Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 215: Geheimdienste vor Gericht

Geheim­dienste und Sicher­heits­be­hörden

Eine notwendige Begriffsklärung

In: vorgänge Nr. 215 (Heft 3/2016), S. 73-77

Gerade im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung und der Anwendung der Vorschriften kommt es auf Sorgfalt und Genauigkeit an. Ob die Verfassungsschutzbehörden Sicherheitsbehörden sind, ist umstritten. Die Auslegung der Vorschriften zur Übermittlung von Daten der Verfassungsschutzbehörden an die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden ergibt indes, dass das Recht der Verfassungsschutzbehörden allenfalls in zweiter Linie die öffentliche Sicherheit im Blick hat, in erster Linie aber die verfassungsschutzrechtliche Aufgabenwahrnehmung. Sie sind damit keine Sicherheitsbehörden.

Stets wiederkehrend nach terroristischen Anschlägen oder auch Amokläufen kreist der sicherheitspolitische Diskurs wahlweise um Fragen der Versäumnisse von Sicherheitsbehörden oder auch sicherheitsgesetzliche Lücken, die es zu schließen gilt. Was die Akteure angeht, so sind die nationalen wie internationalen Geheimdienste – letztere mitunter mit erheblich anderem Aufgabenzuschnitt[1] – integraler Bestandteil solcher Erwägungen. Die Rede in diesem Zusammenhang ist dann von den Sicherheitsbehörden, die nicht ausreichend kooperiert hätten, die erforderlichen Befugnisse nicht besäßen oder anderweitig besser ausgestattet werden müssten. Dabei existiert eine feststehende, gesetzliche Definition für diese Institutionen bislang nicht. In der wissenschaftlichen Literatur wird der Begriff der Sicherheitsbehörde als Oberbegriff für eine öffentliche Stelle verwandt, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit wahrnimmt.[2]

Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass es sich bei den Polizeien von Bund und Ländern um solche staatlichen Institutionen handelt, von denen die Aufrechterhaltung oder – im „Störungsfall“ – die Wiederherstellung von öffentlicher Sicherheit erwartet wird und werden kann. Unproblematisch sind sie als Sicherheitsbehörden und die Polizeigesetze als Sicherheitsgesetze ebenso wenig begründungsbedürftig zu betrachten. Auch von den Strafverfolgungsorganen kann angenommen werden, dass sie im Wege der Durchführung justizförmiger Verfahren nach der Strafprozessordnung um präventive Wirkungen bemüht sind: Immerhin sind als Strafzwecke – bei allen Zweifeln hinsichtlich ihrer Nachweisbarkeit –namentlich die Spezial- wie auch die Generalprävention anerkannt (vgl. dazu auch § 46 Strafgesetzbuch), mithin im weiteren Sinn gefahrenabwehrende Ziele.[3] Der Strafvollzug seinerseits tritt demzufolge auch mit dem Anspruch an, einen Straftäter zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Gleichzeitig dient der Vollzug von Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (vgl. § 2 Strafvollzugsgesetz des Bundes). Vor diesem Hintergrund handelt es sich also auch bei Justizvollzugsanstalten um Sicherheitsbehörden. Die Liste ließe sich bis hin zu Gemeinden und Kreisen (Kontrolle des Waffenrechts) fortsetzen.[4]

Die Zuschreibung als Sicherheitsbehörde erfolgt dabei jeweils durch Rekurrieren auf ein Gesetz oder jedenfalls durch eine Ableitung aus einem solchen. Es ist im Ansatz deshalb  nicht abwegig, auch die Geheimdienste – semantisch verklärend häufig „Nachrichtendienste“ genannt[5] – als Sicherheitsbehörden anzusehen. Immerhin ist in der Aufgabenbeschreibung der Verfassungsschutzbehörden  die Rede von dem „Bestand oder (der) Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ oder auch von „Bestrebungen (…), die durch Anwendung von Gewalt (…) auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden“ (vgl. § 3 Bundesverfassungsschutzgesetz). Daraus wird der Schluss gezogen, dass die innere wie auch die äußere Sicherheit als geheimdienstliche „Schutzgüter“ anzusehen seien.[6] Mitunter wird von politischer Seite gar von einem „Wirkungsverbund mit Polizei und Staatsanwaltschaften“ bei der „Verhinderung und Aufklärung von Straftaten“ gesprochen.[7] Sind die Geheimdienste aber auch zur Abwehr von Gefahren berufen, die diesen Schutzgütern drohen oder zur Verfolgung von begangenen Straftaten? Dann müssten sie hierzu gesetzlich beauftragt und mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet sein und ließen sich in diesem Sinne dann als Sicherheitsbehörden begreifen.

