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Umwelt­mi­gra­tion oder Klimaflucht?

Globale Erwärmung und Migrationsprozesse

aus: vorgänge Heft 3/2007, S.62-70

Es ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte, dass Umweltveränderungen Menschen dazu veranlasst haben, ihre Heimat zu verlassen (Diamond 2005). Als am 24. November 2005 die Regierung von Papua Neuguinea entschied, die Einwohner der Carteret-Inseln des Südpazifik zu evakuieren, war dies jedoch nicht nur eine Kapitulation vor den steigenden Fluten des Meeres. Mit der Umsiedlung der Einwohner auf eine einhundert Kilometer entfernte Inselgruppe hatten damit auch die ersten 980 Klimaflüchtlinge Eingang in die öffentliche Debatte gefunden.

Aber wo fängt Klimaflucht als Zwangsmigration an und wo hört Migration auf, bei der der Umweltwandel eine gewichtige Rolle, wenn auch nicht die einzige, gespielt haben mag? Ist eine Hausbesitzerin auf der Elbinsel in Hitzacker im reichen Deutschland, die aus Angst vor den sich häufenden Hochwassern der Elbe nach Südbayern zieht, genauso Flüchtling wie ein afrikanischer Nomade, der mit seiner Viehherde in der von Dürre geplagten Sahelzone kein Auskommen mehr hat und sich nach Europa auf den Weg macht? Ist der Tuvaluer, der nach Neuseeland flieht, bevor seine Ernte den Fluten zum Opfer fällt, noch Migrant oder schon Flüchtling? Und ist die Chinesin, für die sich die Landwirtschaft in Zentralchina wegen des zunehmenden Wassermangels nicht mehr lohnt, und die es auf der Suche nach Arbeit nach Shanghai zieht, Wirtschafts-, Umwelt-, oder Klimaflüchtling?

Diese Fragen machen deutlich, dass die Untersuchung von Umweltmigration und Klimaflucht mit großen Herausforderungen konfrontiert ist. Globale Aussagen über die Dimensionen des Problems sind kaum möglich. Denn offiziell gibt es nach der Genfer Flüchtlingskonvention und den asylpolitischen Bestimmungen der OECD-Staaten als Fluchtgrund nur die Verfolgung durch andere Menschen aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen, nicht aber den ökologischen Zwang. Als Flüchtling wird zudem nur erfasst, wer internationale Grenzen überschreitet, sonst gilt er als „Vertriebener“. Während der UNHCR in der aktuellen Statistik fast 10 Mio. Flüchtlinge und 13 Mio. Vertriebene zählt (UNHCR 2007), gibt es bis heute über die Zahl der Umweltmigranten und Klimaflüchtlinge nur grobe Schätzungen.

Gleichzeitig ist nahezu unbestritten, dass die globale Erwärmung durch den anthropogen verursachten Anstieg der Treibhausgasemissionen Realität ist und enorme Konsequenzen für das Leben auf unserem Planeten haben wird (IPCC 2007). Selbst wenn jetzt rasche und weit reichende Schritte zur Emissionsreduktion eingeleitet würden, wäre eine gefährliche Veränderung des Klimas, die bei 2°Celsius angesiedelt wird, nur knapp zu verhindern. Bei ungebremstem Anstieg der Emissionen stehen uns bis zum Ende dieses Jahrhunderts mindestens 4°Celsius Erwärmung bevor. Nach neuesten Erkenntnissen, die auch sog. positive Rückkoppelungseffekte, wie z.B. das rasant voranschreitende Abschmelzen von Gletschern und das Entweichen von Methan aus dem ehemaligen Permafrostboden, berücksichtigen, drohen uns sogar schon bis zur Mitte des Jahrhunderts Temperaturerhöhungen von 2 bis 5°Celsius (Stern 2007: 12).

Eine solche Störung des Klimas bleibt nicht ohne Folgen: Niederschläge nehmen zu, mehr Wasser verdunstet – der globale Wasserhaushalt kommt aus dem Gleichgewicht und verschärft die globale Wasserkrise. Extreme Wetterereignisse wie Stürme und ungewöhnliche Regenperioden gewinnen an Häufigkeit. Steigende Meeresspiegel bedrohen die Küsten mit Überschwemmungen. All diese Veränderungen haben Einfluss auf menschliche Gesellschaften und bedrohen das Leben auf unserem Planeten.

