A Generation to end all generations [1]
Zur Entmythologisierung des Generationenlabels „89er“,
aus: vorgänge Nr. 182, Heft 2/2008, S. 139-147
Aus einer empirischen Erhebung mit Protagonisten der 89er-Generation liegt mir diese Interviewpassage vor[2].
Auf Dauer merkt man schon, also wenn man jetzt in der Oberstufe war, zu meinem Zeitpunkt war gerade die Wende 89 und danach ins Studium ging, war man im Studium immer mit anderen Generationen konfrontiert, also z.B. mit den 68ern oder also in meinem Fall Literaturwissenschaft, war ich da noch mit der Flakhelfergeneration konfrontiert und mit der Gruppe 47. Das waren alles Momente, wo mir ganz stark vermittelt wurde, hier gab es eine bestimmte Generation, die sich über ein bestimmtes gemeinsames Erlebnis definiert. Und implizit war da drin, wir haben eigentlich so richtig gar nichts. Wir sind nicht definiert. Wenn ich dann überlegt habe, was sind wir, wusste ich`s nicht. Wahrscheinlich kann man doch den Anfang eines solchen Bewusstseins nicht erst, […] bei den 89ern, sondern erst danach bei Florian Illies, Generation Golf, dass da in irgendeiner Form die gemeinsame Erfahrungsgrundlage dargestellt war, wo man dachte: Ja OK, das ist tatsächlich etwas, was ich teile. Natürlich manche Sachen auch nicht, aber ja ich verstehe, dass Samstag Nachmittag in der Badewanne liegen mit einem Playmobilschiff und sich auf Wetten dass freuen tatsächlich Definitionsgrundlage meiner Sozialisation auch ist. (Literaturwissenschaftler Jahrgang 1971)
So etwas hört man öfter, in Alltagsgesprächen nicht unbedingt in dieser Ausführlichkeit. Es wird die Frage erörtert, ob angesichts der mächtigen Vorbildgenerationen des 20. Jahrhunderts – hier treten vor allem die 68er hervor – vom Auftreten einer neuen Generationen gesprochen werden kann. Am Beispiel der obigen Passage expliziert sich, im Gegensatz zur Entwicklungszeit der genannten übermächtiger Vorbilder, eher eine Generation, die durch nichts hervorsticht – „wir haben eigentlich gar nichts“. In der Popkultur wird nur noch recycelt, historische Großereignisse, die prägend sein können, sind ausgeblieben, hier spricht höchstens ein Vertreter der ´lost generation´, die durch einen Wohlfahrtsstaat geprägt wurde, der nach und nach seine Ideale zurückschrauben musste. Erstmalig wird dies für die ab 1955 Geborenen diagnostiziert (Becker 1989: 80ff.)[3]. Deutlich wird hier der Wunsch, einer Generation anzugehören, gleichzeitig bleibt unklar, wie diese Generation aussehen könnte. Abhilfe schafft die Lektüre des Essays Generation Golf (Illies 2000). Anstatt eines prägenden Erlebnisses wird hier die Prägung durch Medien- und Konsumerfahrungen in den Vordergrund gestellt und als identitätsstiftend betont. Dagegen könnte man argumentieren, dass obige Interviewpassage eher Ausdruck einer Identitätsschrumpfung ist, in der alles beliebig bleibt. Offen bleibt die Frage, ob diese Generationenrhetorik wirklich überzeugt. Kann man in so einem Fall von einer Generation sprechen?
Im „Erinnerungsjahr“ 2008 wird diese Frage an jüngere Generationen erneut gestellt. Die Achtundsechziger werden relativ einstimmig als letzte politische Generation der Bundesrepublik gesehen. In diesem Zusammenhang kann die Frage gestellt werden, ob der Generationenbegriff auch weiterhin sinnvoll verwendet werden kann. In den 90er Jahren wurde intensiv über eine neue politische Generation debattiert, die die Bundesrepublik nachhaltig verändern sollte. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie machte dieses Label einer größeren Leserschaft bekannt (vgl. Leggewie 1995), allerdings kann aktuell nicht mehr von einer Debatte über die 89er die Rede sein. In meinem Beitrag diskutiere ich drei theoretische Ansätze, mit denen die beschriebene Generationen-Rhetorik erklärt werden kann. Ich werde diese Generationendebatte als den Versuch der Bildung einer strategischen Gruppe und auch als generationelle Lagerung im Sinne Karl Mannheims (Mannheim 1964 [1928]) interpretieren. Nahe liegend ist zudem die Interpretation dieser Rhetorik als mediale Gelegenheitsstruktur.