Erste Zweifel müssen sich freilich nach einer vollständigen Lektüre der genannten Norm des Bundesverfassungsschutzgesetzes ergeben, denn dort ist lediglich von der „Sammlung und Auswertung von Informationen“[8] über bestimmte Bestrebungen die Rede, nicht aber – anders als in den Polizeigesetzen – von einem gefahrenabwehrenden Auftrag. Das geheimdienstgesetzliche Modell stellt sich in präventiver Hinsicht also  als kupiertes dar.

Begriffliche Klarheit schaffte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Anti-Terror-Datei vom 24. April 2013. Hiernach ist strikt zwischen den Aufgaben- und Befugnisprofilen der Geheimdienste und denjenigen der Polizei- und (anderen) Sicherheitsbehörden zu unterscheiden: Nur letzteren obliegt die Verhütung, Verhinderung und Verfolgung von Straftaten sowie die Abwehr von sonstigen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.[9] Erstere haben dagegen die Aufgabe, Informationen für die politische Führung anhand von Lagebildern oder -einschätzungen zu generieren, mithin nicht die Zielsetzung, ihre Informationsbestände in Gefahrenabwehr– oder Strafverfolgungsmaßnahmen umzusetzen.[10] Ihre Aufgabe ist also auf die Informationsbeschaffung für die jeweilige Landes- oder Bundesregierung bzw. deren Beratung[11] im Sinne der politischen Vorfeldaufklärung beschränkt.[12] Deshalb sind an die Kenntnisse eines Geheimdienstes auch geringere Zuverlässigkeitsanforderungen zu stellen, als das insbesondere im Bereich der Strafverfolgung der Fall ist.[13]
Damit lässt sich als erstes Zwischenergebnis festhalten, dass jedenfalls auf dem Boden der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die deutschen Geheimdienste nicht als Sicherheitsbehörden anzusehen sind. Dies dürfte mit dem dortigen Selbstverständnis einschließlich der eigenen Unverzichtbarkeit[14] nur schwer in Einklang zu bringen sein, bindet indessen all diejenigen, denen an begrifflicher Genauigkeit gelegen ist. Mehr noch: Wie steht es vor diesem Hintergrund mit der im politischen Diskurs häufig geäußerten Erwartung, dass die Geheimdienste an der Verhütung und Verfolgung von Kriminalität mitzuwirken hätten, ihnen also beispielsweise der Schutz der Bevölkerung vor terroristischen Bedrohungen – und zwar verpflichtend – (mit) obliege („Wirkungsverbund“, s.o.)? Immerhin besitzen die Dienste ja auch umfangreiche Befugnisse zur Informationsbeschaffung, die in jüngerer Zeit durch die explizite Legalisierung des Einsatzes von verdeckten Mitarbeitern (also staatlich Bediensteten [!], vgl. § 9a Bundesverfassungsschutzgesetz) einschließlich der Beteiligung an „strafbare(n) Vereinigungen“ angereichert wurden.[15] An mangelnden Kenntnissen aus dem Innenleben von kriminellen oder sogar terroristischen Vereinigungen müssen gefahrenabwehrende oder strafverfolgende Maßnahmen also im Einzelfall keineswegs scheitern.

