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Energi­ein­no­va­tion braucht klare Anreize

Klimaschutzpolitikrechnet sich für Energieversorger-doch die Umweltwirkung bleibt bislang begrenzt

aus : vorgänge Heft 3/2007, S.92-101

Die Ziele sind ambitioniert: Bis zum Jahre 2020 möchte die deutsche Bundesregierung die energiebedingten Emissionen des klimaschädlichen Kohlendioxid (CO2) um 40 Prozent gegenüber 1990 senken. Knapp 20 Prozent sind schon geschafft, ein Großteil davon dank der deutschen Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft nach 1990. Für die anderen 20 Prozent sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Das „Reformprojekt nachhaltige Energiepolitik“ der Bundesregierung(1) soll es möglich machen. Im April 2007 verkündete Bundesumweltminister Sigmar Gabriel einen nationalen 8-Punkte-Plan zur Erreichung des Klimaschutzziels. Umfassende Änderungen in der gesamten Gesellschaft, ja gar der „Umbau der Industriegesellschaften“ seien erforderlich, heißt es dazu markig von ihm.(2) Das sind Szenarien, die den Bürger an der Umsetzbarkeit solcher Pläne zweifeln lassen. Solch radikale Veränderungen präventiver Natur sind in einer etablierten Gesellschaft wie der deutschen eher schwer vorstellbar. Viel eher schon lösen Umweltkatastrophen wie der Hurrican Katrina 2005, das Elbe-Hochwasser 2002 oder Hitzeperioden in 2003 und Waldbrände wie in diesem Sommer 2007 verantwortliches, wenngleich häufig erst nachsorgendes Handeln aus.

Indes scheint Aktivismus ausgebrochen: Der letzte der drei nationalen, von Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufenen Energiegipfel Anfang Juli 2007 endete mit der Ankündigung von „Eckpunkten für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm“, das bei der Regierungsklausur Ende August 2007 in Meseburg verabschiedet wurde.(3) Das Eckpunkteprogramm umfasst einen Maßnahmenkatalog von 30 Punkten, der auf alle Emittenten zielt -von der Energiewirtschaft über die Industrie bis hin zum privaten Konsumenten. Doch viele der Maßnahmen sind (noch) zu unkonkret formuliert, um den Glauben an ihre Umsetzung und ihren Erfolg zu entfachen. Schnell ließen deshalb Umweltorganisationen wie Greenpeace ausrechnen, dass das Programm nachgebessert werden müsse, um nicht das Ziel zu verfehlen. Allerdings mangelt es derart an konkreten Politikmaßnahmen, dass jede quantitative Abschätzung der Wirkungen stark willkürlich bleiben muss.

Für die Stromversorgung kündigte die Regierung in den „Eckpunkten“ konkretere Zahlen an: Der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 soll gegenüber heute mehr als verdoppelt werden (auf 25-30 Prozent), und ebenso die Erzeugung von Strom und Wärme durch Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), wie das im Deutschen etwas sperrig heißt, die auf einen Anteil von 25 Prozent angehoben werden soll. KWK erlaubt eine deutlich bessere Energieausnutzung und damit höhere Effizienz. Das hieße immerhin, dass 2020 rund die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms emissionsfrei oder hocheffizient hergestellt würde. Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung für so genannte „CO2-arme Kraftwerkstechnologien“ ein, also für die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken. Doch sind die angepeilten CO2-Ziele realistisch? Muss der Atomausstieg ausgesetzt werden, um Zeit für die Entwicklung klimaschonender Techniken zu gewinnen? Und: Können wir uns Klimaschutz überhaupt leisten, ohne dass beispielsweise die Strompreise explodieren und die Wirtschaft leidet?

Nachhal­tig­keit hat gute Aktien

Klimawandel ist heute in aller Munde und in allen Medien, die Zeitungen und das Fernsehen überschlagen sich mit Reportagen und Berichten zu den möglichen Folgen einer weiteren Erwärmung der Atmosphäre. Dank der günstigen zeitlichen Koinzidenz von verheerenden Hurrikans über dem Nordatlantik, den jüngsten warnenden Berichten des Gremiums globaler Wissenschaftler im International Panel for Climate Change (IPCC), dem G8-Gipfel in Heiligendamm und einer Hitzewelle in Europa ist das Thema salonfähig geworden. Zugleich ist ein Wandel in der wirtschaftlichen Wahrnehmung des Themas gekommen, wie der Economist schreibt: „Climate change has gone from being dull and marginal to cool and core“ (4)