Die Fragestellung, ob heute noch von Generationen die Rede sein kann, werde ich vor allem am Beispiel der 89er diskutieren, auf eine eigenständige Empirie über die 68er-Generation verzichte ich in diesem Text, da die 68er in ihren wesentlichen Zügen der Leserschaft präsent sein dürften[4]. Es ist vor allem auf den explorativen Charakter meiner Befunde über die 89er hinzuweisen.
89/ 68 – eine Dichotomisierung der Gesellschaft
In der Generationendebatte fällt besonders die Dichotomie zwischen 68 und 89 auf. Interessant ist an diesem zahlenmytischen Spiel, dass die 68 auf den „Kopf gestellt“ wird. Sowohl 1968 wie auch 1989 sind Zeichen, die signalisieren, wie sich die Welt verändert hat. 68 steht für versteinerte Verhältnisse, die „zum Tanzen gebracht“ werden sollen, während ab 1989 die gesellschaftliche Beschleunigung als unkontrollierbar gilt. Klaus Theweleit kommt ganz im Sinne dieser Zahlenmythologie anlässlich des 18. Geburtstags der 68er Generation zu dem Schluss, was 1968 die Liebe war, ist 1986 der Tod (Theweleit 1991: 267). Freie Liebe ist in Zeiten von AIDS kein Erfolgsmodell. Hartmut Rosa fragt sich, ob das Auftreten einer „Techno-Generation“ einen Wandel im Umgang mit Beschleunigung darstellt. Während vorhergegangene politische oder soziale Bewegungen auf Verlangsamung gesetzt haben, wird hier ein anderer Umgang mit diesen Dynamiken geübt (Rosa 2005: 154f.). Michael Corsten kommt zu ähnlichen Ergebnissen, wenn er die Jahrgänge 1966-72 als eine inversive Generation bezeichnet. Damit meint er nicht nur eine Umwidmung des links stehenden Geistes nach rechts, sondern ein Vermeiden eindeutiger Positionen. Die Revolte wird cool, im Gegensatz zur heißen 68er-Revolte (Corsten 2001: 500ff.). 1989 wird als Ende des Rheinischen Kapitalismus angesehen, während jetzt ein ungebremster Kapitalismus vorherrscht usw. Kurz: Vermittelt wird eine Botschaft des „nicht mehr“; bisherige Kategorien (z.B. „links/rechts“) können das Leben nicht mehr beschreiben und erklären. Die Kategorie „Generation“ wird genutzt, um gerade ihre Ablösung (bzw. Auflösung) zu diagnostizieren. Lässt sich die Erkenntnis einer fortschreitenden Veränderung der Welt mit einem Generationenlabel erklären? Die Abgrenzungskategorie „Generation“ wird zu einer Ablösungskategorie, sie dient vor allem dazu, dieses „nicht mehr“ mangels kategorischer Alternativen zu beschreiben. Hier lässt sich eine Mythologisierung erkennen: Neben dem historischen Datum der 89er-Zäsur greift dieses „nicht mehr“ auf andere Lebensbereiche über. Entlang dieser Zäsur lassen sich weitere Brüche finden, besser: hineininterpretieren. Sie lässt sich auf andere Lebensbereiche übertragen: Krankheiten, Technik, soziale Sicherheit, es lässt sich eine Mythologisierung der 80er Jahre erkennen: Bezeichnet man 1989 als das Ende der westlichen Welt, wie sie bis dahin war, unterschlägt diese Rhetorik, dass diese Welt damals bereits im Zerfall begriffen war.
