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Mit Vollgas in den Klima­wan­del?

Ein Plädoyer für eine Verkehrswende

aus : vorgänge Heft 3/2007, S.83-91

Manchmal wird das Problem schlicht am Beispiel eines Joghurt-Bechers deutlich: bis er im Regal eines Supermarkts landet, ist er fast 10.000 Kilometer auf unseren Straßen unterwegs gewesen. Und trotz der langen Reise kostet das Erdbeer-Joghurt nur etwa 40 Cent. Skandinavische Krabben werden in Marokko geschält, bevor sie auf englischen Tellern landen. Verkehr ist zwar teuer für die Umwelt und deshalb auch fair die Allgemeinheit. Für die Unternehmen ist er aber auf der Straße und in der Luft kein Kostenfaktor. Das Resultat ist ein stetig wachsender Verkehrssektor. Lebensmitteltransporte haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt, der Schwerlastverkehr auf deutschen Straßen seit den 80er Jahren verdreifacht. Zwischen 1993 und 2000 stieg die Anzahl der Fluggäste in der Europäischen Union um etwa 10 Prozent pro Jahr.

In Europa ist der Verkehr zu billig – nur der umweltfreundliche ist zu teuer. So kann die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene nicht gelingen, denn die Rahmenbedingungen stehen dem entgegen.

Die Zuwächse im Verkehr sind auch ein Grund, warum der Ausstoß des Klimakillers CO2 nicht gesunken, sondern zwischen 2000 und 2004 um gut 1 Prozent pro Jahr angestiegen ist. Sein Schadstoff-Ausstoß hat seit 1990 um fast 25 Prozent zugenommen, im Luftverkehr hat er sich sogar verdoppelt. In der EU verursacht die Mobilität knapp 30 Prozent aller klimaschädlichen CO2-Einmissionen, in den Städten sind es gar 40 Prozent. Rund 70 Prozent des importierten Erdöls wird im Verkehrssektor verbrannt, zu 96 Prozent ist er vom Erdöl abhängig. Alle wollen weg vom Öl, alle wollen den Klimawandel bekämpfen – und alle ignorieren dabei den Verkehr. Eine solche Strategie muss scheitern!

Trotz aller Lippenbekenntnisse – die Verkehrspolitik sieht seit Jahren keine Notwendigkeit, ihre Strategie zu verändern. Weder die Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas noch die aktuelle Debatte über den Klimawandel haben das vermocht. Mir jedenfalls ist keine einzige verkehrspolitische Maßnahme bekannt, die auf diese Veränderungen Bezug genommen hätte. Die Projekte des Kalten Krieges werden ebenso fortgesetzt, wie die Begünstigung der Klimakiller. Bundesverkehrsminister Tiefensee sieht keinen Grund, auf Autobahnen ein Tempolimit anzuordnen, obwohl – so das Umweltbundesamt – dadurch 30 Prozent der Emissionen eingespart werden könnten. Auch die Kerosinsteuer lehnt er ab, auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Er ist nur weltweit dafür – weil er genau weiß, dass sie dann nicht kommt!

Zum Beispiel die Fehmarn­bel­t-­Brü­cke.

Diese Brücke ist ein typisches Projekt des Kalten Krieges und war schon vor der Wende und der Aufnahme der neuen Mitgliedsstaaten in die EU geplant worden. Seit 1989 hat sich aber Europa gewaltig verändert und die Verkehrsströme nicht minder. Vom schwedischen Trelleborg gibt es heute täglich mehr als 10 Schiffsverbindungen nach Rostock und Sassnitz. Vom dänischen Gedser fahren moderne und schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock. Zudem wurde mit der Öresundbrücke im Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden für Straße und Schiene dem Verkehr übergeben.

Käme die knapp sechs Mrd. Euro teure Fehmarnbelt-Brücke noch hinzu, würden die mit Milliarden-Investitionen modernisierten Häfen in Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden absterben. Nicht nur Ostdeutschland, ganz Ost-Europa würde vom Nord-Süd-Verkehr der EU abgekoppelt.

Auch ohne das gigantische Brückenbauwerk ist durch Fähren, die rund um die Uhr im Einsatz sind, eine fließende Brücke entstanden.