Nachhaltigkeit und Klimawandel als Geschäftsfeld, klima- und umweltorientierte Investitionen, grüne Fonds, eine nachhaltige Unternehmensführung haben Konjunktur, ein Erfolg, der sich auch an der Entwicklung entsprechender Indices an den Börsen zeigt. Die Solar-Branche beispielsweise boomt. Die Solarzellenproduktion in Deutschland wuchs allein im ersten Halbjahr 2007 um 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mit einem Investitionsvolumen von mehr als einer Milliarde Euro, so kündigt der Bundesverband Solarwirtschaft BSW an, würden fünfzehn neue Solarfabriken bis 2008 am Standort Deutschland entstehen. Rund 100 Millionen Euro werden nach BSW-Angaben allein in 2007 in die Forschung und Entwicklung von Photovoltaik investiert. Auf dem Militärflughafen Brandis bei Leipzig entsteht zurzeit das mit 40 MW oder 550.000 Dünnschicht-Solarmodulen größte Photovoltaik-Kraftwerk der Welt, in 2009 soll es fertig sein. Damit können etwa 40 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr erzeugt werden. Und es gibt viele weitere Beispiele für das aufblühende Geschäftsfeld der nachhaltigen und Klimaschutztechnologien. Nahezu jedes Finanzinstitut legt derzeit einen Klimafonds oder ein Zertifikat auf – auch diejenigen, die die Potenziale nachhaltigen Wirtschaften bislang ignorierten. Denn grüne Aktienfonds florieren und weisen für ihr gutes Tun auch gute Wertverläufe auf, wie ihnen von Verbraucherschützern und Umweltinstituten attestiert wird – Öko-Investments bringen heute satte Renditen.

Ein Preis für Emissionen

Die entscheidende Triebkraft hinter dieser Entwicklungsdynamik bildet die Erwartung, dass der Klimawandel ein ernstzunehmendes Problem ist und auch bleibt. Mit dem Beginn des Emissionsrechtehandels in 2005 hat Kohlendioxid einen Preis bekommen; die langfristige Erwartungshaltung findet ihren Niederschlag in den Futures-Preisen für die handelbaren CO2-Zertifikate, die es in Deutschland und Europa seither gibt. Zwar sank der Preis von fast 30 Euro je Tonne CO2 auf beinahe Null, als bekannt wurde, dass Deutschland und auch andere Länder den beteiligten Energie- und Wirtschaftsunternehmen fürs Erste zu viele Zertifikate verteilt hatte – die Zertifikate wurden wertlos, der Handel brach faktisch zusammen. Doch die Erwartungen für die nächste Handelsperiode, die 2008 beginnt, sind andere. Schon vor der Verabschiedung des Zuteilungsgesetzes 2012 für die zweite Handelsperiode (Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel in Hinblick auf die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012, am 11. August 2007 in Kraft getreten) lag der Futures-Preis für 2008 bei rund 20 € je Tonne CO2 (für 2009 sogar bei 21 €/t), wo er auch im September 2007 steht. Der Klimawandel wird zu guter Letzt ernst genommen, so scheint es. Und bei diesen CO2 -Preisen können auch neue Technologien wettbewerbsfähig werden.

Das Klimagas Kohlendioxid entsteht bei der Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Mineralöl und Erdgas. Die Kraftwerke zur Elektrizitätserzeugung verantworten mit rund 43 Prozent den Löwenanteil der deutschen CO2-Emissionen, weitere 20 Prozent stammen jeweils aus dem Verkehr sowie von Haushalten und Kleinverbrauchern, während die restliche Wirtschaft nur gut 16 Prozent der CO2-Emissionen direkt verursacht. Es ist also vernünftig, die Elektrizitätswirtschaft ganz zentral in die klimapolitische Verantwortung zu nehmen, wie dies beispielsweise im Rahmen des Emissionshandels geschieht: Das Zuteilungsgesetz 2012 sieht vor, dass der größte Teil der 57 Mill. Tonnen zusätzlicher Minderungen im Vergleich zur ersten Emissionshandelsperiode (2005-2007) von der Energiewirtschaft getragen wird. Für das neue 40-Prozent-Ziel muss aber noch weitaus mehr geschehen, denn die bisherige Struktur der Stromerzeugung ist eher ungünstig.

Fast die Hälfte (45 Prozent) des deutschen Stroms wurden im Jahre 2006 aus Stein- und Braunkohle gewonnen. Gaskraftwerke hingegen steuerten nur etwa 12 Prozent zur Stromversorgung bei, obwohl sie nur halb soviel Kohlendioxid je erzeugter Kilowattstunde verursachen wie Steinkohlekraftwerke und nur ein Drittel im Vergleich zu Braunkohlenkraftwerken. Immerhin bereits 12 Prozent kommen von erneuerbaren Energien, vor allem den großen Wind- und Wasserkraftanlagen. Ein gutes Viertel wird durch Kernenergie gedeckt.