Gemeinsam ist allen Diagnosen der Befund der Beschleunigung. Beinhaltet dieser schon eine Ablösung der Kategorie Generation? Hartmut Rosa spricht in seinem Buch über Beschleunigung von einer Gegenwartsschrumpfung, Wissensbestände bekommen mit steigender Beschleunigung eine geringere Halbwertszeit. Während in der klassischen Moderne Generation eine Kategorie des sozialen Wandels war – z.B. kennzeichnet die klassische Moderne eine lebenslange Berufswahl, postmoderne, flexible Biographien sind dagegen durch einen „intragenerationellen Beschäftigungsstrukturwandel und Arbeitskräfteaustausch gekennzeichnet.“ (Rosa 2006: 184 (Hervorhebung im Original)). Die Folge dieser Gegenwartsschrumpfung ist eine Identitätsschrumpfung (Ebd.).
Bevor ich die genannten drei Erklärungsansätze diskutiere, werde ich die soziale Situation darstellen, in der die Protagonisten der „89er-Generation“ aufgewachsen sind. Diese Situation werde ich in Anschluss an Befunde der Jugendsoziologie als eine Krise des okzidentalen Rationalismus kennzeichnen. Im Anschluss werde ich sie als eine strategische Gruppe, sowie als generationelle Lagerung diskutieren.
Krise des Okzidentalen Rationalismus
Helmut Fend bezeichnet in Anlehnung an Max Webers Rationalismuskonzept die gegenwärtige Krise als eine Krise des okzidentalen Rationalismus. Unsere Gesellschaftsordnung kann Probleme, die sie selbst hervorbringt, nicht lösen. Als typische Beispiele nennt Fend Umweltzerstörung, Wettrüsten, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Probleme. Als ein wesentliches Motiv kommt ferner die Erkenntnis dazu, dass ein hochwertiges Bildungszertifikat keinen reibungslosen Übergang in das Beschäftigungssystem leisten kann (Fend 1988: 169)[5]. Klaus Hurrelmann merkt zum erschwerten Eintritt in den Arbeitsmarkt an, dieser Generation werde das Gefühl gegeben, bei ihr handele es sich um eine überflüssige Generation (Hurrelmann 2006: 222). Seit den 70er Jahren ist eine prägende Erfahrung, dass jüngere Generationen nicht mehr besser situiert sein werden sind als ihre Eltern-Generation bzw. schlechter[6]. Analytisch ist zwischen diesen Erfahrungswelten klar zu trennen. Zu klären ist die Frage, wie diese Generationenrhetoriken miteinander zusammenhängen. Analytisch ist die Diagnose der Krise des Wohlfahrtsstaates von der Rhetorik einer historischen Zäsur klar zu trennen, da – wie bereits dargelegt – diese bereits eine Erfahrung der „alten“ Bundesrepublik vor 1989 war. Es bestehen Verknüpfungen zwischen diesen beiden Erlebniswelten, die zu benennen sind. Wie sie zusammenhängen, muss weitere Forschung klären.
Hartmut Rosa diagnostiziert den Sozialstaat als einen „Bremser“ der Spätmoderne, der mit den gesellschaftlichen Beschleunigungsprozessen nicht mehr mithalten kann (Rosa 2006: S. 324). Für die Zeit um das Jahr 1989 nennt er drei Prozesse, die der Beschleunigung zu durchschlagender Wirkung verholfen haben. Zunächst der Zusammenbruch der DDR und des Sowjetregimes, als zweiten Prozess die Digitalisierung durch Entwicklung virtueller Datennetze und der Weiterentwicklung des Satellitenfernsehens und als dritten Prozess die flexible und postfordistische Produktionsweise (Rosa 2006: 336). Speziell in Deutschland – hier fiel 1989-91 der Systemumbruch mit einem Elitenwechsel zusammen – ist eine Folge der historischen Zäsur die Frühverrentung auf dem DDR-Arbeitsmarkt, was zu einer zusätzlichen Belastung der Rentenkassen geführt hat, ebenso wie die Eingliederung der DDR-Rentner in die westdeutsche Rentenkasse. Eine andere Folge des mit dem Systemwechsels verbundenen Elitenwechsels liegt in den besonderen Beschäftigungschancen der Wendeeliten im Wiedervereinigungsprozess. Die historische Zäsur hat die wohlfahrtsstaatliche Krise für einen Zeitraum überdeckt.
