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Carl Schmitt als Jurist – ist da „was zu holen“?

in: vorgänge Nr. 221/222 (1-2/2018), S. 225-227

Volker Neumann, Carl Schmitt als Jurist. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, 618 Seiten, 99 Euro

Carl Schmitt und kein Ende. Über ihn wird immer noch und viel geschrieben. Dabei sagte Niklas Luhmann über ihn, er werde „jedenfalls als Jurist“ deutlich überschätzt, da bei ihm „rechtstechnisch gesehen gar nicht so viel zu holen ist“ (S. 559). Neumann sieht das differenzierter: wenig zu holen sei beim Völkerrechtler Schmitt; sehr viel mehr hingegen beim Staatsrechtler (ebd.). Diese Auffassung begründet er in dem hier anzuzeigenden Buch. Es schließt den Kreis zu seiner Dissertation, die er 1980 unter dem Titel „Der Staat im Bürgerkrieg. Kontinuität des Staatsbegriffs in der politischen Theorie Carl Schmitts“, veröffentlichte und die inzwischen lange vergriffen ist. Ein schlichter Nachdruck – so Neumann – verbot sich; eine Neuauflage hätte Überarbeitungen erfordert, für die ihm die Motivation fehlte; im Übrigen wäre eine gründlich überarbeitete Neuauflage ein eigenständiges Buch geworden, bei dem das Missverständnis hätte entstehen können, der Autor würde sich von einer Schöpfung seiner studentenbewegten Jugend distanzieren. Ein neues Buch mit einem neuen Titel vermeide dies (Vorwort).

Ziel der Arbeit ist die Herausarbeitung von Sch`s Beitrag zur Rechtswissenschaft, insbesondere zur Staatsrechtslehre. Dabei wird die Stellung im zeitgenössischen Schrifttum untersucht sowie die Frage, ob einzelne Beiträge auch heute noch in der Staatsrechtswissenschaft präsent sind. Die Arbeit stützt sich dabei nicht nur auf das Werk von Sch. und die fast unübersehbare Sekundärliteratur, sondern beruht auch auf Recherchen im Archiv der Humboldt- Universität, dem Archiv des Sicherheitsdienstes beim Reichsführer SS sowie der Auswertung der Tagebücher von Sch. (S. 3). 

Die Gliederung folgt überwiegend den Perioden des Schaffens. Der „Einführung“ (Kap. A) folgen „Grundlagen“ (Kap. B), die die Entwicklung seines Dezisionismus und die Anfänge seiner Demokratietheorie einschließlich der Liberalismus- und Parlamentarismuskritik („Die geistesgeschichtliche Grundlage des heutigen Parlamentarismus“, 2. Aufl. 1926) darlegen. Die Bonner Zeit (Kap. C) konzentriert sich auf den „Begriff des Politischen“ und die „Verfassungslehre“. In die Zeit zwischen seinem Wechsel nach Berlin und dem Ruf nach Köln (Kap. D) fallen der Vortrag über „Hugo Preuß“ sowie die Arbeiten „Hüter der Verfassung“ und „Legalität und Legitimität“. Der Abschnitt „Finstere Zeiten“ (Kap. E) hat die Nazi-Publikationen bis kurz nach seinem Karriereknick 1936 zum Gegenstand. Abweichend von der bisherigen Periodisierung werden dann die völkerrechtlichen Arbeiten von 1923 bis 1950 dargestellt (Kap. F). Die längste zeitliche Periode umfasst die Jahre von 1942 bis 1981 unter dem Titel „Ernüchterungen, halbherziger Neuanfang und dreiste Ausreden“ (Kap. G). Der „Schluss“ rundet den Text ab.

Beim Aufbau der einzelnen Kapitel folgen auf eine kurze biographische und rechtshistorische Vorbemerkung sowie ein knappes Referat des jeweils vorgestellten Teils die Darstellung der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Sch. sowie die kritische Einordnung und Bewertung durch Neumann. Dies alles ist kenntnisreich und ausführlich sowie fundiert, anspruchsvoll und kritisch geschrieben. Dabei scheut Neumann nicht die direkte Sprache. „Schmitts Gedöns“ (S. 270); „Das ist – mit Verlaub – ohne weiteres Quatsch“ (S. 340, Fn. 201); „Schwadronierte er“ (S. 380, Fn. 491); „Ein selten dämlicher Artikel“ (S. 412); „Der Bericht strotzt von blöden Bemerkungen“ (S. 418, Fn. 670); „Triviale Geschwätzigkeit“, „Haarsträubend dumm“ (S. 562). Schmitts Ausführungen zur nötigenfalls erforderlichen Vernichtung des Heterogenen als „halbstarkes Gerede“ abzutun (S. 560; an anderer Stelle – S. 62, Fn. 270 – spricht er von „sprachlicher Entgleisung“), wirkt allerdings verharmlosend.