Paradoxerweise wird die Hauptlast auf den Schultern der armen Staaten und Bevölkerungsteile der Welt liegen. Denn noch immer kommen drei Viertel der globalen CO2-Emissionen aus den Industrieländern, in denen nur ein Viertel der Weltbevölkerung lebt (Latif 2007: 61). Unter den Folgen werden aber als erstes und besonders stark diejenigen zu leiden haben, die nur wenig oder kaum zu den Ursachen beigetragen haben und die sich kaum schützen können. Der Klimawandel ist eine dramatische Botschaft für die Industrieländer, für die Entwicklungsländer ist er eine Hiobsbotschaft.

Wir skizzieren im Folgenden den Forschungsstand zum Thema Umweltmigration und Klimaflucht und argumentieren, dass Klimaflucht dann von Umweltmigration zu unterscheiden ist, wenn das Element des Zwangs klar erkennbar wird und Betroffenheit hoch sowie Anpassungsfähigkeit gering sind. Ausgehend von dem Oberbegriff des „Umweltflüchtlings“ unterscheiden wir einerseits zwischen Flucht und Migration und andererseits zwischen Flucht wegen Klimaveränderungen und aus anderen Gründen. Im Lichte der Titelfrage wäre es im Sinne eines analytischen Kontinuums mithin angemessener, von Umweltmigration und Klimaflucht zu sprechen, nicht von Umweltmigration oder Klimaflucht. Wir zeigen anschließend an einigen „hot spots“ der globalen Erwärmung, wie die umwelt- bzw. klimainduzierte Migration bereits heute sichtbar ist – nicht nur in den Entwicklungsländern. Abschließend diskutieren wir einige rechtliche und politische Konsequenzen.

Zum Stand der Diskussion über Umwelt­mi­gra­tion und Klimaflucht

Der Begriff des Umweltflüchtlings ist durch einen Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in die öffentliche Debatte eingeführt worden. Als Umweltflüchtlinge gelten „solche Menschen, die aufgrund von merklicher Umweltzerstörung, die ihre Existenz gefährdet und ernsthaft ihre Lebensqualität beeinträchtigt, gezwungen sind, zeitweilig oder dauerhaft ihren natürlichen Lebensraum zu verlassen“ (El-Hinnawi 1985: 4). Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Definition jedoch nicht hinreichend trennscharf. Wenn Umweltflüchtlinge bereits solche Menschen sind, die aufgrund von Einschränkungen in der Lebensqualität fliehen, kann kaum noch sinnvoll zwischen Umweltflüchtlingen und anderen Migrationsgründen unterschieden werden. Der Begriff des Umweltflüchtlings ist daher in den beiden vergangenen Jahrzehnten zum Gegen-stand einer lebhaften wissenschaftlichen Debatte geworden.

Auf der einen Seite stehen diejenigen, die in Anlehnung an den UNEP-Bericht eine sehr weite Definition verwenden. Sie kommen folglich auf eine hohe Zahl von Umweltflüchtlingen. Der Ökonom und Umweltforscher Norman Myers von der Oxford University nahm bereits für das Jahr 1995 an, dass es mehr Umweltflüchtlinge (25 Mio.) als „normale“ Flüchtlinge (22 Mio.) gegeben habe. Bis zum Jahr 2010 könnte sich diese Zahl verdoppeln und bis zur Mitte des Jahrhunderts sogar auf 200 Mio. Menschen anwachsen (Myers 1997; ders. 2001). Vermutlich in Ermangelung anderer Daten haben sich diese Zahlenschätzungen bei anderen Organisationen wie dem IPCC, UNEP oder der United Nations University durchgesetzt. Was Flucht infolge von Klimaveränderungen angeht, schätzt Myers eine resultierende Flüchtlingszahl von 150 Mio. Menschen bis zur Mitte des Jahrhunderts.

