Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 219: Soziale Menschenrechte

Unternehmen zur Verant­wor­tung ziehen

in: vorgänge Nr. 219 (3/2017), S. 77-83

Im Dezember 2016 verabschiedete die Bundesregierung einen nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. Mit diesem sollten die 2011 von der UN verabschiedeten Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte in Deutschland umgesetzt werden. Deren Ziel: die Unternehmen dazu verpflichten, für von ihnen mitverursachte Menschenrechtsverletzungen die Verantwortung zu übernehmen. Das Ergebnis ist enttäuschend.

Ejaz Ahmed fing als Vierzehnjähriger an, neben der Schule in einer Textilfabrik in Karachi in Pakistan zu arbeiten. Schon bald verließ er die Schule und arbeitete ganztägig in der Fabrik, oft 16 Stunden am Stück, zum Lohn von umgerechnet knapp 100 Euro. Damit musste er seine ganze Familie ernähren. Die Aufträge bekam die Fabrik hauptsächlich von Kik, dem deutschen Textildiscounter. Als am 11. September 2012 ein Brand ausbrach, waren alle Notausgänge vergittert. Der mittlerweile 18jährige Ejaz kam im Feuer um, ebenso wie weitere 259 Arbeiter_innen.

Tragische Unglücke wie dieser Brand in der pakistanischen Textilfabrik oder der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem über tausend Menschen ihr Leben verloren, rufen uns in regelmäßigen Abständen sehr eindrücklich ins Gedächtnis, unter welchen Bedingungen unsere Konsumgüter hergestellt werden. Solche Katastrophen sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Täglich schuften Menschen unter sklavenähnlichen Zuständen: in Textil- oder Elektronikfabriken in Asien, aber auch auf Kakao- oder Bananenplantagen in Lateinamerika oder beim Abbau von Kobalt im Kongo. Menschen werden von ihrem Land vertrieben, weil dort eine Rohstoffmine oder eine neue Plantage hin soll. Durch rücksichtslosen Bergbau und industrielle Landwirtschaft wird das Trinkwasser so stark verschmutzt, dass die Menschen in der Umgebung erkranken.

Für die Betroffenen ist es kaum möglich, sich gegen diese Rechtsverletzungen zu wehren und gegen die beteiligten Unternehmen vorzugehen. Brot für die Welt unterstützt seit vielen Jahren Partnerorganisationen im globalen Süden darin, die Unternehmen rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Hürden sind oft gewaltig: In vielen Ländern fehlt es an einer unabhängigen Justiz, wirtschaftliche Interessen haben gegenüber sozialen Belangen ein höheres Gewicht, Staat und Wirtschaft sind oft eng verbandelt.[1] Für die lokalen Gemeinschaften kann es sehr gefährlich werden, sich gegen große Investitionsprojekte zur Wehr zu setzen. Die britische NGO Global Witness dokumentierte im Jahr 2015 in 15 Ländern 185 Tötungen von Umwelt- und Landaktivistinnen, die sich gegen große Wirtschaftsprojekte zur Wehr setzten. Noch schwieriger ist es, jene beteiligten Unternehmen aus dem Ausland zur Verantwortung zu ziehen, die als Mutterkonzern, Auftraggeber oder Financier von den Menschenrechtsverletzungen profitieren. Neben vielen praktischen Hürden ist es für die Betroffenen oft sehr schwierig, diesen Unternehmen nachzuweisen, dass sie von den Zuständen wussten und die Schäden hätten verhindern können. Die Mutter von Ejaz Ahmed, der 2012 im Fabrikbrand ums Leben kam, versucht es trotzdem. Gemeinsam mit drei weiteren Angehörigen der Unfallopfer verklagt sie Kik derzeit vor dem Landgericht Dortmund und verlangt Schmerzensgeld. Sie argumentiert, dass Kik als Hauptkunde viel Macht und Einfluss hatte und über die miserablen Bedingungen in der pakistanischen Fabrik Bescheid wusste. Das Landgericht Dortmund hat die Klage angenommen und muss sich nun mit der Frage beschäftigen, ob Kik in fahrlässiger Weise die katastrophalen Zustände bei seinem Zulieferer ignoriert hat.