Strategische Gruppe
In Krisen oder Umbruchszeiten bilden sich proto-Klassen heraus, die im Kampf um Ressourcen kollektive Handlungsstrategien entwickeln, um sich einen Anteil an den Gütern der Gesellschaft anzueignen. Diese Gruppenbildung ist als eine Reaktion auf veränderte Lebensumstände zu begreifen. Das Initialziel einer strategischen Gruppe ist Wachstum zwecks Steigerung politischer Einflussmöglichkeiten und Lebenschancen im objektiven Klasseninteresse dieser Gruppe zu nutzen (Ewers u.a. 1983:2). Wie sich eine solche strategische Gruppe gestaltet, ist abhängig von den darin engagierten Akteuren – im Fall von Freiberuflern oder Arbeitnehmern sind es höhere Löhne oder Honorare. Das politische Interesse einer strategischen Gruppe kann im skizzierten Fall in der Regulierung des prekären Arbeitsmarktes sowie einer generationengerechten Politik[7] gesehen werden.
Die Bildung einer strategischen Gruppe hängt als zweites von der Regierungsform des jeweiligen Staates ab. In einer parlamentarischen Demokratie ist der nahe liegende Schritt, Einfluss auf das Partei- und Verbandswesen zu nehmen. Als einen Versuch eine strategische Gruppe zu bilden kann die Gruppe der 89er bei den Grünen interpretiert werden. 1997 wurden in einem Positionspapier Inhalte festgelegt, die für den (wahrscheinlichen) Fall eines Rot-Grünen Wahlsieges umgesetzt werden sollten. Das Start21-Papier wurde in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht und in einem Neunundachtziger Buch dokumentiert (vgl. Wagner 1989). Als ein wesentliches Motiv sticht die Begrenzung der Staatsverschuldung hervor, einige Forderungen scheinen dagegen durch den Zeitgeist der 90er Jahre geprägt zu sein, etwa die Forderung, die Rentenversicherung an den Kapitalmarkt zu bringen.[8]
Generationelle Lagerung
Klassisch ist nach wie vor Karl Mannheims Generationenkonzeption mit der Trias von Generationenlagerung, Generationenzusammenhang und Generationeneinheiten (Mannheim 1964 [1928]). Die Generationenlagerung umfasst benachbarte Geburtsjahrgänge. Bei der Frage nach den 89ern fällt auf, dass sich vor allem die zwischen 1968 und 1971 Geborenen so bezeichnen.
Karl Mannheim spricht analog zur Weberschen Klassenlagerung von einer Generationenlage. Max Weber diskutiert die Klassenlage analog zur Marktlage, jede Klassenlage ist demnach mit bestimmten Chancen verbunden. Diese Chancen oder Handlungsspielräume nennt Karl Mannheim den Generationenzusammenhang, das gemeinsame Schicksal einer Generation. Neben den historischen Großereignissen wie Krieg, Revolution oder Inflation können auch ein besonderer Arbeitskäftebedarf oder Prekarisierung ein solches Generationenschicksal ausmachen. Aus diesem gemeinsamen Schicksal kann eine Elite hervortreten, die ein politisches Bewusstsein aus dieser Situation entwickelt. Dieser Deutungsanspruch kann auch von dem der „breiten Masse“ abweichen. Außer den „Eliten“ gibt es viele Altersgenossen, die davon nichts wissen oder wissen wollen (Becker 1989: 83).
Wenden wir uns nach diesem theoretischen Exkurs wiederum der Frage nach den 89ern zu: Es lassen sich drei Gruppen identifizieren, die besondere Prägungen oder Handlungschancen in der Wendezeit erfahren haben.