Problematisch an dieser Herangehensweise ist jedoch der sehr unspezifische Begriff von Umweltflüchtlingen. So suggeriert beispielsweise Myers Definition, dass Umweltveränderungen immer den entscheidenden Einfluss hätten und unterscheidet dementsprechend nicht zwischen Umwelt als unmittelbar intervenierender Variable und als Hintergrundvariable (Suhrke 1994: 478). Zudem werden Migration und Flucht vermischt.

Es verwundert daher nicht, dass das Konzept der Umweltflüchtlinge fundamentaler Kritik ausgesetzt ist, die sich in einer anderen Extremposition niederschlägt, maßgeblich vertreten vom Geographen Richard Black: Die Annahme von Umweltveränderungen als „hauptsächlicher Ursache von erzwungener Vertreibung [ist] nicht hilfreich, intellektuell unseriös und unter praktischen Bedingungen unnötig“ (Black 2001: 1). Auch wenn Umweltbedingungen unzweifelhaft Einfluss auf Wanderungsbewegungen haben, ließen sich Umweltveränderungen nicht als erklärende Variable gegenüber anderen Variablen wie Konflikten, Armut etc, isolieren. Den Umweltflüchtling an sich gebe es somit nicht. Black argumentiert u. a. mit den steigenden Meeresspiegeln infolge des Klimawandels (Black 2001: 7-8): So sei bisher nicht nachgewiesen worden, dass steigende Meeresspiegel zu dauerhafter und weit entfernter Flucht geführt hätten. Schließlich würden steigende Meeresspiegel nicht zwingend zu Flucht führen. Denkbar wären auch alternative Anpassungsmaßnahmen wie Frühwarnsysteme, Deichbau oder Versicherungen.

Während die Skeptiker zurecht darauf verweisen, dass Umwelt nur in wenigen Fällen der einzige Migrationsgrund ist und die kausalen Zusammenhänge daher genau untersucht werden müssen, tendiert ihre fundamentale Kritik der Umweltflüchtlingsforschung dazu, den Einfluss von Umwelt auf Migration zu unterschätzen. Dies wird gerade an dem zweiten Punkt von Black deutlich: Natürlich gibt es immer auch Alternativen zur Migration. Doch diese sind in der Regel kostspielig und erfordern Ressourcen, die bei den Betroffenen oft nicht vorhanden sind. Es wäre jedoch widersinnig, diese Migranten dann als „Armutsflüchtlinge“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu bezeichnen, weil sie nicht die erforderlichen Ressourcen zur Anpassung an Umweltveränderungen haben. Denn gerade diese Umweltveränderungen sind schließlich das auslösende Moment für die Flucht. Hinzu kommt, dass angesichts von ganzen Inselstaaten, die bei fortgesetzt steigenden Meeresspiegeln nicht länger existieren werden, in vielen Fällen solche Anpassungsmaßnahmen gar nicht mehr möglich sein werden. Wo kein Land mehr ist, helfen weder Versicherungen noch Frühwarnsysteme. Wenn die BewohnerInnen dieser Inselstaaten zur Emigration gezwungen sind, dann sind sie ohne Zweifel Umweltflüchtlinge.

Im Folgenden soll eine komplexe Herangehensweise entwickelt werden, die zwischen Migration und Flucht unterscheidet und das Zusammenspiel mit dem ökonomischen und sozialen Kontext berücksichtigt.

Migration, Flucht und andere Variablen

Zunächst gilt es zwischen Migration und Flucht zu unterscheiden. Allgemein ist unter Migration jede dauerhafte Veränderung des Wohnsitzes zu verstehen, sei es grenzüberschreitend (= internationale Migration) oder national (= Binnenmigration). Hiervon zu unterscheiden ist Fluchtmigration. Unter Flüchtlingen versteht man in den Sozialwissenschaften – sieht man einmal von der sehr engen Definition des internationalen Rechts ab – solche Menschen, die zur permanenten oder zeitweiligen Abwanderung gezwungen werden, d. h. ihre Bewegung ist unfreiwillig (Suhrke 1994: 482).