UN-Leit­prin­zi­pien für Wirtschaft und Menschen­rechte[2]

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat im Juni 2011 die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Sie beruhen auf drei Säulen: 

  • Staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, die Menschen durch eine angemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung vor wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverstößen zu schützen.
  • Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte: Unternehmen stehen in der Verantwortung, Menschenrechte zu achten, mögliche negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit zu beenden und wiedergutzumachen, auch in Bezug auf Tochterunternehmen und Lieferketten.
  • Zugang zu effektiven Rechtsmitteln: Als Teil ihrer Schutzverpflichtung müssen Staaten den Betroffenen von Menschenrechtsverstößen Zugang zu gerichtlichen und außergerichtlichen Mitteln verschaffen, damit wirtschaftsbezogene Menschenrechtsverstöße untersucht, geahndet und wiedergutgemacht werden.

In 31 Prinzipien erläutern die UN-Leitprinzipien die grundsätzlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten, geben Empfehlungen an Regierungen und Unternehmen zu deren Umsetzung. Die Leitprinzipien sind rechtlich nicht bindend und Betroffene können sich vor Gericht nicht darauf berufen. Die Leitprinzipien sind jedoch als minimale Anforderungen an Staat und Unternehmen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte zu verstehen, auf die sich der UN-Menschenrechtsrat einstimmig geeinigt hat. Alle Staaten sind aufgefordert, Nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Leitprinzipien zu entwickeln.

Unter­neh­mens­ver­ant­wor­tung endet nicht am Werkstor

Schaut man in die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen von 2011, scheint die Sache klar: „Die Sorgfaltspflicht auf dem Gebiet der Menschenrechte sollte sich auf die nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen erstrecken, die das Wirtschaftsunternehmen durch seine eigene Tätigkeit unter Umständen verursacht oder zu denen es beiträgt oder die infolge seiner Geschäftsbeziehungen mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind.“

2011 im Menschenrechtsrat angenommen, etablieren diese Leitprinzipien eine Verantwortung der Unternehmen, Menschenrechte in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit zu achten, also auch in Bezug auf Mutterunternehmen und Zulieferer. Zudem konkretisieren diese Leitprinzipien auch die staatliche Pflicht, die Menschen durch eine angemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen zu schützen. Leider sind diese Leitprinzipien kein verbindliches Recht, sondern nur sogenanntes „soft law“. Vor dem Landgericht kann sich die Mutter von Ejaz Ahmed nicht direkt darauf berufen, das muss in diesem Fall pakistanisches Recht[3] anwenden. Die Wirksamkeit der Leitprinzipien ist damit abhängig von der Umsetzung auf nationaler Ebene – und die macht wenig Hoffnung.

Deutscher Aktionsplan zahnlos

Die zuständige Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen hat schon 2011 alle Länder aufgefordert, Nationale Aktionspläne zur Umsetzung zu entwickeln. Deutschland hat im Dezember 2016 einen „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ verabschiedet, der leider recht zahnlos geblieben ist. Die Bundesregierung beschreibt zwar treffend, welche Verantwortung Unternehmen haben und fordert deutsche Unternehmen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt auf. Deutsche Unternehmen sollen künftig systematisch ihre menschenrechtliche Risiken identifizieren, auch in Tochterunternehmen und Lieferketten, effektive Gegenmaßnahmen treffen und transparent über Risiken und Gegenmaßnahmen berichten. Zudem setzt die Bundesregierung als Zielmarke, dass bis 2020 die Hälfte der großen Unternehmen ab 500 Mitarbeiter*innen menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse umsetzen und will dies stichprobenartig in einem jährlichen Kontrollverfahren überprüfen. Unternehmen, die diese Erwartungen ignorieren, haben zumindest nach den derzeitigen Plänen aber keinerlei Konsequenzen zu befürchten. Bei Verfehlung der Zielmarke will die Bundesregierung dann 2020 weitergehende Maßnahmen prüfen, einschließlich gesetzlicher Regelungen. Was daraus wird, hängt wohl auch stark von der Zusammensetzung der nächsten Bundesregierung ab.