Da parallel zur Bahnverbindung auch eine Straßenbrücke gebaut werden soll, würde die propagierte Verlagerung auf die Schiene nicht stattfinden. Im Gegenteil: Wegen der unfairen Wettbewerbsbedingungen, würde der LKW-Verkehr zwischen Skandinavien und Ost-Europa mit kilometerlangen Umwegen über Schleswig-Holstein gezogen. Das wäre auch ökologisch unsinnig, weil die Menschen in dieser Region in Lärm, Stau und Abgasen ersticken würden.

Auch in Europa muss zusammenwachsen, was zusammen gehört. Deshalb muss das knappe Geld dort ausgegeben werden, wo der umwelt- und verkehrspolitische Effekt am größten ist. Die beschlossenen 30 Projekte der Transeuropäischen Netze sind die reine Wunschliste nationaler Egoismen. Dort findet man Prestige-Projekte, die zwar viel Geld verschlingen, verkehrspolitisch aber von bescheidenem Nutzen sind. Wollte man von den 30 nur vier Projekte realisieren – die Brücke über die Straße von Messina zwischen Sizilien und dem italienischen Festland, den Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien, den Eisenbahn-Tunnel zwischen Frankreich und Italien und die Fehmarnbelt-Brücke zwischen Deutschland und Dänemark – das Geld wäre schon mehr als verbraucht, ohne dass auch nur ein einziger verkehrspolitischer Effekt erzielt worden wäre.

Die neue italienische Regierung unter Romano Prodi hat die finanziellen Zeichen der Zeit erkannt und sich auch offiziell von Berlusconis Messina-Brücke verabschiedet. SPD und CDU sollten sich an ihrem italienischen Kollegen ein Beispiel nehmen und die Fehmarnbelt-Brücke ad acta legen.

Vergleicht man die Transportleistungen der Ostsee-Häfen, so sind nach Angaben der IHK Berlin die Passagierzahlen in Kiel seit 1990 von 1,76 Mio auf 1,32 Mio. in 2006, zurückgegangen. Auch in Puttgarden (7,77 : 6,79), Lübeck/Travemünde (1,82 : 0,70) und Mukran/Sassnitz (1,03 : 0,79) war das der Fall. In Szczecin und Swinoujscie sind sie von 0,43 auf 0,54 Mio. aber leicht und in Rostock von. 0.08 auf 2,30 um fast das Dreißigfache angestiegen. Im Güterverkehr haben alle gewonnen und transportieren heute etwa doppelt so viele LKW-Anhänger (Kiel 74 400: 167 000, Puttgarden 172 100 : 347 000, Lübeck/Travemünde 385 000 : 792 000). Nur in Mukran/Sassnitz sind sie von 46 200 auf 44 000 zurückgegangen. In Szczecin und Swinoujscie ist der Güterverkehr jedoch fast um das Dreifache von 57 900 auf 172 000 und in Rostock um mehr als das Hundertfache von 3 900 auf 416 000 angestiegen.

Die einzige Hafenstadt, die beim Personen- und Güterverkehr außerordentlich boomt, ist Rostock. Anstatt dort die Schienenanbindung des Hafens zu verbessern – der Engpass im Knoten wurde durch den Abbau der Gleise nach dem 2. Weltkrieg verursacht – und die Strecke nach Berlin zu ertüchtigen, wird an der Planung aus dem Kalten Krieg festgehalten, um für 5 Mrd. Euro eine Brücke für Straße und Schiene an der falschen Stelle zu bauen.

Stiefkind Bahn

Obwohl klar ist, dass aufgrund der Klimadebatte die umweltfreundliche Schiene gefördert werden muss, wird der Eisenbahnverkehr von der Politik – entgegen auch den lautesten Sonntagsreden – wie ein ungeliebtes Stiefkind behandelt. Für den Eisenbahnsektor in Europa ist nämlich zwingend vorgeschrieben, dass auf allen Schienenstrecken für alle Züge in Form der Trassenpreise eine Maut erhoben werden muss. Für den schärfsten und am meisten emittierenden Konkurrenten, die Straße, wird die Maut aber meist nur auf Autobahnen und in der Regel nur für LKW ab 12 t erhoben. Ihre Höhe ist begrenzt, die externen Kosten dürfen nicht internalisiert werden und die Mauterhebung ist freiwillig. In den baltischen Staaten und in der Slowakei z.B. ist die Maut auf der Schiene am höchsten und das Befahren der Straße kostenlos.