Schon früh ist in der Migrationstheorie zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration unterschieden worden. Diese Unterscheidung ist in der Realität jedoch schwierig durchzuführen, denn Freiwilligkeit ist ein recht dehnbarer Begriff. Jede Bewegung ist ein Stück weit freiwillig, es sei denn, es findet eine regelrechte Deportation statt. Im Umkehrschluss kann auch die „stumme Macht der Verhältnisse“ dermaßen zwingend sein, dass eine scheinbar freiwillige Emigration im Endeffekt doch alternativlos ist. Hinzu kommt, dass sich verschlechternde Lebensbedingungen von einigen Menschen oft frühzeitig antizipiert werden. Wenn diese Menschen dann emigrieren, um der Vertreibung zuvorzukommen, ist unklar, ob diese freiwillig oder unfreiwillig genannt werden soll. Der Übergang zwischen den Kategorien ist letztendlich fließend. Daher scheint es sinnvoll, Migration auf einem Kontinuum anzuordnen, welches von freiwilliger Migration, die allein auf dem freien Willen der Betroffenen basiert, bis hin zu voll-ständig erzwungener Migration reicht, bei der den potentiellen Migranten ansonsten der Tod droht (Hugo 1996: 107). Bezogen auf Migration aufgrund von Umweltveränderungen, ergibt sich ein Kontinuum, welches vom Zwang zur Freiwilligkeit reicht und dabei Umweltflüchtlinge, von Umweltveränderungen getriebene Migranten und freiwillige Migranten enthält (Bates 2002: 468). Bezieht man weiterhin ein, dass gewisse Umweltveränderungen, die später zu Flucht führen, antizipiert werden, und dass auch andere Faktoren mit Umweltveränderungen interagieren, ergibt sich ein noch breiteres Spektrum.

Betrachtet man die Auswirkungen, die die globale Erwärmung mit sich bringt, eröffnen sich vier Ursachenarten, die Menschen zu Flucht oder Migration treiben:

  • Umweltveränderungen, die eindeutig dem Klimawandel zuzuordnen sind (z.B. gestiegene Meeresspiegel)
  • Bestehende Umweltprobleme, die durch den Klimawandel verstärkt werden (z.B. Wassermangel)
  • Armut und Unterentwicklung, die durch den Klimawandel verstärkt werden (z.B. schlechte wirtschaftliche Perspektiven)
  • Konflikte und Kriege in Folge von Umweltveränderungen.

Um zu verstehen, wann Umweltveränderungen zu Flucht und Migration führen, muss auch der soziale und ökonomische Kontext betrachtet werden. Als Modell für die Erklärung von Umweltflucht ist vorgeschlagen worden, zwischen Ausgangsbedingungen, dem auslösenden Ereignis und begünstigenden/hemmenden Faktoren zu unterscheiden (Hugo 1996). Die Ausgangsbedingungen wie Bevölkerungszahlen, geographische Lage, Art der Umweltnutzung und Wohlstand haben demnach maßgeblichen Einfluss darauf, wie sich die auslösenden Ereignisse (Erdbeben, Überflutungen, trockenheitsbedingte Ernteausfälle) auf Migrations- oder Fluchtbedingungen auswirken. Begünstigende Faktoren, wie soziale Netzwerke in anderen Teilen des Landes oder der Welt, oder hemmende Faktoren, wie z.B. schlechte Reisebedingungen (hohe Kosten, Gefahren etc.), beeinflussen zusätzlich die Frage, ob es zu Migration oder Flucht kommt.

Dieses allgemein für Umweltflucht verwendete Analyseraster ermöglicht den Anschluss an die Klimaforschung. Die hier bezeichneten Ausgangsbedingungen ähneln dem Begriff der Verwundbarkeit. Diese beschreibt nämlich, wie stark die Klimaveränderungen auf die Menschen durchschlagen. Eine hohe Verwundbarkeit bedeutet, dass sowohl die Sensibilität und Exposition gegenüber Klimaveränderungen sehr hoch als auch die Anpassungsfähigkeiten besonders gering sind. Wenn es unter solchen Bedingungen zu gravierenden Folgen klimatischer Veränderungen kommt, bleibt mangels anderer Anpassungsstrategien als einziger Ausweg die Flucht. M. a. W.: Wenn die Verwundbarkeit einer Gemeinschaft besonders hoch ist, kommt es bei entsprechenden Klimaveränderungen zu Flucht. Unterhalb dieser Schwelle steigt der Migrationsdruck mit wachsender Verwundbarkeit. Um Klimaflucht zu verstehen, bedarf es also einer gründlichen kausalen Analyse, die auf vier Indikatoren abstellen muss:

