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Vademekum der Klima­ka­ta­s­trophe

vorgängevorgänge 3-200709/2007Seite 131-133

Die Potsdamer Klimaforscher Rahmsdorf und Schellnhuber haben ein Standardwerk für jedermann geschrieben

aus : vorgänge Heft 3/2007, S.131-133

Es ist ein kompaktes, interdisziplinäres und zugleich verständliches Werk über den Klimawandel, die größte zu erwartende globale Umweltveränderung dieses Jahrhunderts. Geschrieben von zwei der kompetentesten Fachleute der Republik, Stefan Rahmstorf, dem Professor für die Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und Hans Joachim Schellnhuber, dem Gründer und Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Physik-Professor an den Universitäten Potsdam und Oxford.

Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber Der Klimawandel. Diagnose, Prognose, Therapie; C.H. Beck München 2006, 145 Seiten; 7,90 Euro

In fünf Kapiteln wird die komplexe Thematik aufbereitet. Wer schon immer mal wissen wollte, was man über die Klimaverhältnisse in der Frühgeschichte der Erde weiß, wie sich Warmphasen und Eiszeiten abgewechselt haben und mit welcher Technik und Methodik man dies bestimmen kann, hier wird er fündig (Kapitel 1). Das Klimasystem ist ein höchst sensibles System, das in der Vergangenheit schon auf recht kleine Änderungen in der Energiebilanz empfindlich reagiert hat. Es ist ein nicht-lineares System, das zu sprunghaften Änderungen neigt. Es ist kein ,träges Faultier‘, sondern gleicht eher einem ,wilden Biest‘ (Wallace Broecker). Die Klimaforschung sei – davon sind die Autoren überzeugt – im vergangenen Jahrzehnt dem quantitativen Verständnis der Ursachen früherer Klimaänderungen sehr nahe gekommen. Ein gutes Verständnis von Ursache und Wirkung ist die Voraussetzung dafür, die Eingriffe des Menschen in das Klimasystem richtig einschätzen zu können und deren Folgen zu ermitteln.

Das besondere Interesse der Autoren und der inhaltliche Schwerpunkt der Argumentation gelten diesen Ursachen und Wirkungen der stattfindenden globalen Erwärmung, insbesondere den Folgen, die daraus für Mensch und Natur, Wirtschaft und Gesellschaft entstehen (Kapitel 2). Der Anstieg der Erdtemperatur, die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen und die Klimasensitivität werden auf Basis des Berichts des Zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (IPCC) von 2001 und der neuesten Erkenntnisse im Detail beschrieben – und es werden Projektionen („Wenn-dann-Aussagen“) für die Zukunft bis zum Jahr 2100 präsentiert. Die hierzu im IPCC-Bericht (2001) verwendeten unterschiedlichen Szenarien ergeben eine durchschnittliche Erderwärmung um 1,40 Celsius im günstigeren Fall und 5,8° Celsius im ungünstigen Fall für den Zeitraum 1990 bis 2100. (Der IPCC-Bericht von 2007 verändert diese Spannbreite auf 1,1 bis 6,4 °Celsius).

Wie sicher sind all diese Aussagen? Die Autoren widmen sich dieser Frage mit großer Sorgfalt und setzen sich dabei auch mit der so genannten Iris-Theorie von Richard Lindzen auseinander, des – wie sie sagen – einzigen ernstzunehmenden Skeptikers der anthropogenen Erwärmung und widerlegen ihn mit Hinweis auf neueste Erkenntnisse der Paläoklimatologen.

Zu den Kernaussagen der weltweiten Klimaforschung gehören nach Auffassung der Autoren die folgenden: Die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre ist seit 1850 stark angestiegen; für diesen Anstieg ist der Mensch verantwortlich, in erster Linie durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, in zweiter Linie durch Abholzung von Wäldern; der überwiegende Teil der Erwärmung ist auf die gestiegene Konzentration von CO2 und anderen anthropogenen Gasen zurückzuführen. Aus diesen (und weiteren) Punkten folgt, dass der bislang schon sichtbare Klimawandel nur ein Vorbote ist für viel größere Veränderungen, die bei einem ungebremsten weiteren Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen eintreten werden.