Einige Mitgliedsstaaten der EU geben keine oder nur geringe staatliche finanzielle Zuwendungen an die Eisenbahnunternehmen. Diese wiederum sehen sich gezwungen, hohe Trassenpreise für den Güterverkehr zu verlangen, um den Personenverkehr finanzieren zu können. Da diese Staaten gleichzeitig auf den Straßen keine Maut erheben, ist diese Politik geradezu ein Förderprogramm für den LKW und ein Totalangriff auf die Schiene. Diese Quersubventionierung ist der EU-Kommission bekannt, sie hält sie auch für rechtswidrig, sieht sich aber nicht in der Lage, das zu ändern.

Gleichzeitig fließen EU-Gelder aber in solche Staaten, die fast ausnahmslos damit ihren Straßenbau finanzieren und das Schienennetz verrotten lassen. Insbesondere in den neuen Mitgliedsstaaten ist der Rückgang des Eisenbahnsektors alarmierend. Um die verkehrspolitischen Ziele der EU erreichen zu können, müssen daher auch die finanziellen Zuwendungen überprüft werden. In meinem Bericht zum 1. Eisenbahnpaket hat sich das Europäische Parlament mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass aus dem Verkehrsbudget der EU mindestens 40 Prozent der Schiene zugute kommen sollen!

Privilegien für die umwelt­schäd­liche Konkurrenz

Diskriminierend ist auch der Wettbewerb mit dem Flugverkehr. Die Steuerbefreiung von Kerosin – vor mehr als einem halben Jahrhundert eingeführt, um dem in seinen Anfängen steckenden Luftverkehr eine Anschubfinanzierung zu geben – erlaubt den Fluggesellschaften heute, ihre Kunden zum Taxipreis zwischen den europäischen Metropolen zu befördern. Auf der Strecke bleiben dabei nicht nur die konkurrierenden steuerzahlenden Bahnen, sondern auch das Klima, das ganz extrem unter dem boomenden Luftverkehr zu leiden hat. Die Emissionen des Luftverkehrs sind für das Klima mehr als dreimal so gefährlich wie die Emissionen durch Industrie und Autoverkehr.

Auch die Schifffahrt wird extrem begünstigt, obwohl sie im Durchschnitt auf den Flüssen Europas an vielen Tagen wegen Hoch- und Niedrigwasser oder Vereisung nicht zur Verfügung steht und die Güter deshalb auf die Bahn verlagert werden müssen. Auf der Elbe z.B. war das in den letzten 30 Jahren zwischen 200 und 300 Tagen im Jahr der Fall. Die Schifffahrt ist einer der größten CO2-Emittenden, weil dort der schmutzigste Treibstoff, das Schweröl, verbrannt wird. Die Binnenschifffahrt in Europa ist vom Emissionshandel und auch von der Mineralölsteuer befreit, die Benutzung der Flüsse ist kostenlos. Trassenpreise oder Mautgebühren kennt die Schifffahrt – ebenfalls im Gegensatz zur Eisenbahn – in Europa nicht.

Es ist schon merkwürdig, wie die im Niedergang befindliche Binnenschifffahrt milliardenschwer gestützt wird. Ihr Anteil am Güterverkehr ist in Deutschland von 15 Prozent im Jahr 1986 auf heute 11 Prozent zurückgegangen und wird in wenigen Jahren bei 8 Prozent liegen. Seit Jahren bemühen sich die unterschiedlichsten Lobbyisten, diesen Trend umzukehren und bauen und planen eine Staustufe nach der anderen. Weder die Hochwasserkatastrophe noch die Tatsache, dass in Deutschland und Europa die Rheinschifffahrt einen Anteil von 80 Prozent ausmacht, hält sie davon ab. Und keine Begründung ist ihnen zu dumm. Der Ausbau der Charlottenburger Schleuse in Berlin wurde damit gerechtfertigt, dass die Eisenbahn nach Warschau nur für eine Geschwindigkeit von 160 km/h ausgebaut wurde – als ob die Binnenschiffe mit 200 km/h unterwegs seien. Dabei liegen die Nachteile auf der Hand: Das Binnenschiff ist zu langsam, das Netz zu klein und die Abhängigkeit von den Jahreszeiten ist zu groß. Kein Wunder, dass es auf den Binnenwasserstraßen keine Staus gibt! Böse Zungen behaupten, hier würde der Fisch vom Kopf stinken, weil in der deutschen Verwaltung 5 Mitarbeiter für einen Binnenschiffer zuständig sind.