Dabei hatte der Umsetzungsprozess in Deutschland Ende 2014 recht vielversprechend begonnen. Bei der Auftaktkonferenz kündigte das Auswärtige Amt einen ambitionierten Aktionsplan an. Im Sommer 2015 brachte die Bundesregierung das Thema Lieferkettenverantwortung beim G7-Gipfel in Elmau ein und nahm die Erstellung substanzieller Aktionspläne in die Abschlusserklärung auf. In einem vorbildlichen Konsultationsprozess mit drei öffentlichen Konferenzen und elf Themenanhörungen gab die Bundesregierung Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen Gelegenheit, ihre Vorschläge für den deutschen Aktionsplan einzubringen. Brot für die Welt war sehr intensiv an dem Konsultationsprozess beteiligt und hat in allen Konsultationen sehr deutlich gemacht, dass es verbindliche Vorgaben an die Unternehmen bedarf, wenn sich die Geschäftspraxis zukünftig ändern soll und dafür auch konkrete Vorschläge präsentiert. Eine zentrale Forderung war zudem die Stärkung der rechtlichen Position Betroffener, die in Deutschland gegen Unternehmen klagen wollen. Darüber hinaus haben sich die NRO und Gewerkschaften dafür eingesetzt, dass die Vergabe von öffentlichen Verträgen und die staatliche Unterstützung von Unternehmen durch Außenwirtschaftsförderung oder Subventionen an die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfalt geknüpft werden.
Die Bundesregierung verhandelte dann fast zwölf Monate hinter verschlossenen Türen. Em Ende blieb sie weit hinter diesen Forderungen zurück. Vorschläge für eine stärkere Berücksichtigung der menschenrechtlichen Sorgfalt in der Außenwirtschaftsförderung und der öffentlichen Beschaffung wurden lediglich als Prüfaufträge aufgegriffen. Allein das angekündigte Monitoringverfahren bietet Ansätze für eine weitere Auseinandersetzung mit den Problemen.

Zeitweilig sah es sogar so aus, als ob selbst diese vorsichtigen Ansätze innerhalb der Bundesregierung nicht konsensfähig seien. Zwischendurch hatte das Finanzministerium auf Druck der Wirtschaftsverbände alle genannten Vorschläge aus dem Entwurf gestrichen und auch den Wortlaut und Inhalt der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht selbst in Frage gestellt. Obwohl ein solcher Totalschaden letztendlich noch verhindert werden konnte, blieb die Bundesregierung dennoch weit hinter ihrem eigenen Anspruch eines „ambitionierten“ Aktionsplans zurück.

Einige Nachbarländer Deutschlands sind jedenfalls etwas ambitionierter beim Schutz der Menschenrechte. In Frankreich wurde im März 2017 ein Gesetz verabschiedet, dass große französische Unternehmen zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet, auch in Bezug auf Tochterunternehmen und wesentliche Vertragspartner. Wer keinen Sorgfaltsplan erstellt und umsetzt, dem drohen gerichtliche Anweisungen und im Schadensfall auch die Haftung gegenüber Betroffenen. In Großbritannien gibt es seit 2015 bereits ein Gesetz, wonach Unternehmen zumindest über Risiken sklavenähnlicher Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten berichten und darlegen müssen, was sie dagegen unternehmen. Die Niederlande erarbeiten derzeit ein ähnliches Gesetz zu Kinderarbeit.[3]

Freiwillig bewegt sich wenig

Nun kann man einwenden, dass doch mittlerweile auch ohne Gesetze bei vielen Unternehmen sehr viel mehr Bewusstsein für die Schattenseiten der globalisierten Wirtschaft bestehe und sich immer mehr Unternehmen um eine nachhaltige und verantwortliche Unternehmenspraxis bemühen.