1. Besonders privilegierte Handlungschancen hatten die zum Zeitpunkt der Wende 30-bis 40-Jährigen. Der Wiedervereinigungsprozess war von einem gleichzeitigen System- und Elitenwechsel gekennzeichnet. Der ostdeutsche Transformationsprozess war dadurch gekennzeichnet, dass verstrickte Personen nicht bei der Besetzung wesentlicher Positionen berücksichtigt werden mussten. Darin lag ein wesentlicher Unterschied zu anderen ehemaligen Ostblockstaaten. Der Bedarf an Führungspersonal konnte durch Absolventen der geburtenstarken westdeutschen Jahrgänge gedeckt werden. Berufliche Handlungschancen ergaben sich für Juristen, die vor allem in der Ministerialbürokratie und als Richter Verwendung fanden[9], aber auch für Journalisten, die im expandierenden privaten Rundfunk sowie in den neu gegründeten ostdeutschen Anstalten des öffentlichen Rundfunks eine Anstellung fanden. Diese Absolventenkohorte hat Erwerbsbiographien vorzuweisen, die sich von den weiter oben geschilderten deutlich unterscheiden. Die besonders hervorstechenden und außergewöhnlichen beruflichen Handlungschancen haben diese Probleme „überdeckt.“
Für die folgende Alterskohorte wurden diese Chancen begrenzt: Durch das jugendliche Alter der Stelleninhaber ergaben sich für diese Generation keine außergewöhnlichen Beschäftigungschancen. Dies ist eine Parallele zur 68er-Generation, sie konnten im expandierenden öffentlichen Dienst auf gute Beschäftigungschancen hoffen, für die nachfolgenden Jahrgänge war dieser Arbeitsmarkt ebenfalls verschlossen (Bude 1995: 29). Die Jahrgänge, die durch eine Thematisierung als 89er hervorgetreten sind, waren zu jung, um von diesen verbesserten Handlungschancen profitieren zu können. Insgesamt sind die Prägungen jedoch ähnlich. Erinnert sei an die Vermutung Henk A. Beckers, die nach 1970 Geborenen seien eine Fortsetzung der „lost-generation“ des Wohlfahrtsstaates (Becker 1989: 87).
2. Diejenigen, die zum Zeitpunkt der Wende in Westdeutschland noch im Studium oder in der Schule waren, haben prekärere, dennoch beachtliche Karrieren vorzuweisen. Aus diesen Jahrgängen – insbesondere die Jahrgänge 1968-1971 – stammt die Selbstthematisierung als Neunundachtziger in der Politik, z.B. bei den hessischen Grünen, aber auch im Medienbereich. Die z.T. prekären Übergänge von der Ausbildung in die Berufstätigkeit wirken im Vergleich zu den zehn Jahre Älteren eher entbehrungsreich, obwohl ihnen diese Situation aus der Zeit vor der Wende bekannt gewesen sein müsste. Für sie wirkt sich der Verwendungsstau besonders stark aus.
Der eigentliche Erfahrungsraum dieser Generation sind die 80er Jahre in der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik baute ihren Status vom „Provisorium“ hin zum „souveränen Staat“ aus, ein Prozess, der durch den Fall der Mauer im Nachhinein bestätigt wurde. Aus dieser Gruppe geht die Selbstthematisierung als 89er hervor, es ist der Versuch, ein Label für sich zu vereinnahmen. Obwohl die Thematisierung als 89er aus diesen Jahrgängen stammt, bleibt dieses Label jedoch für die „breite Masse“ dieser Jahrgänge uninteressant.
3. Die Wendeschüler, die „abgeklärten Skeptiker“ (Lehmann/Stutz 2007). Von dieser Gruppe ist bislang keine Selbstthematisierung als 89er zu erkennen – außer bei denjenigen, die eine Karriere in der Politik oder im Medienbereich ins Auge gefasst haben -, was insofern erstaunlich ist, da sie im Vergleich zu ihren Altersgenossen im Westen die Umbrucherfahrung deutlich stärker wahrgenommen haben. Das Interesse dieser Gruppe ist das möglichst reibungslose Einsickern in die westdeutsche Gesellschaft. Im Gegensatz zu ihren westdeutschen Altersgenossen haben sie verhältnismäßig lange Ausbildungszeiten, denn sie haben einen relativ großen Selbstverwirklichungsanspruch.