Der Wechsel zu einer weniger kohlenstoffintensiven Elektrizitätsversorgung ist schon aufgrund der gewachsenen Kraftwerks- und Netzinfrastruktur vergleichsweise schwierig. Wirtschaftlich sinnvoll ist der Übergang am ehesten, wenn alte Kraftwerke ohnehin ersetzt werden müssen. Doch bis 2020 steht eine umfassende Erneuerung des Kraftwerksparks an, etwa 40.000 MW (rund ein Drittel) der heutigen Kapazitäten müssen je nach Annahme über die Stilllegung alter Kraftwerke ersetzt werden. Das ist eine große Chance, die Wegweiser in Richtung auf eine nachhaltigere Energieversorgung zu stellen. Bislang allerdings sehen die Investitionspläne der Energiewirtschaft wenig nachhaltig aus. Pläne für rund 45 Kraftwerke auf Basis von Stein- oder Braunkohle wurden bislang bekannt, von denen etwa 30 realisiert werden könnten – während das weniger als halb so klimaschädliche Erdgas derzeit aufgrund der hohen Erdgaspreise kaum als Energieträger zur Stromerzeugung eingeplant wird.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass diese Kraftwerke tatsächlich alle gebaut werden: Der Emissionshandel begrenzt die Klimagasemissionen der deutschen Elektrizitätswirtschaft ab 2008 gegenüber der ersten Handelsperiode um 11 Prozent, und das bei zumindest leicht steigendem Stromabsatz. Mit zusätzlichen Kohlekraftwerken lässt sich das nicht bewältigen, eine Revision der Investitionspläne dürfte unumgänglich sein. Der kürzlich stornierte Plan für ein neues Kohlekraftwerk in Bremen ist nur ein Beispiel dafür. Selbst in den USA sind deutliche Entwicklungen zu beobachten: Nach der Übernahme von TXU, dem großen texanischen Stromerzeuger, durch private Beteiligungsfirmen Anfang diesen Jahres gab TXU die Pläne für 8 von 11 geplanten Kohlekraftwerken auf. Der Grund: selbst in den USA wird erwartet, dass Klimaschutz über kurz oder lang zu Emissionsobergrenzen führen wird. Kohle hat auch dort nur begrenzte Zukunft und drückt entsprechend die Renditeerwartungen.

Bislang bot der Emissionshandel den Energieversorgern in Deutschland zwar in erster Linie eine Gelegenheit, zusätzliche Gewinne zu realisieren. Doch in Zukunft erhalten sie „nur noch“ gut 90 Prozent ihrer Ausstattung kostenfrei, den Rest müssen sie ersteigern. Zudem sinkt die insgesamt zugestandene Menge auf 453 Millionen Tonnen. Hier steigen also die Anreize, wirklich effizienter und klimaschonender zu werden – sollte man meinen. Allerdings begünstigt der Emissionshandel auch zukünftig den Bau neuer Kohlekraftwerke: Sie erhalten mehr als doppelt so viele Verschmutzungsrechte wie ein Gaskraftwerk mit der gleichen Stromproduktion. Den Anreiz für einen Brennstoffwechsel zu emissionsarmen Kraftwerkstechniken gibt es also kaum bis gar nicht. Deutschland ist und bleibt ein „Land der Kohle“, obgleich nur noch ein Drittel der verstromten Steinkohle im Inland gefördert wird und die subventionierten Zechen ihre Tore bis 2018 schließen. Die heimische Braunkohle aber gilt als wirtschaftlich und trägt immerhin zu 25 Prozent zur Stromerzeugung bei – und zu mehr als 50 Prozent zu den stromerzeugungsbedingten CO2-Emissionen!