Luftverkehr und Seeschifffahrt sind die global am stärksten wachsenden Verkehrs-träger, die jedoch bisher jeder Minderungspflicht bei den Treibhausgasen entzogen sind. Sie sind nämlich im Kyoto-Protokoll nicht berücksichtigt worden. Der gesamte Verkehr – insbesondere der Luftverkehr und die Seeschifffahrt – muss in den CO2-Emissionshandel (Kyoto II) einbezogen werden. Steuerliche Privilegien, Subventionen und Beihilfen, auch für die Binnenschifffahrt, haben auf Dauer keine Berechtigung. In der Luftverkehrswirtschaft wird sogar einige Sympathie für die Einbeziehung in den Emissionshandel gezeigt – allerdings nur, um die Kerosinsteuer zu verhindern. Dabei brauchen wir beides, um den Klimawandel zu bekämpfen.

Beispiel EEG: mit Steuern  steuern

Normalerweise wird die Politik, die man will, durch steuerliche Anreize gestützt. So wurde z.B. mit dem Enerneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) die nicht gewollte Energie aus Kohle, Atom oder Öl verteuert, damit die gewollten Energieträger Sonne und Wind billiger und perspektivisch konkurrenzfähig gemacht werden können. Dieses Konzept gilt mittlerweile als gelungen und vorbildlich! Beim Verkehr ist es jedoch umgekehrt: Der umweltfreundliche Schienenverkehr wird steuerlich und finanziell belastet, der umweltschädliche Straßen- und Luftverkehr subventioniert.

Angela Merkel hat am 13. Februar 2007 vor dem Europa-Parlament gesagt, dass es ein Irrglaube sei, wen man denkt, beim Kampf gegen den Klimawandel würde man nichts merken. Auch Klaus Töpfer hält die Veränderung unseres Lebenswandels für die conditio sine qua non! Dabei merkt er an, dass die Veränderungen manchmal sogar von Vorteil seien. So hätte eine Untersuchung von BMW seinerzeit herausgefunden, dass in der City von München der Parksuchverkehr etwa 60 Prozent des Autoverkehrs ausmache. Bei solchen Gegebenheiten sei, so Töpfer, die von Londons Bürgermeister Ken Livingston durchgesetzte City-Maut kein Fluch sondern ein Segen.

Eine andere Verkehrs­po­litik ist möglich

Alternativen sind möglich. Eine andere Verkehrspolitik ist notwendig, um die Erderwärmung zu verlangsamen. Sie ist aber auch notwendig, um die Lebensqualität gerade in unseren Städten wieder zu erhöhen. Wir wollen Verkehr vermeiden, verlagern und ihn effizienter gestalten.

Der klimaschädliche Verkehr in der Luft und auf der Straße muss begrenzt, der Umweltverbund – das zu Fuß gehen, mit Bus, Bahn und Rad fahren – gefördert und gestärkt werden.

Vermeiden kann man Verkehr, in dem die regionalen Produkte aus der Umgebung der Städte bevorzugt werden. Die Äpfel aus Süddeutschland nach Süditalien zu exportieren und süditalienische Äpfel zu importieren ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Die „food campaign“ von Ken Livingston und Jenny Jones in London ist ein Erfolg versprechendes Beispiel.

Verlagern kann man Verkehr, indem die Güter insbesondere auf langen Distanzen nicht auf der Straße sondern auf der Schiene transportiert werden, wenn in den Städten vom Auto auf Bus, Bahn und Fahrrad umgestiegen wird. In Berlin hat sich in den letzten 10 Jahren der Fahrradanteil von 6 auf 12 Prozent verdoppelt.

Effizienter gestalten kann man Verkehr, indem z.B. der CO2-Ausstoß durch verbesserte Technik reduziert wird. So gibt es heute schon Auto-Reifen, die ihn um 7 Prozent verringern. Sie werden von der Autoindustrie aber nicht verwendet, weil sie nicht „schön genug“ aussehen.

In Deutschland emittiert jede Person durchschnittlich 10 to CO2 pro Jahr, davon entfallen 2,5 to auf den Verkehr. Insgesamt ist der Straßenverkehr der Hauptemittent von klimaschädlichen Emissionen.