Ausblick
Das politische Problem der Generation beginnt dort, wo eine Generation aufhört (Neckel 1993: 166). Das ist der Stand nach 68. Es bleibt unklar, ob und wo neue Generationen zu verorten sind. Die 68er sind von den Jahrgängen relativ gut eingrenzbar und als Träger einer politischen Bewegung zu identifizieren (vgl. Bude 1995). Die Frage nach einer 89er-Generation stellt sich schwieriger dar: Kennzeichen moderner Gesellschaften ist die soziale Konstruktion von Erfahrung. Bestimmte Erfahrungen werden zu Erinnerungen, wenn es diskursiv ausgehandelte Wegmarken gibt, an denen man diese verorten kann. Ein Austausch über Erfahrungen ist immer auch ein Austausch über gesellschaftliche Konventionen, wie erinnert werden sollte (Schachtel 1949). Stellt man sich die Gesellschaft als Blick auf den nachts durch die Straßen fahrenden Verkehr vor, sind die gemeinsamen Erinnerungen die Kreuzungen, Ampeln, Verkehrszeichen etc. Bei der Frage nach den 89ern können wir drei verschiedene Wegmarken ausmachen und an jeder dieser Wegmarken sind unterschiedliche Wendungen denkbar. Für die 89er ist es noch unklar, ob und auf welche dieser Wegmarken sich das kollektive Gedächtnis dieser Generation einigen wird. Ist es die Erfahrung der westdeutschen 80er Jahre, mit Playmobil und „Wetten dass…?“, oder sind es Erfahrungen der Wendezeit – die Aufbruchstimmung der Wendeeliten oder die Desillusionierung ihrer ostdeutschen Altersgenossen? Auch die Prekarisierung der Arbeitswelt als gemeinsamer Erfahrungshorizont überzeugt wenig, da gerade die Wendeeliten erstaunliche Karrieren vorzuweisen haben – im Gegensatz zu der Generation der heutigen Absolventen. An dieser Komplexität der sozialen Realität sind die Versuche dieses Label Mitte der 90er zu vereinnahmen gescheitert, Leggewies Versuch die 89er zu portraitieren ist Ausdruck dieses Problems. In einem Interview wurden die Ereignisse um das Jahr 1989 als ein Stein beschrieben, der auf dem Boden der Erinnerung liegt, aber nicht aufgehoben wird. Dieser Stein wird nicht aufgehoben, weil keine diskursive Einigkeit darüber besteht, wie diese Erinnerung verarbeitet werden kann. Was bleibt, ist die Erinnerung an diese Zeit im Sinne einer „community of affect“. Der britische Soziologe Dick Hebdige beschreibt als community of affect kurzlebige Mobilisierungswellen, die sich kurzfristig bilden (Hebdige 1994).
Am Label 89er scheitert vor allem die Selbstthematisierung der westdeutschen Jahrgänge 1968-1971, denn bei ihnen ist oftmals kein biographsicher Bezug zum Jahr 1989 zu erkennen. Auch die oftmals angestrengte Hilfskonstruktion im Sinne einer Posthistorie überzeugt wenig. Es wurde vorgeschlagen, das Label der 89er zugunsten der Bezeichnung generation precaire zu verwerfen, denn dieses sei näher an der tatsächlichen Erfahrungswelt dieser Jahrgänge (Bürgel 2007). Das würde allerdings nur auf einen Teilbereich dieser Gruppe zutreffen.
Es stellt sich die Frage, ob der Generationenbegriff überhaupt nützlich ist oder ob man ihn angesichts der Inflation immer weniger überzeugender Generationenlabels ganz verwerfen sollte. Wenn der Anspruch an den Generationenbegriff ist, eine komplexer werdende Realität auf eine einfache und griffige Formel zu bringen, ist der Begriff der Generation sicher nicht angemessen. Im Gegenteil kann gefragt werden, ob dieser Wunsch einer Etikettierung der Realität entspricht. Die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts kann als Geschichte von Generationenkonflikten gelesen werden. Die prominenteste Etikettierung bleibt mit dem Jahr 68 verbunden. Möglicherweise erschwert gerade dies den Blick auf eine neue Generation.
