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Politik im Dienst der Sicher­heits­in­dus­trie

aus: vorgänge Nr. 209 (Heft 1/2015), S. 61-65

(Red.) Politik sollte die unterschiedlichen Einzelinteressen gerecht ausgleichen. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Deutsche Europaabgeordnete dienen als Lobbyist_innen der nationalen Sicherheitsindustrie. Ein Fallbeispiel über die fehlende Trennung zwischen Politik und Lobbyismus.

Der europäische Sicherheitsmarkt ist einer der am stärksten wachsenden Wirtschaftsbereiche der Europäischen Union (EU). Laut den aktuellsten Zahlen der Europäischen Kommission, ist das weltweite Marktvolumen innerhalb von zehn Jahren von etwa zehn auf rund 100 Milliarden Euro im Jahr 2011 angewachsen und hat sich damit – trotz der Krise – verzehnfacht. Die europäischen Unternehmen haben mit einem Jahresumsatz von 25 bis 36 Milliarden Euro einen Anteil von etwa 25 Prozent am Weltmarkt. Rund 180.000 Personen arbeiten europaweit in diesem Sektor. Die europäische Sicherheitswirtschaft ist damit ein wichtiger Faktor auf dem globalen Sicherheitsmarkt und ein Schwergewicht der europäischen Wirtschaft.(1)

Zur Unterstützung dieser Industriebranche investiert die EU: knapp 1,7 Milliarden Euro werden bis zum Jahr 2020 in die Sicherheitsforschung fließen.(2) Die Ausgaben sind Teil des EU-Rahmenforschungsprogramms „Horizon 2020“. Das Ziel ist, wie beinahe in jedem EU-Programm erklärt wird, durch Innovationen bei Produkten, Dienstleistungen und Prozessen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu erhöhen und dadurch mehr Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.(3)

Oder kurz formuliert: „Horizon 2020“ ist ein Subventionsprogramm für die europäische Sicherheitsindustrie. Denn Grundlagenforschung, etwa im Bereich Datenschutz, oder sozial- und rechtswissenschaftliche Untersuchungen werden nur in marginalem Ausmaß gefördert. Das zeigt auch eine Analyse des Vorgängerprogramms „FP7“, dem 7. Rahmenforschungsprogramm der EU. Unter den Top-10-Projektteilnehmern befinden sich vor allem multinationale Unternehmen, etwa EADS oder Thales. Mit rund 43 Prozent ist die Industriebeteiligung an der Sicherheitsforschung im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern überdurchschnittlich hoch. Die Erfolgsrate ist jedoch, laut der Europäischen Kommission, mit 16 Prozent äußerst niedrig.(4)

Der Zugang zu den Brüsseler Forschungsgeldern ist hart umkämpft. Unzählige Interessenvertreter_innen versuchen gegenüber der Politik die Höhe der Forschungsgelder, die Ausschreibungskriterien oder den Verwendungszweck zu beeinflussen und begleiten gleichzeitig die Unternehmen während des gesamten Ausschreibungsprozesses. Der direkte Zugang zu den politischen Entscheidungsträger_innen ist dabei eine Grundvoraussetzung für den Erfolg. Die klare Trennung zwischen Lobbyismus und Politik, die es den Amtsträger_innen ermöglichen soll, unabhängig und im Sinne des Gemeinwohls Entscheidungen zu treffen, wird dabei zur ineffizienten Hürde, die es zu überwinden gilt.