Wenn Europa klimapolitisch vorankommen will, muss es zu einer Renaissance der europäischen Eisenbahnen kommen. Dass ein hoher Güterverkehrsanteil auf der Schiene selbst in wirtschaftlich hoch entwickelten Gesellschaften grundsätzlich möglich ist, zeigen die USA eindrucksvoll. In diesem Highway-Land par excellence beträgt der Schienengüteranteil gut 40 Prozent, während er in der EU 27 nur noch bei rund 14 Prozent liegt, Tendenz fallend.

Emissionen reduzieren – Verkehr vermeiden

Die Eu muss sich bis 2012 das Ziel setzen, im Verkehrssektor die CO2-Emissionen um acht Prozent zu senken. Bis 2020 sollten es 30 Prozent sein, gemessen an dem Basisjahr 1990. Das entspräche der Kyoto-Verpflichtung.

Der Gesamtflottenverbrauch von europäischen PKW-Herstellern bei CO2 lag 2005 bei 162g/km. Nach dem Scheitern der freiwilligen Selbstverpflichtung war es richtig, dass die EU-Kommission verbindliche Richtwerte für 2012 festschreibt. Ihr ursprüngliches Ziel von 120g CO2/km musste sie unter dem doppelten Druck von Automobilindustrie und deutscher Ratspräsidentschaft schon aufgeben. Jetzt, zu Beginn eines langen Gesetzgebungsverfahrens, sind 130g CO2/km geplant, wobei, anders als bei der Selbstverpflichtung, 10 Prozent Biokraftstoffe mitgerechnet werden können.

Notwendig ist eine EU-weit verbindliche Obergrenze für die Gesamtmenge der CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr. Zugleich muss es für neue Fahrzeuge verbindliche Grenzwerte geben, die sich am besten Typ der jeweiligen Fahrzeugklasse orientieren (Top-Runner-Ansatz). Wir schlagen vor, den 130 g-Grenzwert nach 2012 in den Folgejahren bis zum Jahr 2020 zweijährlich um jeweils mindestens 10 g/km weiter abzusenken, so dass im Jahr 2020 flottenübergreifend 80 g/km erreicht werden. Als Sanktionsmechanismus bei Nichteinhaltung der Grenzwerte werden Strafzahlungen erhoben. Ähnliches muss auch für LKW und Busse gelten.

Das ist keine Utopie, sondern kann schon heute Realität sein. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass ein Mittelklassewagen für 4 Personen, für den auf dem Markt befindliche Materialien verwendet werden, eine Verbrauchsreduktion um rund ein Drittel erreicht. Statt 7,2 1 (174 g CO2/km) verbraucht das Fahrzeug bei gleicher Leistung nur noch 4,9 1 (116 g CO2/km). Leichtere Sitze verringern das Gewicht und schmalere Leichtlaufreifen verringern den Rollwiderstand. Hinzu kommen Verbesserungen der Aerodynamik durch einen glatteren Unterboden, ein abgesenktes Fahrwerk und glatte Radkappen.

Würde die Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h begrenzt – die Leistung des Motors würde von 125 kW (170 PS) auf 50 kW (68 PS) verringert – würde der Verbrauch so gar von 6,7 auf 4,4 1/100 km sinken. Dadurch könnten z.B. schmalere Reifen verwendet werden, die einen um 10 Prozent geringeren Rollwiderstand aufweisen. Das Gesamtgewicht des Fahrzeugs würde auf Grund des verringerten Motorengewichts um 100 kg abnehmen und der Luftwiderstand um 5 Prozent sinken. Das Fahrzeug würde ein Drittel weniger verbrauchen, der CO2-Ausstoß von 156 g/km auf 105 g/km sinken.

Würde der VW Golf z.B. zu einem Niedrigenergieauto umgebaut, würde das Fahrzeug statt 1.360 kg am Ende weniger als 1.000 kg wiegen und nur noch 3 1 Diesel (80 g CO2/km) gegenüber vorher 5,6 1 Diesel (148 g CO2/km) verbrauchen. Er wäre damit das erste familientaugliche 3-Liter-Fahrzeug. Dabei wurde das Auto mit modernster gewichtsparender Technik ausgestattet. Die Hintertüren bestehen aus Naturfaserverbundwerkstoff, der hauptsächlich aus Hanf, Flachs, Baumwolle und Holz besteht und eine Gewichtsersparnis von 10 kg pro Tür bringt. Der Motor stammt aus dem 3-Liter-Lupo und wird an den Golf angepasst. Die Leichtlaufreifen weisen, bei gleicher Sicherheit, einen um 60 Prozent verringerten Rollwiderstand auf.