Für den anstehenden Reinvestitionszyklus in der deutschen Stromwirtschaft hätte deshalb der deutliche Anreiz für einen Brennstoffwechsel gesetzt werden müssen, doch das war politisch nicht durchsetzbar: auch die Akteursstrukturen in diesem Sektor – und damit auch die Ansichten – sind historisch gewachsen und stark von kohleorientiertem Denken geprägt. So hört man beispielsweise das Argument, dass die Gasversorgung unsicher sei. Doch das ist nur begrenzt stichhaltig: Rund 35 Prozent stammen aus Russland, weitere 25 Prozent aus Norwegen, 20 Prozent aus den Niederlanden, 6 Prozent aus Großbritannien und Dänemark, und immerhin 15 Prozent werden hierzulande gefördert. Selbst wenn der Anteil des russischen Erdgases in Zukunft ansteigt, muss also niemand befürchten, dass Deutschland von russischer Seite „der Gashahn abgedreht“ wird. Allerdings sind die Gaspreise im Vergleich zu Weltmarktkohle und auch heimischer Braunkohle tatsächlich deutlich gestiegen – traditionell gemeinsam mit dem Ölpreis, und der schwankt bekanntlich auf hohem Niveau. Neben der schlechteren Ausstattung mit Emissionsrechten macht auch dieser Umstand den Neubau von Gaskraftwerken heute wesentlich unattraktiver als den von Kohlekraftwerken, trotz der großen faktischen Vorteile des Erdgases beim Klimaschutz.

Klimaschutz – durch höhere oder geringere Effizienz?

Klimagasemissionen vermeiden – aus technischer Sicht kann dazu (neben dem genannten Brennstoffwechsel und den erneuerbaren Energien) vor allem die effizientere Bereitstellung von Energie beitragen, beispielsweise durch die Nutzung der Abwärme aus dem Verbrennungsprozess im Kraftwerk. Dadurch kann der Wirkungsgrad, also die Energieausnutzung, auf rund 90 Prozent gesteigert werden. Selbst modernste Kraftwerke haben Wirkungsgrade von nur etwa 45 Prozent, lassen also mehr als die Hälfte des Energie-Inputs als Wärme in die Luft gehen, alte Kraftwerke sogar bis zu 70 Prozent, und im bundesdeutschen Schnitt sind es derzeit gut 60 Prozent.

Eine Modernisierung oder noch besser Ersatz der „alten Dreckschleudern“ ist also durchaus sinnvoll. Noch sinnvoller wäre es, auch den Großteil der dann noch verbleibenden Abwärme zu nutzen, beispielsweise durch Einspeisung in ein Nah- oder Fernwärmenetz. Das aber wäre nur möglich, wenn sich die Standortpolitik der großen Konzerne deutlich änderte, denn die großen Kraftwerke werden eher fernab von möglichen Nutzern der Abwärme gebaut, und die Stromnetze sind darauf ausgelegt. Technisch umsetzbar ist das alles – in Dänemark trägt die Kraft-Wärme-Kopplung fast die Hälfte, in den Niederlanden knapp 40 Prozent zur Stromerzeugung bei, in Deutschland hingegen nur knapp 12 Prozent zur Strom- und etwa 6 Prozent zur Wärmeversorgung. Denn gewollt wird sie hier trotz ihrer sehr guten Klimabilanz nur zögerlich, was auch in der geplanten Deckelung des in den „Eckpunkten“ vorgeschlagenen Fördertopfes für den „KWK-Ausbau“ zum Ausdruck kommt. Investitionssicherheit wird hierdurch nicht wirklich geschaffen.

Effizienzmindernd hingegen wirkt eine andere, auf den Erhalt der zentralen Versorgungsstrukturen ausgerichtete „Zukunftsvision“: das so genannte CO2-arme Kohlekraftwerk. In modernen, entsprechend ausgestatteten Kohlekraftwerken könnte das bei der Verbrennung entstehende Kohlendioxid aufgefangen und gespeichert werden, beispielsweise in der Erde. Das macht aber wirtschaftlich nur Sinn für große Kraftwerke, und nicht für KWK. Problematisch ist dabei vor allem der zusätzliche Energieaufwand, der für die CO2-Abscheidung und – Speicherung (englisch: Carbon Capture and Storage oder CCS) notwendig ist: Der erwarteten Emissionsminderung durch CCS steht also ein vermehrter Ressourcenverbrauch gegenüber. Auch sind die Techniken bei weitem noch nicht ausgereift, geschweige denn wirtschaftlich, und es bleibt hypothetisch, wann sie es sein werden.