Lobbyismus „Made in Germany“



Der Wettbewerb um die EU-Forschungsgelder ist stark von nationalen Konflikten geprägt. Jedes Mitgliedsland versucht das größte Stück vom Förderkuchen für seine heimische Industrie zu generieren. Für die deutsche Sicherheitsindustrie lobbyiert unter anderem die „German European Security Organisation“ (GESA). Der in Berlin ansässige, gemeinnützige Verein wurde im Jahr 2006 gegründet und hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, Wissenschaft und Forschung zu fördern, insbesondere auf dem Gebiet der zivilen Sicherheit. Dazu gehört „die Entwicklung und Erarbeitung von Forschungszielen auf nationaler und europäischer Ebene“ sowie die „Durchführung eigener Forschungsvorhaben“.(5) Anders formuliert: Der Verein versucht die Vergabe der Forschungsmittel erfolgreich im Sinne seiner Mitglieder zu beeinflussen, etwa als die Gestaltung der Vergaberegeln für „Horizon 2020“ im Europäischen Parlament auf der Tagesordnung stand. Für den Parlamentsbericht „Rule for the participation and dissemination in ‚Horizon 2020’ (2014-2020)“ war Christian Ehler Berichterstatter, der damalige Vorstandsvorsitzende der GESA. Er formuliert somit federführend die neuen Spielregeln. Als Schattenberichterstatter fungiert der deutsche Sozialdemokrat Norbert Glante, ebenfalls GESA-Mitglied. Die Fraktionen, die von den beiden Europaabgeordneten im zuständigen Industrie-Ausschuss vertreten wurden, stellten mit 38 von insgesamt 61 stimmberechtigten Abgeordneten die deutliche Mehrheit. Beste Voraussetzungen für die Neugestaltung im Sinne der GESA-Mitglieder.


Christian Ehler, Schattenberichterstatter für den entscheidenden Parlamentsbericht, setzte sich auch erfolgreich dafür ein, als es darum ging, die Fördergeldmenge für die Sicherheitsindustrie auszuweiten: Bis „Horizon 2020“ wurden aus dem Forschungsrahmenprogramm lediglich zivile Forschungsprojekte unterstützt, jedoch keine militärischen. Damit war der Zugang zu einem großen Teil der EU-Fördergelder für die Sicherheitsindustrie limitiert. Das musste sich ändern. Durch die Förderung von sogenannten „Dual-Use-Technologien“, also Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch einsetzbar sind, wurde mit diesem Grundsatz gebrochen.

Herzliche Einigkeit



Gegründet wurde die GESA unter anderem von acht deutschen Europaabgeordneten, darunter Alexander Graf Lambsdorff von der FDP (heute Vizepräsident des EU-Parlaments), Erika Mann von der SPD (derzeit Lobbyistin für Facebook) oder eben Christian Ehler von der CDU. Die Logik des Vereins ist rasch erklärt: Wer zahlt, bekommt exklusiven Zugang zu den politischen Entscheidungsträger_innen und kann seine politischen Interessen effektiver durchsetzen als die Konkurrenz. Vereinsmitglieder, wie etwa der Rüstungskonzern „EADS Deutschland GmbH“ oder der Hersteller von Nacktscannern „Smith Heimann GmbH“, müssen jährlich bis zu 5.000 Euro Mitgliedsbeitrag zahlen.(6)

Dass die Tätigkeit als politische_r Amtsträger_in mit der Tätigkeit als Lobbyist_in der deutschen Sicherheitsindustrie für viele Europaabgeordnete Hand in Hand geht, belegen zahlreiche Beispiele. Bereits bei der Gründung hatte die damalige Vize-Vorsitzende Erika Mann in der Presseaussendung ihren parlamentarischen Assistenten für Rückfragen als Kontaktperson angegeben. Ähnliches gilt auch für die parlamentarische Mitarbeiterin von Christian Ehler. Aus ihrem E-Mail-Verkehr wird ersichtlich, dass diese organisatorische Aufgaben für die GESA übernahm. So wurden Vertreter_ innen der Europäischen Kommission zu verschiedenen GESA-Veranstaltungen eingeladen.vii Die Tätigkeit für die GESA ist damit nicht mehr losgelöst vom Mandat zu betrachten. Das Lobbying für die Sicherheitsindustrie übernimmt der/die Politiker_in und sein/ihr Personal persönlich. Die Kosten dafür tragen nicht mehr das Unternehmen oder der Verein, sondern die Steuerzahler_innen.