Diese Technik muss natürlich auch auf Busse und LKW übertragen werden. Wenn man bedenkt, dass ein für 40 to zugelassener LKW ein Leergewicht von 16 to hat, zeigen sich auch beim LKW enorme Einsparpotentiale. Für die hoch entwickelte europäische Automobilindustrie ist eine solche Orientierung auch aus ökonomischen Gründen notwendig – will sie auf dem Weltmarkt morgen nicht untergehen.

Die heutigen Transportpreise auf der Straße und in der Luft sagen nicht die ökologische Wahrheit, weil die externen Kosten (Unfallkosten für Invalidität, medizinische Behandlung und Arbeitsunfähigkeit, Rentenzahlungen, Mietminderungen wegen Lärm usw.) nicht internalisiert sind, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. In Deutschland z.B. wird in diesem Sinne jedes Auto mit 3.000 Euro jährlich vom Steuerzahler subventioniert (Studie UPI Darmstadt). Diese „konservative“ Rechnung beinhaltet noch nicht einmal die Folgekosten globaler Effekte wie Klima-Katastrophe und Ozonloch.

Klimasteuer auf Kerosin

Um die verzerrten Wettbewerbsbedingungen auf dem Verkehrsmarkt zu korrigieren und Kostenwahrheit der Transportpreise durchzusetzen, ist die Einführung einer Klimasteuer auf Kerosin unerlässlich. Die Einnahmen daraus sind notwendig für die Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und für die Ertüchtigung der Schienenwege. Denn die Erfahrung lehrt uns, dass schnelle Schienenverbindungen den Luftverkehr reduzieren oder ihn sogar vollständig ersetzen. Nach Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Berlin und Hamburg, Köln und Frankfurt, Brüssel und Paris oder Brüssel und London fand diese Verlagerung statt.

Eine Kerosinbesteuerung ist nach der geltenden Energiesteuerrichtlinie (2003/96/EG) der EU für Inlandsflüge bereits möglich. Als bisher einziges EU-Land haben die Niederlande, zugegebenermaßen für wenige Inlandsflüge, eine solche Steuer eingeführt. Aber auch Indien, Japan und die USA besteuern Kerosin auf Inlandsflügen. Legt man dabei den europäisch vorgeschriebenen Mindeststeuersatz für Mineralöl (30Cent/Liter) zu Grunde, ergäben sich daraus jährliche Einnahmen in Höhe von rund 14 Mrd. EUR.

Für den Verbraucher wären die Mehrkosten mit 1€ pro 100 Flugkilometer akzeptabel, gerade im Vergleich zu den Milliarden-Kosten, die bei Nichtstun durch einen ungebremsten Klimawandel entstehen. Der Luftverkehr ist übrigens auch vom Emissionshandel befreit, während die Schiene über den Strompreis involviert ist. Zudem müssen die Airlines für internationale Flüge keine Mehrwertsteuer bezahlen, während das Bahnticket dadurch verteuert wird.

Für eine LKW-Maut mit Lenkungs­wir­kung

Der Mindeststeuersatz für Kraftstoffe sollte von derzeit rund 30 Cent/Liter in einem Stufenplan jährlich um 5 Prozent angehoben werden. Länder mit niedrigeren Steuersätzen, die dadurch teilweise erheblichen Tanktourismus anziehen (z.B. Luxemburg), würden veranlasst, sich dem europäischen Steuerstandard anzupassen.

Wenn der Klimawandel nicht nur eine rhetorische Pflichtübung sein soll, muss in Deutschland und in der EU eine verursachergerechte Erhöhung der europäischen Lkw-Maut (Eurovignette) nach Schweizer Vorbild unverzüglich umgesetzt werden. Dabei müssen die externen Kosten des Lkw-Verkehrs internalisiert und die Maut auf alle LKW ab 3,5 to und auf alle Straßen ausgeweitet werden. Statt einer Deckelung sollte eine Mindesthöhe vorgeschrieben werden.