Den Folgen des Klimawandels gilt das besorgte Interesse der Autoren in Kapitel 3. Schon die gewählten Überschriften sprechen eine deutliche Sprache: Gletscherschwund; Rückgang des arktischen Meer-Eises; Tauen des Permafrostes; Abschmelzen der Eisschilde in Grönland und in der Antarktis; Anstieg des Meeresspiegels; Änderung der Meeresströmungen; Wetterextreme; Auswirkungen auf die Ökosysteme; Landwirtschaft und Ernährungssicherheit; Ausbreitung von Krankheiten. Trotz der bislang noch geringen globalen Erwärmung (0,8°C seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute) lassen sich bereits zahlreiche dieser Auswirkungen nachweisen. Auch wenn die weitere zeitliche Abfolge und regionale Ausprägung sich nur schwer im Einzelnen vorhersehen lasse, werden die Auswirkungen – da sind sich die Autoren sicher – tief-greifend sein. Gravierende Probleme dürften dann entstehen, wenn der Klimawandel so rasch vonstatten geht, dass er die Anpassungsfähigkeit von Mensch und Natur überfordert.

Weil es, in der Einschätzung der Menschen (insbesondere der Politiker), sowohl negative als auch positive Auswirkungen des Klimawandels gibt, widmen die Autoren der öffentlichen Diskussion des Themas ein ganzes Kapitel. Sie berichten über die Klimadiskussion in den USA, über die Lobby der Leugner des Klimawandels, aber auch über zuverlässige Informationsquellen (Kapitel 4). Dem Laien sei es nur schwer möglich, sich ein fundiertes und sachlich korrektes Bild vom Wissensstand in der Klimaforschung zu machen (ein Defizit, das mit diesem Buch aber behoben ist). Schlimmer sei jedoch die Gespensterdiskussion in bestimmten Medien – und wenn sich gezielte Lobbyarbeit von Interessengruppen mit mangelnder Kompetenz und Verantwortung mischt. Keine Sorgen machen sie sich um die Fortentwicklung der Klimawissenschaft selbst: „Extreme Einzelmeinungen oder unredliche Argumente können sich bei einer offenen Diskussion unter Fachwissenschaftlern nicht durchsetzen“ (S. 90).

Nach all diesen (Vor-)Überlegungen ist der Leser auf Kapitel 5 des Buches besonders gespannt: „Die Lösung des Klimaproblems“. Nun, als Sozialwissenschaftler hat mir gerade dieses Kapitel besonders gefallen. Naturwissenschaftler können ein Problem in aller Regel strikt und präzise analysieren. Aber können sie auch einen Beitrag zu seiner Lösung bieten, wo es doch um anthropogen-verursachte Veränderungen eines natürlichen Systems geht, wo politische Interessen und menschliche Verhaltensweisen im Spiele sind?

Ich fand eine überraschende, mich aber überzeugende Antwort: Die Professoren der Physik Rahmstorf und Schellnhuber haben gelernt, sie sind im interdisziplinären Diskurs zu Sozialwissenschaftlern gereift. Das könnte an ihren Studenten und Mitarbeitern liegen, vor allem aber wohl daran, dass sie beide Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) sind, ein Multi-disziplinär zusammengesetztes Forschungs- und Beratungsgremium der Bundesregierung.

Vermeiden, Anpassen oder Ignorieren – das ist die soziologische Eingangsfrage des Kapitels; und man ahnt, wie sie beantwortet wird. Gibt es den optimalen Klimawandel – eine Frage, die von Ökonomen stammen könnte. Globale Zielvorgaben vereinbaren, Gestaltungsräume ausloten und das Kyoto-Protokoll umsetzen – das sind politologische und rechtliche Fragen und Argumentationen, Und dann – sehr detailliert, sehr lobenswert – der „WBGU-Pfad zur Nachhaltigkeit“, für den die Politik in großem Stile handeln, die Wirtschaft in kühner Weise investieren und die Gesellschaft entschlossen mitwirken müssten. Dieses Kapitel hat einen Preis verdient – und ich möchte es am liebsten allen klimapolitischen Entscheidungsträgern unters Kopfkissen legen.

Dann ist da aber auch noch ein Epilog: „Der Geist in der Flasche“. Nach der Lektüre dieses Buches wird der Leser/die Leserin hoffentlich der Ansicht der Autoren zustimmen, dass die Bewältigung des Klimawandels – seine Eindämmung oder die bestmögliche Anpassung daran – eine Feuertaufe für die im Entstehen begriffene Weltgesellschaft darstellt. Dass das Problem auch als Chance für einen neuen Aufbruch begriffen werden kann – nicht nur für eine aktive globale Klimapolitik, sondern auch für den Entwurf und die Gestaltung einer demokratisch legitimierten Weltumweltpolitik.

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