Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 221/222: Perspektiven des Datenschutzes nach der DSGVO

Amokläufe und Terror­an­schläge als Medie­ner­eignis

in: vorgänge Nr. 221/222 (1-2/2018), S. 227/228

Frank J. Robertz & Robert Kahr (Hrsg.): Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus. Zur medienpsychologischen Wirkung des Journalismus bei exzessiver Gewalt. Wiesbaden 2016: Springer, 203 Seiten für 29,99 € (Softcover) bzw. 22,99 € (eBook)

Die mediale Berichterstattung über Gewaltverbrechen ist vermutlich genauso alt wie die Medien selbst: das Interesse an bzw. die Begeisterung für exzessive Ausbrüche ist seit jeher ein wichtiger Rohstoff der Medien. Wie stark Medien den Verlauf solcher Gewalttaten beeinflussen können, ist in Deutschland spätestens seit dem „Geiseldrama von Gladbeck“ (1988) bekannt, bei dem die Täter von Journalisten hautnah begleitet wurden und während ihrer Tat live interviewed wurden.

Doch es ist nicht nur die Lust auf Unterhaltung und Sensation, was hinter der Rezeption solcher Berichterstattung steht – auf die meisten Menschen wirken solche Ereignisse auch verunsichernd. Mit Hilfe der medialen Analyse versucht ein großer Teil des Publikums – so Robertz und Kahr in der Einleitung des Sammelbands – die verloren gegangene Sicherheit zurückzugewinnen: „Eine intensive Berichterstattung erzeugt die Illusion, Informationen aufnehmen zu können, die für die eigene Sicherheit relevant sein könnten. Daher sind Informationen über die Motive und die Persönlichkeitsmerkmale des Täters … wichtige Bausteine im emotionalen Sicherheitsgefüge der Gesellschaft.“ (S. 4)

Welche Effekte die Medien-Berichterstattung über Gewalttaten haben, handelt der Band in fünf Abschnitten ab: nach einführenden kommunikationswissenschaftlichen Texten zur Darstellung von Gewaltexessen in den Medien und deren gewaltfördernder Wirkung (I) folgen drei Beiträge zur Wahrnehmung und Berichterstattung über School Shootings in Deutschland, Finnland und den USA (II); zwei Beiträge gehen auf die Berichterstattung über Terroranschläge ein (III), bevor die Perspektive auf die Wirkungen der Berichterstattung auf die Opfer bzw. künftige Suizidgefährdete beleuchtet wird (IV). Zum Abschluss widmen sich drei Beiträge berufsethischen Fragen der Berichterstattung und entsprechenden Handlungsempfehlungen (V).

Entgegen der breit angelegten Einleitung, die noch auf das „allgemeine Publikum“ der Medienberichterstattung eingeht, fokussieren sich die Beiträge im folgenden jedoch auf relativ enge Gruppen: die Täter sowie ihr Umfeld (z.B. potenzielle Unterstützer bzw. Nachahmer) sowie die Opfer der Massaker. Im Mittelpunkt der Wirkungsanalyse stehen dabei zwei Mechanismen: der sog. Copycat-Effekt, d.h. die Frage, inwiefern die Medien  (teilweise ungewollt) den Täter, seinen biografischen Hintergrund und die sich daraus ergebenden Motive und selbstinszenierten Mythen in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung stellen und damit viele Identifikationsmöglichkeiten sowie Stoff für potenzielle Nachahmungstäter bieten. Insbesondere bei den School Shootern (etwa: Columbine-Highschool), aber auch bei den terroristischen Attentätern (z.B. Breivik) haben sich – verstärkt durch soziale Medien – inzwischen Fangemeinden gebildet, deren Idole bewundert werden und auf die sich nachfolgende Täter als Vorbilder beziehen.

Wenn sich zu dieser Täterorientierung der Medien eine (falschverstandene) Rücksichtnahme auf die Opfer gesellt, so dass diese gar nicht oder kaum in der Berichterstattung über das Geschehene vorkommen (s. den Beitrag von Oksanen u.a. zu Finnland), dann tragen die Medien auch noch zu einer sekundären Viktimisierung bei, mit der die Opfer nach der Tat ein zweites Mal ihre Ohnmacht erfahren.

Insoweit ist der Sammelband ein wichtiger und wertvoller Beitrag, um auf einige (Neben-)Folgen der Medienberichterstattung von Gewalttaten aufmerksam zu machen. Er endet mit 12 Empfehlungen, welche die Herausgeber für eine angemessene Berichterstattung bereithalten. Diese Empfehlungen spiegelt die leider recht enge polizeilich-kriminologische Perspektive des Buches wider: „1. Keine vereinfachenden Erklärungen für Handlungsmotive … 2. Auf die Folgen der Tat fokussieren. 3. Keine Romantisierungen … und keine Heldengeschichten … 4. Den Tathergang nicht zu konkret aufzeigen. 5. Täterphantasien … nicht zu anschaulich darstellen … 6. Keine sensiblen Informationen preisgeben. 7. Auswege aufzeigen. 8. Auf die Wortwahl achten. 9. Quellen besonders sorgsam prüfen. 10. Sich nicht instrumentalisieren lassen. 11. Opfer und Hinterbliebene schützen. 12. Sich selbst schützen.“ (S. 199 ff.)

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