Der Schweiz ist die Verlagerung gelungen. Dort gibt es ein LKW-Fahrverbot am Wochenende und in der Nacht. Die LKW-Maut ist fünfmal so hoch wie die in Deutschland und gilt auf allen Straßen und für alle LKW über 3,5 t. Die Maut-Einnahmen werden in die Modernisierung der Schienenwege investiert, insbesondere für die beiden Eisenbahntunnel durch die Alpen sowie für die Lärmreduzierung bei den Güterwagen. Damit die Effekte dieser Milliardeninvestition nicht verpuffen, wurde gleichzeitig ein Baustopp für alpenquerende Autobahnen verfügt. Die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die 2001 eingeführt wurde, hatte zur Folge, dass etwa der Mineralöltransport wieder von der Straße auf die Schiene zurück verlagert wurde. Vor Einführung der Maut fand er zu 70 Prozent auf der Straße statt, heute zu 70 Prozent auf der Schiene. In der Schweiz gab es weder ein Ausweichen von Autobahnen auf Bundesstraßen, noch eine Verlagerung des Verkehrs von großen auf kleine LKW. Und die Kosten beim Verbraucher erhöhten sich wegen der gestiegenen Effizienz des Straßengüterverkehrs nur um 0,5 Prozent.

Umwelt­freund­li­cher Stadt­ver­kehr

Um urbane Mobilität möglichst sauber und leise zu machen, müssen unterschiedliche Verkehrsangebote optimal aufeinander abgestimmt werden und die Verkehrsmittel des Umweltverbundes – zu Fuß gehen, Bus, Bahn und Rad – gezielt gefördert werden. Rund 80 Prozent der EU-Bürger wohnen in verdichteten Ballungsräumen.

Besonders kostengünstig und effizient ist die Förderung des Radverkehrs und des Fußgängerverkehrs. Die Hälfte aller Autofahrten in der EU ist kürzer als fünf Kilometer, zehn Prozent sind sogar kürzer als ein Kilometer. Ein Großteil dieser Kurzstrecken könnte auch mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß zurückgelegt werden. Allein die Verlagerung von einem Drittel derjenigen Autofahrten, die weniger als fünf Kilometer lang sind, auf das Fahrrad würde beispielsweise in Deutschland die CO2-Emissionen um vier Prozent reduzieren. Damit hätte Deutschland sein Kyotoziel von -21 Prozent erreicht!

Der Dreiklang der Verkehrs­wende

Natürlich brauchen wir alle technischen Innovationen, um den Klimawandel zu bekämpfen, wir brauchen allerdings ebenfalls eine Veränderung in unserem Mobilitätsverhalten. Wenn 18 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen, geht das nur, wenn sich dieser Zustand nicht ändert. Das können aber nur eingefleischte Ignoranten behaupten, denn China, Indien und Brasilien sind schon weit vorangekommen: China verbraucht mehr Energie, verbaut mehr Stahl und benötigt mehr Lebensmittel als die USA. China hat mittlerweile die USA aber auch übertroffen, was die Schadstoffemissionen betrifft.

Wenn alle Chinesen soviel Auto fahren wie wir in West-Europa, fährt morgen keiner mehr, weil dann die Ölvorräte erschöpft sind. Und mit Biosprit? Rapsöl statt Kartoffeln, Sojabohnen statt Reis? Das Abholzen der Regenwälder, damit wir Auto fahren können? Wir müssen die Menschen ernähren und nicht die Autos füttern.

Ohne ein Umsteuern rasen wir mit unserer derzeit vorherrschenden Verkehrspolitik mit Vollgas in den Klimawandel. Dass eine Wende hin zu einer nachhaltigen Mobilität möglich ist, zeigen uns bereits viele Beispiele wie die Schweizer LKW-Maut oder die City-Maut in London. Zum Schutz unseres Klimas, aber auch zur Verbesserung der Lebensqualität in unseren Städten werden wir um eine konsequente Politik des Umsteuerns nicht herumkommen. Die Fahrtrichtung ist dabei klar: erstens Verkehr vermeiden, zweitens Verkehr auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie die Bahn, den Bus oder das Fahrrad verlagern und drittens alle Verkehrsmittel, egal ob Hochseetanker, LKW, PKW, Busse oder ICE, effizienter und sauberer machen. Die Rezepte liegen auf dem Tisch, es muss nun um ihre Realisierung gehen.

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