzzahlung weiter verschlechterte und die Banken sich weigerten, weitere Kredite zu geben, stellte Metronet am 16. Juli 2007 schließlich Antrag auf Insolvenz. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn die fünf Konzerne, die das Konsortium bilden, Kredite aufgenommen hätten. Doch das taten sie nicht. Laut Vertrag sind sie dazu nicht verpflichtet. Ihre Haftung ist auf ihre anfängliche Einlage von gut 100 Mio. Euro beschränkt, insgesamt also auf 500 Millionen. Der Staat muss sogar die Schulden des Konsortiums übernehmen und dessen Kredite zurückzahlen, wenn es in Insolvenz geht. Diese Kredite betragen 2,8 Mrd. Euro.

Ein besonderer Witz dabei ist: Die fünf Konsortialmitglieder sind zugleich diejenigen, die sich die wesentlichen Metronet-Aufträge selbst zugeschustert hatten; sie sind somit für die „unvorhergesehen gestiegenen Kosten“ im Wesentlichen selbst verantwortlich. Sie können den Wert der Aufträge ohne Ausschreibung selbst festlegen und damit ihre Gewinne steigern. Sie warten jetzt darauf, dass ihr Konsortium Metronet mithilfe der staatlichen Zuschüsse ihre überhöhten Rechnungen begleicht. Und die Metronet-Gesellschafter haben trotz oder vielleicht auch wegen der absehbaren Insolvenz noch schnell 75 Millionen Euro Gewinn an sich selbst ausgeschüttet.

Der frühere Schatzkanzler Brown, jetzt Premierminister nach Blair, wollte als unbelehrbarer PPP-Fundamentalist eine Neuausschreibung der Verträge. Doch das würde Zeit und Geld kosten. Brown hat als zuständiger Vertreter der Regierung die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young als Konkursverwalter eingesetzt, also die Berater, die für das Malheur mitverantwortlich sind. Als einen der ersten Schritte wollte der Konkursverwalter möglichst viele der bisher 3.000 Angestellten von Metronet entlassen.

Die andere Lösung besteht darin, dass die Stadt selbst die Verträge übernimmt. Für diese Lösung spricht alles, damit die Wartungsarbeiten überhaupt einigermaßen geordnet weitergehen können und nicht zusätzliche Gefahren entstehen.

[1] Vgl. Werner Rügemer: „Heuschrecken“ im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments. transcript Verlag, Bielefeld 2008.

[2] Im vorgenannten Buch werden neben einer Bilanz der Entwicklung in Großbritannien exemplarisch
u.a. die deutschen PPP-Projekte Bildungszentrum Ostend (Frankfurt/Main), Schulen Landkreis Offenbach, Kölner Messehallen, Medienzentrum Mülheim an der Ruhr, Toll Collect, Warnow- und Travetunnels ausgewertet.

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