Zurzeit sind die ersten Pilot- und Demonstrationsanlagen in Planung oder im Bau. Vattenfall will seine CO2-Emissionen bis 2030 halbieren und baut derzeit an seinem Braunkohle-Standort Spremberg eine kleine (30 MW) Pilotanlage für das so genannte Oxyfuel-Verfahren, bei dem Kohle mit reinem Sauerstoff verbrannt wird. Dadurch ist die Konzentration des CO2 in den Abgasen so hoch, dass es ohne weitere Zwischenstufe direkt verflüssigt und gespeichert werden kann. RWE plant in einer anderen Größenordnung (450 MW) und will bis 2014 ein integriertes Kohlevergasungs-Kraftwerk mit CO2-Abtrennung bauen, doch zugleich spricht der Energiekonzern von der „Technik von übermorgen“. Und tatsächlich – wenn überhaupt, dann dürften die Technologien frühestens ab 2020 verfügbar sein, und ob die Speicherung in alten Erdöl- und Erdgasfeldern oder anderen geeigneten Gesteinsformationen geologisch und ökologisch vertretbar ist, muss längst noch erforscht werden. CCS ist eine mögliche Option, aber keineswegs eine zuverlässige oder belastbare Perspektive für eine nachhaltige Elektrizitätsversorgung, ganz anders als zum Beispiel die erneuerbaren Energien. Deshalb ist es wichtig, wenn die Option weiter erforscht wird, ohne dass damit zugleich andere Optionen ausgeschlossen werden.

Renaissance der Kernkraft?

Klimaschutz durch mehr Kernkraft – auch dies ist eine Dimension der Debatte, wenn auch mit wechselnder Konjunktur. Eine Laufzeitverlängerung, so die Argumente der Energiewirtschaft, brächte einen doppelten Vorteil – einerseits für das Klima, da Kernkraftwerke fast emissionsfrei Strom erzeugen, und andererseits für die Energiekosten, die ansonsten deutlich höher lägen. Weltweit gebe es eine Renaissance der Kernenergie, neue Kernkraftwerke werden geplant und gebaut, und ohne Kernenergie sei der Klimawandel nicht aufzuhalten.

Das Gegenteil ist jedoch höchstwahrscheinlich der Fall: Ende 2006 waren weltweit 210 Kernkraftwerke mit 435 Reaktorblöcken am Netz. Sie produzierten etwa 17 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Um den Anteil der Kernenergie bei einer weltweit steigenden Stromnachfrage auch nur aufrecht zu erhalten, müssten in den nächsten drei Jahrzehnten weltweit 400 Reaktoren hinzugebaut werden, geplant sind bislang aber lediglich 23 – und das mit gutem Grund, denn die Investitionssummen und das für Bau und Betrieb notwendige Know-how sind enorm, die ökonomischen und ökologischen Risiken erheblich und das atomare Abfallproblem weltweit ungelöst (5)“Kernkraft ist nicht die Lösung“, sagt sogar Wulf Bernotat, der Vorstandsvorsitzende von E.ON, dem größten deutschen Gas- und Stromkonzern, der 52 Prozent seines Stroms in Kernkraftwerken erzeugt.(6)

Die wahren Beweggründe der deutschen Energiewirtschaft liegen nicht im Klimaschutz, sondern in den Zusatzerlösen, die mit den weitgehend abgeschriebenen Kernkraftwerken erzielt werden können. Sie produzieren ihren Strom mit vergleichsweise geringen variablen Kosten, verkaufen ihn jedoch zu Preisen, die sich am Trend der Strombörsen orientieren. Dort aber wird der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Ausschlaggebend ist der (kostendeckende) Angebotspreis für die letzte, noch zur Deckung der Stromnachfrage erforderlichen Kilowattstunde. Im Normalfall stammt diese marktpreisbestimmende Stromeinheit aus einem teureren, mit fossilen Energieträgern befeuerten Mittellastkraftwerk, das deshalb eher am oberen Ende der so genannten Merit Order oder Reihenfolge des Abrufs von Stromangeboten platziert ist. Die Kernkraftwerke, die eher am Anfang der Merit Order stehen, können die Differenz als Extragewinn einstreichen. Und genau diese Mittellastkraftwerke sind es, die als Ersatz für die Kernenergie geplant werden. Geringere Energiepreise und damit „gesellschaftliche Energiekosten“ sind also nicht per se zu erwarten, wenn die Kernkraft länger läuft.

Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass Kernkraft mit geringeren CO2-Emissionen verbunden ist als selbst das hocheffizienteste erdgasbetriebene Kraftwerk. Ohne Kernenergie sind deshalb – siehe nächster Abschnitt – höhere Preise für CO2-Emissionsrechte zu erwarten, und damit auch höhere Strompreise. Interessanterweise hat jedoch Frau Merkel die Kernkraft beim letzten Energiegipfel explizit ausgeklammert. Und spätestens nach dem Technik- und Kommunikationsdesaster von Brunsbüttel und Krümmel, den Hamburger Kernkraftwerken von Vattenfall, hat die Kernkraft noch einmal erheblich an Salonfähigkeit verloren – zu recht, wenn die ökologischen und gesellschaftlichen Langzeitfolgen und -kosten des atomaren Abfalls bedacht werden.