Allerdings existiert seit 1. Januar 2012 ein Verhaltenskodex für Mitglieder des EU-Parlaments. Darin wurden Leitprinzipien für die Mitglieder definiert. Danach müssen diese bei der Ausübung ihres Mandats nach der Maßgabe von „Uneigennützigkeit, Integrität und Transparenz“ handeln. Die Mitglieder handeln „nur im öffentlichen Interesse und erlangen oder erstreben keinerlei unmittelbaren oder mittelbaren finanziellen Nutzen oder eine sonstige Zuwendung.“ Es wurde festgelegt, dass Mitglieder „keinerlei Vereinbarung“ eingehen, um „im Interesse einer anderen juristischen oder natürlichen Person zu handeln oder abzustimmen.“(8)

Mit Blick auf die Gesamtkonstruktion der GESA ergeben sich viele Fragwürdigkeiten, denn die Arbeit der GESA ist keine Arbeit im öffentlichen Interesse, sondern im Interesse der zahlenden Unternehmen. Auch dürfen parlamentarische Assistent_innen ausschließlich für Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Mandatsausübung eingesetzt werden. Für Christian Ehler war die Arbeit der Assistentin für die GESA ein „Einzelfall“ der „nicht beabsichtigt gewesen“ wäre. Und überhaupt: „Viele Abgeordnete engagieren sich für gemeinnützige Belange. Wenn Sie das verbieten, müssen Sie alle Abgeordneten rausschmeißen, die ADAC-Mitglied sind.“ Für ihn, so Ehler, sei die GESA ein „gemeinnütziger Verein wie die Caritas.“(9)

Zähe Transparenz



Die enge Verzahnung zwischen Politik und Wirtschaft, die sich in der GESA widerspiegelt, haben die Autoren in einer umfassenden Studie mit dem Titel „Lobbyismus der Sicherheitsindustrie in der Europäischen Union“ im Februar 2013 thematisiert. Nach der Veröffentlichung reagierte die GESA zunächst verärgert. Dass die Europaabgeordneten die Interessen der deutschen Sicherheits- und Rüstungsindustrie vertreten sei „wahrheitswidrig“, so eine Vertreterin der GESA. Sollte Gegenteiliges behauptet werden, würde man dies als „Verleumdung“ auffassen, gegen die juristische Schritte angewendet werden.(10)

Juristische Schritte wurden bisher keine eingeleitet, schließlich wollte man auch nur abschrecken. Echte Transparenz bei der Tätigkeit der GESA war eben nicht erwünscht. Marginale Veränderungen wurden vorgenommen, etwa die Postanschrift. Zuvor war es der Platz der Republik 1, in 11011 Berlin, dort hat der Deutsche Bundestag seinen Sitz und auch Christian Ehler sein CDU-Büro. Dabei diente diese Adresse wohl eher als Briefkasten, denn der eigentliche Sitz der GESA-Geschäftsstelle war im nahegelegenen Potsdam, in der Gregor-Mendel-Straße. Auch dort hat Christian Ehler ein weiteres Büro, sein „Europabüro“. Gleichzeitig hat unter dieser Anschrift auch die Landesgeschäftsstelle der CDU Brandenburg und die „Junge Union Brandenburg“ eine Postanschrift. Nach der Veröffentlichung der Fakten ist die GESA umgezogen. Heute residiert der Verein „unabhängig“ im Berliner Stadtteil Charlottenburg.

Auch die Struktur der GESA wurde leicht verändert. Sämtliche Vorstandsmitglieder, die gleichzeitig als Abgeordnete tätig waren, sind heute nicht mehr im Vorstand. Scheinbar sollte die zuvor kritisierte enge Verzahnung von Mandat und Vorstandstätigkeit aufgelöst werden. Mit der Neubesetzung des Vorstandes führte die GESA jedoch einen Beirat ein. In der Satzung der GESA heißt es zu den Aufgaben des neuen Gremiums: „Vorstand und Geschäftsführung werden bei ihrer Arbeit von einem Beirat unterstützt und beraten.“(11)