[1] Den Titel meines Beitrages habe ich aus einem Artikel von Caspar Maase ausgeborgt, in dem er den Verlust des analytischen Potentials des Generationenbegriffes angesichts seiner inflationären Entwicklung kritisiert (Maase 2005:227).
[2] Für mein Promotionsvorhaben wurden zwischen 2006 und 2008 teilstandartisierte qualitative Interviews mit „Protagonisten“ der 89er Generation geführt. Sie wurden von mir angesprochen, weil sie sich bereits als 89er selbst dargestellt haben. Die Selbstthematisierung als 89er war Bedingung um eine Person ins Sample aufzunehmen.
[3] Becker nimmt zunächst keine Abgrenzungen zu den jüngeren vor. Für uns ist jedoch interessant, dass er für die ab 1970 geborenen eine Veränderung innerhalb dieser `lost-generation´ diagnostiziert. (Becker 1989: 86f.) Diese Vermutzung wird durch aktuelle empirische Ergebnisse weitgehend bestätigt.
[4] Vgl. hierzu z.B. Bude 1995 und Theweleit 1998.
[5] Die Diagnose der Unregierbarkeit der Gegenwartsgesellschaften ist ein bekanntes Motiv in der soziologischen Zeitdiagnose. (vgl. Baumann 2000).
[6] Empirisch wurde diese Wahrnehmung unter anderem von Geoffrey Paulin und Brian Riordan (Paulin; Riordan 1998) für die USA bestätigt.
[7] Zum Begriff der Generationengerechtigkeit vgl. Butterwege 2006.
[8] Dieses Papier wurde in einer durch den Börsengang der Telekom beeinflussten Börseneuphorie geschrieben. Heute ist z.B. der Anteil den Wertpapiere z.B. an privaten Zusatzrenten haben können strikt begrenzt.
[9] Das Durchschnittsalter der Richter in Sachsen war 1994 34 Jahre. (Pannen 1994) Hier ergaben sich auch Chancen für Juristen, die bei normalem Bedarf mit ihrer Examensnote nie auf einer Richterstelle gekommen wären.
Literatur
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Becker, Henk A. (1989): Generationen, Handlungsspielräume und Generationenpolitik. In: Weymann, Ansgar: Handlungsspielräume. Stuttgart, S. 76-89.
Bude, Heinz (1995): Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938-48. Frankfurt/M.
Bürgel, Tanja (2007): Die 89er als Generation – gibt es sie wirklich? Zur Historisierung eines Generationen-Labels. In: Generationengerechtigkeit! 2/2007, S. 4-8.
Butterwege, Christoph (2006): Generationengerechtigkeit -Zukunftsverpflichtung oder Kampfbegriff? In: Berliner Debatte Initial, Jg. 17, H. 3, S. 47-58.
Corsten, Michael (2001): „Generationenzusammenhänge“ der Bundesrepublik Deutschland. In: Almendiger, Jutta (Hrsg.): Gute Gesellschaft? Verhandlungen des 30. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Köln 2000. Teil A. Opladen. S. 477-518.
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Hebdige, Dick (1994): After the masses. In: Dirks, N.B. (Hrsg.): Culture/Power/History: A Reader in Contemporary Critical Theory. Princeton. S. 222-235.
Hurrelmann, Klaus (2006): Einführung in die Sozialisationstheorie. Bern u. Weinheim
Illies, Florian (2000): Generation Golf. Eine Inspektion. Frankfurt/M.
Leggewie, Claus (1995): Die 89er. Portrait einer Generation. Hamburg
Pannen, Stephan (1994): Wir Mauerkinder. Eine Generation bricht auf. Weinheim.
Lehmann, Antje; Stutz, Rüdiger (2007): „Abgeklärte“ Skeptiker: Zum Erfahrungsabgleich und Selbstverständnis der 90er-Jahre-Jugend in Ostdeutschland. Vortrag auf der Tagung: „Eine génération précaire im Osten? Die Verunsicherung und Selbstdeutungen von Jugendlichen nach dem Systemumbruch“ Sonderforschungsbereich 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“ Jena, 17.12. 2007.
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