  • Wie sind die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen?
  • Welcher Art sind die zu erwartenden Umweltveränderungen? Inwiefern treffen sie auf bereits existierende Umweltprobleme?
  • Wie hoch ist die Verwundbarkeit des betroffenen Gebietes gegenüber Klimaveränderungen?
  • Welche alternativen Anpassungsstrategien bestehen?

Erst nach Betrachtung dieser Faktoren kann entschieden werden, inwiefern mit Migration oder Flucht zu rechnen ist. Gleichwohl bleibt der Eindruck bestehen, dass es eine Grauzone gibt, in der sich die verschiedenen Ursachen der Flucht nicht klar voneinander abgrenzen lassen.

Trotz der berechtigten Kritik am bisherigen wissenschaftlichen Gehalt der Beschäftigung mit dem Problem und trotz des bisherigen weitgehenden Negierens des Phänomens durch offizielle Statistiken und internationale Konventionen, zeigen einige der sog. „hot spots“ der globalen Erwärmung neben den schon erwähnten insularen Kleinstaaten – Mali als Beispiel für extreme Trockenheit im Sahel, Bangladesh als mehrfaches Opfer des Klimawandels und die Folgen des Hurrikans Katrina für die Stadt New Orleans in der entwickelten Welt -, wie sehr Umweltmigration und Klimaflucht bereits heute Realität geworden sind.

„Hot spots“ der globalen Erwärmung und Umwelt­flücht­linge

Der Sahelstaat Mali ist ein Beispiel, wie bestehende Umweltprobleme, wie extreme Dürre und Desertifikation, durch den Klimawandel verschärft werden und mit zur Konflikteskalation zwischen Nomaden und sesshaften Bauern – der Tuareg-Konflikt der 1990er Jahre – beitragen können, die für weite Teile der Sahelzone in Afrika typisch ist und aktuell u. a. im sudanesichen Darfur beobachtet werden kann.

Große Teile der Landesfläche Malis gehören zur Sahara und der Wüstenrandzone Sahel. Gerade der Norden des Landes ist extrem trocken, mit jährlichen Niederschlagsmengen von nur etwa 100 mm (zum Vergleich: Deutschland hat etwa 700 mm pro Jahr). In manchen Jahren fällt auch gar kein Regen. Schon heute ist Mali Opfer des Klimawandels wie kaum ein anderes Land auf der Erde. Die Niederschlagsmenge im 30-Jahres-Durchschnitt hat sich zwischen 1931-60 und 1968-1997 in der gesamten Sahelzone um zwanzig bis vierzig Prozent verringert.

Die zunehmende Trockenheit trifft dabei auf eine wirtschaftliche und soziale Situation, die ohnehin schon die Verwüstung des Landes vorantreibt. Der wasserintensive Baumwolleanbau, das hohe Bevölkerungswachstum und die Rodung der Wälder führen zur Desertifikation der fruchtbaren Böden. Dies wird durch das sich wandelnde Klima weiter verschärft. Die schleichende Verwüstung der trockenen Gebiete führt zu einer wachsenden Binnenmigration in den Süden des Landes: Zwischen 1987 und 2007 ist die Hauptstadt Bamako von 800.000 auf 1,8 Mio. Einwohner angewachsen, was selbst angesichts des hohen Bevölkerungswachstums eine enorme Steigerung ist. Insgesamt ist seit 1965 ein Sechstel der ländlichen Bevölkerung Malis in die Städte gezogen.