Ehemalige Vorstandsmitglieder, die noch immer im EU-Parlament aktiv sind, etwa Monika Hohlmeier(12) und Christian Ehler(12), sind beide nun Mitglieder des Beirates der GESA. Auch der Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl, ehemaliges Vorstandmitglieder der GESA, sitzt im Beirat.(14) Die Änderungen sind rein kosmetischer Natur. Eine klare Trennung zwischen Politik und Lobbyismus sieht anders aus. Die GESA veröffentlichte nach der Publikation unserer Studie zwar, wer Mitglied des Vereins ist; wer jedoch neben den oben Genannten Mitglied des Beirates ist, erfährt man auf der Internetseite der GESA nicht. Mit dem Beirat wurde sogar noch weiter zur Verschleierung der Arbeit des Vereins beigetragen, da nur über Umwege ersichtlich wird, wer Einfluss auf die Arbeit der GESA nimmt. Hinzu kommt, dass die allgemeinen Informationen auf der Internetseite des Vereins deutlich weniger werden. Im Bereich „Rückblick“ ist der letzte Beitrag vom Juni 2013, der letzte „Kalendereintrag“ vom Oktober 2014, der „Terminplaner“ ist gänzlich ohne aktuelle Einträge. Zuvor konnte man an diesen Stellen Informationen über die Tätigkeit der GESA einsehen.

Die Verflechtung der Politik mit den finanzstarken Partikularinteressen, die als Art „fünfte Gewalt im Staat“ die politischen Entscheidungen dirigieren, ist ein Teil der politischen Realität. Jeder der dies aus demokratiepolitischen Gründen verurteilt, wird mit Klagen bedroht. Verständnis für die Probleme die dadurch entstehen, existiert nur bei einer Minderheit der Politiker_innen. Denn anstatt die Strukturen ernsthaft zu ändern und Mandatsträger_innen zumindest aus einflussreichen Positionen im Verein zu entfernen, reagiert die GESA mit Intransparenz und versteckten neuen Strukturen, um die Einflussmöglichkeiten der Abgeordneten und damit die Attraktivität des Vereins für Unternehmen nicht zu beschneiden. Die Politiker_innen fühlen sich eben wohl in ihrer Rolle als Erfüllungsgehilfen der Sicherheitsindustrie.

MARTIN EHRENHAUSER   war von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments a. D. Im Jahr 2013 veröffentlichte er zusammen mit Alexander Sander die Studie „Lobbyismus der Sicherheitsindustrie in der Europäischen Union“. In einer weiteren Fallstudie analysierte Ehrenhauser, wie Großunternehmen, die regelmäßig gegen Gesetze verstoßen, in den Beratungsgremien der Europäischen Kommission politische Entscheidungen beeinflussen. Ehrenhauser ist u.a. Mitunterzeichner der österreichischen Verfassungsklage gegen die Vorratsdatenspeicherung.

ALEXANDER SANDER   ist Geschäftsführer des Vereins „Digitale Gesellschaft“ in Berlin. Als Mitarbeiter von Martin Ehrenhauser veröffentlichte er zusammen mit ihm im Jahr 2013 die Studie „Lobbyismus der Sicherheitsindustrie in der Europäischen Union“

Anmerkungen:

(1)  Vgl. Europäische Kommission: Eine Industriepolitik für die Sicherheitsbranche; KOM (2012) 417 endgültig; Brüssel, 2012; S. 2, 4.

2) Http://ec.europa.eu/research/horizon2020/pdf/press/fact_sheet_on_horizon2020_budget.pdf.

(3) Http://www.horizont2020.de/einstieg-programmaufbau.htm.

(4) Ehrenhauser/Sander: GESA & EOS – Lobbyismus der Sicherheitsindustrie in der Europäischen Union; Seite 13.

(5) Satzung der GESA in der Fassung vom 18. Juni 2013, § 2.

(6) Ehrenhauser/Sander: GESA & EOS – Lobbyismus der Sicherheitsindustrie in der Europäischen Union; Seite 12.

(7) Ebd.; Seite 31.

(8) Verhaltenskodex der EU-Abgeordneten.

(9) Http://www.taz.de/!5072754/.

(10) Http://www.profil.at/home/eu-lobbying-ruestungsbranche-sichere-stimmen-356960.

(11) Satzung der GESA in der Fassung vom 18. Juni 2013, §11.

(12) Http://www.europarl.europa.eu/mepdif/96780_DFI_rev0_DE.pdf.

(13) Http://www.europarl.europa.eu/mepdif/28226_DFI_rev1_DE.pdf.

(14)Https://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/biografien/U/uhl_hans_peter/259136.

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