Emissi­ons­handel – das große Geschäft

Doch auch der Emissionshandel ist für die Energieversorger eine attraktive Quelle für Zusatzgewinne. Zwar erhalten sie die Zertifikate bislang kostenfrei, und dies in etwa in Höhe der benötigten Mengen, denn in der ersten Phase des Emissionshandels (2005-2007) wurde vorsichtshalber großzügig gerechnet und nur eine geringe Emissionsminderung vereinbart. Dennoch stellt sich, wie der Ökonom weiß, an jedem Tag die Frage, ob die Zertifikate genutzt (also entwertet) werden – oder lieber verkauft. Obwohl also de facto keine oder kaum zusätzliche Zertifikate notwendig sind, bieten die Energieversorger ihre Emissionsrechte an der Börse an.

Die kostenlos ausgeteilten Rechte bekommen auf diese Weise einen Wert – und dieser Wert wird als so genannte Opportunitätskosten auf die Strompreise umgelegt. Emissionsminderungen gab es zwar so gut wie keine, aber teuer bezahlt wurde der Emissionshandel – von den Stromkunden. Bei einem börsennotierten Zertifikatspreis von 20 Euro und fast 500 Millionen verteilter Zertifikate sind dies 10 Milliarden Euro – eine attraktive Einnahmequelle.

Zwar sollen in der anstehenden zweiten Handelsperiode (2008-2012) weniger Rechte ausgeteilt und etwa 10 Prozent zudem versteigert werden. Die restlichen 90 Prozent des Werts landen aber erneut in den Bilanzen der Konzerne. Auch hier entsteht ein perverser Effekt, denn für klimafreundliche Gaskraftwerke gibt es eine geringere Zertifikatsausstattung – also auch geringere Zusatzeinnahmen – als für Kohlekraftwerke.

Markt­be­herr­schende Konzerne statt Wettbewerb

Fehlkonstruktionen wie diese sind auch dem politischen Verhandlungsprozess geschuldet und zeigen zugleich die Markt- und Verhandlungsmacht der großen Energieversorger auf, die in die Verfassung von Energiegesetzen traditionell einbezogen werden. Die vier großen Stromkonzerne RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall beherrschen faktisch den deutschen Elektrizitätsmarkt (böse Zungen sprechen gar von den „vier Besatzungszonen“). Zusammen haben sie einen Marktanteil von über 80 Prozent der Erzeugungskapazitäten und bilden damit ein enges Oligopol, mit dem Ergebnis eines unzureichenden Wettbewerbs. Einige Studien zeigen, dass die Preise am deutschen Großhandelsmarkt, der Strombörse EEX in Leipzig, überwiegend oberhalb der (wohlfahrtsoptimalen) Grenzkostenpreise liegen, die sich im Wettbewerb ergeben würden.(7)

Zur Vormacht der Großen tragen aber auch die Energieverbraucher durch ihr träges Verhalten ihr Quäntchen bei – nur etwa 5 Prozent der privaten Kunden wechselte seit der Liberalisierung des Strommarkts im April 1998 den Versorger, obwohl das zumeist reibungslos und ohne jegliche Versorgungsunterbrechung funktioniert. Etwas mehr Wechseldynamik kam erst in diesem Sommer 2007 in den Markt, als die Strompreise von der bisherigen Preisaufsicht befreit und es dem „freien Wettbewerb“ anheim gestellt wird, die Strompreise zu bilden – mit dem Ergebnis, dass faktisch alle Energieversorger ihre Tarife im Sommer anhoben. Im ersten Halbjahr 2007 wechselte nach Angaben der Bundesnetzagentur bereits eine (weitere) halbe Million privater Haushalte den Anbieter. Das stimmt etwas optimistischer, ist aber immer noch sehr wenig. Für einen funktionierenden Wettbewerb muss noch einiges geschehen, denn die Anreize für einen Wechsel sind gering: die Haushalte sparen oft wenig mehr als ein paar Dutzend Euro im Jahr. Um mehr Wettbewerb zu erhalten, müssen mehr Energieanbieter in den Markt kommen. Dafür jedoch müssen die Strukturen auf Seiten der Erzeugung und Verteilung von Elektrizität verändert werden. Die entscheidenden Stromnetze sind hierzulande im Besitz der genannten vier großen Konzerne, und neue Energieanbieter müssen deren Netze nutzen – und dafür natürlich auch bezahlen. Organisatorisch sind die Konzerne zwar seit einiger Zeit dazu verpflichtet, die Unternehmenssparten Erzeugung und Vertrieb getrennt zu betreiben. Faktisch aber sind die Interessen der jeweiligen Konzerntöchter abgestimmt, der Zugang neuer Wettbewerber zu den Stromnetzen unerwünscht und im Ergebnis dann doch wirtschaftlich und administrativ aufwändig.