Der Befund ist eindeutig: Das veränderte Klima führt zu einer Zunahme extremer Dürreperioden, in deren Folge es zu größeren Fluchtbewegungen in den Süden des Landes kommt und ganze Landstriche im Norden verlassen werden. Zusätzlich führt die zunehmende Trockenheit in den noch fruchtbaren Landstrichen zur schleichenden Desertifikation. Landwirtschaft wird unmöglich, es bleibt allein die Abwanderung in die Städte des Südens oder die Migration über die Landesgrenzen, bevorzugt in die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Mali ist damit ein Beispiel, wie bereits bestehende Umweltprobleme durch den Klimawandel weiter verschärft werden und zu plötzlicher (Binnen-)Migration und Flucht führen können. Für die Zukunft wird sich dieser Problemdruck weiter verschärfen: Die Prognosen aller renommierten Klimamodelle sagen für Mali einstimmig voraus, dass es dort noch heißer und trockener werden wird.

Das südasiatische Bangladesh wird in der Öffentlichkeit oft als Paradebeispiel genannt, um die dramatischen Folgen des Klimawandels zu verdeutlichen. Der Staat liegt an einem der größten Flussdeltas der Welt. Es ist gekennzeichnet von hoher Bevölkerungsdichte und Armut. Das Land wird gleich mehrfach von den Folgen der globalen Erwärmung direkt betroffen.

Die Häufigkeit und Schwere von Überschwemmungen wird zunehmen. Bereits die Flut von 1998 machte etwa 1 Mio. Menschen heimatlos. Schon wenige Jahre später, im Jahr 2004, folgte die nächste noch stärkere. Hilfsorganisationen gehen von etwa 30 Mio. Menschen aus, die zeitweilig von ihren angestammten Wohnsitzen fliehen und durch Hilfslieferungen versorgt werden mussten. Zwar kehrte ein Teil davon wieder in seine Heimat zurück. Doch für viele war die Existenz zerstört, so dass die Rückkehr versperrt blieb. Für die Zukunft gilt als ausgemacht, dass die Niederschlagsmenge in Südostasien bis 2030 um etwa 15 Prozent steigen wird.

Zweitens wird auch der prognostizierte Anstieg des Meeresspiegels unweigerlich zu Flucht führen. Denn ein Großteil der Landesfläche Bangladeschs liegt nur unwesentlich über dem Meeresspiegel. Einer Studie der Weltbank zufolge lägen bei einem Anstieg des Meeresspiegels um 95 cm, der bis zum Ende des Jahrhunderts durchaus im Bereich des Möglichen liegt, etwa 18 Prozent der Landesfläche unter Wasser. Die momentan dort lebenden 35 Mio. Bangladeschis wären gezwungen, ins Landesinnere zu fliehen, was angesichts der jetzt schon hohen Bevölkerungsdichte zu sozialen Problemen führen und ein erhebliches Entwicklungshindernis darstellen könnte.

Drittens wird sich die Häufigkeit und Schwere von tropischen Stürmen über Bangladesh erhöhen. Durch Sturmfluten wäre auch hier mit vermehrter Flucht zu rechnen. Beispielsweise hat ein schwerer Zyklon im Mai 1997 kurzzeitig 1,5 Mio. Menschen obdachlos gemacht.

Es erscheint geradezu paradox, wenn gleichzeitig für den Westen des Landes verstärkt Trockenheit prognostiziert wird. Landwirtschaft wird dort aufgrund von Wassermangel zunehmend schwieriger werden. Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als diese Region als Hauptrückzugsraum für die Flüchtlinge vor den steigenden Meeresspiegeln und Überflutungen gesehen werden muss. Die Entwicklungschancen für die Menschen in dieser Region werden sich massiv verschlechtern. Insgesamt erscheint es also nachvollziehbar, wenn für Bangladesh im Jahre 2050 etwa 26 Mio. Klimaflüchtlinge prognostiziert werden.

Der Klimawandel führt aber nicht nur in den Ländern des globalen Südens zu Flucht und Migration. Dies zeigt sich besonders eindrücklich am Beispiel des Hurrikans Katrina. Dieser bis dahin stärkste Sturm seit Beginn der Aufzeichnungen fiel Ende August 2005 über die US-amerikanische Golfküste her.