Die Antwort diesbezüglich ist in den Vorschriften zur Übermittlung von Daten der Verfassungsschutzbehörden an die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden[16] zu suchen und dort auch zu finden. Diese sehen nämlich eine bedingungslose Pflicht zur Übermittlung von sämtlichen[17] Informationen, die von Sicherheitsbehörden für die dortigen Belange dienstbar gemacht werden könnten, nicht vor. Eine Übermittlung unterbleibt namentlich dann, wenn „überwiegende Sicherheitsinteressen“ eines Geheimdienstes dies erfordern (vgl. § 23 Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz). Diese Sicherheitsinteressen zielen insbesondere darauf, die verdeckte Arbeit und ihre Methoden vor Entdeckung zu schützen.[18] Dabei soll der Schutz verdeckter Mitarbeiter vor einer Enttarnung „absolute Priorität“ genießen.[19] Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass der Schutz einer besonders wertvollen Quelle Vorrang genießt vor der Information der Polizei über den Aufenthaltsort von per Haftbefehl gesuchten Personen.[20] Es könnte demzufolge  beispielsweise sein, dass eine Verfassungsschutzbehörde vom Wohnort des untergetauchten „NSU-Trios“ in Zwickau wusste[21] und die Öffentlichkeit zu gegebener Zeit zur Kenntnis zu nehmen hat, dass die Nicht-Weitergabe dieser Information mit dem geltenden Recht vereinbar war.
Erst das Strafrecht kann – dazu aber im Folgenden – der dienstlichen Geheimniskrämerei im Einzelfall Grenzen setzen: Die Strafbarkeit wegen der Nichtanzeige geplanter (einzeln bestimmter) Straftaten (vgl. § 138 Strafgesetzbuch) macht auch vor Geheimdienstmitarbeitern nicht Halt. Das ist im hier interessierenden Zusammenhang  vor allem deshalb bemerkenswert, weil es sich insoweit nicht – was wohl gelegentlich suggeriert werden soll[22] – um eine geheimdienstrechtliche Regelung handelt, sondern um eine solche, die „von außen“ auf die Arbeit der Verfassungsschützer einwirkt und eben nicht eine Verpflichtung für eine Behörde begründet,[23] sondern einen Normappell an ein wissendes Individuum richtet. Die zwingende Verhinderung von schweren Straftaten ist in diesem Sinne nicht geheimdienstrecht-genuin, sondern strafrechtlich aufoktroyiert.  Was die Wirkmächtigkeit der Strafdrohung des § 138 Strafgesetzbuch anbelangt,  ist schließlich in Rechnung zu stellen, dass er die Nachweisbarkeit der Kenntnis eines Menschen von einer bevorstehenden Tat voraussetzt.[24] In Anbetracht des geheimdienstlichen Abschottungssystems dürften strafrechtliche Ermittlungen regelmäßig schnell an Grenzen stoßen.
Damit wird zusammenfassend offenbar, dass das Geheimdienstrecht allenfalls in zweiter Linie die öffentliche Sicherheit im Blick hat – in erster Linie aber die geheimdienstliche Aufgabenwahrnehmung in oben genanntem Sinne – und nicht einmal die Sabotage ganzer Strafverfahren wegen Mordes ausschließt.[25] Es sollte daher auch nicht verklärend als „Sicherheitsrecht“ verstanden werden. Deswegen ist es  sachgerecht, die aufgeworfene Frage zur Erwartbarkeit einer Mitwirkung von Geheimdiensten an der „Produktion von Sicherheit“ abschlägig zu bescheiden.[26] Die (deutschen) Geheimdienste sind eben keine Sicherheitsbehörden.

PROF. DR. FREDRIK ROGGAN   ist Professor für Strafrecht an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg und stellvertretender Bundesvorsitzender der Humanistischen Union.

Anmerkungen:

1 Zu diesem Problemkreis unter dem Gesichtspunkt der dateimäßigen Zusammenarbeit vgl. Roggan/Hammer, Das Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: Neue Juristische Wochenschrift 2016 (im Erscheinen).

2 Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., München 2012, Kap. C Rdnr. 19.

3 Vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., München 2016, § 46 Rdnr. 2 f.

4 Rachor (o. Fußn. 2), Kap. C Rdnr. 20.

5 Zum Begriff näher Roggan, Die unmittelbare Nutzung geheimdienstlicher Informationen im Strafverfahren nach dem Antiterrordateigesetz – Über die Gefahr der Kontamination der Wahrheitssuche mit Unverwertbarem, in: Herzog/Schlothauer/Wohlers/Wolter (Hrsg.), Rechtsstaatlicher Strafprozess und Bürgerrechte – Gedächtnisschrift für Edda Weßlau, Berlin 2016, S. 269 ff. (S. 271 f.); a. A. Gazeas, Übermittlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse an Strafverfolgungsbehörden, Berlin 2014, S. 54 ff.; Hempel, Der Bundestag und die Nachrichtendienste – eine Neubestimmung durch Art. 45d GG?, Berlin 2014, S. 19.