Im Detail unterscheiden sich die großen Versorger in ihren Strategien. E.ON, der größte unter ihnen, betreibt 11 Steinkohle- und ein Braunkohlekraftwerk und ist an 12 der 17 deutschen Atomkraftwerke beteiligt. E.ON gründet aber auch seine eigene Gesellschaft für erneuerbare Energien und will in diesem Marktsegment führend in Europa sein, geplant sind bis 2010 allein drei Milliarden an Investitionen. Für CCS engagiert sich der Konzern bislang nicht. RWE produziert 59 Prozent seines Stroms in fünf Braunkohle- und einem Steinkohlekraftwerk und ist an sieben Kernkraftwerken beteiligt. CCS wird – wie erwähnt – als „Technik von übermorgen“ erprobt, zuvor stehen vor allem Wirkungsgradverbesserungen auf der Unternehmensagenda. Vattenfall hat mit 79 Prozent den höchsten Anteil an Kohlestrom und vertritt wohl auch deswegen eine aktive Strategie der Emissionsminderung durch CCS. EnBW hat diese Probleme – weniger als ein Viertel seiner Erzeugung stammt aus fossil betriebenen Kraftwerken – eher nicht, wohl aber ein Interesse an längeren Laufzeiten der Kernkraftwerke.

Allen vier großen Konzernen gemein ist das Interesse am Erhalt von zentralen Erzeugungsstrukturen und damit ein weitgehendes Desinteresse am Erhalt oder gar Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Die setzt nämlich auf dezentrale, verbrauchsnahe Strukturen, da der Absatz der erzeugten Wärme gewährleistet sein muss. Ähnlich die Biomasse: Hier sind heute kleine bis mittelgroße Kraftwerksanlagen verfügbar, die zumeist in kleinen, ländlichen Kommunen zum Einsatz kommen.

Die Frage der Vereinbarkeit zentraler und dezentraler Versorgungsstrukturen mit einer nachhaltigen Transformation des Elektrizitätssystem ist zwar kaum eindeutig zu beantworten, ein Mix wird immer erforderlich sein. Klar ist aber, dass die Betreiber großer, zentraler Grund- und Mittellastkraftwerke wenig Interesse daran haben, Konkurrenz von dezentralen Anlagen zu bekommen, die die Auslastung ihrer eigenen Kraftwerksblocks mindern.

Klimaschutz braucht Innova­ti­onen

Wichtiger Motor einer Zukunftsstrategie hin zu einem nachhaltigeren Elektrizitätssystem sind Innovationen. Aber eine erfolgreiche Innovation ist mehr als neue Technologie: Sie erfordert Anpassungen im Denken, in den Netz- und Versorgungsstrukturen, im Verhalten – und die passende politische Flankierung. So braucht die dezentrale Erzeugung mit Wind, Sonne, Biomasse oder kleinen, Strom und Wärme erzeugenden Heizungen (Mini-KWK) die neuen, cleveren Methoden der Lastregulierung, geeignete einfache Regeln und Nutzungsprofile für den Netzanschluss, aber auch die Diskussion, wer den erforderlichen Netzaus- oder -umbau finanzieren soll.

Erneuerbare Energien und die Brennstoffzelle sind zweifellos wichtige Säulen einer nachhaltigen Energieversorgung. Aber sie brauchen teilweise Zeit, um ihre technisch-wirtschaftliche Marktreife zu erreichen. Die könnte gewonnen werden, wenn in kurzer und mittlerer Frist verstärkt auf Energieeffizienz gesetzt würde. Und die wirtschaftlichen Potentiale der effizienteren Energienutzung sind enorm. Der Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie ZVEI beispielsweise, der 2006 die Initiative „Energie-Effizienz ist unsere Sache“ gründete, rechnete aus, dass bei Beleuchtung, Kühl- und Gefriergeräten und elektrischen Antrieben jährlich mehr als 40 Milliarden Kilowattstunden gespart werden könnten – ungefähr soviel wie das Bundesland Hessen an Strom verbraucht. Doch die Realisierung eines solch offensichtlichen, aber enorm kleinteilig verteilten Klimaschutzpotentials ist eine komplexe Angelegenheit, denn selbst wenn es sich für sie rechnet, sind die privaten Haushalte träge. Sie treffen ihre Entscheidungen für den Kauf von Geräten und deren Betrieb nur selten unter energiebezogenen Kriterien. Die jährliche Stromrechnung ist kein wirklicher Anreiz, um sich über Stromsparmöglichkeiten Gedanken zu machen, denn sie gibt keine Informationen darüber, wo der Verbrauch entsteht. Wie viel Energieeinsparung bringt es, den Stecker des Fernsehers zu ziehen, um das Standby-Lämpchen auszuschalten? Was bringt eine Energiesparlampe? Der Durchschnittsbürger hat darüber keine Informationen, und es interessiert ihn daher auch nicht wirklich. Deshalb werden in diversen Ländern und Projekten informativere Stromrechnungen entwickelt, die bessere Entscheidungen erlauben.