Katrina löste in den USA die größte Flüchtlingswelle seit 150 Jahren aus. Mehr als eine Million Menschen wurden innerhalb von vierzehn Tagen in alle Teile der USA evakuiert. Es war, als hätten sich die gesamten Flüchtlingsbewegungen des amerikanischen Bürgerkriegs in zwei Wochen abgespielt. Noch zwei Jahre nach der Katastrophe sind 250.000 Menschen nicht in die Katastrophenregion zurückgekehrt. Insgesamt zeigt sich eine klare Spaltung entlang der Grenzen Hautfarbe und wirtschaftliche Situation. Dies verdeutlicht, dass auch in den Industrieländern die Ärmsten am ehesten von den Folgen der globalen Erwärmung getroffen und zur Flucht gezwungen sein könnten. Auch der relativ hohe sozioökonomische Entwicklungsstand eines Landes garantiert somit längst nicht allen Menschen Schutz vor dem Klimawandel, wenn die Regierungen sich als unfähig und/oder unwillig erweisen, allen Bürgerinnen und Bürgern zu helfen.

Rechtliche und politische Konse­quenzen

Das letztgenannte Beispiel weist klar auf die human agency bei der Bewältigung des Problems hin. Die Folgen des Klimawandels können durch ethnische Konflikte, die extrem ungleiche Verteilung von Land und/oder Wasser sowie durch das (Fehl-) Verhalten von Regierungen und öffentlichen Institutionen bei Prävention und Krisenmanagement dramatisch an Brisanz gewinnen.

Jenseits des definitorischen Streits über Umweltmigration und/oder Klimaflucht, der keineswegs bereits als abgeschlossen gelten kann, verdeutlicht die Tatsache, dass gegenwärtig rund 200 Mio. Menschen in den Küstengebieten leben, die nur bis zu einem Meter über dem Meeresspiegel liegen, dass sich hier ein dramatisches Problem aufbaut. Während die Nordseeanrainer große Summen in die Befestigung und Erhöhung der Deiche investieren, bleibt den meisten Bewohnern der niedrig gelegenen Küstenregionen in den Entwicklungsländern nur die Flucht. Wenn diese Menschen in vielen Fällen im wahrsten Sinne des Wortes „staatenlos“ geworden sein werden, wird niemand mehr argumentieren können, dass es sich hier um Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlinge handeln würde. Das schließt die notwendige Erweiterung des Asylrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention um ökologische Fluchtgründe ein, auch wenn sich bisher noch fast alle Staaten dagegen wehren.

Selbst wenn es nicht zum Massenansturm auf die Wohlstandsstaaten des Nordens kommen muss, weil den meisten Menschen in den Entwicklungsländern die Ressourcen fehlen, um diesen beschwerlichen und gefahrvollen Weg zu wagen, so werden die schon bestehende Armut und das Massenelend durch die globale Erwärmung in den Entwicklungsländern weiter verschärft – allen hehren Millenniumszielen zum Trotz.

Die Erhöhung von Grenzzäunen, die Steigerung der Militärausgaben für die Kontrolle der Gewässer an der Südflanke der EU oder die Exterritorialisierung der Migrationspolitik mit „Begrüßungszentren“ in Nordafrika und Rückführungsabkommen mit allen potentiellen Fluchtländern werden das Problem nicht lösen, sondern stellen nur den vergeblichen Versuch dar, die Verantwortlichkeiten zu negieren und die Symptome zu verdrängen. Neben der moralischen Verpflichtung, sich mit den weltweiten Folgen auseinander zu setzen, die über 250 Jahre fossil geprägte Industrialisierung hervorgerufen haben, muss es auch politisch darum gehen, sich finanziell und technologisch für die Folgen der globalen Erwärmung in den Ländern des Südens verantwortlich zu fühlen. Denn ohne die umfassende Energiewende in den OECD-Staaten und ohne ein umfassendes Folgeabkommen für das Kyoto-Protokoll nach 2012, bei dem auch die Schwellen- und Entwicklungsländer in die gemeinsame, wenngleich differenzierte Verantwortung für das Überleben aller einbezogen werden und langfristig jedem Menschen gleiche Emissionsrechte zugebilligt werden, dürfte das Klima vollends außer Kontrolle geraten.

Literatur

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