Tatsächlich wächst ein gesellschaftlicher Konsens, dass auch die Unternehmen eine Mitverantwortung dafür tragen, wie ihre Produkte hergestellt werden. Sie können nicht einfach wegschauen, wenn in den Fabriken unter sklavenähnlichen Bedingungen gearbeitet wird oder wenn für den Abbau der verwendeten Rohstoffe Menschen vertrieben, das Trinkwasser verseucht und Proteste gewaltsam niedergeschlagen werden. Die meisten großen Unternehmen haben deswegen mittlerweile sogenannte „Corporate Social Responsibility“-Programme und erklären in Hochglanzbroschüren oder im Netz, dass der Schutz von Mensch und Umwelt hohe Priorität hat. Leider sind viele dieser CSR-Programme mehr Schein als Sein und kratzen höchstens an der Oberfläche des Problems. Viele Unternehmen lassen es dabei bewenden, die Verantwortung durch entsprechende Vertragsklauseln auf die Lieferanten abzuwälzen, ohne in den Blick zu nehmen, dass sie mit den Preisen und Lieferfristen die Bedingungen für die Zulieferbetriebe diktieren. Häufig verweisen die Unternehmen auch auf Sozialaudits, die in den Fabriken oder der Rohstoffmine durchgeführt wurden, wissen aber eigentlich selber längst, dass diese Bescheinigungen oft gekauft und wenig aussagekräftig sind. Auch Kik hatte auf zahlreiche Sozialaudits verwiesen, die bescheinigten, dass in der pakistanischen Fabrik alles in Ordnung sei. Dabei war Kik längst bekannt, dass die Auditierungspraxis mit angekündigten Fabrikbesuchen, Einschüchterungen, Bestechungen und mangelhafter Einbeziehung von Arbeiterinnenvertretungen kein adäquates Bild lieferte. Stattdessen hätte Kik den vielen Berichten von NROs und Gewerkschaften über Fabrikzustände in Pakistan nachgehen und Gewerkschaften wie Betroffene in einem vertraulichen Rahmen konsultieren müssen, um die tatsächlichen Zustände zu beurteilen. Gegenmaßnahmen können darin bestehen, Schulungen in den Betrieben durchzuführen, Vertragsbedingungen anzupassen oder Beschwerdemechanismen für Betroffene einzurichten. Wenn ein Unternehmen es mit seiner Verantwortung ernst meint, muss es zudem auch Preise zahlen, die existenzsichernde Löhne ermöglichen und stabile Lieferbeziehungen aufbauen, die den lokalen Unternehmen Rechtssicherheit bieten und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ermöglichen.

2014 befragten Germanwatch und Misereor die Dax 30-Unternehmen nach ihren menschenrechtlichen Sorgfaltsverfahren. Sie stellten dabei fest, dass nur die wenigsten Unternehmen systematische und regelmäßige Risikoanalysen durchführen oder effektive Maßnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen ergreifen.[5] Für die Verbraucher_innen ist es daher momentan sehr schwierig zu beurteilen, welche Produkte in Ordnung sind und welche Unternehmen tatsächlich auf Menschenrechte und Umwelt achten.

Eine von der EU Kommission in Auftrag gegebene Studie untersuchte 2013 in 17 Ländern, welche Wirkung freiwillige CSR-Maßnahmen von Unternehmen haben. Konkret wurden die beiden Bereiche Umwelt und Arbeitsstandards unter die Lupe genommen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die positive Wirkung von CSR-Aktivitäten sehr gering ist. Aktivitäten seien vor allem dort erkennbar, wo eine hohe Regelungsdichte besteht, wie beispielsweise bei der Chemikaliennutzung oder der Arbeitssicherheit. Insgesamt kam die Studie daher auch zu der klaren Empfehlung, dass mehr Regulierung wünschenswert und zielführend sei.[6] Dies bestätigt auch die vielfach kritisierte Dodd-Frank-Regelung aus den USA zu Konfliktmineralien. Obwohl schon seit vielen Jahren bekannt war, dass der Abbau bestimmter Mineralien in der DR Kongo zur Finanzierung der Konflikte beitrugen, reagierten viele Unternehmen erst2010, nachdem ein Gesetz zur Offenlegung der Lieferkette verabschiedet worden war. Daraufhin entstanden eine ganze Reihe von Transparenzinitiativen und Zertifizierungen, die den Handel mit Erzen aus dem Osten der DR Kongo transparent machen sollen.