Um technische und gesellschaftliche Innovationen zu entwickeln, ist es also nicht damit getan, mehr Geld in die Forschung zu pumpen oder einzelne Technologien wie Brennstoffzellen, CCS oder Offshore-Wind zu fördern. Innovationen brauchen ein Klima der Kreativität, in dem sich unterschiedlichste Ideen entwickeln und wetteifern können. Zu groß ist sonst die Gefahr, dass sich die Technologie der Wahl als Sackgasse entpuppt und keine Alternative bereit steht. Innovationsförderung in diesem Sinne heißt zum einen: Unterstützung technologischer, geographischer oder sozialer Nischen, in denen Neues entsteht – wie es die Bundesregierung mit ihren Modellprojekten zum Teil schon tut. Ebenfalls hilfreich können interdisziplinäre Szenarien sein, die unterschiedliche mögliche Pfade entwerfen. Sie zeigen vorhandenen Handlungsspielraum auf, machen aber auch die langfristigen Folgen einmal getroffener Festlegungen deutlich. Partizipativ entwickelt und auf Perspektiven von 20 und mehr Jahren angelegt, könnten sie dem Widerstand gegen ein Umsteuern den Wind aus den Segeln nehmen.

Klimaschutz ist eine Frage der richtigen Anreize. Für die Energieversorgung sind die bislang wenig konsequent gesetzt worden. Die erneuerbaren Energien profitieren zu Recht von einer großer Akzeptanz und entsprechender politischer Unterstützung bei ihrer Entwicklung und Markteinführung. Sie werden langfristig die wesentliche Säule der Energieversorgung sein müssen, bleiben aber mittelfristig (mit Ausnahme der Windkraft) eine eher marginale Quelle zusätzlichen Klimaschutzes. Die wirklich großen mittelfristigen Potentiale liegen im Brennstoffwechsel hin zu Erdgas und in der Kraft-Wärme-Kopplung. Doch hier sind die Anreize eher gering bis fehlleitend, und die Motivation der Energieversorger entsprechend zu niedrig, einen aktiven und innovativen Klimaschutz zu betreiben. Nachhaltigkeit und Klimaschutz brauchen deshalb dringend einen Regulierungsrahmen, der allen Zukunftstechniken angemessene Chancen gibt. Die Analysen und Szenarien von wissenschaftlichen Instituten zeigen, dass ambitionierter Klimaschutz auch möglich ist, ohne dass die Wirtschaft zusammenbricht. Zuletzt zeigte auch der britische Regierungsberater Nicholas Stern im so genannten Stern Report, dass sich das ambitionierte Ziel eines Anstiegs der durchschnittlichen globalen Temperatur um maximal 2°C zu sehr moderaten Kosten erreichen lässt – weniger als ein Prozent des globalen Wirtschaftswachstums würde dafür eingebüßt.

(1) „Energie der Zukunft: sicher, bezahlbar, umweltfreundlich“,www.bundesregierung.de.

(2) So formuliert in der Zeitschrift „Umwelt“, hrsg. vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Ausgabe 6/2007, S. 338.

(3) „Eckpunkte für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm“, verfügbar unter http://www.bmu.de /files/pdfs/allgemein/application/pdf/klimapaket_aug2007.pdf.

(4) The Economist, „A special report on business and climate change“, 2 June 2007, S. 4.

(5) Weitere Argumente in Edenhofer, Ottmar; Flachsland, Christian; Bruckner, Thomas (2007), „Nachtrag: Deutschlands Beitrag zur Lösung des Weltklimaproblems – was lässt sich erreichen?“, in Ifo-Schnelldienst 10/2007, S. 22-26.

(6) Interview mit Wulf Bernotat in der Süddeutschen Zeitung, 20. Juli 2007, S. 19.

(7) Hirschhausen, Christian von; Weigt, Hannes; Zachmann, Georg (2007): „Preisbildung und Marktmacht auf den Elektrizitätsmärkten in Deutschland“, Electricity Markets Working Papers WP-EM-1, TU Dresden.

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