6 So zu verstehen ist wohl Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, München 2014, § 3 BVerfSchG Rdnr. 58 ff.; s. hierzu auch den Beitrag von Kutscha in diesem Heft.

7 So etwa in der Einladung zum „1. Symposium zum Recht der Nachrichtendienste“ am 3. und 4. November 2016 in Berlin, abrufbar unter www.bmi.bund.de.

8 Näher dazu Bergemann, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts (Anm. 2), Kap. H Rdnr. 14 f.

9 BVerfGE 133, 277 (327).

10 Vgl. etwa Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl., München 2014, S. 27.

11 Poscher/Rusteberg, Die Aufgabe des Verfassungsschutzes – Zur funktionalen Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, in: Kritische Justiz 2014, S. 57 (S. 62 ff.); Müller-Heidelberg, Schützt der „Verfassungsschutz“ die Verfassung?, in: Roggan/Busch (Hrsg.) Das Recht in guter Verfassung? – Festschrift für Martin Kutscha, Baden-Baden 2013, S. 212; wohl auch Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl., Tübingen 2014, S. 20; a. A. Möllers, in: ders. (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, 2. Aufl., München 2010, S. 1754; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2016, S. 271 („BfV […] mit materiell polizeilichen Aufgaben betraut …“); Weisser, Das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) – Rechtsprobleme, Rechtsform und Rechtsgrundlage, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2011, S. 142 („Aktivitäten der Nachrichtendienste auf dem Gebiet der präventiven Verhinderung von Straftaten …“, S. 144).

12 BVerfGE 133, 277 (326).

13 BVerfGE 120, 274 (321).

14 Krit. dazu Müller-Heidelberg (Anm. 11), S. 209 f.

15 Krit. dazu Scharmer, Die Neuregelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes und ihre Auswirkungen auf den Strafprozess – Eine kritische Übersicht, in: Strafverteidiger 2016, S. 323 ff.; Roggan, Straf- und strafprozessrechtliche Aspekte des Einsatzes von Verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten nach dem neuen Bundesverfassungsschutzgesetz – Über die Privilegierung geheimdienstlicher Tätigkeit gegenüber strafverfolgender Aufgabenerfüllung, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 2016, S. 393 ff.; a. A. Bader, Zum Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern und von Vertrauensleuten auf Grundlage der neu erschaffenen §§ 9a und 9b BVerfSchG, in: Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht 2016, S. 293 ff.

16 Gegen diese war zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Hefts eine Verfassungsbeschwerde unter dem Az. 1 BvR 2354/13 beim Bundesverfassungsgericht anhängig.

17 Näher zum Umfang der zu übermittelnden Daten Bergemann (Anm. 8), Kap. H Rdnr. 112.

18 Vgl. etwa Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Anm. 6), § 23 BVerfSchG Rdnr. 6.

19 Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, Stuttgart 2007, S. 554.

20 Krit. dazu etwa Kutscha, Die Antinomie des Verfassungsschutzes, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, S. 324 (S. 327).

21 Vgl. https://www.nsu-watch.info/2016/07/alles-richtig-gemacht-die-ermittlungen-am-4-11-2011-bericht-aus-dem-bundestags-ua/ .

22 Bock, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Anm. 6), § 20 BVerfSchG Rdnr. 1; vgl. auch Droste (Anm. 19), S. 543.

23 So aber Droste (Anm. 19), S. 544.

24 Näher dazu etwa Fischer (Anm. 3), § 138 Rdnr. 9.

25 LG Berlin, Juristenzeitung 1992, 159 = Strafverteidiger 1991, 371; dazu Remé, Schmücker-Verfahren endgültig eingestellt, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 39 (2/1991), S. 72 ff.

26 Poscher/Rusteberg, in: Kritische Justiz 2014 (Anm. 11), S. 57 (S. 64).

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