Auf dem Weg zu globalen Unter­neh­mens­re­geln

Seit Jahrzehnten kämpfen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften für verbindliche Regeln zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten, sowohl auf internationaler wie auf nationaler Ebene. Aufgrund des immensen Widerstands der Wirtschaftsverbände, der großen Industrienationen und der Schwellenländer konnte man sich international bislang nur auf die unverbindlichen UN-Leitprinzipien einigen, die bis auf wenige Ausnahmen auf nationaler Ebene nur halbherzig umgesetzt werden. Deutlich wird dabei ein grundlegender Widerspruch wirtschaftlicher Globalisierung: Zahlreiche Handels- und Investitionsabkommen haben international tätigen Unternehmen den weltweiten Zugang zu Märkten und Rohstoffen erheblich erleichtert und ihnen äußerst weitgehende Investorenrechte eingeräumt. Wenn ein Staat durch neue Gesetze oder Regulierungen das Investitionsklima oder die Gewinnerwartungen von Auslandsinvestoren beeinträchtigt, können diese den betreffenden Staat auf Schadenersatz verklagen. Mitunter betrifft dies auch Regulierungen, die dem Schutz von Umwelt und Menschenrechten dienen. Gleichzeitig fehlen vergleichbare Instrumente, welche die Konzerne international zur Achtung von Menschenrechten verpflichten und Betroffenen von Rechtsverletzungen Klagewege eröffnen. Für den Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Unternehmen sollen freiwillige Empfehlungen und nationale Gerichte ausreichen. Diese Diskrepanz ist für viele Menschen nicht mehr hinnehmbar. Gerade im globalen Süden formiert sich gegen diese Logik immer größerer Widerstand: auf Seiten sozialer Bewegungen und Gewerkschaften, aber auch seitens einiger Regierungen. 2014 haben Südafrika und Ecuador beim UN-Menschenrechtsrat den Vorschlag eingebracht, einen verbindlichen Völkerrechtsvertrag zur Regulierung von Unternehmen zu entwickeln. Der Vorschlag bekam trotz Gegenstimmen von den USA, Kanada, Japan und den europäischen Staaten eine Mehrheit. Seit 2015 tagt eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe einmal jährlich, um über die Inhalte zu verhandeln. Trotz anhaltender Skepsis waren beim letzten Treffen auch die EU-Staaten im Raum. Bislang verneinen sie aber die Notwendigkeit verbindlicher Regeln und verweisen auf die UN-Leitprinzipien.

Der Vorteil eines internationalen Abkommens wäre, dass dieses für die Vertragsparteien verbindlich wäre, klare Regeln für Unternehmen schaffen und den Betroffenen Klagemöglichkeiten eröffnen würde. Es könnte zum Beispiel auf den Erfahrungen in Frankreich aufbauen und Staaten verpflichten, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen in ihren Rechtssystemen zu verankern. Damit wäre auch der Mutter von Ejaz Ahmed in der Klage gegen Kik geholfen, denn es wäre rechtlich geklärt, dass Kik sich um die Arbeitsbedingungen in der pakistanischen Textilfabrik kümmern und dafür Verantwortung übernehmen muss.

SARAH LINCOLN  arbeitet seit 2012 als Referentin für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte im Referat Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt. Ein Arbeitsschwerpunkt der Volljuristin ist die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen.

Anmerkungen:

1 Brot für die Welt, Misereor, ECCHR: Unternehmen zur Verantwortung ziehen: Erfahrungen aus
transnationalen Menschenrechtsklagen, Berlin 2016, abrufbar unter https://www.brot-fuer-diewelt.
de/fileadmin/mediapool/user_upload/_Broschu__re_Unternehmen_zur_Verantwotung_zieh
en_D_1609_98dpi.pdf.

2 Die UN-Leitprinzipien sind abrufbar unter http://www.cora-netz.de/cora/themen/ungp/intro/.

3 Nach der europäischen Verordnung ROM II muss das Gericht bei Schadensersatzklagen das Recht
des Landes anwenden, in dem der Schaden entstanden ist, in diesem Fall pakistanisches Recht.
Derzeit (09/2017) lässt das Landgericht Dortmund ein Expertengutachten zum pakistanischen
Recht in Bezug auf diesen Fall erstellen.

4 Amnesty International, Brot für die Welt, Germanwatch und Oxfam haben dazu ein Gutachten erstellen
lassen, wie ein entsprechendes Gesetz im deutschen Recht ausgestaltet werden könnte:
Klinger, Krajewski, Krebs & Hartmann, Gutachten: Verankerung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten
im deutschen Recht, Berlin 2016, abrufbar unter https://www.brot-fuer-die-welt.de/fil
eadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Sonstiges/gutachten_sorgfaltspflicht.pdf.

5 Germanwatch, Misereor 2014: Globales Wirtschaften und Menschenrechte. Deutschland auf dem
Prüfstand.

6 CSR Impact 2013: IMPACT Project Executive Summary: Headline findings, insights & recommenda –
tions for policy makers, business & stakeholders.

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