Neumann schildert auch Sch`s antisemitische (Sch. selbst bezeichnete seine Haltung als juden-kritisch; Böckenförde spricht von Antijudaismus) Auslassungen und seine Nähe zu den Nazis. Sch. stellte am 27. April 1933 den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP; aufgenommen wurde er am 1. Mai. Schon zuvor hatte er sich antisemitisch geäußert (S. 374ff) und sich am 18. April 1933 geweigert, eine Solidaritätserklärung für (den Juden) Kelsen zu unterschreiben (S. 305). Über Nipperdey, der ihn in Berlin deswegen besuchte, notiert er in sein Tagebuch: „…elende Gesellschaft, sich für einen Juden derartig einzusetzen … Nipperdey ist vielleicht auch ein Jude.“ Später betrieb er die Entlassung von Erich Kaufmann (S. 377), dem er seinen Ruf an die Universität Bonn verdankte (S. 77). Die Bücherverbrennung am 17. Mai 1933 kommentierte er: „Die Autoren sind aus Deutschland ausgespien für alle Zeiten.“ (S. 305). Eine enge Beziehung pflegte er zu dem Reichsrechtsführer Hans Frank (S. 306ff). Eine noch engere soll er zu dessen Frau gepflegt haben (S. 307, Fn. 19). Höhepunkt seiner Judenhetze und zugleich sein Karriereknick war die Tagung: „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ (S. 383ff). Bekannt ist, dass dort die Forderung erhoben wurde jüdische Juristen nur noch mit ihrem jüdischen Namen zu nennen. Sch. war dem bereits vorangegangen und hatte bereits am 31. Mai 1933 darauf hingewiesen, dass der wahre Name von Friedrich Julius Stahl „Joll Jolsohn“ sei (S. 379 und in Fn. 425, dort als Joelson bezeichnet). Als auf der Tagung in der Diskussion darauf hingewiesen wurde, man solle Stahl die „Ehrlichkeit seines preußisch-nationalen Wollens“ zugute halten, sei der Teilnehmer von Sch. mit den Worten „niedergedonnert“ worden, ehrliches Wollen komme bei einem Ghetto-Juden nicht in Betracht (S. 381). Den Hinweis, bei solchen Äußerungen habe es sich um bloße Lippenbekenntnisse gehandelt (so etwa Bendersky), tut Neumann zu Recht als unhaltbar ab (S. 381). Seine antisemitische Haltung hat Sch. nicht geändert, wie die Tagebucheintragungen aus der Zeit zwischen 1947 und 1951 ergeben (S. 534). Er hat sich auch nicht ehrlich mit der Frage nach seinem eigenen Beitrag zur Etablierung des mörderischen NS-Regimes und zur Propagierung des Antisemitismus auseinandergesetzt (S. 562). Und wenn er dann doch etwas sagte, war es in der Sache „meistens haarsträubend dumm“ (ebd.). 

Sch. hatte, dank der Förderung durch Hans Frank, bis 1936 eine Vielzahl von Funktionen inne (S. 308). Dennoch ist verfehlt, ihn im Vorzimmer der Macht anzusiedeln (S. 304, Fn. 699). In entscheidenden Situationen war er nicht anwesend, so beim „Preußenschlag“ (S. 272, Fn. 531) oder bei der Machtergreifung im Januar 1933 (S. 311, Fn. 41). Er hatte zwar engen Kontakt zu Mitarbeitern in Planungsstäben, einem Adjutanten oder dem Leiter einer Presseabteilung (S. 304, Fn. 699). Hierbei handelt es sich aber, um im Bild zu bleiben, um den Flur und nicht um das Vorzimmer.

Was ist bei Sch. zu holen? Neumann nennt an erster Stelle seinen Beitrag zur Grundrechtsdogmatik: Die Systematik der Grundrechtsfunktionen mit dem Vorrang der Eingriffsabwehr, die Entdeckung der institutionellen Garantien und die dogmatische Konturierung der Eigentumsfreiheit und Enteignung sowie die skeptische Kommentierung des Grundsatzes der Gewaltengliederung. Ferner ist sein Name zu Recht mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verbunden, obwohl die Formulierung von Heller stammt. Dies gilt auch für die Entstehung des konstruktiven Misstrauensvotums, selbst wenn der Vorschlag zu seiner positivrechtlichen Verankerung auf Fraenkel zurückgeht (S. 559). Unter den von ihm geprägten Begriffen gibt es laut Neumann allerdings auch „Nieten“. Dazu gehören etwa der rechtsstaatliche Gesetzesbegriff sowie die Machtprämienlehre (S. 560). Staatsrechtlich gesehen waren die Bonner Jahre Sch`s produktivste. In der zweiten Hälfte seiner Zeit an der Handelshochschule in Berlin gewann der Ideologe langsam die Oberhand über den Juristen. „Legalität und Legitimität“ ist dann nur noch eine politische Propagandaschrift, die meisten ab 1933 erschienenen Arbeiten sind Propaganda und Zuarbeiten für das Regime (S. 561).

Fazit: Das Werk ist kenntnisreich, ausführlich sowie fundiert, anspruchsvoll und kritisch geschrieben und lässt die Schlussfolgerung zu, dass über den Juristen Carl Schmitt bis auf Weiteres alles gesagt ist.

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